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H:Kracauer, Siegfried/01.01/Klebemappe 1921 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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Bibliographic data

fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.01/Klebemappe 1921 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
BF00043378
Title:
H:Kracauer, Siegfried/01.01/Klebemappe 1921 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]
Shelfmark:
H:Kracauer, Siegfried/01.01/Klebemappe 1921
Document type:
Manuscript
Collection:
Holdings and special collections
Year of publication:
1921
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Full text

NaLurwissenschaft allererst erarbeitet hat. Eine solche „Phäno- 
wenologischL" Betrachtungsweise mag, mit Vorsicht gebraucht, 
immerhin einigen pädagogischen Wert besitzen; schleierhaft aber 
bleibt, wie ste Zu neuen Erkenntnissen verhelfen soll, Zumal 
dann, wenn sie so dilettantisch gehandhabt wird, wie das in 
DarmstM Zumeist der Fall war. In der Wissenschaft war es 
bislang nicht gebräuchlich, neue Methoden propagandistisch au- 
Zupreften, für die nicht zugleich der Beweis vollgültiger Bewäh 
rung erbracht werden konnte; die anthroposophische Bewegung 
darf es M als das zweifelhafte Verdienst annchnen, mit dieser 
seither geübten Zurückhaltung gebrochen zu haben. 
ch i 
ft Leicht liehen stch die Beispiele für anthroposophische „Wissen- 
schaftlichkeit" noch vermehren. So wurde etwa eine Ge 
schichtsauffassung entwickelt, die sich für jeden nicht 
mit Hellsehergaöen ausgestatteten Menschen merkwürdig genug 
anhörte. Man vernahm unter anderem —- das alles sind na 
türlich nur Fragmente anthroposophischer Gesamterkenntnis — 
daß die Aufgabe des ägyptischen Kulturpreises in der Ausbil 
dung der Beoöachtungskraft bestand, Griechen und Römern die 
Ausbildung des Urteilsvermögens oblag, während die Gegen 
wart das begriffliche Denken voll zu entfalten hat. Doch es 
wäre wohl kleinlich, bei derartigen Einzelheiten zu verweilen, 
da ja schließlich das Verständnis der Geschichte, wie jeder an 
deren Wissenschaft auch, auf den in der übersinnlichen Welt ge 
pflückten Erkenntnissen beruht. Was hat es mit diesen Er 
kenntnissen, die Grund- und Schlußstein des anthroposophischen 
Lehrgebäudes sind, nun eigentlich für eine Bewandtnis? 
Dr. Steiner selber führte ein wißbegieriges Publikum 
in^ die Geheimnisse der „Geisteswissenschaft" ein, deutete den 
Pfad an, aus dem wandelnd man einen Einblick in die höheren 
Welten erlangt. Manchem Hörer mag er wie ein Zauberer 
und Wundermann erschienen sein, als er z. B. sein Wissen um 
die Vorgeburten der Menschen verkündete; kritischere Geister 
freilich fühlten sich schon rein durch den Aufwand an äußerem 
Pathos und die Plattheit der Diktion zurückgeschreät. In 
sachlicher Hinsicht bestätigten die Reden duähgehends den Ein 
druck, den man bereits aus den Büchern Steiners empfangen 
hatte, den Eindruck nämlich, daß dieser moderne Magier Er 
kenntnisse als „Wissenschaft" auKgibt, die einfach deshalb nie 
und nimmer Wissenschaft genannt werden dürfen, weil ihre 
Nichtigkeit stch mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden garnicht 
nachweisen läßt. ' Was, ein Geschenk der Gnade, den großen 
Heilsbrmgern der Menschheit auf dem Offenbarungsweg zu 
teil wurde, will Steiner durch eine bestimmte seelische Technik 
unter steter Kontrolle des Bewußtseins zur endgültigen wissen 
schaftlichen Erfahrung erheben. Das heißt aber nicht die 
Naturwissenschaft überwinden, sondern ste mit einer Hybris 
ohnegleichen noch in das Gebiet der übersinnlichen Welt hinein 
ftrisetzen, heißt einen Frevel begehen, der jeden ehrfürchtigen 
und frommen Menschen verletzen muß. Man darf mit Fug und 
Kecht behaupten, daß dieser „Geistesforscher" ein größerer Ma 
terialist ist als die Mehrzahl der von ihm bekämpften Denker 
und Naturwissenschaftler. In seiner Re-inkarnationslehre 
Z-B taucht das biogenetische Gesetz in mythologischem Ge 
wände schamhaft verhüllt wieder auf. Und ist es nicht Ma 
terialismus, wenn etwa das Denken dem Nervensystem, das 
Fühlen dem sogenannten „rhythmischen" System, das Wollen 
Sem Stoffwechselsystem zugeordnet wird, wenn einer der Adep 
ten den Empirismus I. Stuart Mills auf pathologische Ur 
sachen zurücksührt, und ein anderer der Jünger dieses Haeckel 
der übersinnlichen Welt die Entwicklung der architektonischen 
Stile aus den wechselnden Bedürfnissen und den mit ihnen 
jeweilig verbundenen technischen Notwendigkeiten erklärt, d. h. 
mit anderen Worten seiner Deutung jene selbe Zweckästhetik zu 
Grunde legt, die wir bereits seit langem hinter uns haben? 
