733-7^^ Mker Arbeitslager. Von S. Kraeauer. Die entscheidende Form, in der sich der Freiwillig? Arbeitsdienst vollzieht, ist die jener Arbeitslager, die vor etwa sieben Jahren aus der deutschen Jugendbewegung hervorgegangen sind- Das erste bestand nur aus Studenten und sollte, wie Georg Keil in seinem Buch: „Vormarsch der Arbeitslagerbewegung" erklärt, die Werte des Werkstüdenten- tuws, das nach der Stabilisierung der Mark erlosch, in die Zukunft hinüberretten. Bald danach wurde dann, unter der aktiven Mitwirkung von Hans Dehmel und Eugen Rosenstock, der auch die neue Bewegung in theoretischer Hinsicht richtig Zu fundieren suchte, im Schlesischen das erste Volkslager geschaffen, das sich aus Arbeitern, Bauern und Studenten Zusammensetzte. Wichtig ist, daß diese Lager keineswegs Zu dem Zweck gegründet wurden, um etwa für ihren Teil der Erwerbslosigkeit abzu-- helfen, sondern ihrer ursprünglichen Konzeption nach außer- wirtschaftliche Ziele verfolgten. Es darf nicht vergessen werden, heißt es bei Keil, „daß es Arbeitslager als Lebensform auch dann geben muß, wenn die Erwerbslosigkeit einmal nicht mehr der unmittelbare Anlaß für die Lagerarbeit sein sollte". Sie entstanden aus dem Drang der (bürgerlichen) jungen Genera tion Zu einer fühlbareren Volksgemeinschaft als der vor handenen, aus ihrem Bedürfnis nach autonomem bündischen Zusammenleben. „Daß von jungen Menschen Gemeinschaft empfunden wurde, das macht die Arbeitslager Zu dem, was sie heute sind, und läßt für die Zukunft hoffen" (Keila.a.O.). Ich beabsichtige, in der folgenden Darstellung gerade auf die ideologische Seite der Bewegung einzugehen. Die im vorigen Jahre erlassene Verordnung über den Freiwilligen Arbeitsdienst machte sich die in den bisherigen Arbeitslagern gesammelten Erfahrungen Zunutze. Es erscheint mir hier als unnötig, die mit dem Freiwilligen Arbeitsdienst verbundenen Probleme im allgemeinen zu erörtern (vergl. u. a. die Aufsätze in unserer Beilage: „Für Hochschule und Jugend" vom 23. Mai, 6. Juni und 3. Juli 1932).^ Genug, daß ihm in den gesetzgeberischen Bestimmungen ausdiücklich nicht nur eine ökonomische, sondern vor allem eine sozialpädagogische Bedeutung zugesprochen wird, die sich nicht weit von den Ab sichten der früheren Lagergründungen entfernt. Zum Tatsächlichen noch: nach den neuesten Verfügungen können jetzt alle jungen Deutschen unter 25 Jahren Zum Frei willigen Arbeitsdienst zugelassen werden; wobei es sich von selbst versteht, daß die Erwerbslosen den Vorzug genießen. Ein Lager dauert durchschnittlich 80 Tage. Die in ihm ver richteten Arbeiten, die gemeinnütziger und Zusätzlicher Art sein müssen, dienen in der Regel der Herstellung von Sportplätzen, Meliorationen, Siedlungen usw. Neben dem herrschenden Lagertypus, der Menschen verschiedenster Berufe, Weltanscham ungen und Parteirichtungen vereint, gibt es noch den Typus des „Gesinnungslagers", in dem nach der Konfession oder dem Parteibuch gefragt wird. Ueberhaupt ist das interkonfessionelle „Volkslager" nicht unumstritten. Die freien Gewerkschaften er kennen es Zwar heute eingeschränkt an, aber die radikalen Parteien (und wohl auch das Zentrum) neigen Zu seiner Verwerfung. -Ich möchte zunächst einige Eindrücke verzeichnen, die