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H:Kracauer, Siegfried/01.11/Klebemappe 1932 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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Bibliographic data

fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.11/Klebemappe 1932 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
BF00043388
Title:
H:Kracauer, Siegfried/01.11/Klebemappe 1932 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]
Shelfmark:
H:Kracauer, Siegfried/01.11/Klebemappe 1932
Document type:
Manuscript
Collection:
Holdings and special collections
Year of publication:
1932
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Full text

Bon E. Rraeauer. 
und nach die Gäste versammelten; dann Tanzmusik, Bruchstücke Immer länger, immer Häher ist ihre Parole. Inzwischen hat sich 
die menschenlose Pracht selber, die hier umging, die Pracht ver-Skrupeln gelebt. Die Provinz ist auch darum der Hauptstadt oft 
Das sind nur Beispiele für Restbestände, die unter uns Wesen. 
Gerade Berlin ist ihrer voll, denn es hat seit langem ohne viel 
Hat sich das ganze Leben unserem wirtlichen Zustand ange 
paßt? Teilweise ist es nicht nachgefolgt, sondern behauptet sich 
blind weiter fort. Reste vergangener Daseinsformen ragen, den Er 
eignissen zum Trotz, m unseren Preisgegebenen Alltag herein. 
Jetzt wäre es an der Zeit, sie zu durchschauen und Zu erkennen, 
wieviel Gespenstisches sich noch immer an unsere Fersen heftet. 
In einem bekannten Berliner Hole! fand jüngst die Schluß- 
vEnstaltung eines Tanzturniers statt, das von einem hiesigen 
TunMuö arrangiert Worden war. Durch Zufall in die Hotelhalle 
verschlagen, wurde ich Zeuge des festlichen Trubels. Die Herren 
im Frack, wartend schwatzend und ranchend; die Damen im 
Hermelin oder Persianer und darunter die großen Abendtoiletten; 
Pokale und andere Ehrengaben auf einem Galatisch, der mitten 
im Reiseverkehr der Diele stand; hinter weit geöffneten Türen die 
Spiegelreflexe und die gläserbeladenen Tische, an denen sich nach 
der Straße draußen kam das Heute wieder zurück. Ein paar 
Taxichauffeure schimpften über die schlechten Zeiten, und zwei 
Hamburger Zimmerleute preßten durch ihr furchterregendes 
Aeußere den Passanten Almosen ab. 
genug gram. Nicht ganz zu Recht, wie mich dünkt, da ein mrt 
schonungsloser Offenheit geführter Existenzkampf immer noch besser 
ist als einer, der unter der Maske des Wohlanstands genau so grau 
sam vonstatten geht.-. 
Nun Hat der Taumel einstweilen ein Ende- Großartige Bank- 
gangener Jahre, die sich nicht abwerfen lassen wollte. Die Herren 
hatten FilmgeflchLer, die Damen lächelten konventionell. Wären 
sie Marionetten im Glaskasten oder Schaufensterpuppen gewesen, 
fs hätte der Auftritt noch Leben geatmet; aber wahrhaftig, sie 
lebten und glichen eben darum einem angreifbaren Spuk. Erst auf 
Vor kurzem'sagte mir ein Franzose, den ich durch Berlin führte: 
„Ihr seid arm zwischen Palästen; mir haben unser Auskommen in 
armen Behausungen". Diese Antithese, übertrieben wie alle solche 
Formulierungen, wurde bei der Betrachtung des riesigen Waren 
hauses in Neukölln geprägt, das eine Verkörperung wilhelminischen 
Geistes ist. Ein Gemisch aus Kathedrale und Festung, steigt der 
viereckige Bauklotz pathetisch empor, klingt in zwei Türme aus, die 
abends wie Fanale über der Stadt leuchten, und was wird darin 
verkauft? Bedarfsartikel für kleine Leute und Proletarier. Schon in 
der KaiserZeiL hat es so angefaugen. Ich denke an die Marmor 
treppen der Mietshäuser, die hinter den Haustüren unmittelbar 
ansetzen und vor aller Augen so steil und herrisch himmelan 
streben, als führten sie statt in Berliner Zimmer in den Himmel 
selber hinein. Man hat den Kurftürsteudammbauten die Stuckorna 
mente abgeschlagen, aber die Großmannssucht ist auch in der Repu 
blik geblieben. Ihr entstammen die vielen Faffadenarchitekturen, 
mit denen Berlin seit Jahren gefüllt wird: Hochhäuser, Büro 
häuser usw., die alle nicht die geringste Beziehung zu menschlichen 
