/V- In der unmittelbaren Nähe des Platzes und von ihm aus sichtbar erhebt sich ein Büro Hauskasten, der von einem Auch unter der Erde ist der Alexanderplatz einwandfrei organi siert. Drei Untergrundbahnhöfe liegen hier übereinander, zwischen denen ein Labyrinth von Gangen, Podesten und Treppen vermittelt. Sämtliche Räume und Raumteile glänzen wie Bade zimmer, so daß man eigentlich nur noch die vernickelten Hähne der Brausen vermißt. Vielleicht wird die proletarische Bevölkerung, die in der Nachbarschaft wohnt, durch diesen hygienischen Glanz für die Dürftigkeit ihrer Stuben entschädigt, in denen er nötiger Ware. Die Bahnhöfe sind in verschiedenen Farben gekachelt unv außerdem, der besseren Übersichtlichkeit wegen, mit Buchstaben be zeichnet. Obwohl aber die Farben und Buchstaben an allen mög lichen Stellen auftauchen, um die Suchenden auf den rechten Weg zu führen, ist es doch außerordentlich schwierig, den gesuchten Punkt auch wirklich zu finden. Das System ist nämlich von einer künstlichen Vollkommenheit, die des improvisierten Zugriffs spotter und sich erst nach einem längeren Studium überhaupt fassen läßt. Aus einem an sich begreiflichen Ordnungsfanatismus heraus sinv tatsächlich manche Linien und Ausgänge, so gut versteckt, daß man ste einfach nicht auffinden kann. Man will nach X und gelang: nach v, von wo man wieder über V oder O zurück muß. Dafür hat man allerdings das große Vergnügen, ausgedehnte Rolltreppen benutzen zu dürfen. Eine von ihnen weicht von den normalen in sofern ab, als sie in die Tiefe statt nach oben befördert. Woher es übrigens rührt, daß die meisten Menschen solche Treppen, die sie doch aus Bequemlichkeit verwenden, erst recht hinan- oder herab stürmen, wäre noch zu ergründen. Anzug: Krack K r Berlin, im November. Folgende Emladung liegt uns vor: „Der Schutzverband Deutscher Schriftsteller und der V. E. N.-Club (Deutsche Grupve) Geben UM Donnerstag, dem 17. II. 1932 , . . ein Festbankett M G e r h a x L H a u b L m a n n s s i s L Z i g ft e M G e S u r t s t a g. Wir Sitten unsere Freunde und unsere MeLer mit ihren Dame« daran LerlMnehmeK. Die VörstLnde. PreiS des Gedecks für Mitglieder mit ihren Damen je NmL Z—; für NichtmiLglieder ie RmL. 4.—. Anzug Frack ..." LuS disfem Text geht unzweideutig hervor, daß der E. D. S- (Schutzverband Deutscher Schriftsteller) den siebzigjährigen Ger- hart HauPLmann nicht anders zu feiern gedenkt wie einen Minister, den er nicht zu feiern brauchte. Er hat gesellschaftlichen Ehrgeiz, der S. D. S. Er tut es nicht unter dem Frack. Wer und was ist dieser Schutzverband, der des Fracks bedarf, um erneu deutschen Dichter zu ehren? Jedenfalls ist er keine Ber einigung, die um der gesellschaftlichen Repräsentation willen ge gründet worden wäre. Repräsentieren mag der P. E. N.-Club, wenn seine Mitglieder es kennen. Der S. D. S. dagegen nennt sich selber im Untertitel: „Gewerkschaft Deutscher Schriftsteller" und verfolgt den Zweck, seinen Mitgliedern wirtschaftliche Hilfe und Rechtsschutz zu gewähren. Die meisten deutschen Schriftsteller haben Hilfe und Schutz auch nötiger als einen Frack, ja, sie befinden sich vermutlich nur im S. D. S., um Hilfe und Schutz zu erhalten. Daß sie heute bittere Not leiden und ihre Mahlzeiten nicht eben Festbankette sind, ist wahrhaftig nicht weiter sonderbar. Denn ihr Beruf ist der gleiche, den auch der Dichter der „Weber" als den seinen ansah: Kraft des Worts, die Sache der Unterdrückten zu vertreten und — sagen wir es allgemein — für eine bessere Zukunft Zu kämpfen. Vielleicht rührt es von dem Ernst her, mit dem viele deutsche Schriftsteller, bekannte und unbekannte, ihren Beruf be treiben, daß sie zwar allenfalls Lorbeeren ernten, aber nur im sel tensten Fall Fräcke Diese Tatsache dürfte sogar dem Vorstand des S. D. S. nicht verborgen geblieben sein. Kann er doch das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, die „Künstlerkolonie" am Breiten bachplatz erbaut Zu haben, in der seine Mitglieder billige Unter kunft finden. Einige von ihnen sind allerdings schon so ins Elend herabgesunksn, daß sie selbst den geringen Mietpreis nicht mehr aufzubringen vermochten. Das alles weiß der Vorstand des S. D. S. Er weiß, daß sich auch Schriftsteller von Namen und Rang heute durch die Zeit hungern müssen, die sie bereichern, weiß um die Dürftigkeit Be scheid, die stolz und verschwiegen ertragen wird, und beharrt dennoch unnachgiebig auf dem Schein des Fracks, den er zwei fellos hat. Seine Forderung verrät nicht nur, daß er nicht weiß, was er weiß, sie stellt einen offenen Hohn auf die deut schen Schriftsteller dar, die in ihrer Mehrzahl möglicher weise gar keine Verbandsmitglieder wären, wenn sie die ihnen anbefohlenen Fräcke