einen Begriff von einem solchem Sind Ein ¬ drücke an sich auch belanglos, so bewahren sie doch v^^ Fehl urteilen wie diesen: „Den jungen Leuten wird eine Ideologie eingeimpft, die antidemokratisch ist und antisolidarW die das alte Klaffengefühl der Arbeiterschaft durch Subordination unter den Willen von ,Führern" ersetzt. So werden Betriebs bullen für die fascistische Fabrik gezüchtet..Behauptungen, von deren Unverantwortlichkeit schon der flüchtigste Besuch in einem interkonfessionellen Lager zu überzeugen vermag. Aus gestellt worden sind sie in einem Artikel der „Weltbühne" vom 20. September, in dem Thomas Murner Peter Martin Lam- Pels Arbeitslager-Buch: „Packt an! Kameraden!" (Rowohlt Verlag, Berlin) ablehnt. Das Buch von Lampel ist eine Re portage, was sage ich, eine Sturzflut von Reportagen, in denen lauter Gespräche mit Leuten über Arbeitslager und lauter Gespräche mit Leuten aus Arbeitslagern reproduziert worden sind. Sie gleichen einer Kollektion ausgezeichneter Photographien. Aber wie immer bei solchen Moment aufnahmen: man kann sich auf Grund der zahllosen Bilder nur schwer ein Bild zusammenreimen. Oder das Bild ist schief; Was jene oben zitierten Sätze Murners beweisen. Das von mir besuchte dritte märkische Arbeits tag e r bei Bad Saar 0 w umfaßt 75 Teilnehmer, von denen 23 Studenten, die übrigen in der Mehrzahl erwerbslose Arbeiter und Angestellte sind. Sie Hausen in einem alten Soldatenheim aus dem Krieg, das unter Bäumen steht und sich nicht Heizen läßt. Am 1. Oktober ist daher Schluß. Zu dem Anwesen gehört noch ein großes Freigelände und ein Saalbau, in dem auch gegessen wird. Der Vormittag, der un heimlich früh anfängt, ist mit Arbeit an einem Sportplatz aus- gesüllt, die Nachmittage sind dem Sport und der geistigen Ausbildung in Arbeitsgemeinschaften gewidmet. Man legt Wert darauf, daß sich in diesen wie in den eigentlichen Arbeits gruppen stets Vertreter der verschiedenen Schichten und Be rufe zusammenfinden. Soweit der Gebrauch der übrigen Stunden nicht dem Belieben des Einzelnen freigegeben ist, werden sie zum gemeinsamen Musizieren und Singen, Zum Theaterspiel, zur Gymnastik verwandt. Das nennt man, ein wenig anspruchsvoll, Freizeitgestaltung. Sogar den einfachsten Tätigkeiten müssen heute Begriffsorden verliehen werden. Ich weiß nicht, ob es sich überall so verhält: aber diese jungen Dienstwilligen, die erst seit zwei Wochen im Lager sind, haben sich einander überraschend schnell angepaßt. Nie mand vermag sofort Zu erraten, daß sie allen möglichen Schichten' und Parteien entstammen, niemand kann auf den ersten oder auch zweiten Blick hin den Studenten vom Arbeiter unterscheiden. Es ist wie in Badeanstalten. Die Homogenität wird durch ähnliche Kleidung und das gemeinsame Tagewerk verstärkt; auch bilden sich natürlich Sitten heraus, die das Zusammengehörigkeitsgefühl unterstreichen. Man. singt vor Beginn und nach Schluß irgendeines Tagesabschnittes Lieder, legt sich Spitznamen bei, umrahmt das Essen mit einer lauten indianischen' Zeremonie usw. Unter den vielen jungen Männern verlieren sich fast die paar Mädchen, die mir nicht besonders frohsinnig zu sein scheinen. Vielleicht ist ihnen die Arbeit Zu schwer, und dann wird sich ihre Art in diesem