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Metadata: H:Kracauer, Siegfried/01.03/Klebemappe 1923 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Sr. Werfen Wer die deutsche AutzeWsM 
- Frankfurt, 26. April. 
Im stark besuchten großen Saale des Zoologischen Gartens 
sprach gestern abend der Führer der Deutschen Demokratischen 
Partei, Reichstagsaögeordneler Senator Dr. Peter sen 
r Hamburg) über die heutigen Notwendigkeiten der deutschen 
Außenpolitik. Nach einleitenden Worten des Landtags 
Abgeordneten Goll erörterte der lebhaft begrüßte Redner zu 
nächst die verschiedenen politischen Probleme, die zum Weltkrirg 
geführt haben, und wies hierbei vor allem darauf hin, daß es 
von jeher das Bestreben Frankreichs war, die Hegemonie in 
Europa Zu erlangen, woraus sich seine Haltung gnenüber 
Deutschland von Ludwig XIV. an bis in die jüngste Ver 
gangenheit erklären lasse. 
Auch durch den Frieden von Vers ailleS, so fuhr er 
fort, haben diese Probleme keine Lösung erfahren. Sinnlos ist 
LZ, Deutschland im Osten zu zerstückeln, sinnlos ist die Behand 
lung der russischen Frage, sinnlos das Vorgehen im Saar 
gebiet, in den Rheinlanden und neuerdings an der Ruhr. Diese 
ganze Versailler Lösung, die es Frankreich infolge der zaudern 
den Haltung Englands und Amerikas erlaubt, mit eiserner Kon-! 
sequeng sein Ziel: die Vernichtung Deutschlands bis 
ans Ende zu verfolgen, ist keine Lösung. Wissen die Staats 
männer hier keinen Ausweg, versagen sie weiter, wie sie bis 
her versagt haben, so sind die Massen im Recht, wenn sie ihr 
Schicksal selber in die Hand nehmen. Unabsehbares Elend 
wird dann freilich die Folge sein. 
Für uns, die wir den Versailler Vertrag unterzeichnet haben, 
gibt es trotz seiner Sinnlosigkeit nur den einen Weg: den Ver 
such zu machen, ihn nach Möglichkeit zu erfüllen, um durch 
solchen notwendig vergeblichen Versuch seine UnersüllLarkeit 
einer nach und nach von der Kriegsleidenschaft genesenen 
Menschheit zu beweisen. Diese Politik des guten 
Willens ist von den verschiedenen Regierungen durchgeführt 
worden. Auch das Kabinett Cuno hält sie inne und gehorcht 
damit der gleichen zwangsläufigen Entwicklung wie seine Vor 
gänger Rathenau und Wirth. Daß es die Zahlungen an Frank 
reich und Belgien eingestellt hat, ist lediglich die Folge des 
rechtswidrigen Einbruchs der Franzosen in das Ruhrgebiet. 
Mit warmen Worten stattete Dr. Petersen den Kämpfern 
an der Ruhr den Dank d?s deutschen Volkes ab« Er hob 
hervor, daß es in diesem letzten Kampfe, der jetzt an Rhein und 
Ruhr auZgefochtm werde, um unsere ganze Zukunft .gehe. Wir 
sind bereit, so betonte der Redner weiterhin, uns mit den Fran 
zosen zu verständigen, Zahlungen im Rahmen des Mög 
: lichen Zu leisten, Frankreich Sicherungen gegen neue Kriege zu 
' gewähren und uns an der Abrüstung in Europa ebrlich zu betei 
ligen. Alles, was Zu den Vereinigten Staaten von Europa führen 
bann, sind wir bereit Zu tun. Nur eines kann Frankreich nicht 
haben: Niemals werden wir uns dazu hergeben, auch nur 
einen Zoll breit deutschen Gebietes ab zu treten. 
Die Deutsche Demokratische Partei weiß, wie unerhört schwer 
heute die politische Situation ist, sie weiß auch, daß nur eine kluge 
Politik aus dieser Situation herausführen kann. Mit Genug 
tuung empfindet sie es, daß unter dem Druck von außen heute 
eine Einheitsfront im Innern entstanden ist; sie freut 
sich vor allem darüber, daß von der Sozialdemokratie bis zur 
Deutschen Volkspartei völlige Einigkeit über die Notwendig 
keit der Herbeiführung von Verhandlungen 
herrscht. Bei dieser Gelegenheit werden die Besitzenden selbstver 
ständlich die .größten Opfer zu bringen haben, zumal die Besitzer 
der Sachwerte werden Eingriffe in ihre Substanz machen müssen, 
vorausgesetzt, daß uns durch solche Opfer auch wirklich die Mög 
lichkeit geboten wird, endlich zur Freiheit zu kommen. Das war, 
immer unter dieser Voraussetzung, schon feit Jahren nicht allein 
die Forderung der Sozialdemokraten, sondern auch der anderen 
Parteien bis Zur Deutschen Volkspartei. Heute stimmen alle Par 
teien darin überein, daß versucht werden muß, in besonnener Weise 
an die Rede Curzons anzuknüpfen und die Aufnahme von 
Verhandlungen unter Bedingungen zu erreichen, die uns unsere 
Existenz und unsere Selbständigkeit gewährleisten. 
