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Metadata: H:Kracauer, Siegfried/01.03/Klebemappe 1923 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

HnvrÜL, , -2.-Ah. 
Die Quäker. 
- -- Auf Einladung des Bundes für Mutterschutz 
sprach Donnerstag abend Dr. Alfons Paquet über Wesen 
und Ziele des QuäkerLums Der Redner erinnerte zunächst 
an das allbekannte Wirken der Quäker in jüngster Vergangen 
heit. Wie sie schon während des Krieges sich helfend ein setz 
ten, so bewährten sie auch nach dem Krieg überall, wo es not 
tat, ihre großzügige und schlichte Hilfsbereitschaft. Sie waren 
in Rußland zur Stelle als dort die Hungersnot ausbrach 
und verlegten ebenso ihre Tätigkeit nach Deutschland, um hier 
das drückendste Elend zu lindern. 
Zum Verständnis ihres Wirkens ist ein Blick auf ihre 
Geschichte geboten. Der Redner schilderte die Anfänge 
der Bewegung in der Zeit der Cromwellschen Bürgerkriege, 
einer Epoche, die an Zerrissenheit ganz der unsrigen glich. 
Junge, religiöse Menschen, die sich selber die „Sucher" nann 
ten, durchstreiften damals das Land, um zu erkunden, was 
werden solle. In ihrem Kreise wuchs auch George For, 
der Sohn eines Webers, auf. In Opposition zu der Kirch- 
lichkeit seiner Zeit stehend, legte er in der Kathedrale zu 
Nottingham zuerst Zeugnis ab von dem ihn bewegenden 
Geiste. Er fand natürlich viele Gegner und mußte Jahre 
im Gefängnis zubringen. Bald mehrte sich die Schar seiner 
Anhänger; sie hatten schwere Verfolgungen zu erdulden, ob 
wohl sie nur für friedliche Ziele eintraten. Man siedelte sie 
strafweise in den neuen amerikanischen Kolonien an, aber die 
Strafe erwies sich als Wohltat, gewährte sie ihnen doch Ge 
legenheit, an der Gestaltung eines Staatswesens tätigen An 
teil zu nehmen. Zumal in Pennsylvanien konnten sie durch 
den Abschluß von Verträgen mit den Indianern ihr JdeÄl 
des Friedens praktisch auswirken. Mit den englischen Kolo 
nisten vermischten sich bald deutsche Pietistische Auswanderer, 
und enge Beziehungen spannen sich vor allem zu Frank 
furter Kreisen an. 
D:e Gedanken, denen das frühe Quäkertum diente, sind in 
der Folgezeit nie verloren gegangen. Nicht nur für die 
Sklavenemanzipation in Amerika haben die Quäker Große- 
geleistet, sie haben auch ihren Einfluß in der französischen 
Revolution geltend gemacht und auf den Zaren Alexander 
persönlich eingewirkt. Eine ihrer großen Gestaltet! aus neuerer 
Zeit ist Elisabeth Fry, die ihr Leben in den Dienst einer 
Besserung des Strafvollzuges stellte. 
Nach dem Ausspruch eines bedeutenden Führers der Quäker 
ist ihr ganzes Wirken, das sich in der Gegenwart zu unerhörter 
Aktivität gesteigert hat, als „P rophetentum der Tat" 
zu begreifen. Sie selber empfinden ihre Arbeit an den Men- 
lchen als Arbeit am Reiche Gottes Nicht allein in praktischen 
Handlungen drückt sich jenes Prophetentum aus, eS gibt sich 
auch in ihren Andachten und Versammlungen kund und be 
stätigt sich neuerdings wieder in der Gründung des Londoner 
Komitees für internationale Arbeit, einer Art von Wel^ 
zentrale, die ihre Gesandten in alle Teile der Welt entbietet, 
damit sie auf friedlichen Ausgleich und Gerechtigkeit dringen. 
Schönstes Dokument solcher Gesinnung ist der in diesem Jahre 
vom Komitee erlassene Aufruf an die Völker und Regie 
rungen, der sich gegen den Vertrag von Versailles und seine 
Ausführung richtet. 
