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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.04/Klebemappe 1924 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

dessen, was fehlt? 
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Zwei typische Nöte, denen die neuen KunsLerasketen "immer 
wieder verfallen, lehren deutlich, daß der Gestaltung jener Zwi 
schendinge Zum Teil die reale GesamtstLuatisn säber Wider 
stand leistet. Einmal führt die Besinnung auf die Wichten 
Grundformen zu einer Art von Substraktionsverfah- 
xen: man zieht von den voll ausgerüsteten Stücken einfach die 
sogenannten Ornamente ab und erklärt den kärglichen Rest zur 
Form schlechthin. Indessen, durch bloße Negation wird das 
Positive noch längst nicht erlangt — O sei denn in umgekehr 
tster Fichtescher Dialektik, die das Ich aus dem Nicht-FH ent 
springen ließe — und an den mond anen Ergebnissen steht man 
sich allzu schnell satt. Zum andern kehrt man zur Form nur 
zurück, um die Form selber sogleich wieder ornamental 
rmWrMM Man HM ihre MöAn zwar ttW W, ArK ober, 
bloßes Dasein schon die Berechtigung der Wsckbundaus- 
stellung ^Die Form". 
MeMNnLaussLellung: „Die Form". 
Der Name „Kunstgewerbe" hat im Lauf des letzten Jahr 
zehnts mit gutem Grund einen üblen Beiklang erhalten. Er r 
trifft jene Gebilde der Werk- und Kleinkunst, die entweder, 
beziehungsloser Eigenbrödelei entstammend, eine unrechtmäßige 
Selbständigkeit stch anmaßen oder das Erzeugnis romantischen 
Fluchtwillens sind, der von verblichenen wirtschaftlichen, kul 
turellen und künstlerischen Traditionen nicht lassen mag. Ge 
meinsam ist ihnen allen, daß sie stch den Bedingungen des 
realen Lebens entziehen und darum innerer Notwendigkeit 
entbehren. 
Angesichts der Ausartungen des mißleiteten „Kunstge- 
weröes" erlangt die von der Württembergischen Ar 
beitsgemeinschaft des Deutschen Werköunds in dessen 
Auftrag durchgeführte Ausstellung: „Die Form" program 
matische Bedeutung. Die These, auf der sie stch aufbaut, stimmt, 
äußerlich' zum mindesten, mit der in Wien einst verfochtenen 
Forderung: „Los vom Ornament" überein, einer Forderung, 
die inzwischen nicht zuletzt deshalb mißachtet worden ist, weil 
die unkontrollierten Ansprüche der Neureichen stch Befriedigung 
erzwängen. Die Veranstalter der Stuttgarter Schau nämlich 
sind der Auffassung, daß der jetzigen Situation nur eine Kunst- - 
Übung entspreche, die unter Verzicht auf schmückende Zutaten ! 
Zunächst danach trachtet, den Gegenständen eine gebotene Form 
zu verleihen. Freiwillige Selbstbeschränkung und Besinnung 
auf das sachlich Geforderte: so lautet die unsentimentale 
Losung, in deren Zeichen die Ausstellung steht. 
Eine Gestaltung der Dinge aus dieser asketischen Gesinnung 
beraus scheint in der Tat der einzige Weg, der gegenwärtig mit 
Anstand beschritten werden kann — freilich ein Weg nicht 
eigentlich, sondern ein Engpaß eher, von dem stch vorab kaum 
auswachen läßt^ wohin er denn führe. Die geistige Wirklichkeit, 
die der Nährboden unseres Erbes an Zierformen war, ist nicht 
mehr, die gesellige Kultur, in deren Mitte die geschmückten 
Dinge gediehen, hat in immer zunehmendem Maße den Zer 
streuungen der Masse das Feld geräumt Hinzu kommt, daß 
auch, rein wirtschaftlich und sozial gesehen, die betont indivi 
duelle Behandlung der Gelwauchsgegenstände stch verbietet; ein 
Volk, das stch das Notwendige erarbeiten muß, bat dieses Not 
wendige zuerst zu gestalten, bevor es seine Kräfte aus die 
schönen UeberWssigMten des privaten Lebens verwenden kann. 