Nach innen hin werden wir den demokraLischen Sraat 
aufrecht zu erhalten haben, für den sich hcute die Kämpfer an 
Rhein und Ruhr einsetzen. Gelingt es, ihn gegen Angriffs von 
außen und innen zu verteidigen, so ist damit die sicherste Bürg- 
sKafi dafür gegeben, daß in Europa endlich der Gedanke des 
> Rechts und der Völkerverständigung Zum Siege 
j gelangt. (Lebhafter Beifall.) 
Leren sich Frankreich in den letzten dreieinhalb Monaten des 
Ruhreinbruchs in zahllosen Einzelfüllen schuldig gemacht habe, 
wobei er nicht zu erwähnen unterließ, daß sich seit einigen La 
gen die Anzeichen mehrten, als ob man etliche Erleichterungen 
eintretsn lassen wolle. Sodann ging der Minister auf die Art 
unseres Abwshrkampfcs ein, der von der ersten Minute ab als ein 
waffenloser Kampf geführt worden war. Er betonte hierbei be 
sonders, daß alle Maßnahmen aus der Bevölkerung selber er 
wachsen seien, denen die Verordnungen der Regierung gewöhnlich 
nur nachhmkten. Auch wies er auf das noch HZu^s unvermindert' 
fortbestehend^ Einvernehmen zwischen Arbeitneh 
mern und Arbeitgebern in dem Passiven Widerstand bin. 
Daß alle passiven Maßnahmen zu dem Erfolge führen ksnmm, 
den sie tatsächlich „gezeitigt haben, war nicht zuletzt der Einicht 
in die Notwendigkeit zu verdanken, daß die Wirtschaft im besetz 
ten Gebiet unter -allen Umständen in Gang erhalten werden müsse. 
Was die Wirkungen des Kampfes anlangt, so darf 
man wohl sagen, daß Frankreich nichts von dem erreicht hat, was 
es erreichen wollte. Abgesehen davon, daß der Gedanke, Frank-! 
reich bvauche Sicherungen, angesichts seiner militärischen Stärke 
und der Ohnmacht Deutschlands nicht recht einzuleuchten vermag 
—- alaubt man denn wirklich, daß es durch die Ruhrbesetzung 
solche Sicherungen erlangen kann? Man schaudert, bei der Vor 
stellung, daß eines LageZ die Saat des Hasses aufgehen kann, die 
Frankreich dort gesät hat. Gerade weil wir keinen Krieg wol 
len, wünschen wir, daß Frankreich erkenne, wie sehr es durch sein 
Vorgehen die Revanche-Idee in Deutschland festigt und mehrt. 
Aber -auch das Ziel, produktive Pfänder zu erlangen, hat Frank 
reich durch die Ruhrbesetzung nicht erreicht und wird es wohl 
auch nicht erreichen Bis heute haben die Franzosen im ganzen 
vielleicht 200 000 Tonnen Kohle nach Frankreich befördert, d. h. 
eine Menge, die vor dem Embruch in fünf Togen dorthin ging. 
Die Folge ist einzig und allein, daß die französische Eisenindustrie 
an der Östgcenze heute zum größten Teile stilliegt. Die Wirkung 
auf Deutschland dagegen war Lei weitem nicht so, wie man be- 
fünchtzet hatte. An Rhein und Ruhr geht die Wirtschaft trotz Be 
triebseinschränkungen infolge Anspannung äußerster Energie wei 
ter und auch im unbesetzten Gebiet haben wir dank der Einfuhr 
von Koblen und Eisen keinen Mangel an dem unentbehr 
lichen WrLschaftsbedach Restlos erfreulich ist, daß unser Volk 
einen einheitlichen Willen bei der Abwehr des Ein 
bruchs gezeigt hat. 
