kommissar erhobenen Forderung nach deutscher Kultur Köhns inzwischen allerdings desavouierte Wochenend-Ketzereien ohne weiteres ableiten können? Oder die Bekenntnisse Dr. Kleo PleyerS, die anscheinend nicht gerügt worden sind? Das Auftreten Dr. PleyerS darf aber eine um so größere Bedeutung beanspruchen, als mit ihm die neue Reihe: „Wir stellen vor..." eröffnet wurde, in der später noch andere politische Persön lichkeiten sprechen sollen. Der Herr, den vorzustellen man solche Eile bewies, ist Grenzdeutscher, Teilnehmer am Hitler-Putsch 1923, einstiger Nazimann, Führer der „hündischen Reichs schaft" und seit 1931 Dozent an der Hochschule für Politik. Ich muß mir leider versagen, seine Bekenntnisse hier ganz vor- zuführen. Sie handelten von der Volkserzieherischen Wirkung des Weltkriegs, die darin bestanden habe, daß man wieder in feste Bünde eingesperrt wurde, vom Limbischen Urerlebnis, vom hündischen Blutserlebnis, von der hündischen Lebensform, vom hündischen Geist usw. Mögen sich die Bündischen (diefe Bündischen) an ihrem Wesen erbauen. Wenn jedoch dieser bündische Geist in Gestalt von Herm Pleyer am Rundfunk ungestraft erklären darf, daß unsere politischen Parteien undeutsch seien, undeutsch schon deshalb, weil ste undeutsche Namen trügen, dann beginnt der Skandal; um davon zu schweigen, daß bei diesen Faseleien von Geist überhaupt nicht die Rede sein kann. „Wir stellen vor. . ." heißt die Veranstaltung. Jawohl, wir stellen ein Geschwätz vor, das sich in der wüsten Beschimpfung des „Systems" gefällt, ohne etwas anderes als Phrasen dagegen auszufpielen. Phrasen wie diese: daß sich der Deutsche seine Lebensform nicht vom Ausland vorzeichnen lassen solle; daß sich in Ver Partei Massen, im Bund aber „Kerle" zusammenfänden; daß aus der bündischen Lebensform das „Baubild des Reiches" er wachse usw. Niemand wird uns einreden wollen, daß der demagogische, heillos romantische Jargon des Herrn Pleyer mit deutscher Kultur zu verwechseln sei. Wird er uns dennoch versetzt, so geht daraus nur hervor, daß man am Rundfunk entweder nicht weiß, was deutsche Kultur ist, oder unter dem Vorwand ihrer Förderung politische Hetzereien einschmuggeln möchte. Die formale Neutralität von ehedem ist sauberer, sach licher, mit einem Wort deutscher gewesen ¬ Es versteht sich von selbst, daß nicht alle Manifestationen des neuen Rundfunk-Geistes so durchsichtig tendenziös sind. Immerhin ließ man sich innerhalb der angegebenen Zeit spanne die gute Gelegenheit des italienischen Regterungsjubi- läums nicht entgehen, um den Fascismus empfehlend in Er innerung zu bringen, und machte auch sonst einige Versuche, den politischen Kurswechsel allgemein-geistig zu verklären. In einem Vortrag Reinhold Schneiders: „Die doppelte Wirk lichkeit der Geschichte" wurde zum Beispiel erläutert, daß die Geschichte ihre eigentliche Wirklichkeit dort Habs, wo es sich um die Entscheidungen handle, die in der Brust des einzelnen, des Führers, ausgetragen werden. Nicht aufs historische Wissen komme es an, sondern auf die intuitive Versenkung in solche Entscheidungen; nicht auf Erfolge und Trophäen, sondern auf Opfer und Dienst. Zur Ergänzung dieses Vortrages ser gleich noch eine andere Stelle aus der erwähnten Ansprache des Programm-Direktors Kolb zitiert, in der von der Verpflichtung des Rundfunks, Volksbildung zu betreiben, die Rede ist. „Das geht jedoch nicht auf dem Wege der Wissens vermittlung, wozu der Rundfunk außerstande ist, sondern nur durch seine Umformung in «ine unmittelbare Lebensnähe, die auch der letzte des Volkes imstande ist, zu begreifen. So wird Wissen und Kunst