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NLC.
Ausstellung der »Frankfurter künsklerschüfk 1924«.
--Die Ausstellung der „Frankfurter Künstlerschaft 1924" im
Frankfurter Kunst verein wurde Mittwoch vormittag durch
eine kurze Ansprache von Stadtrat Meckb ach eröffnet. Der
Redner entbot den Willkommensgruß des leider am Erscheinen
verhinderten Oberbürgermeisters, in dessen Namen er der Genug
tuung darüber Ausdruck gab, daß die verschiedenen Künstlergruppen
sich zu dieser Ausstellung zusammengeschlossen hätten. Hier wie
überall sei ein gemeinsames Vorgehen die beste Bürg
schaft für eine gedeihliche Entwicklung. Auf die bedrängte Lage
der Schaffenden hinweisend, sprach der Redner weiterhin die Er
wartung aus, daß die Fr.ankfurter Burgerschaft, alter
Gepflogenheit getreu, auch diesesmal für die Kunst und die
Künstler etwas übrig habe. Der neue Modus einer Abstim
mung durch das Publikum sowohl wie durch drei berufene Sach
verständige wergl. hierzu unsere Mitteilung: „Das Publikum als
Jury" im Stadt-Blatt vom 4, Juni) werde gewiß dazu beitragen,
das Interesse an der Ausstellung zu belebenauch könne der Ver
gleich zwischen den durch die Kenner und die Laien prämiierten
Werken nur äußerst lehrreich sein. Wir werden über die Aus
- stellung selber noch an anderer Stelle unseres Blattes berichten.
Lr.
Die andere Gattung ist der Gelegen heitsleser, den
Rousseau ebenfalls an Hand eines amüsanten Beispiels schildert.
Alle wahren Leser gehören dieser Gattung zu, sie wissen auch die
Kunst zu üben, nichtzu lesen, wenn ihnen die erforderliche Stim
mung fehlt. Für sie gilt das Gleiche wie für den Schriftsteller,
von dem Thomas Mann einmal sagt, daß er der Mann sei, dem
das Schreiben besonders schwer falle.
In der Praxis kreuzen sich die Typen, und derselbe Leser mag
Wohl auch beide zugleich vertreten. So Kant: für gewöhnlich las
er planmäßig, aber über der Lektüre des „Lmiw" vergaß er seinen
Mittagsspaziergang, der unter normalen Umständen so pünktlich
erfolgte, daß man die Uhr danach stellen konnte.
Den richtigen Leser vorausgesetzt: läßt sich nicht allgemein be
stimmen, was er in lyrischen Stimmungen, also etwa während
seiner Ferien, lesen solle? Ganz vage darf man vielleicht sagen,
daß sich jene Werke, die speziell als stille Lektüre gedacht sind: also
Romane, Biographien, Briefe, Reisebeschrei
bung e n usw. besonders gut für die Erholungszeit — natürlich
nicht für. sie allein — eignen. Wir haben einen großen
europäischen Roman; genannt seien nur die Namen
Stendhal, Flaubert, Balzac, Manzoni, Dostojewski usw.
Alle diese Romanwerke liegen in deutschen Sammlungen vor, die
eine gute Auswahl treffen, eine Auswahl, die auf die geistigen
Strömungen der Gegenwart Rücksicht nimmt und den Bedürfnissen
des heutigen Lesers entgegenkowmt. An die aktiveren Naturen,
die mehr den Rohstoff schätzen, wenden sich die Reiseschilderungen,
die Biographien wie überhaupt die persönlichen Kundgebungen, zu
denen unsere Zeit einen starken Zug besitzt; sie werden auch von
den bekannten deutschen Buchverlegern gepflegt. Verzeichnet zu
werden verdient in diesem Zusammenhang, daß die Memoiren der
galanten Zeit hinter denen der Renaissance und der französischen
und deutschen Klassik heute stark zurücktreten. Lr.'
