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H:Kracauer, Siegfried/01.09/Klebemappe 1930 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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Bibliographic data

fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.09/Klebemappe 1930 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
BF00043386
Title:
H:Kracauer, Siegfried/01.09/Klebemappe 1930 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]
Shelfmark:
H:Kracauer, Siegfried/01.09/Klebemappe 1930
Document type:
Manuscript
Collection:
Holdings and special collections
Year of publication:
1930
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Full text

bald das Portal geöffnet wird, in eine Schar von Sklaven 
verwandelt. Die Aufseher sind strenge Gebieter, die ihre 
Schutzbefohlenen treppauf und treppab jagen, durch ein 
Steindickicht aufs Dach. Manchmal halten sie Appell ab und 
geben Erklärungen, nach denen die Architektur aus Jahrhun 
derten stammt, ich weiß nicht, aus welchen. Die Leute staunen 
über die Jahrhunderte, die sie nicht kennen. Schöner als der 
Kreuzgang, dessen Bedeutung durch seine Schwüle beeinträch 
tigt wird, sind ein paar Säle, in denen es wenigstens kühl ist. 
Wo immer sich ein Blick aufs Meer oder das Hinterland 
bietet, muß er genossen werden. Sie kommen hierher, um sich 
über den Mont-St.-Michel zu vergewissern, und betrachten von 
ihm aus wieder die Gegenden, aus denen sie kommen. Nur 
dort, wo sie sind, wollen sie niemals sein. Einige, die gar nichts 
sehen, haben sogar Feldstecher bei sich. Die Führerbegabung 
der Aufseher zeigt sich besonders deutlich am Ende, wenn 
es gilt, die Gefangenen so aus dem Portal herauszulassen, 
daß die Nachzügler des neuen Schubs nicht die Gelegenheit 
erhalten, ins Innere zu schlüpfen. Nichts einfacher als das. 
Der Türwächter wirft sich mit der.ganzen Gewalt seines Kör 
pers gegen das Portal, durch das die Besichtiger abziehen 
sollen. Da er nicht mitbesichtigt hat, ist er stärker als sie, und 
so geschieht es, daß sich immer nur die eine oder andere 
Person den Ausgang erzwingen kann. Sie darf zufrieden sein, 
wenn sie nicht zerquetscht draußen landet. 
Die Hitze ist weiter angewachsen. Der Autobus fährt erst 
nach einer Stunde im lokalen Interesse der Lokale. Ein 
schöner Tag, sagt mein Hotelportier nach der Rückkunft. 
Vielleicht ist dsr Besuch des Mont-St.-Michel bei bedecktem 
Himmel vorzuziehen. Ich meinesteils begnüge mich fortan 
mit Ansichtskarten, Farbdrucken und Photos. 
High-LLfe. 
Die Nachmittage sind dem eleganten Dinard geweiht. Das 
Motorboot trägt in zehn Minuten hinüber. Meistens fährt es 
an einem Wasserflugzeug vorbei, das von früh bis spät immer 
die gleichen Bogen beschreibt und sich dann wieder auf.dem 
Wasser niederläßt. Uebrigens scheinen sich die Vögel schon 
genau so an die Aeroplane gewöhnt zu haben wie die Haus 
und Stcaßentiere an Autos. 
Dinard hat drei Casinos, deren eines sich ausdrücklich 
High-Life-Casino nennt. Das High-Life ist bunt. Von meinem 
Beobachtungspysten aus, einer entzückenden Konditorei an der 
Hauptstraße ,verfolge ich das Defilee der Phjamas, die sich 
durch ihre Farbenpracht gegenseitig zu übertrumpfen suchen. 
Sie sind bald indianisch zugeschnitten, bald chinesisch - 
eine Maskerade bei hellichtem Tag. Erst unterdrückt man die 
Volker, dann schmückt man sich mit ihren Kostümen, um Reize 
zu entfalten, die man nicht hat. Nur gut, daß es die Seebäder 
gibt. Die Männer sind noch eitler als die Frauen. Ist bei 
diesen die Eitelkeit ein Kriegsmittel, so bei jenen ein Bedürf 
nis. Sie tragen weiße Hosen, kunstgewerbliche Sweater und 
Baskenmützen und werfen in einemfort selbstgefällige Blicke, 
die oft genug ziellos sind und dazu dienen, andre Blicke auf 
sich zu lenken. 
