DLA Viewer Logo Full screen
  • First image
  • Previous image
  • Next image
  • Last image
  • Show double pages
Use the mouse to select the image area you want to share.
Please select which information should be copied to the clipboard by clicking on the link:
  • Link to the viewer page with highlighted frame
  • Link to IIIF image fragment

H:Kracauer, Siegfried/01.11/Klebemappe 1932 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Access restriction


Copyright

The copyright and related rights status of this record has not been evaluated or is not clear. Please refer to the organization that has made the Item available for more information.

Bibliographic data

fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.11/Klebemappe 1932 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
BF00043388
Title:
H:Kracauer, Siegfried/01.11/Klebemappe 1932 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]
Shelfmark:
H:Kracauer, Siegfried/01.11/Klebemappe 1932
Document type:
Manuscript
Collection:
Holdings and special collections
Year of publication:
1932
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Full text

ahne, was am 15. August eigentlich vor sich gegangen sei, zuckte 
verächtlich die Achseln und meinte: 
„O'sst !s, moäs! O'osk ! On L xris sov xli." 
Es ist die Mode. Es ist zur Gewohnheit geworden. Der Kellner 
ließ es um so leichter bei diesen einleuchtenden Erklärungen be 
wenden, als er sich in Royan wie ein Verbannter fühlt. Er zählt 
die Tage bis zum Saisonschluß, an dem er wieder nach Paris 
Zurückkehren kann. Ein schwarzer zierlicher junger Mann, der 
ganz verzückt: „Oh, Paris" sagt. Das Oh erinnert an das von 
Chevalier, als dieser noch französisch sprach. Freilich harren des 
Kellners in Paris unvergleichliche Seligkeiten, die er nicht müde 
zu schildern wird. Dort ist er während des Winters in einem 
Luxusrestaurant beschäftigt, das ein wahrer Feenpalast sein muh. 
Prachtvolle Spiegel vervielfachen den Raum, drei ausgewählte 
Kapellen musizieren vom kivs-o'Llloek-tsL an bis in die Nacht 
hinein, und immer neue wunderbare Attraktionen unterhalten die 
Gäste, die dichtgedrängt tafeln. „Oh, Paris", sagt er, und die Be 
geisterung über ein Lanzakrobatenpaar zittert noch in ihm nach. 
Seine Augen glitzern, als seien ste frisch gewichst. Von der Aus 
sicht auf Paris verzaubert, tänzelt er, das Servierbrett mit einem 
Finger Lalanzierend, durch die verwaiste Halle zur Terrasse 
hinaus. 
sehr rücksichtsvoll gegeneinander. Und nicht nur die Rücken der 
Mädchen zeigen sich unverhüllt frei, sondern auch ihre Vorder 
ansichten wagen sich unvorsichtig hervor. Was noch übrig bleibt 
vom Kostüm, ist ein einziger greller Farbfleck. Wie in einem 
Kaleidoskop gehen diese blauen, gelben, roten Flecke immer 
wechselnde Verbindungen miteinander ein, so daß oft herrliche 
Kompositionen entstehen. Beim Nachmittagstanz verschmelzen 
sie paarweise unter dem grünen Laub im Rumbatakt zitternd. 
An den Abenden bilden sie lange Reihen, die bunt wie Halsketten 
sind — Banden junger Männer und Mädchen, denen es einen 
ungeheuren Spaß macht, mit untergefaßten Armen einträchtig 
über die Promenade zu bummeln. Ihre Gesichter haben einen 
sorglosen Ausdruck, den man bei uns in Deutschland gar nicht 
mehr kennt. Aber was kümmern sie sich um Deutschland! Seine 
Not ist ihnen kaum ein Begriff, und das Leben ist schön. Be 
