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Auf der Leinwand:
Berlin, im November.
Harold Llohds neuer Tonfilm: „F i l m v e r r ü ck L", der
jetzt in deutscher Fassung gezeigt wird, ist von einer so drastischen
Komik, daß man aus dem Lachen nicht herauskommt. Nur ein
Beispiel von Zahllosen: ein Kücken ist in ein Kanalisationsrohr
gefallen und Lloyd schafft es dadurch wieder nach oben, daß er
Wasser ins Rohr fließen läßt Munter erscheint das Kücken auf dem
Wasserspiegel im Tageslicht. Der Film hat eine geschlossene Hand
lung, die darin besteht, daß Harold als Filmenthusiast nach Holly
wood reist, dort wider Willen lauter Unheil anrichtet und schließ
lich zu seiner eigenen Ueberraschung doch noch den ursprünglich
ersehnten Kontrakt erhält. Natürlich ist diese einheitlich durchge
führte Handlung nur der oft kaum sichtbare Rahmen für eine Fülle
von Improvisationen. Ihrer Zwei sind in sich zusammenhängende
Einfallsketten. Die eine entspringt einer Verwechslung. Harold
tauscht bei einer Gesellschaft seinen Frack für den eines Zauberers
ein. aus dem dann beim Essen und Tanzen eine Menge ungeahnter
Dinge hervorbrechen. Weiße Mäuse machen sich selbständig, eine
Taube fliegt durch die Luft des Saales und die Knopflochblume
verspritzt in den unpassendsten Augenblicken Wasser. Die andere
Improvisation-reihe vermischt Sein und Schein. Während einer
gigantischen Aufnahme im Filmatelier stürzt sich Harold auf den
gerade agierenden Darsteller, der im Privatleben sein Nebenbuhler
ist, und ein äußerst roher Kampf hebt an, den der Zufällig vorbei
kommende Filmdirektor für die Haupt- und Staatsaktion eines
eben in Arbeit befindlichen komischen Films hält. Er kann gar
nicht aufhören zu lachen. Und obwohl er später über seinen Irrtum
aufgeklärt wird, engagiert er doch Harold mit der Begründung,
daß er ihn eben zum Lachen gebracht habe. In der Tat versteht
sich Harold Lloyd auf diese Kunst wie nur wenige und hat sie im
neuen Film so weitergebildet, daß ste die Form der bloßen Gro
teske schon manchmal sprengt An seinen Höhepunkten nimmt der
Film märchenhafte Züge an. Der Held wird dann zum Tolpatsch,
und der Tolpatsch zum Hans im Glück. Die Situationskomik aller
dings bleibt Zum großen Teil auf der Strecke zurück. Während
bei Chaplin etwa irgendeine Verwechslung stets einen Hinweis aus
die Unordnung in der menschlichen Gesellschaft enthält, ist ste ber
Lloyd immer nur eine Verwechslung.
Der Ufa-Film: „Der weiße Dämon", den die Zensur
aus unbekannten Gründen verboten hatte, ist jetzt doch freigegeben
worden. Offenbar erst nach Strichen; denn hier und da ist eine
Lücke zu spüren, in der etwas gesteckt haben muß, was man aber
nicht allzu sehr vermißt. Wenn es allein auf die Spannung an-
käme, wäre dieser Film schlechthin vollkommen. Er stellt die Jagd
auf eine Bande skrupelloser Rauschgift-Händler dar, ber
deren Verfolgung noch dazu eine Sensation die andere jagt. Das
fängt im Ozeanriesen an und hört im Wasserflugzeug auf. Da
zwischen liegen Stationen wie die Kulissen eines Varietetheaters,
eine Hamburger Hafenkneipe, kD-Züge in voller Fahrt, der Dach
garten des Pariser Hotels Grillon und Lissabonner MiSeus. Mehr
Schauplätze in anderthalb Stunden hineinzupacken, ist einfach nichr
möglich. Hinzu kommen die Aufregungen der Fabel selber und
das Tempo, in dem sie sich abwickelt. Ueber Verhaftungen, die
nicht ausgeführt werden können, Attentate, die scheinbar glücken,
Grammophon-Verabredungen, Revolverschüsse und andere Zwi-
schenfälle geht es unaufhaltsam weiter bis zur Erledigung der
Bande und der Entdeckung ihres geheimnisvollen Chefs. Die Lüf
tung seines Inkognitos ergibt eine Schlußpointe, die dem gewieg
testen Detektivromanautor Ehre gemacht hätte. Kurzum, der Film
