Lokomotive über der Irredrkchstraße. Von S. Kraeauer» Berlin, im Januar» Wenn man über die Friedrichstraße m der Richtung auf den Bahnhof zu geht, sieht man oft eins mächtige V-Zugslokomotive in der Höhe hattew Sie steht genau oberhalb der Stmßenmitte und gehört zu irgendeinem FernZug, der aus dem Westen kommt Wer nach dem Osten fahrt. Erregt sie das Aufsehen der Menge? Niemand blickt zu ihr hin. Cafes, Schaufensterauslagen, Frauen, AutöMatenbüfeLts, Schlagzeilen, Lichtreklamen, Schupos, Omni- bMe>. Varietephotos, Bettler alle diese Eindrücke zu ebener Erde beschlagnahmen den Passanten viel zu sehr, als daß er die Erscheinung am Horizont richtig zu fassen vermöchte. Schon die ersten Stockwerke in dieser Straße verflüchtigen sich: die Karyatiden an dßn Fassaden sind ohne Gegenüber, die Erker könnten aus Pappe sein und die Dächer entschwinden im Nichts. Kaum anders LMht es der Lokomotive. Obwohl sie mit ihrem hochgelagerten, ^nggezogenen Leib, ihrem funkelnden Gestänge und ihren vielen roten Rädern wurKerbar anzuschauen ist, harrt sie doch verwaist Wer dem Gewimmel der Fuhrwerke und Menschen, das sich durch die Unterführung, ergießt. Ein fremder Gast, der so unbemerkt im nächtlichen Dunst eintrifft und fortschwebt, als sei er immer oder überhaupt nicht vorhanden. Welch ein Whaujpiel aber bietet die Friedrichstraße selber dem Mann auf der Lokomotive! Man muß sich vorstellen, daß er die Maschine vielleicht stundenlang durchs Dunkel geführt hat/Noch dröhnt die freie Strecke in ihm nach: Schienenstränge, die auf ihn Masen, Signale, Bahnwärterhäuschen, Wälder, Ackerflächen und Wiesen. Er ist an kleinen Stationen vorbeigefahren und hat in düsteren Bahnhofshallen den Zug für wenige Minuten zum Stehen gebracht. Güterzüge, Personenzüge, erleuchtete Stuben, Kirch türme, RAfe. Wer dieses Leben ist immer wieder von der Erde geschluckt worden und im Himmel vergangen. Städte: kurzfristige Unterbrechungen; Dörfer: zerstreute Grüppchen im Land. Von Dauer sind nur die Böschungen und Telegraphenstangen gewesen, die Bsdenmuster, die' endlosen Räume. Mitunter ist das Feld hinter dem Kesselfeuer zurückgewichen, das später von einem Fluß- lMf/Q.hgM worden ist. Karren und Wagen haben an dtzn Weg kreuzungen gewartet, Schornsteine das Gelände durchschnitten und KirKerhandchen emporgewinkt. Und stets von neuem das rMe .SMerwerden schwarzer Masten und dann ihr sofortiger Untergang. Hon dorther kommt der Mann auf der LokorMW. Na- einer WHd, auf der außer Erde und Himmel alle Dinge vor ihm flohen, HM er plötzlich über der Friedrichstraße, die ihrerseits Himmel und Erde verdrängt. Sie muß ihm als die Welfachse erscheinen, die sich schnurgerad und unermeßlich nach beiden Seiten hin dehnt. Mnu ihre Helle tilgt seine Erinnerungsbilder, ihr Gebraus übertönt das der Sttecke und ihr Betrieb ist sich selber genpg. Hier passiert man nicht eine DurchganMation, sondern weilt in der Mitte des LehMZ. Als ein fremder Gast blickt der Mann droben wie dar- ZMn Spalt in die Straße hinein. Sind auch seine an die Dunkel heit gewöhnten Augen noch außerstande, Einzelheiten zu unter scheiden, so erkennt er doch den Trubel, der die enge Häuserschlucht sprengt, nimmt den Glanz auf, der roter ist als die Räder seiner Maschine. Glanz und Truhe! vermischen sich ihm zu einem einzigen ausschweifenden Fest, das wie die Reihe der Bogenlampen keipen Anfang hat und kein Ende. Es nähert sich aus dem Hintergrund, umfaßt Arme und Reiche, Dirnen und Kavaliere und zieht sich, ein glühender Buchstabentaumel, an den Fassaden entlang bis Zu den Dächern. Dem Mann ist zumute, als habe er eine Tarnkappe auf und die Straße der Straßen woge über ihn weg. Eine Kette, die niemals abreißt. Ein Menschenhand, das sich unaufhörlich durch die flimmernde Luft Zwischen Acker und Acker entrollt. Fährt er weiter, so scheint ihm dis Nacht finsterer als je. Vor sich und hinter sich: überall sieht er eine lodernde Linie. Sie um- gaMlt ihn, ist bald nicht mehr in Zeit und Raum zu bannen und wird zum Gleichnis rötlichen Lebens. Auf der Friedrichstraße Hai niemand die Lokomotive bemerkt. Kräfte erfordern den Appell an,andere Kräfte. Das Unbehagen nun, das- der Film erMA entsteht offenbar dadurch, Häß-"er/eiN- historisches Geschehen nicht an - den nötigen historische Abstand rückt, sondern es, gerade umgekehrt, mit aller Macht dem Heuste- aufP ras s e n will. Die Nähe, die er den Ereignissen gibt-, pM- gewaltigt unser Bewußtsein, die Anstrengung, die er macht, um sie vollkommen Zu vergegenwärLiaen. beruht, auf einer Voraus setzung, -die nicht annehmbar ist. Es