deutend verschönert wird es seit kurzem durch Do-Do, das 
jüngste Modespiel, das seinen Siegeszug angetreten hat. Eine 
Art Kaugummi für die Hand. An einem Bindfaden hängt ein 
rundes Scheibchen, das man nach verschiedenen künstlichen 
Methoden auf- und abgleiten lassen kann. Die Hand kaut das 
Scheibchen, spuckt es aus und holt es dann plötzlich wieder zurück, 
um von neuem zu kauen. Sämtliche jungen Leute vertreiben sich 
mit diesem Do-Do die Zeit, die sie im Ueberfluß haben. Sie blicken 
im Gehen nicht nach rechts und nach links, sondern starren tief 
sinnig vor sich hin, und vergessen über einem zerrissenen Bind 
faden die Anknüpfung von Flirts, die durch nichts besser einge 
leitet werden können als gerade durch Do-Uo. 
Sogar der Chasseur des Cafös yoyot bereits. Er ist ein Junge, 
ein halbes Kind noch, das seinen Beruf als ein Vergnügen auf- 
faßt und aus Uebermut Clownsstreiche begeht, die vom Geschäfts 
führer freundlich belacht werden. Ist die Hitze zu groß, so stehlen 
sich die beiden wie Kameraden zu einer Erfrischungsbude gegen 
über und essen dort Waffeleis. Die Gäste bekommen zur Abküh 
lung Papierfächer geschenkt. Da diese überall ausgeteilt werden, 
kann man sich eine hübsche kleine Sammlung von ihnen anlegen. 
Sie sind mit kolorierten Reklamezeichnungen versehen und manch 
mal so zart gekräuselt, als ob sie aus echten Federn bestünden. 
Wenn sich alle Cafehausbesucher fächeln, beginnen die Tische zu 
schwanken, und das ganze Cafe wogt mitten in die Sonne hinein. 
Tragisch wäre der Fall eines Menschen, der Do-Do spielen und sich 
zugleich mit einem Fächer Luft zuwehen müßte. Zu den Stamm 
gästen des Cafes gehören zahlreiche ältere Herren und Ehepaare, 
die sich nur schwer unterbringen lassen. Weder wirken sie geradezu 
wie Einheimische, noch auch beteiligen sie sich unmittelbar an den 
Ferienfreuden des Badelebens. Vielmehr tauchen sie ohne Sinn 
und Zweck auf, beunruhigende Erscheinungen, die sich der Tätig 
keit des Nichtstuns völlig grundlos hingeben. Es sind die Rentiers, 
die dieses rätselhafte Leben führen. Man sieht sie in den Gärten 
ihrer Häuschen die Zeitung lesen und kann sie bei ihren gemäch 
lichen Spaziergänger: beobachten. Das Cafe dient ihnen als regel 
mäßiger Zufluchtsort. Hier sitzen ste zu jeder Tageszeit ihre Zeit 
ab, hier spielen sie Karten und hier schreiben sie Briefe, die viel 
leicht gar nicht geschrieben werden müßten. Des Abends kleiden 
sie sich besonders soigniert und lauschen mit Wohlbehagen der 
Musik, die immerhin ein paar Stunden ausfüllt. Einmal in der 
Woche findet ein klastischer Abend statt, der sich von den anderen 
Abenden hauptsächlich dadurch unterscheidet, daß die Musiker 
schwarze Röcke tragen. Sie bringen ihre Familien und Bekannten 
mit, die sich dicht Leim Podium niederlaffen, und spielen Wagner, 
Schubert, Offenbach, Verdi. Das vollbesetzte Cafe klatscht begeistert 
wie in einem Akademiekonzert und vermeidet während der Solo 
darbietungen das Fächeln. Je nach der Art der Motive zwirbeln 
die Rentiers den Schnurrbart oder blicken gerührt auf ihre Ga 
maschen. Nach dem Konzert zahlen sie und gehen befriedigt heim. 
Ihr Schlaf wird von der Regierung behütet, die über dem Zinsen 
dienst wacht. 
Das Meer. 
Das Klima ist für diese Rentner geschaffen. Die Wolken zer 
streuen sich rasch, und mild wie die Lust ist das Meer. Seine 
Brandung kämpft nicht gleich der in Biarritz wütend gegen die 