Kreis nicht recht durchsetzen können. Wie ich in dem gerade er schienenen Buch von Ernst Schellenberg: „Der freiwillige Arbeitsdienst auf Grund der bisherigen Erfahrungen" (Son- derschriften des Kommunalwissenschastlichen Instituts an der Universität Berlin. Zweites Heft) entnehme, sind die Be mühungen, eine gemeinsame Arbeit der Geschlechter herbeizu- führen, teilweise gescheitert. Wo sich soviele Gegensätze und Weltanschauungen Zu sammendrängen, ist die Frage, ob und wie sie miteinander auskommen, mehr als berechtigt. Meine Beobachtungen werden durch gern gegebene Auskünfte ergänzt. Festzustellen ist zu nächst: man sucht den Ausgleich nicht einfach dadurch zu schaffen, daß man politische Gespräche künstlich fernhält und das Lager zum neutralen Gebiet erklärt. Eine solche Neutrali tät wäre ja auch ein Vakuum. Die schlechte Enthaltsamkeit ist im Gegenteil verpönt, und in den Arbeitsgemeinschaften finden ständig Diskussionen statt, die vor der Politik keineswegs Halt machen. Der Nationalsozialist muß sich mit dem Kommunisten auseinandersetzen, und der Reichsbannermann hält wahr scheinlich auch nicht den Mund. Wenn man an die Straßen- kämpfe draußen denkt, klingt es wie ein Wunder, daß das Lager nach acht Tagen Noch die gleiche Zahl von Menschen faßt wie bet seinem Zusammentritt. Wahrhaftig, die Vertreter von einander zuwiderlaufenden Standpunkten und Pro grammen fressen sich nicht auf, sondern weiden gemeinsam wie die Löwen und Lämmer der uns verheißenen paradiesischen Zeiten. Dieser Friedenszustand, der vermutlich mehr durch persön liche als durch politische Zwistigkeiten gefährdet wird, ist an gesichts der heutigen Verhältnisse so merkwürdig, daß er eine genauere Betrachtung verdient. Es wäre zu bequem, seine Entstehung daraus zu erklären, daß die Lagerteilnehmer auf einander angewiesen sind und im übrigen durch die gemein same Arbeit gleichsam von selber domestiziert werdek. Wich tiger ist schon, daß, dem Lagerbrauch zufolge, niemand die Sucht kennt, dem andern seine Ueberzeugung zu rauben. Wer nicht von seiner Meinung ablassen will, darf die Gesinnung, die ihm wert ist, ruhig behalten. Kein Dogma herrscht hier- und zweifellos wäre auch kein einziger der jungen Menschen dazu fähig, die übrigen gerade auf politischem Gebiet unter Druck zu setzen. Am wesentlichsten aber ist ein Vorgang, der nicht nur zur an sich leeren Verträglichkeit führt, sondern sie überdies mit einem positiven Vorzeichen versteht. Ich meine die Haltungskontrolle. Einige Teilnehmer erzählen mir, daß viele im Lager mit einem Hausen angelernter politi scher Phrasen einträfen, deren Hohlheit sich bereits in den ersten Tagen enthülle. Wodurch enthüllt sie sich? Durch den beim gemeinsamen Leben jederzeit möglichen Vergleich zwi schen dem Sinn der Phrase und der Haltung ihres Benutzers, Wenn zum Beispiel einer von der Solidarität spricht, die man beweisen müsse, wird das Lager unschwer nachprüfen können- ab der Betreffende selber sich im Alltag nach seiner Maxime richtet. Und tut er es nicht, so ist die von ihm erhobene For derung der Unwirklichkeit überführt. Dank der dauernden wechselseitigen Kontrolle streben alle danach, ihre Aeußerungen mit ihrem Verhalten in Uebereinstimmung zu bringen und