ich nicht der Mangel an Re alisierungskunst, der Uer" verletzte, sondern, im Gegenteil,-ihr Uebermaß, das gegen die bessere Einsicht verstößt. Daher auch hie Peinlichkeit der Kampfszenen. Sie bejahen naiv eine Wirklichkeit^ die von uns nur gebrochen erfahren werden kann und auD diesem Gründest unter keinen Umständen die aufreizend wirklichkeitsgetreue Wiedergabe vertrüge, die ihr tatsächlich zuteil wird. Präfide n L W a l d a m Gustav Wald-aus erste Filmrolle ist Zwar nur eine Nebenfigur, aber dafür ein Präsident. Der Pr'W'nt einer Dank, die offenbar von der Krise noch nichts gespürt hast.JHD scheinen zu florieren, ihre Düroraume stnch und die Er ¬ eignisse, die sich m Hr abspielen, märchenhaft. So arbeitet Zum Beispiel die Tochterdie es gar nicht noth HÄLe, als . kleine Angestellte im Oetchebsti und eins -kleiner AnWW bewahrt seinerseits auf wunderbare Weife die Bank vor großen Verlusten. Natürlich lieben und kriegen sich die Leiden'und-sind dann keine Angestellten .mehr. Nicht anders, geht es zu in. der Welt. Dennoch kann Man dem Film, der sich nach dem vonGustav Fröhlich herzhaft gespielten Glückspilz: „Ein. M a um mit Herz" nennt, nicht eigentlich Löst sein. Er erzeugt die Illusio nen ja mehr zi'm Spaß und wacht sie überdies durch ein. paar sympathische Einfälle nahezu wett. Der reizendste ist unstreitig die verblüffende Losung des/Problems, wie man sich in der Groß stadt einen Sonnabend-Nachmittag- lang kostenlos amüsieren- könne. Antwort: man, probiere in einer KochkunsL-AusM sämtliche Gratisgerichte durch und fahre später mit dem Autobus einer Siedlungsgesellschaft ins Grüne hinaus. Wer es schlau au - sängt, wird sich dort draußen gar nicht erst die Parzellen und Musterhäuschen zeigen lassen, sondern gleich auf den Zehenspitzen verduften. - / VZ / Doch die GeneralabsoluLion verdient der Wm allem um Waldaus^ willen, dessen ein^ der vor ¬ nehmen Gesinnung wie der Herzensgute entstammt. Es ist ein Glück, ihn erscheinen zu sehen und Zu beobachten, wie sich jem bezwingendes Wesen inmitten der Scherzchen behauptet. Indem er als Präsident auftritt, ist er nicht nur. der Präfldmt. sön^ auch der Mensch bzw.fSchauspieler Waldau, der sich Wer die ihm- zugedachts Rolle - innerlich ein wenig , mokiert. So ein Präsiden^ soll er sein! Aber da er sich nun einmal dazu entschlössen-Hat, due . Figur zu übernehmen, gängelt er sie mit souveräner Ironie durch den Film. Man merkt ihm an. daß er sich zum Präsidenten her- abläßt, glaubt zu spüren, daß er ihn fortwährend freundlich be gönnert. Er spielt also gewissermaßen doppelt: einmal als me Verkörperung der Filmgestalt und das andre Mal als der iyr überlegene Gestalter. Dem Filmmanuskr^ sident ein großer Herr und. ein liebevoller Vater sein, der alles versteht und alles verzeiht. Nun, Waldau entspricht natürlich dieser Vorschrift durchaus. Aber der eigenMche Zauber Spiels . ist, daß er darüber hinaus noch mehr gibt. .Wenn der Präsident etwa den kleinen Ancestellten von oben herunter absertigt, hat. man den Eindruck, als ob sich Walbau des Herrentums schäme, das er mimt. Der Grandseigneur, der er ist, desavouiert die An maßung des BankpräsidenteN im Verkehr mit- dem niederen Per sonal. Ueberall stellt er so die von Hm/vergegenwärtigte Figur unter Kontrolle, dämpft ihre Selbstgefälligkeit und chricht ihre Naivität. Und zwar vollzieht er diese Korrekturen mit Hilfe-einer verlegenen Schüchternheit/ die den. Repräsentanten, der sozialen Allmacht von vornherein und bändigt. Daß sie eine Kritik der Macht ist und dem unbeirrbaren Gefühl für menschliche Würde entspringt, zeigt sich in jenen Szenen, in denen der Prä sident sozusagen als Privatmann äuftritt. Besonders schön ist die Episode im Tanzcafe, wo er seiner Tochter und ihrem Freund, dem kleinen Angestellten begegnet. Hier entfaltet VMau Eigen schaften, deren sich gewöhnliche Präsidenten Zweifellos nicht oft rühmen können: eine , sanfte Schelmerei dem jungen Mann gegenüber und eine spate Innigkeit-beim Tanz mit der Tochter. Und immer, wenn er in der Rolle lächelt, ist es so, als lächle er auch über sie, als schenke er sein eigenes vielsagendes Lächeln der Rolle. Es kommt aus einem Dasein, das äus den Rollen nichts herausbolt, sondern etwas in sie chineintut. Dank seiner leisen Gewalt wird Waldau Zur selbstverständlichen Mitte des Films, an dessen Rand er sich befindet. Wenn er auftaucht, be herrscht er schon durch seine Anwesenheit die Szene, und ver schwindet er, so spielen die andern im Schatten. Er ist der wsbre Präsident des Films, und seine Existenz. ein gültiger Maßstab. v