Küste an, sondern legt sich, den Bedürfnissen des französischen 
Mittelstands Rechnung tragend, behutsam auf den Strand nieder. 
Ueberhaupt weiß das Meer genau, was sich an einem so populären 
Seebad schickt und läßt sogar Gottheiten den Fluten entsteigen. 
Eine traf zum Marine- und Kolonialsest Ende August auf einem 
Kreuzer in Rohan ein. Es war eine herrliche Zeremonie. Die 
ordengeschmückten Behörden standen in der Eingangshalle des Rat 
hauses, vor dem eine Abteilung Senegalesen Spalier bildete. 
Man wartete geduldig auf den Meerbeherrscher, der aber nicht 
kam. Einmal schien es, als ob er sich nähere. Auf ein ver 
abredetes Zeichen hin kommandierte der weiße Offizier:,, Achtung!" 
und seine Senegalesen erstarrten. Das Zeichen war jedoch ein 
Irrtum gewesen. Die Zuschauer lachten, die Senegalesen lachten, 
und wirklich — der Offizier lachte auch. Alle lachten Zusammen 
und riefen sich Witzworte zu. In anderen Ländern hätte der Offi 
zier seiner militärischen Ehre etwas zu vergeben geglaubt, wenn 
er — noch dazu nach einem verkehrten Manöver — in irgendeine 
intimere Beziehung Zu den Zivilisten getreten wäre. Endlich fuhr 
das Auto vor, das einen alten Vizeadmiral mit seiner Gemahlin 
enthielt. Die Behörden sammelten sich, die kleine Truppe präsen 
tierte das Gewehr. Der Vizeadmiral mit seinen schlohweißen 
Haaren und seinen leuchtenden Augen war eine historische Denk 
würdigkeit, von der bestimmt schon die Schullesebücher erzählen. 
Während er die Front abschritt, bewunderte seine Gattin mit edlen 
Dr e Dampftrambahn. 
Man erreicht das Hotel mit einer Dampftrambahn, die aus der 
Zeit unserer Großeltern stammt. Sie ist klein wie ein Kinderspiel 
zeug und wird von jedem Windhauch gefährdet. Auf den Tritt 
brettern der offenen Wägelchen, die man leicht in die Hand nehmen 
könnte, ziehen echte Kontrolleure vorbei, denen ihr Beruf heilig ist. 
Die Lokomotive hat einen ungewöhnlich langen Schornstein, der 
fast den Lokomotivführer überragt, und stößt fortwährend gellende 
Hilferufe aus. Es ist, als befürchte sie, überfahren zu werden. Das 
ganze Bähnchen schaukelt wie ein Schiff auf hoher See am Strand 
entlang und macht alle drei Schritte Station. Viele Villen säumen 
seinen Passionsweg ein. Sie tragen poetische Namen, die beweisen, 
daß ihre Besitzer mit sich und der Welt in Harmonie leben, haben 
das provisorische Aussehen südlicher Bauwerke und dringen tief 
in den Wald ein, der die Bucht umgürtet. Der Wald ist ein ver 
gessener Grunewald, der im Vergleich mit dem Meer etwas hinter 
wäldlerisch anmutet. Kerzengerade Schneisen teilen ihn geometrisch 
auf. Dank der Lichtungen, die er für Tennisplätze, Rondells und 
andere Bedürfnisse der Zivilisation freigibt, könnte sein Inneres 
manchmal auch sein Aeußeres sein. Mutig durchfährt ihn die 
Dampftrambahn dort, wo er am wildesten ist, und pfeift mit den 
Vögeln um die Wette. Zwischen den einzelnen Baumstämmen kam 
pieren nicht selten Gruppen in Badeanzügen, die sich mit schlechtem 
Gewissen vor der Sonne geflüchtet haben. Auch die alten Weibchen 
und die Einheimischen gehen hier gern spazieren, es liegt ihnen 
sonderbarerweise nichts daran, braun zu werden. 
Das Bade leben. 
Um so leidenschaftlicher brennen die Badegäste darauf zu 
verbrennen. Die braune Körperfarbe ist zu einer Religion ge 
worden, deren Gläubige vor keinen Hautfetzen zurückscheuen. 