Der Strand ist so groß, daß er ein weitschweifiges 
Strandleben ermöglicht. Es ist mondäner als das in Si Malo 
und spielt sich vor langen Reihen grüner Badekabinen 
ab, die zum Rollen eingerichtet sind und an eine Lauben 
kolonie gemahnen. Von der Estrade aus gleicht das Gewim 
mel dem von Pinguinen in der Filmwochenschau; nur daß 
die Pinguine weiser sind als die Menschen. Außer den Kin 
dern treiben sich vor allem junge Leute im Sand herum. 
Franzosen, Engländer, Amerikaner —° es ist eine merkwürdige 
Generation, die sich da sonnt und sozusagen ertüchtigt. Sie 
ist trainiert, technisch gewandt und gesund. Aber ihre Gesund 
heit ist von einer Art, daß sie Angst erregt, und man wird 
das Gefühl nicht los, daß jedes von diesen jungen Mädchen 
und Männern gelenkte Auto mehr Empfindung hat als sie 
selber. Man merkt ihnen nicht an, daß Krieg gewesen ist, und 
nirgends haftet an ihrer Erscheinung etwas von der ent 
setzlichen Not in der Welt. Das eben ruft jene Angst hervor: 
daß man ihnen nichts anmerkt. Es sei denn, daß sie leben. 
Und ich weiß noch nicht einmal, ob sie gern leben. 
An den Strand schließt sich ein bewaldeter Villenhügel 
an, um den sich, dicht überm Meer, ein herrlicher Spazierweg 
hinzieht. Zu ihm schimmert aus der Ferne St. Malo herüber: 
ein weißes Steinphantom, das in der Bläue von Wasser und 
Himmel schwebt. 
Zu Schiff nach England. 
Wenn gerade Flut ist, liegt abends das Schiff nach 
Southampton abfahrbereit im Hafen vonSt. Malo. „Dinard", 
„Rouen", „Wera" heißen die Kästen. Sie sehen etwas unförmig 
aus, weil sie in zwei getrennte Decks zerfallen, zwischen denen 
sich in der Tiefe der Laderaum öffnet. Dort unten Hausen bei 
den Koffern die Autos, in dicken Knäueln drängen sich die 
englischen Touristen über den Schisfssteg; ohne daß darum 
das: ,/WIiut", das: „I tüLuk 80" und das: äou't 
tüink so" in St. Malo abnähme. Offenbar werden die Rei 
senden nach ihrer Ankunft in England sofort wieder heimlich 
Zurückgebracht. Stumm lehnen sie am Geländer und starren 
! auf den Kai nieder. Ein ältliches Mädchen küßt noch einmal 
Mr Berlin, im September. 
Die Kriminalstücke, die in der Endzeit des stummen Films 
von der Leinwand verschwunden waren, sind mit der Herauf- 
kunft des Tonfilms wieder in Mode gekommen. Ich möchte mich 
nicht in Spekulationen über die Gründe dieser Renaissance ver 
lieren. Immerhin ist interessant, daß die Gattung, die einst durch 
Reichers Stuart Webbs-Filme nicht schlecht vertreten war, gerade 
jetzt von neuem auf der Btldfläche erscheint. Man Hat den Ein 
druck, als ob die Sensation heute erst beim echten Pistolenschuß 
begönne und viel« Worte gemacht werden müßten, um das 
Publikum in Spannung zu halten. Wenn die unbestreitbare Zug 
kraft der tönenden Kriminalstücke aber wirklich diesem billigen 
Naturalismus zu danken ist, so bedeutet das nichts anderes, als 
daß die Nerven in erschreckendem Maße abgestumpft und dem 
entsprechend auch die Ansprüche gesunken sind. Knalleffekte sind 
gegenwärtig nur Effekte, die tatsächlich knallen. 
