drucksformen desselben Verhaltens, das sie so notwendig bedingt, daß die eine ohne die andere kaum bestehen kann. In Sternes „Tristram Shandy" treten sie denn auch gemeinsam auf und offen baren ihre Zwillingsnatur. Die Andreu-Rivel drängen als Clowns, die sie sind, das melancholische Element begreiflicherweise in den Hintergrund ab und sabotieren ihr Brückenwerk auf eine rein komische Art. Und zwar gebärden sie sich mit Ausnahme des Silberclowns wie Kinder, die immerfort spielen und ab schweifen müssen. Die Beschäftigung, der sie obliegen, erschöpft sich darin, durch lauter Einfälle, die nur Kindern in den Sinn kommen, den Zweck ihrer Zusammenkunft zu vergessen. Zu der unerhörten Komik dieser beharrlichen Nichterfüllungspolitik gesellt sich die der Einfälle selber. Sie wirken doppelt komisch: einmal, weil sie den Brückenbau stets von neuem unterbrechen, und zum andern, weil sie das kindliche Wesen so genau und ideal wieder geben. Bald erschrecken sich die Clowns durch Maskeraden, bald verprügeln oder kitzeln sie sich usw. Die Situationen, in denen sich Kinder als Kinder bewähren, dürften hier vollständig inven tarisiert sein, und jede von ihnen ist mit akrobatischer Sicherheit durchgestaltet. Daher muß man auch fortwährend lachen. Und dieses Gelächter der Kleinen und Großen bezieht sich sowohl auf die Kindereien als solche wie auf die durch sie erreichte Entwer tung der geplanten Haupt- und Staatsaktion. Die Kleinen können unbefangen lustig fein, und die Großen brauchen nicht melancholisch zu werden. * Andere Clowns, so die alten Fratellini, nehmen ebenfalls ihre Zuflucht zum unverantwortlichen Kinderstreich. Von ihren Num mern unterscheidet sich aber die der Andreu-Rivel darin, daß sie auf eine musterhafte Weise den ganzen Vorstellungsablauf des Kindes reproduziert. Tatsächlich, diese drei Clowns begnügen sich nicht mit der Darbietung des einen oder anderen komischen kind lichen Zugs, sondern zeigen überdies, wie sich im Kind ein Zug aus dem vorigen entwickelt. Der Erwachsene hält meistens die Kinder für geistesabwesend und zerstreut. Sie springen ununter brochen vom Thema ab, handeln sprunghaft und leben scheirrbar völlig im Augenblick. Ist es aber in Wahrheit nicht so, daß diese launischen Kinderassoziationen sich durchaus zusammenhängend und keineswegs launisch entfalten? Daß sie sich faktisch auf Grund einer Gesetzmäßigkeit vollziehen, die nur darum undurHschaut bleibt, weil sie nicht vom wachen Bewußtsein und den hochwichtigen Zwecken der Erwachsenen bedingt wird? Die Andreu-Rivel unter streichen besonders nachdrücklich die strenge Logik, mit der die kindlichen Einfälle sich folgen. Wunderbar ausgebaut ist sie in jenem Abschnitt, in dem die beiden Clowns sich nicht um alles in der Welt von ihrem reifen Silberbruder dazu bewegen lassen Bollen, nun endlich mit dem Brückenbau zu beginnen. Jeder Ein ¬ spruch des Silbrigen wird ihnen nur zum Anlaß neuer Spiele. Wenn dieser zum Beispiel wiederholt „Genug" sagt, so bewegen sie sich sofort im Rhythmus des Worts, statt seiner Bedeutung ein gedenk zu sein, und wenn er sie anbrüllt, verfallen auch sie in ein Gebrüll, aus dem dann bald in unmerklichem Uebergang irgend eine andere Tätigkeit hervorsprießt. Einmal kitzelt etwa der eine zufällig seinen Gefährten: es versteht sich von selbst, daß dieser Vor gang gleich systematisiert wird. Kurzum, die