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H:Kracauer, Siegfried/01.11/Klebemappe 1932 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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Bibliographic data

fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.11/Klebemappe 1932 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
BF00043388
Title:
H:Kracauer, Siegfried/01.11/Klebemappe 1932 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]
Shelfmark:
H:Kracauer, Siegfried/01.11/Klebemappe 1932
Document type:
Manuscript
Collection:
Holdings and special collections
Year of publication:
1932
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Full text

waltungsprinzips verhindern. Der Erkenntniss 
Raum gewährend, daß Kultur Nicht zu bevormunden ist, son-! 
dern höflich ausgesucht Zu werden verlangt, hätten sie vor 
allem dafür zu sorgen, daß die eigentlichen Kulturträger — 
Autoren, Künstler usw. — ihren.Wünschen und Meinungen 
innerhalb des Rundfunkbetriebs Geltung verschaffen kön en. 
Der unlängst in Berlin gegründete „Bund freier Rundfunk 
Autoren" hat Vorschläge für Programmausschüsse ausgear 
beitet, die sich aus Mitgliedern des Bundes zusammensetzen 
Im Interesse der Programmgestaltung des Rundfunks 
wird eine weitgehende Auflockerung der Leitsätze uner 
läßlich sein. Sie muß von den Richtlinien erwartet werden 
und hängt auch ein wenig — keineswegs in einem entscheiden 
den Sinne — von der Wahl der mit der Exekutive zu betrau 
enden Funktionäre ab. Je verständiger und liberaler die Pro 
grammbeiräte zusammengesetzt werden, desto mehr vergrößern 
sich die notwendigen Durchbruchsmöglichkeiten. Der Geist 
selber, in dem die Bestimmungen erlassen sind, bleibt allerdings 
vorerst unaufhebbar. 
Immerhin sollte er, eben auf Grund der hier angestellten 
Überlegungen, die Gefahr bemerken, in die er sich begibt. 
Er trocknet den Boden aus, den er bestellen will, wenn er die 
Kultur einfach zum Objekt der Verwaltung macht und sie 
Zwecken verpflichtet, die sie sich nicht selber stellt. Die kommen 
den Männer des Rundfunks müßten zum mindesten soweit 
Selbstentäußerung üben, daß sie Vorkehrungen einschal 
ten, die eine radikale Durchführung des Ver- 
Stadt-Erscheinungen. 
Von S. Kracauer. 
Berlin, Anfang August. 
Der Tänzer. 
Hohe Mietshäuser fassen die grade Straße ein, in der zwei 
Baumreihen stramm stehen wie Rekruten. Vom einen Stamm zum 
andern sind immer genau zwölf Schritte. Ueber den Laubmon- 
turen ragen die Fassaden hervor, schmutzige Wände mit einge 
lassenen Balkönen und vielen Fenstern, hinter denen sich ein besse 
res Familienleben vollzieht. Es verfügt über Warmwasser und 
Zentralheizung, und wenn eine Familie das Haus räumt, , rückt 
die neue gleich nach. Veränderungen entstehen dadurch nicht; 
höchstens wird die Dapetenfarbe gewechselt. Im Erdgeschoß be 
finden sich unbedeutende Kneipen und kleine Läden, die dem Be 
darf der Straßenbewohner dienen. Aus den Küchen schlürft es in 
diese Geschäftchen hinein und dann wieder empor zu den Etagen. 
Die Trottoirs sind viel zu breit, da die wenigen Passanten, die 
sie bevölkern, dicht an den Schaufenstern entlang zu gehen Pflegen. 
Auf dem Asphalt fahren fortwährend Wagen und Taxis vorbei, 
die im Verein mit einigen Zeitungsbuden der Straße ein groß 
städtisches Aussehen verleihen. Dennoch langweilt sie sich. Ihre 
Erker sind es müde, sich ewig anzustarren, und ihre Bäume müssen 
immer denselben Abstand wahren. Man könnte sich vorstellen, daß 
die Straße zum Zeitvertreib gern mit einer der zahlreichen 
Straßen tauschte, von denen sie rechtwinklig gekreuzt wird. Aber 
diese Straßen unterscheiden sich nicht im geringsten von ihr. So 
bleibt sie lieber, wo sie ist, schnurgerade Straße, wie es deren 
Tausende gibt. 
In ihrer Mitte erscheint ein schmächtiger, verwahrloster Mann. 
Er denkt nicht daran, den Fußgängersteig zu benutzen, sondern be 
wegt sich auf dem Fahrdamm, der jetzt, am frühen Nachmittag, kaum 
befahren wird. Bewegt sich der Mann wie ein gewöhnlicher Mensch? 
Seine Schritte sind die eines Tänzers. Jeder hat im Kino schon 
Zeitlupenaufnahmen gesehen, durch die alle Gebärden zum Ver 
weilen gezwungen werden. Der Springer scheint in der Luft inne- 
zuhalten, der fallende Reiter erreicht niemals die Erde. Nicht anders 
tanzt auch dieser Mann über den Asphalt. Während wirkliche 
Tänzer in einem Rhythmus dahingleiten, der uns faßbar ist, be 
schreibt er Figuren, die von einer unnatürlichen Langsamkeit sind. 
Bald schwebt er so gemächlich zwischen den Baumreihen, als wolle 
er nicht mehr den Boden berühren, bald kriecht er wie ein Wurm 
ohne Flügel und führt dabei Drehungen aus, die kaum je zur 
Spirale gedeihen. Die Uebergänge zwischen den verschiedenen Höhen 