Eine Feststellung, die durch die in diesen Tagen angelaufenen 
Filme bestätigt wird. Richard Eichbevg zeigt im Ufa-Palast am Zoo 
-m Krtminalstück: „Der Greifer", in dem, frei nach Wallace, 
ein begabter Detektiv eine Verbrecherbando zur Strecke bringt. 
Legte sich nicht Hans Mers mit seiner forschen Natur als Detek 
tiv ungeniert ins Zeug, so wäre der etwas konfus angelegte Film 
keiner ausdrücklichen Erwähnung wert. Noch weniger verdient die 
in einem anderen Ufatheater herausgekommene Kriminalkomödie: 
„V a Banque", baß von ihr Notiz genommen wird. Sie will 
eine Komödie sein und ist ein witzloses Erzeugnis, das auch durch 
die Mitwirkung LU Dagovers nicht lustiger wird. 
Warum ich dennoch solcher Machwerke gedenke? Weil sie zur Zeit 
Konjunktur sind unÄ werk sich gerade in diesen Kriminalstücken die 
falsche Tendenz der augenblicklichen Tonfilmproduktion besonders 
drastisch enthüllt. Sie setzen ihren Ehrgeiz darein, hunderprozentig 
zu sein und durch «ine möglichst getreue Kopie wirklicher Vor 
gänge Erregung, Gruseln und Aeberraschung hervorzurufen. Aber 
in demselben Maße, in dem sie das reale Leben zu reproduzieren 
suchen, verzichten sie darauf, die Mittel anznwenden, die dem 
stummen Film einst zu Gebote standen. Sie lassen Schreie ertönen 
und verschleppen die Handlung; sie nehmen Dialoge aus und zeigen 
Bilder, die gar keiner Worte bedürften. Nicht umsonst wirken die 
atzten Kriminalstücke so tolpatschig und langsam, und der stumme 
Stuart WebbS war zweifellos viel gewandter als alle seine Kolle 
gen, denen nunmehr die Sprache gegönnt ist. Wenn es so weiter 
geht, entartet der Tonfilm zur puren Imitation, an der die 
Freude nur kurz währt. Er sollte lieber danach trachten, gleich dem 
stummen Wm jenes Leben umzugestalten, das sein Borwurf ist. 
einen jungen französischen Burschen, ehe es sich zum Schrff 
beoibt. Dann blickt es ihn zärtlich an und lutscht unausgesetzt 
Bonbons, um sick (und ihm) den Abschied zu versüßen Zwei 
Bretonen singen Weisen, die traurig wie Warfen sind, und 
ernten zum Dank die letzten Sous, die vom Deck aufs Pflaster 
klatschen. Die Lieder werden vom Geschrer der Algerier uver- 
tönt, die aus der wehmütigen Stimmung der Engländer chren 
Nutzen ziehen möchten. Sie halten ihre Teppiche und Pen- 
schnüre hoch — ein kleiner Orient mit Gefeilsche, das kunst 
voll weitergetrieben wird und allmählich verebbt. Ueber den 
roten Fezen funkeln die Sterne und an den Masten zwer 
Lichter. Das Schiffsseil wird in ein Boot geworfen, das mit der 
Last ans andre Ufer gleitet. Schon löst sich die riesige Masse des 
Dampfers vom Land. Sie treibt der Hafenmitte zu und wen 
det sich hier überdeutlich und langsam. Immer noch stehen 
die Engländer nebeneinander am Geländer und schauen aus 
die Rampe zurück. 
Eines Tages werde auch ich heimfahren. Vielleicht hangt 
dann in meinem Bilderrahmengeschäft beim Kurfürftendamm 
ein anderes Gemälde: Vor einem blutroten Horizont sticht ein 
> Ozeandampfer in See, auf dem sich zahllose Meerstreicher uber 
die Brüstung lehnen. Aber sie blicken nicht auf den Betrachter, 
sondern kehren ihm und der Küste unnachsichtig den Rucken zu. 
S. Krakauer.
	        

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