knrdlichen Abschwei fungen sind keine vereinzelten Willkürakte, sondern hängen dicht miteinander zusammen, die Eingebungen der Zerstreutheit stehen unter sorgfältiger Kontrolle, und der Fluß der Arabesken hat einen geregelten Lauf. * Durch den logischen Zusammenhang aber, in den die Andreu- Rivel ihre Ulkereien bringen, gewinnt die Szene eine außerordent liche Trefe. Denn die Logik, um die es hier geht, ist nicht die normale, sondern am ehesten die des Märchens. Indem die Rivel diese Logik anwenden, heben sie nicht nur ihr seriöses, allzu seriöses Brückenwerk auf eine Weise aus den AngÄn, deren UM schon allein dem Clownwesen genügte; sie deuten vielmehr darüber hinaus auch noch einen Sinn in der Unsinnigkeit an. Der lustige Unfug ist bei ihnen mehr als ein bloßer Unfug, der die böse Ver schlossenheit un) den falschen Ernst sprengen soll;-er erhält außer dieser, jeder Clownerie zukommenden Funktion eine andere, die ihm selber Bedeutung verschafft. Dank der sonderbaren Logik, der er untersteht, ruft er die Ahnung einer Wirklichkeit hervor, die mit der unsrigen nicht identisch ist; einer Wirklichkeit, die sich zu der alltäglichen so windschief wie die der Märchen und mancher Träume verhält. Auf sie weist die fanatische Systematik der Kin dereien hin, zu ihr schlagen die Andreu-Rivel eine schwindel erregende Brücke, die kühner ist als die schließlich gebaute und von den aus der Verschlossenheit und. dem Ernst entlassenen Menschen Lei einiger akrobatischer Uebung unschwer beschriften werden *önnte. SVb -ü 0L Arbeiter, lernt arbeiten! Zu ein em sowj etrussisch en Tonfilm. Berlin, im Oktober. In der Berliner Botschaft der Sowjet-Union wurde vor einigen Tagen einem geladenen Publikum der Tonfilm: „Dinge und Menschen" gezeigt. Es ist der erste tönende Film, der aus Moskau zu uns kommt, und er beweist unter anderem, daß die russische Tonfilmproduktion in technischer Hinsicht die unsrige eingeholt hat. Geräusche und Sprechorgane stufen sich vielfältig ab, und die Kamera ist beweglich wie früher geblieben. Beachtung verdient, daß auch die meisten Tonaufnahmen nicht im Atelier, sondern gleich an Ort und Stelle im Freien gemacht worden sind. Die Bevorzugung dieses Verfahrens zeugt vom realistischen Sinn der heutigen Russen. Ich möchte die Fabel des Films andeuten, weil aus ihr einige interessante Folgerungen zu ziehen sind. Sie handelt von der Erbauung des Kraftwerks Dnjeprostroj und hat pädago gische Absichten. Jedenfalls ist die ganze erste Hälfte der scho nungslosen Kritik am russischen Arbeiter gewidmet. Man be ¬ obachtet die verschiedensten Typen beim Bau und muß schließlich feststellen, daß sie eine Fülle von Lastern haben. Sie bedienen sich veralteter Arbeitsmethoden, sie geben sich, wo sie nur können, dem Genuß des Nichtstuns hin, sie greifen zur Flasche und schä digen überhaupt bei jeder Gelegenheit den sozialistischen Aufbau. Kein Wunder, daß die Arbeit nicht vorwärts rückt. Der gerade eingetrosfene amerikanische Ingenieur, der die örtliche Leitung übernehmen soll, ist über die ganze Schlamperei äußerst mißver- gw""-l und saot dem russischen Vorarbeiter seine Meinung offen ins Gesicht. Darob Empörung des Russen. Kommt es jetzt zum oo^r werden die Arveiter sich bessern? Sie bessern sich. Und zwar nicht nur deshalb, weil sie sich vom amerikanischen Ingenieur verachtet fühlen, sondern auch auf Grund