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H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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Bibliographic data

fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
BF00043387
Title:
H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]
Shelfmark:
H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931
Document type:
Manuscript
Collection:
Holdings and special collections
Year of publication:
1931
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Full text

Renovierter Jazz. 
Als der Jazz noch jung war, in den Jnflationsjahren und später, 
antwortete er den Bedürfnissen einer Menschheit, die zu vergessen 
suchte. In der Tat bedeutete er damals Gegenwart und nichts 
außer ihr. Eine Gegenwart, die dem Krieg den Nucken zugekehrt 
hatte und zunächst nur sich selber bestätigen wollte. Ihr hing die 
Generation der Kriegsteilnehmer an, die noch mcht der Erinnerung 
fähig war, und zu ihr bekannten sich auch die Jungen, sie, die wäh 
rend jener Jahre erfuhren, daß die Chancen schnell wechselten und 
man den Augenblick festhalten mußte, um zum Genuß des Lebens 
zu kommen. Wie sie da waren, Menschen, aller Nationen, standen 
sie gleichmäßig zwischen zwei Zeiten: bereit, das Vergangene zu 
ersäufen und die Zukunft, die doch nicht vorhergesagt werden konnte, 
einstweilen auf sich beruhen zu lassen. Der Jazz erfüllte, was sie 
begehrten. Er haftete nicht wie der Walzer am Gewesenen, sondern 
warf es ganz und gar von sich ab. Das Daseinsgefühl, das er aus- 
stromte,. war das der unbelasteten Körperlichkeit. Dies aber, daß er 
den Augenblick bejahte, der keine Herkunft hat und folgenlos ist, 
erklärt recht eigentlich seinen Siegeszug. Denn da er die Welt vom 
Fluch der Zeit und des Bewußtseins erlöste, war es nicht mehr als 
billig,- daß sie sich ihm ohne Bewußtsein und unbegrenzt hingab. 
Und wirklich verwandelte sie sämtliche Podien in. Altäre und weihte 
sich in Hoteldielen und CafyhLusern seinem Dienst. Es war die hohe 
Zeit des Jazz. Seine Trabanten tauchten in der barbarischen Fröh 
lichkeit unter,'die er Heraufbeschwor, und glaubten durch ihn die 
Gegenwart zu besitzen, die sie selber besaß. 
Inzwischen hat diese Gegenwart längst aufgehört zu bestehen. 
Sie ist in dieselbe Vergangenheit eingerückt, von der sie sich ein 
für- allemal abzulösen gewähnt hatte, und einem Zustand gewichen, 
der sich von dem ihren gründlich unterscheidet. Vereinigten sich die 
Menschen damals im Streben, über den Tag nach Möglichkeit nicht 
hinauszudenken, so sind sie heute mit Sorgen beladen, die den 
kommenden Tag betreffen. Die Gegenwart des Jazz war zum Punkt 
verengt; die jetzige Gegenwart ist ein dunkler ungewisser Weg. Statt 
sich wie jene gegen die Zukunft abzublenden, bemüht sie sich um eine 
Rettung aus der Dauerkrise, in die wir geraten sind; statt sich 
während einer kurzen Galgenfrist zu vergnügen, kämpft sie für die 
Verlängerung kurzfristiger Kredite. Damit ist aber auch der . Jazz 
in einem'entscheidenden Sinne historisch geworden. Er konnte Beine 
lockern, die aus den zeitlichen Zusammenhängen heraus zu tanzen 
verlangten, um sich erst einmal wieder als Beine zu fühlen; Menschen 
auf diese Beine zu bringen, die sich mit der Zeit auSeinanderfetzen 
müssen, ist ihm versagt. Schon klingen die Rhythmen verschollen, 
die einst das horizontlose Leben elektrisierten. Sie erreichen kaum 
noch eine Gegenwart, die nicht mehr Vergessen schenkt, sondern in 
ihrer Verzweiflung sich selber vergißt, und die im Zeichen dieser 
Musik veranstalteten Tanzthees sind der Brauch einer klassenmäßig 
bestimmten Schicht. 
Auf den Variete-Bühnen wird versucht, den in der 
Konvention erstarrten Janz von neuem zur Aktualität zu er 
wecken. Dort treten Steptänzer auf, dort finden Gastspiele von 
Jazzkapellen statt. Die Scala etwa, in der sich jetzt Bernard 
ELt6 mit seiner Bühnenschau produziert, hat schon wiederholt 
solche Nummern gebracht. Gerade die Tatsache aber, daß sie den 
Jazzj zur isolierten Kunstleistung erheben, ist ein untrüglicher 
Beweis dafür, daß sie chm nur ein Scheinleben einflößen. Sie 
stützen ihn wie eine baufällige Ruine, sie renovieren ihn mit 
künstlichen Mitteln, ohne doch das Klima nach erzeugen zu können, 
in dem er gedieh. Diese Steptänzer sind genau so aus dem Tanz 
saal gerissen, der ihr natürlicher Ort war, wie die Variete-Clowns 
aus dem Zirkus. Ihre Darbietungen haben nichts mit dem Step 
zu schaffen, der früher den Menschen die Zeit vertrieb, sondern 
gehören ins Gebiet der höheren Akrobatik, und der Stiefelgalopp, 
den sie exekutieren, klappert schauerlich hohl. Das riecht nach Ver 
wesung, das beschwört Likörstuben und gespenstische Billionen 
herauf. Nicht minder hoffnungslos sind die Anstrengungen der 
Kapellen, die dem Jazz durch einen gewaltigen Revue-Tamtam 
zur zweiten Blüte verhelfen möchten. Gewiß, ihre Musiker gleichen 
ausgebildeten Jongleuren, der Rumba rasselt betäubend, und die 
Lichteffekte, die das Orchester berieseln, um die Stimmung all 
seitig zu verdicken, übertreffen in technischer Hinsicht die von 
venezianischen Nächten. Indem sich aber der Jazz so kunstgewerb 
lich aufbläht, bezichtigt er sich selbst des Zerfalls. Wie eine Greisin, 
die sich knallrot geschminkt hat, erscheint er auf dem Podium, das 
nicht seine Stätte ist, und behauptet in Jugendschöne zu er 
strahlen. 
Eine Wiederbegegnung, die voller Schrecken ist. Denn die 
Schminke, durch die der Jazz Gegenwart vortäuschen will, ruft 
nur eine verwelkte ins Gedächtnis Zurück. Sie folgt uns nach, sie 
ist vorbei, ohne schon liquidiert zu sein. L. Lraoausr.
	        

Hinweis zur Vollständigkeit

Die Blätter 89 und 90 fehlen im Original.

Hinweis zum Volltext

Die OCR-Ergebnisse sind experimentell.

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