Was können die Quäker uns bedeuten? Sie sind uns Trost, 
weil sie durch ihr Sein und Wirken immer von neuem beweisen, 
daß selbst in diesen dunklen Zeiten noch Menschen leben, die 
das Licht der Wahrheit hüten und über der Gerechtigkeit 
wachen. Durch ihr Verständnis für jede Situation mögen 
sie uns in vielen Dingen zum Vorbild werden. Wesentlich 
für uns ist zumal ein Verständnis ihrer Religiosität, 
d e praktisches Handeln mit einem starken Glauben vereint, ge 
schäftliche Tätigkeit verbindet mit einem inneren Sicherneuern 
und derart dem ganzen Leben einen sakramentalen Charakter 
verleiht. Lr. 
--- Eine Film-Dexierposse. Der in den U.-T-L-chtspielen vorge- 
führle Film: „Seine Frau — dle U n d e k a n n l e" be- c ht 
eigentlich aus zwei Stücken, d e ohne ersichtlichen Grund miteinan 
der verwoben sind. Das erste Stück, da^ als Tragödie eines B! n- 
den andebt, schnappt plötzlich ohne Pointe ab, ist a!so genau be 
sehen überhaupt kein Stück, oder nur das Sück eines StiÄes. TaZ 
zweite Stück, das nicht allein deshalb zam Lachen reizt, wei! es sich 
als Lustrpiel gibt, verdankt seinDasem der lächerlichen EtteUcit 
des jungen Eheweibs jenes Blinden, der durch irgend eme Bwn- 
dcrkur sein Augenlicht m Amerika wieder erhalten hm Nach 
Winer Rück hr gibt sich nämlich die merkwürdige Frau dem nun 
mehr sehenden Gemahl nicht zu erk nnen, da sie den Ehrgeiz hat, 
von chm erkannt zu werden. Er tut ihr aber den Gefallen nicht, 
und so Verschwender sie als verschmähte Ganin, um als Fr.m e, 
die ihren Mann neu erobern möchte, in sein Haus wieder cin- 
zuz ehen. Die Posse, die auch pikanter Entkleidungsszenen nicht 
emb.hrt, löst in ihrem Verlauf die folc-enden Vexiersragen : Wre 
kann eme Frau auf sich leider erfeuüchtig werden? Und: 
Wre gelingt es einer Frau, sich ihren Mann abspenbig zu 
machen und ihn dadurch zur Untreue gegrn sie zu verleit..n, 
dak sie ihn selber verfuhrt? Der ingemöse Erfinder dieser un 
wahrscheinlichen Weiberlogik bat sicherlich gemeint, ihre Un- 
wahrscheinlichkeit tauge eigens für den F lm; indessen, die.Vnno- 
logik, ist sie auch nicht minder umvahrftl einlich,darf doch virbt ohne 
weiteres gle chgZetztz werden mit den vielleicht wahrscheinlichen 
Capricen eines ausgesucht albernen Geschöpfes Das Ganze endet 
mit Versöhnung und Kuß, und unbean woriet bleibt lediglich die 
Frage, wre em Mann m;t eu er solchen ( aus von Frau fürder zu 
sammenleben könne. Doch rst das Kmo schließlich nicht dazu da, 
daß man sich über fremde Angelegenheuen den Kopf zerbrich^ 
Als Darsteller ragen LrlDagover und Willy Fritsch hervor. 
— Der vorangehende amerikanische Film „FrxundFax ais 
Lufrschiffer" ist ein ausgezeichnetes Beispiel grösster 
Komik, die sich ganz an die Oberfläche zurückgezogen hat. r av. 
- -- ^Türkische AschitBtur.I Im großen Rundsaal des 
Frankfurter Völtermuseums ist zurzeit eine Ausstellung 
von zeichnerischen und Photo graphischen Aufnahmen türkischer 
Architektur zu besichtigen, die sehr sinnfällig das rege wissen 
schaftliche Interesse bezeugt, das man m Deutschland, ganz un« 
a5h'<:aig von unseren Wirtschaftsbeziehungen zum Orient, der 
türk scheu Kultur entgegenbringt. Ihr Veranstalter, Dr. Jng. 