lagen sind sanft und verworren, und die Kurven, in denen er sich 
windet, ähneln endlosen Schnörkeln, die an eine unsichtbare Unter 
schrift angefügt'werden. Gesang begleitet ihre Entwicklung. Wahr 
haftig, der Mann singt mit einer Stimme, die hell wie die eines 
Kindes ist. Die Melodie hört nicht auf und fängt nicht an, sie folgt 
vielmehr den unverständlichen Bahnen, die er ohne Abschluß auf 
und nieder zieht. Statt sich ihnen aber anzupassen, klingt sie immer 
gleich hoch und fern, eine Melodie von entlegener Süße, die nicht 
abreißt, so sehr sie auch gedehnt wird. Wie schön könnte sie sein, 
wäre sie nicht unheimlich wie der verlangsamte Tänzer! Sein 
Haar ist rötlich, seine Blicke richten sich auf das Asyl, das ihm in 
dieser Welt vorenthalten worden ist. Wir andern erkennen es 
nicht, er selber jedoch ist bereits auf dem Wege zu ihm, und zieht 
mit irren Tönen und Zeitlupenschwüngen in eine unzugängliche 
Geborgenheit ein. 
Die Mietshäuser reihen sich unbeteiligt aneinander. In ihrem 
Innern rauscht Warmwasser, und außen steht nüchtern das Laub. 
Zwölf Schritte sind immer von Baum zu Baum. Vielleicht hat die 
Straße den Tänzer ausgebrütet. Und was sie verschweigen muß, 
verdichtet sich zu dieser Figur. 
Die Brücke. 
In einer Hauptverkehrsgegend kreuzt die Stadtbahn einen 
breiten Straßenzug. Er macht nicht die geringste Biegung, und 
jedermann kann ohne Schwierigkeit unter der Brücke Passieren, 
auf der in einem fort die Züge hin- und Herrrollen. Obwohl sie 
kein Hindernis bedeutet, ist sie aber doch eine Scheidewand. Sie 
spaltet die Straße in zwei Teile, die sich trotz ihrer Gleichförmigkeit 
nicht miteinander vermischen. 
Der eine Teil liegt in der Weltstadt. Er enthält belebte Ge 
schäfte, Amüsierlokale und glänzende Lichtreklamen, und wird von 
einem Menschenstrom durchzogen, der sich ununterbrochen weiter- 
wälzt. Den Strom abzulenken, scheint unmöglich zu sein. Mit 
einer unerbittlichen Gewalt wogt er genau bis Zur Brücke und 
bricht dort jäh ab, ohne den anderen Teil der Straße auch nur 
zu streifen. Wäre dieser noch eng und verkümmert! Aber davon 
kann nicht die Rede sein. Seine Häuser suchen an Pracht ihres 
gleichen, und schöbe sich nicht die Brücke dazwischen, so merkte 
niemand den Unterschied zwischen beiden Hälften. Und doch ist 
die jenseits der Stadtbahn gelegene nicht wie ihre gradlinige Fort 
. setzung vam Weltstadtgetoss erfüllt, sondern in den tiefsten Provinz 
frieden getaucht. Der Gegensatz ist so kraß, daß man ihn unmittel- 
und Einfluß auf die Programmbildung der Ruüdfunkgesell- 
schaften sowie auf die Vergebung von Arbeiten gewinnen 
sollen. Sei es durch diesen Bund, sei es auch durch andere 
Mittel — die neue Rundfunkverwaltung wird jedenfalls zur 
freiwilligen Beschränkung ihrer Machtansprüche genötigt sein, 
um kultureller Leistungen überhaupt habhaft zu werden. Ver 
führe sie nach den Maximen der Leitsätze und so autoritär, wie 
diese es gestatten, wir gingen Zeiten einer entsetzlichen Dürre 
entgegen. 
Nicht minder gefährdet würde es dadurch, daß man es 
einfach „in den Dienst der nationalen Idee" stellen wollte. 
Eine kulturelle Leistung hat Gehalte zu vergegenwärtigen, 
und die Art und Weise, in der sie das tut, ist unstreitig immer 
durch nationale Eigentümlichkeiten bedingt. So gut es nun 
möglich ist, daß diese Gehalte sich ausdrücklich und unmittelbar 
auf das Nationale beziehen, so wenig ist doch dergleichen 
allgemein zu fordern. Denn die Kulturarbeit hat ihren Wert 
in sich selber und wird darum in dem Augenblick aufgehoben, 
in dem man sie einer von außen herangebrachten Idee Unter 
tan macht. Welch eine Umkehr der wahren Verhältnisse! Wäh 
rend tatsächlich die nationale Idee von den bedeutenden Kul 
turwerken her Inhalt und Glanz empfängt, möchte die neue 
Rundfunkregelung die Kultur der nationalen Idee versklaven. 
Worauf gründet sich diese nationale Idee, wenn nicht auf die 
kulturellen Leistungen des Volks, die das Dunkel vor uns in 
engster Fühlung mit den verschiedensten Sachen und Stoffen 
I immer neu durchdringen? 
Es ist eben doch der Bürokratismus, der aus den genann 
ten Weisungen spricht. Er lebt nicht in der Kultur, er meint, 
über sie verfügen zu können. Mag er das Gute auf seine Weise 
wollen: in Wirklichkeit führt er zur Restauration. Vielleicht 
gelingt es ihm, die hohle Zerstreuung zu reduzieren. Aber er 
ersetzt sie nicht durch Kultur, sondern droht diese kraft autori 
tärer Maßnahmen in eine dumpfe Ge fan ge ns ch aft zu 
bringen, in der sie sich am Ende noch schwerer regen kann als 
in Zeiten, in denen die Zerstreuung gleißend und gewaltlos 
ihren Platz einnimmt.
	        

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