Gebricht es aber an den geistigen und praktischen Voraussetzun 
gen für die ornamentale Ausbildung, des Nutzdings, so ist ein 
Verharren bei ihr Lüge und Schein. Was ^ruher Symbolg-ewalt 
ständen Zu gehorchen ist, und anders als bei Ziergeräten wird 
hier die PAmMe von vornherein in eine feste Bahn gelenkt. 
Als BeifpÄ nur seien die Bosch-Fabrikate herausgegriffen, 
^'utolampen und Zünder, die mit ungemeiner Genauigkeit das 
eheißene auf die letzte Formel bringen^ Auch die Eisew- 
öftn dO Frankfurter ArMtekten Krämer etwa oder die 
schweren Offenbacher Lederkoffer sind Gebilde von gleicher 
Dichte und Konsequenz. Wie sehr die Formsicherheit dieser 
Bedarfsartikel, Zu denen noch Gegenstände der Haushaltrmg 
und andere Stücke treten, mit ihren Grund in dem realen 
Zwang hat, der sie gleichsam vorsormt und dem willigen 
Interpreten auf die richtige Spur verhilst, wird indirekt da 
durch bewiesen, daß überall, wo das Schöne an stch gefordert ist, 
die objektiv ungebundene Gestaltungskraft das von ihr frei 
zu Setzende leicht verfehlt. Die wenigen Vorgefühlen Edel- 
steinfaffungen sind willkürliche Schöpfungen, die der Hast er 
mangeln; mrf diesem Gebiete erscheint es immer noch ratsamer, 
die Formen des vergangenen Lebens zu bewahren, als Neues 
gewaltsam zu züchten, das unserem Leben nicht entspricht. 
Zwischen dem Reiche der DechnA und dem des Win 
Schönen, in der Mtte von Zw^k und Ausdruck, Retorte und 
Schmuck sind die meisten Dinge der Werkkunst zuhause—sofern 
es gerade ein Zuhaufe für fie gibt. Objektivs Erfordernisse 
walten über ihnen, aber auch die Seele will ste mit sich erfüllen. 
Möbel, Tücher, Vasen, Kannen, aus vielerlei Materialien ge 
bildet: ihre Form entquillt verschiedenen Gründen, und selten 
nmg es so schwierig wie heute gewesen fein, die rechte in ihnen 
zu finden. Enthaltsamkeit von jeder künstlichen Zutat soll 
ihnen die Beziehung Zu imserem Leben zurückgewinnen; doch 
ist der Rückgang zur puren Sachlichkeit schon ihre Rettung, ist 
Meldung erlogener Zutat mehr als das ehrliche EmgestE 
besitzen mochte, wird uns zur Attrappe, was in einem wirklichen 
Verhältnis Zwischen den Menschen gründete, behauptet stch 
fort als substanzlose Larve, die vergeblich ihre Bedeutung 
erfragt. 
Nichts anderes ist mit der Losung des Werkbunds gemeint 
(oder darf doch mit ihr gemeint sein), als daß die Gestalt der 
Dinge sich in die Wahrheit setzen solle. Technik und Industrie 
sind die herrschenden Mächte der Gegenwart, und wirtschaft 
liche Notdurft meldet in ihr sehr dringlich ihre Bedürfnisse an. 