hält die Zuschauer in Atem, und da er keinen höheren Ehrgeiz als
diesen kennt, darf man mit ihm zufrieden sein. Umsomehr, als er
von Kurt Gerron schmissig und mit großem Aufwand arrangier:
worden ist. Die Schiffsszenen zu Beginn sind unterhaltend, die
Effekte der einzelnen Auftritte klar aufgebaut und die Bilder sorg
fältig ausgewählt. Wer anders als Hans Albers könnte der
Held sein, der den Augiasstall reinigt? Er begibt sich in tausend
Gefahren, um ihnen immer sieghafter zu entsteigen, und ist von
Anfang bis zu Ende ein einziger Glanz. Dennoch wirkt er sym
pathischer als in früheren Filmen, weil er in diesem nicht nur
auftrumpfen muß, sondern auch ab und Zu hilflos sein darf.
Schade, daß er nicht häufiger die Gelegenheit erhält, sich in den
gemäßigten Zonen zu tummeln. Zu den Hauptstützen des En
sembles gehören Gerda Maurus, die das Laster der Rauschgiftsucht
verkörpert, und Peter Lorre, dessen Verbrechertyp ausgezeichnet
gelungen rst. Sein kahlgeschorener Kopf wirkt wie der eines
Asiaten, der zum Zweck feingesponnener Verbrechen durch die euro
päischen Hauptstädte schleicht.
Ueber den Zivilisationskitsch, der sich im Marks ne
DieLrichsFrlm „Die blonde Venus" breit macht- ist
kein Wort Zu verlieren. Die blonde Venus fallt tief und immer
tiefer, ohne eigentlich zu fallen, denn sie liebt ja nur ihr Kind,
und weil sie ihr Kind so liebt, nimmt sie ihr Mann, der ste natür
lich ebenfalls liebt, zuletzt wieder in Gnaden bei sich auf, obwohl .
sie doch Lief gefallen war. Beinahe bedrückender noch als diese >
Rührseligkeit ist die künstlerische Art, in der sich Josef von
Sternberg, dem ste aufoktrohiert wurde, mit ihr abzufinden
sucht. Er hätte sie in die Kolportage hineinzerren sollen und be
handelt ste nobel. Die badenden Mädchen am Anfang, das Variete,
die südamerikanische Farm usw. — alle Szenen werden zu Bildern,
die eingerahmt an der Wand hängen könnten. Und ein ewiges
Dämmerlicht herrscht in ihnen, das sie noch anspruchsvoller macht.
Das ist die Tonart für ein Kammerspiel, nicht aber für einen
solchen Stoff. Indem Sternberg seinen Unwert zu adeln trachtet,
statt ihn entschieden herauszustellen, erhöht er nicht etwa die
Niedrigkeit der dem Stoff innewohnenden Gesinnung, sondern
erniedrigt auch noch das Höhere. Denn die Kunst, die man aufs
Imprägnieren von Leerläufen des Gefühls und gesellschaftliche
Ideologien verwendet, wird von diesen herabgezogen und ver
liert ihren Sinn. Marlene Dietrich vollzieht natürlich den vermeint
lichen Veredelungsprozeß mit. Das gewisse Etwas, das von ihr
ausgeht und viele bezaubert, leidet aber bei ihrer Erhebung in dre
oberen Sphären, die gar nicht die oberen sind, schwere Not Es
kommt zum Vorschein, wenn sie die Dialoge der Beine beseelt
Uebertönt ste dagegen als blonde Venus mit der Seelenharfe die
Beine, so wird die Rangordnung in fataler Weise verkehrt. Nicht
so, als ob sie bei der Darstellung der Mutterliebe, der Resignation
usw. mimisch versagte. Das Peinliche ist nur, daß diese seelischen
Zustände nicht, wie es zu fordern wäre, um ihrer selbst willen
erscheinen, sondern als erotische Verführungsmittel dienen. Der
unerträgliche Mißbrauch der hier mit echten Empfindungen ge
trieben wird, enthüllt seine wahre Natur dort sehr deutlich, wo
es sich tatsächlich darum handelte, die Beine zum Sprechen Zu
bringen. Auch in den Varieteszenen möchte sich die Dietrich rein
von oben her geben, und der Effekt ist der, daß ste nicht einmal
wie einst im „Blauen Engel" ein Prickeln erzeugt. Die Chansons
werden von Luftkissen erstickt, die bloße Andeutung der sinnlichen
Reize verfehlt ihren Zweck. Das ist die Rache für die Ausnutzung
der Seele im Interesse der Erotik: daß diese genau an den Orten
Zu kurz kommt, an denen sie sich von Rechts wegen zu Zeigen hätte.