Dingen mehr unterhalten. So einfach sie sind, sie bringen es den 
noch fertig, den Eindruck überlebensgroßer Monumentalität zu 
erwecken. Vermutlich rührt er daher, daß diese Gebäude sich so 
unüberlegt und rücksichtslos entfalten, als gäbe es niemals Wirt 
schaftskrisen, sondern immer nur Prosperität. Die horizontalen 
Glas- und Mcmerbänder, aus denen sie gewöhnlich bestehen, wickeln 
sich wie laufende Bänder ab, die ununterbrochen Nahrung haben, 
und preisen rein durch ihr Dasein den Segen endloser Rationali 
sierung. Wir haben den Segen kennen gelernt, aber die Häuser, die 
ich hier meine, wissen nichts von unseren Leiden, von unsrer Be 
grenztheit. Man hat das Herz in sie einzumauern vergessen. Leer 
und sühllos streichen ihre Fassaden hin, so abstrakt wie manche 
Betriebe und Organisationen, die dahinter untergebracht sind. 
Berlin, Ende Dezember. 
Das Stadtbild Berlins hat sich allmählich verändert, man 
merkt jetzt an allen Ecken und Enden die Krise. Auch Fremde, die 
es noch vor einem halben Jahr nicht wahr haben wollten, daß das 
Berliner Oberflächenleben von dem Elend stark in Mitleidenschaft 
gezogen worden sei, spüren heute auf den ersten Blick seine Ver 
wandlung. Nicht nur die Großwohnungen sind geräumt, auch die 
Lokale füllen sich an den Werktagen nicht mehr recht. Das ehe 
malige Caft Bauer Unter den Linden ist seit einiger Zeit ge 
schloffen. Die Straßen sind mit Bettlern übecsät, ein ganzer Wald 
von Bettlern, der nur schwer passierbar ist, dringt in die Stadt 
ein und bedeckt den Asphalt. Studenten und bester gekleidete, 
ältere Herren klingeln an den Haustüren, verkaufen Schnürsenkel 
und Streichhölzer oder bitten auch nur um eine Gabe. Und abends 
herrscht in Stmßenzügen, die früher bis in die Nacht hinein be 
lebt waren, eine merkwürdige, aufreizende Ruhe. Die Menschen 
verlaufen sich rasch, sie bleiben zu Hause oder stecken sonstwo. 
Es ist, als verkröchen sie sich wie Tiere, um allein zu sein mit 
der Not. 
von Ansprachen, Beifall, Klirren, Lachen und jenes unbestimmte 
Gesumme, das fortgesetzte Ballgespräche erzeugen — es war ein 
Gesellschaftsbild, wie es strahlender nicht sein könnte. 
Ich beabsichtige nun keineswegs, in jener Art von Schwarzweiß 
malerei, die sich bei den Autoren sozialer Romane besonderer Be 
liebtheit erfreut, Szenen dieses höheren Glanzes zu schildern, 
sondern möchte nur eine bestimmte Erfahrung festhalten, die das 
herrschaftliche Ereignis mir aufdrängte. Wer einmal die Gelegen 
heit gehabt hat, alte Filme Zu betrachten, dem wird schwerlich ertt- 
gangen sein, wie verschollen sie wirken. Vor allem die gesellschaft 
lichen Vorgänge, um die sie sich eifrig bemühten, find längst aus 
der Zeit zurückgetreten und haben nichts mehr mit uns zu schaf 
fen. Bleiche Hemdbrüste und erstarrte Gebärden: ein einziger 
Modergeruch. So und nicht anders erschien mir auch diese Gesell 
schaft. Sie tauchte aus den Grüften auf wie ein Phantom, das 
zur Unzeit durch unser Leben geistert. Das waren nicht Menschen 
aus Fleisch und Blut, die in ihrer Pracht dahinwallten; das war 
„ßr ist ein gulcr Junge." 
Berliner Betrachtung. 
herausgestellt, daß es nicht länger so geht. Dennoch dauern diese 
Gebäude ungerührt fort, Zeichen einer Gesinnung, die sich nicht 
ungestraft von den menschlichen Proportionen losgesagt hitt. Wir 
sind arm geworden zwischen ihnen, und sie bekümmern sich nicht 
darum. Wer genauer hinblickt, wird indessen bemerken, daß sie, 
kaum aufgerichtet, schon abzunchmen beginnen. Sie enthüllen ihre 
Unwirklichkeit vor der Zeit, sie offenbaren heute bereits ihren er 
schreckenden Mangel an Inhalt. Während andere, gefülltere Archi 
tekturen langsam veralten und dann das Aussehen ehrwürdiger 
Ruinen erlangen, behaupten sie sich nur kraft physikalischer Gesetze 
und starren wie hohle Kartonbauten in die Großstadtluft. Die 
üblichen Gespenster kommen aus der Vergangenheit herauf; ihr 
gespenstisches Los ist es: nicht in die Vergangenheit eingehen zu 
können.
	        

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