zur Bildung. Es ist die Entakademisierung des Programms, die von einem großen Teil der Hörer zuschriften verlangt wird." Formulierungen, die mit der Rede Schneiders darin übereinstimmen, daß sie eine der Aufklä rung abholde Gesinnung bekunden. Schneider setzt das bloße Wissen um der moralischen Entscheidung willen außer Kraft und vergißt hinzuzufügen, daß eine Entscheidung um so begründeter (und keineswegs unmoralischer) ist, je mehr sie auf der genauen Kenntnis aller einschlägigen Um stände beruht. Kolb seinerseits will das Wissen solange um- fchmelzen, bis es in «ine unmittelbare Lebensnähe rückt; wöbet vom Wissen vermutlich nicht mehr viel übrig bleiben dürfte. Auch der Vortrag, den Paul Alverdes über das Thema: „Der Geistige in der Nation" hielt, bewegte sich teilweise in -derselben ivtelliW^feindlW Richtung; o.bwohl Alverdes, was_ ihm angesichts der heutigen Verhältnisse als ein Verdienst an gerechnet werden muß, die „Herabwürdigung des Geistes" im nationalen Lager scharf, ja erbittert bekämpfte. Aber mit dem gleichen Atemzug, beinahe, mit dem er für die Rehabilitierung des „Geistes" eintrat, machte er sich die nationalistische Be hauptung zu eigen, baß ein großer Teil der deutschen Intelli genz während des Krieges im Geheimen mit unseren Feinden einverstanden gewesen sei und überhaupt Schuld und Schande auf sich geladen habe. Welcher große Teil der deutschen In telligenz? Und wo ist die Schuld in Wahrheit zu suchen? Meine Aufgabe besteht indessen nicht darin, erbärmliche Verleum dungen zu berichtigen, sondern im Nachweis der sich heute am Rundfunk vordrängenden Tendenzen. Wie bereits diese Bei spiele zeigen, bevorzugt man dort jetzt Gedankengänge, die nicht so sehr ein Zeugnis deutscher Kultur, als ein Zeichen der Kulturreaktion sind. Man verdächtigt den Intellekt, der ein guter Geselle ist, schiebt das Wissen beiseite, das den unteren Schichten als Waffe dienen kann, und propagiert einen Herois mus, zu dessen Wesensmerkmalen Dummheit und Unwissen heit gehören. Wer den Profit davon hat, ist klar. Herrschte noch ein Zweifel darüber, daß der deutsche Geist von den neuen Machthabern in eine Zwangsjacke gesteckt wird, so wäre er durch die literarischen Programme behoben. Sie sind von einer Dürftigkeit, der auch die Benutzung Paul Ernsts und die Einbeziehung der paar namhafteren Dichter, die mit der Rechten sympathisieren, nicht aufzuhelfen vermag. Und wer sie abhören muß, hat das peinliche Gefühl, daß die Rundfunk leute erst jetzt verzweifelt nach den künstlerischen Offenbarungen jenes deutschen Geistes Umschau halten, den sie meinen. Ihr Finderglück ist gering. Ich nehme nicht einmal Anstoß daran, daß man das Hörbild: „Stein" von Hans Henning Freiherr von Grote aufführte, eine historische Schwarte, die wie das Modell zu einem künftigen Ufa-Film wirkt und brav und ge- sinnungstüchtig auSgepinselt ist. Dergleichen wird in allen Parteilagern fabriziert. Viel verräterischer sind jene Erzeug nisse, die man uns als Proben heutiger Dichtung anzubieten wagt. Von Carl Heinz Hillekamps wurde die Geschichte eines Knaben gelesen, der in Gesellschaft eines Knechtes völlig einsam im Wald aufwächst, während der Pubertätszeit zum ersten Mal aus der Ferne ein junges weibliches Wesen erblickt, daraufhin in eine schwere Krankheit verfällt und nach einigen Umschweifen unheilbar geistesgestört wird. Ich habe den myste riösen Fall, der von einer „seltsamen Unwirklichkeit" ist, wie es oft in schlechten Besprechungen schlechter Bücher heißt, ohne die Poesie wiedergegeben, die ihn fortwährend umschwitzt und noch hoffnungsloser ist als der Fall