* 
Immer wieder konnte man in Darmstadt die Beobachtung 
machen, daß die Anhänger der „anthroposophisch orientierten 
Geisteswissenschaft* mit blindem Fanatismus die Lehren 
ihres Herrn und Meisters schwören. Die hellseherischen „Er 
kenntnisse* sind zum Dogma erstarrt und werden in einerWeise, 
die schlechterdinK keinen Widerspruch duldet, scholastisch inter- 
i pretiert. Eine Gemeinde hat sich um Steiner gebildet, die seine 
' von den verschiedensten Seiten her zusammengetragenen Ideen 
als lebendige Einheit erlebt und beflissen ist, ihnen um jeden 
Preis Geltung zu verschaffen. Die Gründe für die Entstehung 
und das schnelle Anschwellen dieser Bewegung liegen tief. Mit 
einem geradezu genialischen Spürsinn hat Steiner die Schäden 
unserer Zeit erkannt und ihnen durch das, was er Anthrovo- 
opme nennt, beizukommen gesucht. Wie er um das Unheil 
weiß, das uns aus der schrankenlosen Hingabe an eine Ich 
und Welt entseelende Naturwissenschoft erwachsen ist, so weiß 
er auch, daß wir durch immer weiter gehende Abstraktion von 
der unmittelbar erfahrenen Wirklichkeit schließlich jedes Ver 
hältnis zu der mit unseren Sinnen wahrgenommenen Erschei- 
nungsfölle verloren haben. Seine Geisteswissenschaft soll uns 
wieder in die konkrete Welt hineinleiten, uns von der Unzu 
länglichkeit eines nur formalen Idealismus erlösen, der im 
vraktischen Leben nirgends als Richtschnur zu dienen vermag, 
und das ganze Dasein rund und voll überwölben. Aus Ge 
sprächen mit Steinerianern ging wiederholt hervor, daß der- 
arnge in der Regel natürlich unbewußt wirkende Gründe sie 
der Änthroposophie zugeführt haben. Metaphysische Bedürf 
nisse und religiöse Sehnsucht finden hier eine Scheinbefriedi 
gung, und die geschickte Aufmachung der ganzen Bewegung. 
tauscht häufig genug darüber hinweg, daß sie imolge ihres <7 
trüben Ursprungs eine wirkliche Befreiung aus echten Zeit 
nöten gar nicht bringen kann. ' 
* 
Warum doch kann sie solche Befreiung nicht bringen? WeL 
sie luNferischem Uebsrmut entstammt, der die Wege der Vor 
sehung erforschen will. Man stelle sich wahre Größe im Zerr 
bild vor, und man hat Rudolf Steiner und seine Lehre. Schon 
mehr als einmal in der Geschichte, zumal in Epochen der Er- 
schMerung, sind Geister seiner Art aufgetaucht, die als Wisser 
aller Geheimnisse vor die Menge traten und doch mit ihrem 
armseligen Menschenverstand weit zurückblieben hinter jenen 
einfältigen, gotterfüllten Mystikern, aus deren „nebulose* Phan 
tasien Steiner so verächtlich herabsieht. Mr können heute nicht 
mehr in alter Weise glauben, so kündet er, und schließt dann 
weiter: also müssen wir durch Züchtung höherer Erkenntnis 
kräfte den Zugang zu jener übersinnlichen Welt erzwingen, aus 
der wir ausgesperrt sind, damit das entsetzliche Vakuum weiche, 
in dem wir leben. Aber eben dieser Schluß ist falsch, er beruht 
auf einer grauenerregenden Ueberschätzung rein menschlicher 
Fähigkeiten und einer völligen Verkennung der eigentlichen 
Quellen religiöser Erkenntniskräste. Steiner zieht nun einmal 
den Fehlschluß und gelangt, von ihm ausgehend, zur Schaffung 
eines Lehrsystrms, das weder Wissenschaft noch Religion ist 
und darum auch nicht, wie einer seiner Apologeten meinte, die 
Brücke zwischen beiden Bereichen schlagen kann. Ein seltsamer 
Zwitter entsteht vielmehr, der bestenfalls im DLmneÄicht eine 
Zeit lang fein Dasein zu fristen vermag und mit Goethescher 
Raturanschauung sicherlich nicht das mindeste mehr zu tun hat. 