Friderieus Rex, Der zweite Teil des in der Neuen
Lichtbühne vorgeführten Films illustriert im wesentlichen das
Elend des Siebenjährigen Krieges bis zu der Schlacht von Leu-
then, die den Umschwung bringt Eingestreute Episoden geben
das Zeitkolorit, geleiten an die Höfe von Frankreich und England
und bemühen sich vor allem, die Gestalt Friederichs in die
Sichbarkeit zu zwingen. Abgesehen von der hie und da etwas gar
zu reichlich beigemengren Sentimentalität, die nun einmal in der
Sphäre des Films gefordert ist, gelingt es auch wirklich, das
Genie des Königs durch die Schlaglichter anekdotenhafter Si-s
tüationen zu erhellen; seine Einsamkeit, seine Macht über Men
schen und widrige Umstände, seine dämonische Beharrlichkeit wer
den aber umso glaubhafter, als der treffliche Darsteller ihn mit
Geist und bedeutender Attitüde auszustatten vermag. Ihm zumal
ist. es zu danken, daß der Film nicht zum Tendenzstück entartet,
sondern beinahe so etwas wie die notwendige Tragik des genial-
beroischen Menschen erfahren läßt., Das glückt in diesem be
sonderen Falle, weil der historische Nimbus, der Rausch volkstüm
licher Namen und Situationen der nur bildhaften Wiedergabe
des Seelischen zu Hilfe kommt. Die inneren Schicksale Friederichs
wirken sich in weltgeschichtlichen Handlungen aus, deren sinn
fälliger Zusammenhang optisch durchaus zu bewältigen ist, und
überdies in einer dem Allgemeinbewußtsein vertrauten Weise auf
jene in ihn eingegangenen Schicksale hindeutet. So kann das
Seelische mitgenommen werden, ohne daß es von stch aus die
Handlung erzeugen muß. Leider bildet der Film die guten An
sätze nicht vollends durch. Er vertraut zu wenig der Logik der
bloßen Bildimpressionrn und überschüttet mit Texten, die zum
Teil eine tendenziöse Färbung zeigen- Das Wort „die Preußen
marschieren" entfesselte wieder den gewohnten stürmischen Beifall.
Gerade aus dem Film selber aber könnte man lernen, daß Fried
rich alles andere eher denn ein Gefühlspolitiker war und nichts
inniger haßte als den Phrasenschwall unverantwortlicher Bra
Ueber Lesen und Bücher.
Zur Eröffnung einer Sonderausstellung, der Buchhandlung
Baer L Co., die derFerien- und Reisezeit gewidmet ist
und gute Romane, Btographien, Reisebeschreibungen u. s. w. um
faßt, handelte am Dienstag Dr. Martin'Sommerfeld in
wrmschönen Ausführungen das Themck vom Lesen und den
Büchernab. Die Causerie nahm ihren Ausgang von Schopen
hauers bekannten Jnvektiven gegen den Leser, die den Anlaß zu
der Frage gaben, ob das Verhältnis zwischen Autor und Publikum
notwendig ein gespanntes sein muffe. Der Redner antwortete
verneinend und erklärte, daß die Spannung lediglich eine
historisch bedingte Erscheinung sei — eine spezifisch euro
päische Erscheinung, die sich seit der Renaissance, zumal in
Epochen des Epigonentums, in zunehmendem Maße bemerkbar
mache. Noch um 1800 begegne man in Deutschland trotz mancher
Wider ihn geführten Hiebe dem Leser im ganzen mit Achtung,
wie etwa das Beispiel Jean Pauls beweise. Seit 1830 ändere
sich die Tonart und die Gepflogenheit, den Leser zu verspotten,
bilde sich immer mehr heraus; die Rede Nietzsches vom „lesenden
Müßiggänger" sei für die Wendung bezeichnend. Die Zunahme
des Kleinkriegs lasse sich besonders gut durch die Entwicklung
der Vorreden verfolgen. Während die älteren noch den Leser
sympathisch ansprechen und Betrachtungen mit ihm Pflegen,
stellen die späteren mehr oder weniger bestimmte Forderungen
an ihn, bis sie schließlich ganz fortfallen: ein Symptom dafür,
daß das Band zerrissen ist.
Es ist offenbar: die Fehdeansage der Autoren gilt dem
schlechten Leser, dem verkappten Kritiker, der von außen an
ihre Werke herantritt und sich zum Schulmeister aufwirft. Gegen
ihn werden im 19. Jahrhundert, entsprechend dem wachsenden
Hang zur Kritik, stets schärfere Mi^el verwandt, und die Ver-
leidiger der kritischen Haltung haben ein schweres Spiel.
