C O S & $ • O Prohibition Von S. Kracauer. sonen als volle Individuen durchgestaltet, oder die könnte Sinclairs Roman als einen Sitten- r o m a n ansprechen. Außerordentlich interessant sind etwa die Einblicke, die er ins Leben der Patrizierfamilien aus dem Süden bietet. Sie hal ten an ihren Traditionen und Konventionen fest, verfügen über ein gewisses Erbgut an Phantasie und identifizieren nicht ohne weiteres den Wert Die Mattigkeit Sinclairs hat ihren Grund er sichtlich darin, daß es sich mit der Prohibitions bewegung ähnlich wie mit dem Pazifismus ver hält. Nicht anders wie der Krieg ist auch der amerikanische Alkoholismus keine isolierte Er ben aus vielen sozialen Schichten vereinigt und fesselnd verarbeitet ist. gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen sie leben, ganz freigelegt hätte. Bei seinem geringen Zug zum Individuellen war er also in Wahrheit vor allem auf die scharfe Darbietung der sozialen Konstruktionen angewiesen. Tatsächlich aber ge horcht er der Notwendigkeit, die Kämpfe ums feuchte Element soziologisch und sozialistisch zu motivieren, nur stellenweise und nicht sehr ener gisch. Gewiß, er zeigt, wie reiche Bankiers zu Al koholschmugglern werden, deckt die Heuchelei auf, die in den Lagern der Alkoholfreunde und ihrer Gegner herrscht, und läßt Maggie May in eine ausbaufähige Beziehung zur Arbeiterpartei geraten. Indessen, die Andeutungen dieser Art Ort der betreffenden Figuren ergeben. Die Be schaffenheit des Koordinatensystems, auf das er diese Figuren beziehen muß, hat aber Charakteri sierungsmängel zur Folge. Roger zum Beispiel soll ein charmanter Junge mit genialen dichte rischen Fähigkeiten sein, gehört jedoch leider der upper dass an und treibt sich dauernd unter und ihr Anstand wirkt etwas dürr. # und Prohibition: beide wenden sich gegen die Symptome eines Uebels, statt das Uebel selber an der Wurzel anzugreifen. Da sie aber die Her kunft der Symptome übersehen, können sie nicht einmal diese tilgen. Sie führen einen Kampf, der trotz mancher willkommener Einzelergebnisse aussichtslos ist; vorausgesetzt, daß er den Kämp- senden nicht zuletzt doch die Augen über den wahren Sitz des Krankheitsherdes öffnet. Wenn Sinclair, dem es, wie man weiß, um die Ver änderung der gesamten Gesellschaftskonstruktion geht, sich in seinem neuen Buch auf die Abwand lung des Problems Alkohol beschränkt, so schließt er eher die Augen. Und seine Befangenheit rührt Millionären herum. Sinclair fühlt sich daher ver- eines Menschen mit dem seines Besitzes. Die pflicht et, ihn einerseits zum Zyniker zu stempeln, Beziehungen solcher Familien zu New Yorkern um ihn nicht ironisch behandeln zu müssen, und sind bis in alle Details hinein beschrieben. Ferner ihn andererseits ironisch zu behandeln, weil er ist dargestellt: ein fixer Redakteur, der sich ge- nur ein goldblonder Liebling ist. Auch das Hei- schickt hochstapelt; der feudale Haushalt eines dentum, das Maggie May und Kip im Interesse Finanzgewaltigen; das Treiben literaturbeflisse- der Prohibition entwickeln, erfähit keine klare ner Gesellschaftskreise; der Alltag in einer großen Bewertung. Auf ihre Tapferkeit fallen Schatten, Pension. Ein reichhalt’ges Material, das Stichpro- Preis J 4.80) erscheint bei uns in dem Augen blick, in dem Amerika wieder naß werden will. Vielleicht ist dieses Zusammentreffen auf das Zögern des Autors zurückzuführen, den Kampf gegen den Alkohol aufzunehmen. Jedenfalls ver hält sich Sinclair auch in seinem Buch selber wie ein Zögernder, Er greift die alkoholischen