Es kennzeichnet das Wesen eines solchen dämonischen Spuk 
gebildes, daß es Wahres und Falsches in unlöslicher Mischung, 
enthält, daß es anzieht und abschreckt zugleich, daß es die 
Seelen zu erhöhen und zu weihen scheint und sie am 
Ende doch nur äfft und wie ein Irrlicht in Sümpfe 
der Verworrenheit lockt. Beinahe unerträglich war, es, 
wie Steiner fortwährend mit annähernd der gleichen 
Prophetengeste von der Sphäre banaler Selbstverständ 
lichkeiten in heilige Bezirke hinüberglitt, ohne der Schranken 
zu achten, die das eine Gebiet vom andern trennen, und wie 
er so einen Nebel um seine Hörer ausbreitete, der gerade 
jene Besonnenheit und Klarheit verscheuchte, um die es ihm 
doch angeblich zu tun ist. Ueberall in der Änthroposophie fin 
det man dieses unheilvolle Durcheinander, dies« beständigen 
Grenzverwischungen, diese höchst bedenkliche Verengung aller 
möglichen Anschauungen zur trügerischen Einheit. Und wie 
es sich bei einem derartigen synkretistischen Brei von selber ver 
steht, paßt das Eiste nicht zum Andern, und das Gewallte ver 
kehrt sich gespenstisch in sein Gegenteil. MystagogischeS Trei 
ben verquickt sich mit materialistischen Gedankengängen, und 
eine Idee wie die der sozialen Dreigliedevung, die doch das 
konkrete Leben umgestalten möchte, erweist sich als abstrakte 
Theorie. Wralleib und Aktiengesellschaft: Goethe, auf den sich die 
Antbrovosophen immer berufen, hätte sich schwerlich damit ein 
verstanden erklärt. Durchweg macht sich der luziferische Charak 
ter der GMeswissenschaft bemerkbar, und zu beklagen bleibt 
nur. daß viele ehrlich strebende Menschen der Versührungskrast 
nicht widerstehen können, die von dieser Phantasmagorie 
ausstrahlt. 
* 
Wer nicht gerade ein Blinder oder ein Hellscher ist, den 
müssen die anthroposophischen Leistungen auf dem Gebiete der 
Kunst über das wahre Wesen der ganzen „Geisteswissen 
schaft* hinlänglich aufllären. In Darmstadt konnte man einen 
kurzen Bortrag Steiners über das von ihm geschaffene 
G 0 etheanum in Darnach hören und hatte überdies Gele 
genheit, das Aeußere und Innere des Baues selber aus einer 
Reihe größerer Abbildungen einigermaßen kennen zu lernen. 
Nach Steiner selbst stellt das Dornacher Gebäude einen ersten 
Versuch dar, auf Grund anthroposophischer Geisteswissenschast 
zu einem neuen (organischen) Stil zu gelangen; nichts an ihm 
sei bloßes Symbol, alles vielmehr aus Erlebnissen von unmittel 
barer Sinnlichkeit heraus geboren. Als ob sich ein neuer Stil 
so mir nichts, dir nichts aus dem Boden stampfen ließe! 
Der Bau ist in Wahrheft die Karikatur eines Stils und 
Stil nur insofern, als in seinem Wahnsinn Methode steckt. 
Seine Formen im ganzen und einzelnen sind von dämonischer 
Barbarei; die teilweise ungezügelte Wildheit der Ornamentik, 
der FensteMldungen usw. erinnert irgendwie an mexikanische 
Götzentempel und läßt jedenfalls die schlimmsten Verirrungen 
des Jugendstils weit hinter sich. Es klingt wie ein Hohn, daß 
dieses Machwerk, das statt tektonischen Feingefühls nur maß 
lose Willkür verrät, den Namen Goethes trägt. Letzten Endes 
ist es das genaue Spiegelbild anthroposophischer Wissenschaft: 
Echtes verzerrt sich in ihm zur Fratze, und das Ganze mutet 
wie eine diabolische Wahngestalt an, die vor wirklicher Schön 
heit zu Rauch und Dunst zerstieben müßte. — Ueber die Rezita- 
tionen Frau Marie Steiners schweigt man höflicherweise am 
besten. Sie trug unter anderem eine Szene aus dem Mysterium: 
„Die Pforte der Einweihung* von Dr. Steiner vor. Indessen, 
so wenig offenbar die Erkenntnis der übersinnlichen Welt zum 
Architekten tauglich macht, ebensowenig scheint sie sonderliche 
Dichterkräfte zu verleihen. . 
* 
Auch der Dämon ist ein Werkzeug Gottes. In dem, was 
er tut, wirken sich neben den verderblichen Kräften die guten 
aus, und es kommt nur daraus an, beide reinlich von einander
	        

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