Karl linghardL, der vor dem Krieg ein Reform-Architek 
turbüro im türkischen Kultusministerium leitete, hat sein um 
fangreiches Material auf einer Studienreise zusammengetraaen, 
die er 1913 in das Entstehungsgebiet der osmanischen Architektur 
unt-rnahm. Unterstützt durch Dr. Halil Bey, den Direktor der 
ehemals kaiserlichen Museen, und den türkischen Generalbau- 
dir^ktor Ke-malhe-in Bey, fand er Einlaß in Bauten, die euro- 
pän^'m Märchen bisher verschlossen waren, und konnte so die 
- tigte Erkundung des eigentümlichen Wesens türkischer 
Da -.st erschöpfend durchführen. Seine Forschungen beweisen, 
'da^' osmanischer Machtwille griechische Vorbilder, indische Ein 
flüsse, seldschukische, persische und arabische Anregungen Zu einem 
neuen Ganzen vor; eigener Struktur verwoben hat. Groß 
zügigkeit und repräsentative Note der architeltoruschen Anlage, 
Reinigung und Vereinfachung des Durcheinanders der Vorge 
fundenen Stile und Abstreifung allzu üppiger orientalischer 
Phantastik: das ungefähr sind die Merkmale de? Bauwerke, 
die auf Geheiß der Sultane von griechischen Architekten und per 
sischen Fayencetöpfern in schneller Folge geschaffen werden. 
Die Studien Dr. Klinghardts erstrecken sich vorwiegend auf 
den Zeitraum oon Beginn des 13. Jahrhunderts bis zur Erobe 
rung Konstantinopels im Jahre 1453, auf jene Epoche also, in 
der die osmanischen Eroberer von Eskischehir aus nach dem 
Bosporus und den Dardanellen vorgedrungen sind. Zahlreiche 
Blätter veranschaui Hern ihr bauliches Wirken in dem 1226 ein? 
genommenen B r u s a, das sie mit rhren Bauten gerade über 
säen. Man begegnet hier frühen prunkvollen Moscheen von 
festungsartigem Charakter, die entfernt an christliche Kirchen 
erinnern, Medressen (Universitäten) und Speisehäusern für 
Arme, den sogenannten Jmarets; in den Gärten stehen die 
kleinen kuppelüberwölbten Turbes (Grabkch llen), einige von 
ihnen Ruhestätten osmanischer Prinzen, deren Turbane die Sar 
kophage zieren. Diese Bautypen kehren in reicherer oder gerin 
gerer Ausstattung immer wieder. Nicht selten entfalten sich 
bei U-ebergängen vom Rechteck ins Gewölbe verschwenderisch 
wuchernde Stalaktiten, oft auch werden die Flächen mit einem 
herrlichen Favencemantel umkleidet, wie etwa das Beispiel des 
einzigartigen Minarets der grüi en Moschee zu I s n i k (dem 
alten Nicäa) lehrt. — Besondere Aufmerksamkeit hat Dri Kling- 
hardt den Bädern gewidmet. Zwei Systeme dieser Profan 
bauten tauchen nebeneinander auf: der an die römischen Ther 
men arrllmgende Zentralbau, der in Brussa z. B. selbständige 
Ausgestaltung erfährt, und das System der türkischen Schwitz- 
kammer (Haman), das in mannigfachen Kombinationen, vom 
großen Prachtbau Lei Jsnik an bis zum kleinen Vad an der 
Straße nach Brussa, verwirklicht wird. — Berücksichtigt sind auch 
einige der gewaltigen Bauten aus dem Anfang des 16. Jahr 
hunderts, die ihrer Ausdehnung nach an Anlagen des Barock 
erinnern. Man steht z. B. die Mustafa Pascha Moschee zu 
Gelse, einen ungeheuren Komplex, der außer der Moschee 
selber noch Logterhäuser, Armenküchen, Universität, Bibliothek 
und Kloster umfaßt und bereits Einflüsse aus dem kurz vorher 
eroberten Aeghpten spüren läßt. 
Diese märchenhafte steinerne Welt ersteht aus einer Ueber- 
fülle architektonischer Aufnahmen. Photographien vermitteln den 
Bildeindruck und zeichnerische Darstellungen, die das Fayencedetail 
ebenso festhalten wie den Grundriß und die Fassaden, ermög 
lichen die genaue Rekonstruktion. Die schönen Blätter, von 
denen vorech nur ein Teil fertig ausgearbeitet vorliegt, erwecken 
den Wunsch, es möge das Ganze bald zu einer Monographie 
über die ersten Jahrhunderte türkischer Baukunst vereinigt werden. 
Lr.
	        
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