Aus schweifungen an, ohne durchaus für das Pro hibitionsgesetz einzutreten. Man hat das Gefühl, daß die ganze Angelegenheit nicht unbedingt die seine ist. Der Ton des Buches ist ziemlich ge dämpft. eben daher, daß er eine Aktion in die Mitte sind stets Gelegenheitsprodukte und bilden jeden- rückt, deren Vordergründigkeit ihm gewiß nicht falls nicht die Hauptader des Romans. Es ist, als verborgen ist. Er müßte aber ein größerer Künst- befürchte Sinclair, von seinem Thema abzulen- ler sein, als er ist, um dennoch die selbstgewählte ken oder es zu bagatellisieren, wenn er die Aufgabe bewältigen zu können. So lahmen* ihn Scheinhaftigkeit des Prohibitionsstreites drastisch sachliche Skrupel, die sich ohne Zwischeninstanz enthüllte. Lieber beschränkt er sich darauf, das in ein künstlerisches Versagen umsetzen. Ge- Für und Wider in der Alkoholfrage umfassend wohnt, seine Typen aus den sozialen Zuständen miteinander zu konfrontieren und die Personen herauszukonstruieren und den Schwerpunkt auf vorwiegend als Beispiele und Gegenbeispiele auf- die kapitalistische Struktur der Gesellschaft zu treten zu lassen. Kaum spürt man, daß'sie Bürger legen, bewegt er sich nur unsicher in den Rau- sind. Sie haben es nicht zu richtigen Individuen men, in die ihn das Romanthema drängt. Hier und ebensowenig zu richtigen sozialen Typen ge golten die üblichen Stilisierungen nicht; hier bracht. Als halbe Geschöpfe bleiben sie im Da- wird der soziale Standort durch das Verhältnis zwischen stecken. der verschiedensten Menschen zum Alkohol über- * deckt. Kurzum, Sinclair ist durch seinen Stoff Der Vorteil der Halbheit ist, daß neutrale zur Darstellung menschlicher Züge genötigt, die Schilderungen überwiegen, die unsere Kenntnis sich nicht unmittelbar aus dem gesellschaftlichen des amerikanischen Lebens vermehren. Man • Die Handlung, die vor dem Krieg beginnt und tief in die Nachkriegszeit hineinreicht, ist natür lich durch die thematische Aufgabe bestimmt. Sie spielt in den Südstaaten und später in New York und umfaßt lauter Personen, die alle irgend eine Beziehung zum Trinken haben? In den meisten Fällen sind diese Beziehungen positiver Art. Kips Vater geht an Trunksucht zugrunde, und Maggie Mays Vater, ein reicher Zuckerrohr pflanzer, bringt sich sogar infolge des gleichen Lasters um. Sein Sohn Roger hat die Säufer anlage geerbt, die ihn vermutlich eines Tages ins Unglück stürzen wird. Daß das Prohibitionsgesetz ihn und die meisten andern erst recht zum Ge nuß geistiger Getränke reizt, versteht sich von selbst. Ausgemachte Antialkoholiker sind eigent lich nur Maggie May und der atme Kip, zwei sympathische junge Menschen, die nach ihrer Heirat ein stilles normales Leben führen würden, wenn sie sich nicht durch die traurigen Schicksale in ihren Familien und ihrem weiteren Kreis dazu berufen fühlten, die Sache der Prohibition aktiv zu verfechten. Kip tr’tt in den Bundesdienst und 1 wird bei einer Razzia gegen Alkoholschmuggler erschossen. Seine Frau hält Vorträge gegen den Alkohol, in denen sie den Untergang ihres Vaters schildert, wirbt zahlreiche Anhänger und ruft nach Kips Opfertod zum Frauenkreuzzug gegen die Speakeasies auf. Upton Sinclairs Roman: „Alkohol“ scheinung, die für sich allein zu beseitigen wäre, Diese Unentschiedenheiten wären dadurch zu (Malik-Verlag, Berlin. Uebersetzung aus dem sondern das Zeichen eines Schadens, an dem die tilgen gewesen, daß Sinclair entweder seine Per- Amerikanischen von Elias Canetti. 480 Seiten, ganze Gesellschaftsordnung krankt. Pazifismus