selber. Daß diese Unwirklichkeit beim heutigen Rundfunk auf starke Nachfrage rechnen darf, be stätigen auch die Prosastücke, die Karl Nils Nicolaus las. In einem von ihnen fährt Jan nachts auf seinem Motorrad mit der Geige im Rucksack zum heimatlichen Meer, um sich über den Tod seiner Frau zu trösten. Dort auf den Dünen spielt er, wie Nicolaus es ausdrückt, „vom großen Leben, das göttlich ist, und vom großen Tod, der auch göttlich ist". Man bangt jeden Augenblick davor, daß diese geschwollene Sprache platzt, aber obwohl ste immer weiter mit Luft gefüllt wird, stößt ihr nie etwas zu. Die Luft ist die Innerlichkeit. Alle drei Geschich ten haben Innerlichkeiten zum Thema, die im Vergleich mit den wirklichen Ereignissen dieser Welt so nichtig sind, daß sie sich schon kosmisch aufblähen müssen, um überhaupt gesehen zu werden. Hätte der Rundfunk nicht greifbarere Belege des deut schen Geistes aufstöbern können? Aber der wahre deutsche Geist verkörpert sich heute in Schriftstellern und Dichtern, die ihre Augen nicht zumachen, sondern sie öffnen, die sich um unsere sozialen und politischen Verhältnisse bekümmern, Kritik üben, wo es not tut, niemals pflichtvergessen ins Unirdische und Überirdische flüchten und jene Unruhe verbreiten, die der Feind des Nurbeftehenden ist. Ich verzichte darauf, Namen zu nen nen, die bekannt sind und uns zur Ehre gereichen. Genug, daß sie sich in ihrer Mehrzahl auf der anderen Seite befinden, dort, wo der jetzige Rundfunk sich aus guten Gründen zu tummeln weigert. Ihm und den hinter ihm stehenden Kreisen geht es ja gerade darum, die Gefahren auszuschalten, die von diesen Dichtern und Schriftstellern her drohen. Sie suchen nicht die Kunst an den Stellen auf, an denen sie anzutreffen ist, sie suchen eine künstlerische Stütze der von ihnen vertretenen Politik. So müssen sie freilich Ohnmachtsprodukte wählen, die nicht aktiv das wirkliche Leben angreifen, sondern zwischen der Scholle und de» Sternen keine ander« Bleibe haben als eine Jnner- lichkeit, der jede Beziehung zu unserem äußeren Dasein fehlt. Ins äußere Dasein will sich die Bürokratie eben nichts herein reden lassen. Daher empfiehlt ste auch so dringlich die Pflege „landsmannschaftlicher Eigenarten". Noch immer hat die Re stauration die gegenwärtige Kunst, die dadurch, daß sie — un bekümmert um Stammeseigentümlichkeiten -- der Gegenwart auf den Leib rückt, nur eine neue, zeitgemäße Form der Stammeseigentümlichkeiten entwickelt, zugunsten epigonaler und historisch gewordener Gestaltungen unterdrückt. Dem starken Bedürfnis der für den Rundfunk verantwort lichen Mächte, unbeleuchtet schalten und walten zu können, entspricht nicht zuletzt die Art und Weise, in der die Aktuali- täten bewältigt oder vielmehr nicht bewältigt werden, Schickt man /,die PleyerS und andere Leute vor, die das Volk im „nationalen" Sinne bearbeiten und gegen das „System" mobil machen sollen, so ist man leise- treterischer, als es der alte Rundfunk je war. Die be schränkte Meinungsfreiheit, die sich damals im Rahmen der Neutralität entfalten durfte, hat der Angst vor Meinungen Platz gemacht. Wenn etwa die „Stimme zum Tag" ertönt, darf man sich darauf verlassen, daß sie aus dem Tag ins Un gefähre und Irgendwo entführt. Während einer Woche, die voll von interessanten, einer Stellungnahme bedürftigen Er eignissen war, hörte ich ste zum Beispiel aus Anlaß eines Falschmünzerprozesses über Falschmünzerprozeffe im allge meinen sprechen; über eine Pinguinen-Jnsel, die in einem Wlm gezeigt wird; über einen Besuch in London, der mit dem Tag überhaupt nichts zu schaffen hatte. Sie drang nicht in