der Lektüre eines amerikanischen Zeitungsberichts, in dem das Stocken der Arbeiten gegeißelt wird. Bei ihrem Ehrgeiz angepackt beschließen sie, die Fahrt zur Baustelle fortan in einem Unterrichtswagen zurückzulegen, in dem man sie nun tatsächlich mit schwierigen tech- mschen Problemen beschäftigt sieht. Ein Sieg nach dem andern wird so über die faule, schlechte Natur errungen. Mit dem Erfolg, daß die Arbeit flutscht und das riesige Kraftwerk wie irgendein Märchenschloß gleichsam über Nacht aus der Erde schießt. Der amerikanische Ingenieur aber, der ursprünglich ein starkes Heimweh nach New York hatte, ist mittlerweile etwas skeptisch gegen die Segnungen der westlichen Zivilisation geworden und nimmt sich vor, noch in der Sowjet-Union zu bleiben. Ein Film wie dieser gibt uns mehr Aufschluß über das gegen wärtige Rußland als manche Reportagen, die Las Produkt eiliger Besuchsreisen sind. Vor allem zeigt er deutlich, was man immer allzu leicht vergißt: an welchem Punkt die russischen Machthaber^ faktisch ansetzen müssen. Sie formen nicht eine bereits Lurch den Kapitalismus gegangene Bevölkerung um, die mit der Technik ihre aktiven und passiven Begegnungen gehabt Hätte, sondern holen ganze Völkerschaften aus dem primitiven, vortechnischen Dasein herauf. Ihre Anstrengungen gelten sozusagen dem Urmaterial und wären daher auf europäische Verhältniße niemals unmittelbar zu übertragen. Denn ginge es bei uns um Eingriffe in völlig aus modellierte Strukturen, so handelt es sich dort noch um etwas anderes als um die Veränderung des Wirtschaftssystems und der Traditionen: nämlich um das Durchkneten von Völkermassen, die lüsber kaum ein ebenes NewuEein Latten. Nichts ist merkwür diger und wunderbarer als der vom Film veranschaulichte Zu sammenstoß dieser gerade erweckten Menschen mit den modernen Maschinen. Arbeiter, in deren Gesichter sich die unendlichen Step pen und Wälder tief eingezeichnet haben, werden plötzlich aus der Naturverbundenheit herausgerissen und technischen Ungeheuern gegenübergestellt, die ihrerseits Erzeugnisse eines von der Natur abgelösten, rein rationalen Denkens sind. So ähnlich wie den Arbeitern muß den germanischen Stämmen zumute gewesen sein, als sie mit den Herrlichkeiten Roms Bekanntschaft schloffen. Der Film zeigt aber nicht nur das Mißverhältnis zwischen Dingen und Menschen, er versucht auch zu demonstrieren, wie sich diese der fremden Apparatur bemächtigen. Sie lernen wie brave Schüler, sie sind rührend beflissen. Der westliche Zuschauer sollte sich indessen klar darüber sein, daß hier das unbekannte Wissen nicht einfach übernommen wird. Indem die Russen von der Technik Besitz er greifen, verwandeln sie diese Zugleich und verleiden sie ihrer neuen Lebensordnung ein. Es läßt sich beinahe aus dem Film ab lesen, wie sehr die Technik drüben ihre Funktionen ändert. Die Maschinen scheinen ihren Hochmut und ihre Bedrohlichkeit abgestreift zu haben, und wenn am Schluß der amerikanische Ingenieur einen Blick aufs fertige Kraftwerk wirft, so verrät seine Gemütsbewe gung, daß ihn nicht nur die technische Zweckmäßigkeit des Gebildes berührt. Wenn ich diesem Film ein Paar Aufklärungen über Sowjet rußland entnehme, habe ich damit seine Bedeutung, für uns nahezu erschöpft. Er ist nicht wie die großen Revolutionsfilme Eisensteins und. Pudowkins einem internationalen Publikum zugekehrt, sondern