Manche ruhen nicht eher, bis sie schwarz wie die Neger geworden 
sind, über die sie sich als Angehörige der weißen Rasse erhaben 
dünken. Ein Bleichgesicht zu sein, gilt als Ketzerei. Darum werden 
auch schon die B^bes geröstet, von denen der Strand nur so 
wimmelt. Sie formen Sandkugeln, die sie übereinanderschichten, 
lutschen Zuckerstangen und trippeln aus dem Schoß ihrer faul 
hingelagerten Familien ins Wasser. Die Kleinen gehen mit den 
Wogen furchtlos wie mit Hunden um, die Größeren möchten am 
liebsten weinen. Wenn eines von ihnen abhanden kommt, wird 
sein Verlust durch Lautsprecher bekannt gegeben. „Ein vier 
jähriger Junge namens Roger ist am Hafen gefunden worden. 
Er trägt einen weißblauen Sweater, hat eine Schippe und kann 
von den Eltern im PolizeikommissariaL abgeholt werden." Die 
Meldung schallt über die Strandpromenade, auf der sich alle 
Mit trifft. Nach den Gesetzen der Mode benimmt man sich hier 
Gebärden der Anerkennung die Blumendekoration des Rathauses: 
zwei aus Veilchen geformte Schiffsanker. Jeder tat, was ihm Zu- 
kam; jeder führte seine Rolle vollendet durch. Das hohe Paar zog 
die Behörden huldreich ins Gespräch, die Behörden nahmen ihren 
Platz ein und die Senegalesen machten brave Soldatenaugen. Wie 
ein Schauspiel, das man sich selber gab, wickelte sich der Empfang 
ab, und obwohl sämtliche Beteiligten auf offener Szene den 
nötigen Ernst wahrten, wußten sie doch, daß sie Schauspieler 
waren. Es fehlte nicht viel, und sie hätten hinterher Beifall ge 
jubelt. In der Dämmerung entfernte sich der Kreuzer langsam, 
und das Meer war wieder friedlich wie immer. Um diese Zeit 
ist -es ein stiller glatter Spiegel, in dem die feinen Farben des 
Himmels Widerscheinen. Weit draußen fahren die Schiffe nach 
Bordeaux zu oder gleiten hinaus. Man sieht ste kaum; ihre Rauch 
fahnen sind ein Hauch. Wenn die Dunkelheit wächst, entzünden sich 
die Leuchttürme und spielen Do-Uo miteinander. Strand und 
Wasser werden dann eins. Das Kasino steckt alle seine zahllosen 
Lichter an, deren größtes der rote Vollmond ist.
	        

Hinweis zum Volltext

Die OCR-Ergebnisse sind experimentell.

Cite and reuse

Cite and reuse

Here you will find download options and citation links to the record and current image.

Manuscript

METS MARC XML Dublin Core RIS Mirador ALTO TEI Full text DFG-Viewer OPAC
TOC

Image

PDF ALTO TEI Full text Mirador
Download

Image fragment

Link to the viewer page with highlighted frame Link to IIIF image fragment

Citation links

Citation links

Manuscript

To quote this record the following variants are available:
Here you can copy a Goobi viewer own URL:

Image

To quote this image the following variants are available:
Here you can copy a Goobi viewer own URL:

Citation recommendation

Please check the citation before using it.

Image manipulation tools

Tools not available

Share image region

Use the mouse to select the image area you want to share.
Please select which information should be copied to the clipboard by clicking on the link:
  • Link to the viewer page with highlighted frame
  • Link to IIIF image fragment

Contact

Have you found an error? Do you have any suggestions for making our service even better or any other questions about this page? Please write to us and we'll make sure we get back to you.

How many letters is "Goobi"?:

I hereby confirm the use of my personal data within the context of the enquiry made.