*
Unter den Filmen, auf die kurze Hinweise genügen, wäre die
deutsche Fassung des LubiLsch - Films: „Der Mann, den
sein Gewissen trieb" zu nennen, die bereits gelegentlich
der Wiener Aufführung besprochen worden ist. Die gegen den
Krieg gerichtete Tendenz des Films in Ehren: aber das Ueber
maß sachlich unorientierter Sentimentalität entwertet zuletzt leider
wieder die Tendenz. Großartige Regieeinfälle gehen durch. Abge
sehen vom vielgerühmten Anfang, der den in Paris nach dem
Waffenstillstand abge^altenen Dankgottesdienst mit schlagender opti
scher Kritik vergegenwärtigt, ist eine geistreiche Szene Zu loben, die
dem Ton eine besondere Rolle Zuerteilt. Während das Liebes
paar durch den Ort wandelt, stürzen die Bewohner zu Beobach
tungszwecken aus ihren Ladentüren, die mit Glöckchen ausgestattet
sind. Und ohne daß man die Neugierigen selber erblickte, folgt den
beiden Vereinten noch lange ein Gebimmel, das ihre zärtlichen
Gespräche begleitet. Eine Abhandlung wäre zu schreiben über
die sonderbare, in ihrer Bedeutung noch gar nicht durchschaute
Verschiebung nationaler Ausdrucksformen, die
der Tonfilm heute vornimmt. Der Film schildert ein deutsches
Familienmilieu, das in Hollywood von amerikanischen Schauspie
lern produziert worden ist und nun, nachträglich eingedeutscht, in
jenes Land Zurückkehrt, aus dem es geholt worden war. Das Ur
sprüngliche wird so vielfach gebrochen; aber die Verzerrungen, die
ihm widerfahren, erwecken ein Ahnung künftiger Möglichkeiten.
Zweifellos weist der bedenkenlose Güteraustausch, den der Ton
film bewerkstelligt, auf eine Zeit vor, in der sich die nationalen
Eigenarten nicht nur gegenseitig abgrenzen, sonder miteinander
vertragen werden.
Der Ban c rost-Film: „W er ha t h i er re cht . . ver ¬
folgt die nützliche Tendenz, das Publikum über die Schattenseiten
des Berufsboxertums aufzuklLren. Die Manager sind oft skrupel
los und entledigen sich zu ihrem Nutzen rasch der Kräfte, die sie
verbraucht haben. Es bekommt Bancroft gut, daß er diesmal mehr
Püffe zu erdulden als auszuteilen hat; denn die Passivität, die
ihm durch die Rolle auferlegt wird, zwingt ihn zur Auswertung
aller seiner reichen darstellerischen Mittel. Sehr lustig ist ver dampf
Zwischen seiner Schwere und dem schlagfertigen Mundwerk der
Ehepartnerin, die den großen Mann keifend am Gängelband führt.
„Zigeuner der Nacht": ein heiterer Kriminalfilm mit
Musik von Paul Abraham. Harmlose Unterhaltung; nicht unwitzig
gemacht. Jennv Fugs Zeigt wieder einmal ihre Begabung für
charmant-komisches Ungeschick.
8. LrLELnsr.