besäßen. Dieses Kleidungsstück als eine Selbst verständlichkeit bei ihnen vorauszusetzen, heißt ihre Notlage ver kennen, die man kennt, und ihren Beruf mißachten, den man freilich nicht Zu kennen scheint. Wie aus den jüngst veröffentlich ten Briefen Holsteins Zu ersehen ist, lehnte dieser einmal eine Einladung des Kaisers mit der Begründung ab, daß er leider über einen Frack nicht verfüge. Was Holstein recht war, hatte dem Vorstand eines Schriftstcller-Schlchver^ billig sein sollen; noch, dazu bei einer Gelegenheit, die nicht so sehr den Prunk der Hemdbrüste als den der Geister verlangt Oder ist es bereits wie der so weit, daß man sich mit den Damen um jeden Preis, uüd sei es um den der Würde, Zu Hose drängen will? Fehlt auch der Hof einstweilen, so sind doch offenbar die Höflinge vorhan den, die ihn am liebsten mit den Frackschößen herbeiwedeln möch ten. Sich fragen nicht nach dem Geist, sondern nach seiner Aus stattung Und statt, wie es ihre Pflicht wäre, dafür Zu sorgen, daß das Licht hell strahlt, dgs dir deutschen Schriftsteller ver breiten, stellen sie es unter den Scheffel eines gesellschaftlichen Glanzes,- der es unfehlbar verdunkelt, obwohl er selber keines wegs glänzt. Anzug- Frack. Dank der erbärmlichen Torheit dieser Vorschrift, zu der noch die hohen Kosten des Festbanketts kommen, werden wir das peinliche Schauspiel erleben, daß viele Schriftsteller, die ein Anrecht darauf hätten, Gechart HaupLmann zu feiern, ihre Zuflucht Zu Frackverleih-Jnst^ nehmen müssen, um den großen Kolle gen überhaupt öffentlich feiern zu dürfen. Hoffen wir, daß ste, um die es geht, auch wenn es ihnen nicht gut geht, auf ihre Mit wirkung an einem solchen Schauspiel verzichten. Und daß sie sich zu einer anderen Feier zusammensmden, einer, die den Dichter best er ehrt als die tief beschämende des Verbandes. Haltung: annähernd wie in „Hanneles Himmelfahrt" oder „Fuhr mann Henschel". Anzug: nach bestem Vermögen. Gedeck: Würstchen, GeseMckafts-Anzug reicht aus! Tu von uns vorgestern unter dem Dite! „H. u r n L rLoL" Uebraektev Qlosse ist NLvktvLgUok noed NiHLnsuküFeri., UaL äera Vorstand äes LEktsteller-ZevutLverdLQäss selbst keäenken xsse» Nie PraeLvorselirttt bei seiner OerL^rt HLuptrQLQQ-k'eier gekorNmeD. Lir sein soLewSQ. Lr kat eine Karte av sewe NitMeäsr vsrseLieL^ IQ 6er es keiüt: ,MMrlLeLtz ^nkrLgerr Aeden VerlassuriA rartLU- teu6Q, 6sÜ rur rsilnLUme ara Oervart HLuptruanu-LLLkett QeseU- seüaktSLLsiiF ausreieLt^. Aer neue Ateranderptatz. Berlin, im November. War der Alexanderplatz während seiner Bauzeit ein formloser, offener Raum, durch den von allen Seiten her der Wind pfiff, so ist er jetzt ein Muster der Organisation. Der Wind pfeift natürlich immer noch. Gegen die Innenstadt abgegrenzt wird der Platz von zwei riesigen Büro-Hochhäusern, die wie eine Wallmauer aussehen. Auch mit den modernsten Kriegsmitteln vermöchte bestimmt niemand den Wall zu erstürmen. So ist es ein Glück zu nennen, daß er sich dort öffnet, wo die Königstraße in den Platz einmünden will. Wahrhaftig, die Wallmauern unter brechen ihren Lauf, lassen die Königstraße passieren und geben zugleich einen wunderbaren Blick auf die Stadtbahn freu Ueber Die Gleise, die eine Art von Querverbindung zwischen den bei den Hochhäusern herstellen, rollen in einem fort die bunten Stadt Lahnzüge, und die Eisenkonstruktion des Bahnhofs steht gerade noch durch die Lücke hindurch. Wer dieser Stadtbahnbetrieb hat nichts mehr in das Leben auf dem Platz selber dremzureden, sondern wird von den Büro Haus-Massiven mit einer selbstherrlichen Gebärde in den Hinter grund zurückgedrängt. Sie schaffen Platz für den Platz, und das eine von ihnen flankiert ihn sogar ein Stück weit, damrt er sich desto ungehemmter entfalten kann. Seine Fläche ist ungeheuer, sie gleicht einem See, dessen Ufer man stellenweise aus den Augen verliert. Wäre sie nicht von einem Rondell unterteilt, das die Platzmitte ausfüllt, so könnten sich Menschen und Fuhr werke wahrscheinlich gar nicht orientieren und stießen immer wieder zusammen. Sie kommen ja aus den verschiedensten Rich tungen und wollen nach den verschiedensten hin. Das Rondell aber, das sie nicht durchkreuzen dürfen, nötigt sie rein durch sein Dasein dazu, sich hübsch artig im Kreis zu bewegen. Autos, Autobusse, Lastwagen, Passanten: alle umkreisen diese grüne Rasenfläche, die wie ein Niemansland daliegt und in regel mäßigen Abständen von Straßsnbahnmasten und Verkehrsschutz leuten eingefaßt wird. Den unaussprechlichen Frieden, den sie aus- strömt, können auch die gelben Straßenbahnen nicht stören. Jm Gegenteil, indem sie ohne Aufenthalt über das Rondell Hinweg rauschen, vertiefen sie nur den Eindruck, daß es ein Natur schutzpark ist.