Dem schlechten Leser steht der echte gegenüber, von dem der
Vortragende ein gutes Bild entwarf. Dieser ideale Leser soll
nach dem Worte von Novalis, der einmal eine „logische Pflickten-
lehre" des Lesers schreiben wollte, ein „erweiterter Autor" sein.
Ihm liegt es ob, das Einzelne aufzufassen und das Ganze rm
Auge Zu behalten, das Werk zu zerschmelzen und gleichzeitig wieder
aufzubauen. Oder, wie Hebbel charakterisiert: „Jeden bedeuten
den Schriftsteller sollte man einmal lesen, um so weit zu kommen,
daß man ihn lesen kann". Die Malerei hat diesen Mit- und
Nachautor in den Darstellungen der Verkündigung verherrlicht;
wenigstens darf man mit einigem Rechte behaupten, daß die lesende
Maria, die als Lesende eine Gott wohlgefällige Handlung voll
bringt, seine Ehrenrettung sei. Auch als tragikomische Erschei
nung taucht übrigens der Leser in der bildenden Kunst des
öfteren auf.
Es schein ein hoffnungsloses Beginnen, die verwirrende Fülle
der Wirklichkeit auf Grund der Jdealfälle zu typisieren. Dennoch
spottet sie nicht durchaus der Gliederungsmöglichkeit, denn zwei
Grundformen des Lesers kehren in ihr immer wieder. Die erste
ist die des planmäßigen Lesers. Er liest mit Vorsatz und
verwendet auf die Lektüre stets eine vorbestimmte Zeit. Rousseau
erzählt von einem solchen Pedanten, der von Viertelstunde zu
Viertelstunde sein Pensum wechselte, und es auf diese Weise freilich
zu einem Meister der Wissenschaften brächte. Trotz seiner Beflissen
heit wird der Dichter ihn schwerlich als den idealen Leser schätzen.
_ 7- Dn Geisterseher. Das Textbuch des in derNeuenLi ch t-
buhne gezeigten WnHückes stammt laut Ankündigung von
Fried r.von Schiller und Hanns Heinz Ewers; als Bearbeiter
des Filmmanuskripts selber gesellt sich noch ein weiblicher Autor
Zu. den beiden illustren Namen. Dieses literarische Komp-ag w n r ie - -
gefchaft rst dem geistreichen kriminalistischen Fragment Schillers
nicht eben gut bekommen. Ewers und die besagte Dame —
oder nur Ewers? nur jene Dame? — haben bei ihrem Raubzug
dem Romantorso lediglich einige flüchtig aufgeraffte Motive
entnommen und die Fetzen zu einer verstrickten höfischen Liebes
intrigue ausgesponnen, die mit den Absichten des Originals
wenig oder garnichts mehr gemein hat. Die jesuitischen Kabalen
sind fortgeblieben. Das Maskenfest ist unterdrückt, und als ein
zige Säule, freilich auch sie schon geborsten, zeugt nur noch der
„Armenier" von entschwundener Pracht. Er tritt im Film als
der „Fremde" auf, dessen geheimnisreicher Unfug eine sehr
mäßige Spannung erweckt. Kurzum, man bat manches getan,
um die Vorlage zu verschlechtern, und ein Ganzes geschaffen,
das für den Film viel ungeeigneter ist als das halbfertige Kon
zept. Wenn dennoch der ^echsakter stellenweise passabel wirkt,
so ist dies den Aufnahmen zu danken, die Venedig, den Zwinger,
Potsdam und höfische Interieurs in trefflichen Ausschnitten ver
gegenwärtigen. — Das Programm wird vervollständigt durch
eine entzückende amerikanische Groteske, in der „E r" als glück
licher, oder richtiger: unglücklicher Ehegatte und Vater die
Szene beherrscht. Die Art, in der „Er" Säuglinge behandelt,
ist nicht vorbildlich, und auch seine Tapferkeit läßt zu wünschen
ubrrg. Aber seine Laster sind glänzende Laster, und amüsieren
mehr als korrekte Tugend.