Ueber den Ausgang des Kampfes, läßt sich schwer prophe 
zeien Das eine aber dürfen wir sagen: Solange die Front an 
der Ruhr so steht wie bisher, gehen wir mit den besten Aussichten 
den. Weg weiter, den wir gewiß ohn? unseren eigenen Willen 
haben einschlagen müssen, Die kommunistischen Un 
ruhen am Rande des Ruhrgebiets geben keinen Anlaß zu Be» 
ffürchtungen, da die Mehrheit der deutschen Arbeiter über gs- 
nügend Vernunft und politische Einsicht verfügt, um sich nicht 
durch kommunistische Schlagworte einfangen Zu lassen. Den Fran 
zosen allein, die die Ruhr von der Schutzpolizei entblößt haben, 
ist di-s Schuld LeiZumessen, wenn es im Ruhrgebiet infolge des 
Vergehens radikaler Elements drunter und drüber geht. Auch 
die E rs ch ü t teru n g der Mark in den letzten Tagen braucht 
nicht ängstlich Zu stimmen. Die Einbruchsstelle ist zum Teil schon 
wieder abgedeckt worden und der Regierung tmrd es gelingen, 
die Stabilität auch weiterhin aufrecht zu erhalten. 
Wiekann es aberzuVerhandlungen komme n? 
Das eine steht fest: ein solcher Kampf kann nicht mit Diktaten 
beendet, unmögliche Forderungen können- von uns nicht 
erfüllt werden. Sicher ist, daß wir nur dann zu einer Verstän 
digung kommen, wenn diese Einsicht, und damit eine wahre Ver 
handlungsbereitschaft, sich auch in Frankreich Bahn LrichL. Ob 
das heute schon der Fall ist, erscheint zweifelhaft. Wirunse - 
rerseits sind gewiß dazu bereit, alle Wege zu 
gehen, um den Ru'hreinbruch abzubauen. Not ¬ 
wendig hierzu ist freilich, daß wir auf dem Fuße der Gleichberech 
tigung uns mit unseren Gegnern an den Verhandlungstisch setzen 
können. Keine deutsche Regierung wird sich ferner dazu ver 
stehen, freiwillig auf Souveränitätsrechte in irgend einem deut 
schen Gebiet zu verzichten: Preußen und das Reich 
m ü fs en unzerstückelt bleiben, das will auch der Rhein 
länder selbst. Vorbedingung der Verhandlung ist ferner, daß 
alle Vertriebenen und Ausgewiesenen wieder in ihre Heimat zu 
rückkehren können. Was Frankreichs Forderung hinsichtlich der 
Sicherungen anbetrifft, so glauben wir Wohl, wie schon 
unser früherer an Amerika gerichteter Vorschlag beweist, 
daß sich in diesem Punkte eine Einigung erzielen 
Näßt. In wirtschaftlicher Hinsicht müssen wir zu erreichen suchen, 
daß unZ bestimmte Reparationsforderungen, die! 
sich im Rahmen unserer Leistungsfähigkeit halten müssen, auferlegt 
werden. Verlangt Frankreich finanzielle Garantien, P wird, 
dessen find wir sicher, auch die deutsche Industrie sich nicht wei 
gern, ihm solche Garantien Zu bieten. Wie sehr man selbst in 
England noch unsere Lage verkennt, beweist der kürzlich im eng 
lischen Oberhaus ausgesprochene Wunsch, wir möchten mit 
bestimmten Vorschlägen hervortreten. Immerhin zeigten diese 
Verhandlungen doch in vielen Punkten eine objektivere Betrach 
tung der Verhältnisse, wenu sie auch noch manches in Deutsch 
land schief sähm Wer Ohren hat zu hören, der 'mußte aus ver 
Red- des deutschen Außenministers v. Rosenberg und weiterhin 
aus der des Abg. Stresemann genau entnehmen, auf welcher 
Grundlage uns Verhandlungen.möglich erscheinen. Daß wir kei 
nen formellen Vorschlag unterbreiten, rührt einfach daher, daß 
Frankreich solche Vorschläge bisher immer — der Minister er 
innerte an die Januar-Vorschläge —- zurückgewiesen hat und daß 
man uns auch die Unterweisung eines derartigen Vorschlages als 
Schwache mMlegsn würde. Wenn Frankreich nicht hören will, so 
müssen wir den Abwehrkampf ebm weiierführen. Die Front au 
der- Ruhr hält fest, und wenn auch das Hinterland in Treue aus^ 
harrt, so werden wir ihn zu einem guten Abschluß bringen, auf 
daß endlich einmal nicht die Macht über das Recht, sondern das 
Recht selber züm Siege gelange. 
Nach Schluß der Rede dankte Konsul Dr. KotzenLerg 
dem Minister für seine Ausführungen und versicherte ihm, daß 
das deutsche BoA nach wie vor! hinter den Maßnahmen der 
Regierung stehen werde. 
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