Dem Zwang dieser Realitäten muß auch die Bildung der 
Gegenstände Genüge tun, wenn sie sich aufrichtig zu der Welt 
verhalten will, die nun einmal die unfrige ist. Gefordert wird 
aber heute von den Dingen, daß sie sachgemäß konstruiert sind, 
daß sie, sofern es sich um Massenerzeugnisse handelt, die un 
glaubwürdige Geste der Jndividualschöpfung vermeiden, und 
daß sie die in der Zeit wirksamen Kräfte sinnfällig ausdrücken 
und wiederspiegeln. Das ist wenig, doch mehr als das Vor 
gegebene ästhetisch d-arzubietm, wäre ein Trug. Und wird 
die Ablehnung des Ornamentes nur richtig verstanden, so be 
sagt sie eben dies: daß man die Bedingungen endlich an- 
erkenne, denen das Getriebe der Gegenwart unterliegt, und 
durch ihr Überspringen den Gebilden die mögliche Substanz 
nicht vorenthalte. Sie gebietet Bescheidung, damit wir Grund 
fassen, sie begelnt Nacktheit, damit keine Illusionen mBr die 
Ralität verdrillen 
Die AufnHmekomnnssion, der außer dm Geschäftsführer 
Herrn Stotz (Stuttgart) die Herren Geh. Rat Dr. Bruck 
mann (Heilbrorn) und Geh. Rat Pwf. Riemers chmid 
(München) angehörten*), hat diktatorisch ihres Amtes ge 
waltet, und so zeigt die Ausstellung reinlich an, in welcher 
We'se etwa jene Grundsätze heuie verwirklicht werden. Ibre 
Gliederung und ihr Aufbau sckwn, vom Achi^ekLen Pros. G. 
Schneck (Stuttgart) zielbewußt durchgeführt lassen d'e W- 
sicht des Ganzen erkennen: nur das Unerläßliche wird vor 
gewiesen, und alle Gegenstände kommen vor neuwalem H'nt-'v- 
gründ durchaus als Einzelstücke zur Geltung. Da sie in 
nüchterne Helle gesiegt sind. mMen sie un^ckminki sich be 
währen. 
Nicht zu verkennen, daß (ähnlich wie in o.- ..Bauaus 
stellung") die technischen Dame die gemäßeste und 
lauterste Form erhalten haben. Ihr N.stimmn-gszweck erlegt 
von außen her No'wendchkell n auf, d ^en nnsier eben Rm- 
indem man sie Zackt und windet, hinreichend dafür, daß ste sich 
eine Blöße nicht gibt- Wodurch die eigentlich doch angestreots 
Ofienbamng ihrer Reilcheit voreilig verhindert wird. 
Was diese oft fein durchgebildeten Halbheiten weinen — 
Halbheiten, die untief sind, weil sie den Ernst der Sitzratwn 
nicht ganz in Rechnung setzen, und tief wi^erum, weck sie der 
Situation Zum Trotz, die versagte VollgehQlLrMt dock) dar 
stellen wollen —: die Oesterreichs allein haben es erreicht. Dre 
materialgevÄ)ten Arbeite der Wiener Werkstatte und 
des Oesterreichischen Werkbundes sind von erner 
Zartheit und Ausgeglichenheit der Form, wie 1« nur den Nutz 
nießer» einer alten, in das Sinnliche sich himnigenden Km- 
tur qevade noch zugänglich sein mag.. Ein leichter HmrtMüt 
allerdings geht von diesen so süßen wie verderblich 
Gebilden aus; man spurt, daß sie ein spatschones Ende h 
zeichnen, dem keiUe Nachfolge mehr blüht. In Dmitschland W 
der Bruch mit der Wirklichkeit, aus der ste erwachsen, bereits 
allzu fühlbar geworden, als daß ihre naiv-fragile Vollkommen 
heit uns noch beschieden sein könnte. 
Die vielleicht urwollkommenen, aber radikale» LSsruW- 
versuche, die den industriellen und wirtschaftlichen Realitäten 
des entzauberten Lebens angemessen stch verhalten, sind hier 
darum die wesentlichen. Voran die Schöpfungen des Staat 
lichen Bauhauses zu Weimar das den Konstruktivis 
mus zum Prinzip erhebt. Seins Schränke und Schachflglwm 
sind von kubischem Fanatismus besessen, seine Stichle werden 
in unsere maschinelle Welt von einer Logik heraufgezwuwgen, 
die ste zu Ssitenstücken der Hohlplastiken Archipenkos macht. 
die dogmatisch« Stilisierung der Konstruktionselemente 
E zu neuer Romantik verleite, ob der Engpaß sich nicht am 
Ende «ils Sackgasse erweise — wer wollte leichthin es saM? 
Gewiß ist: in dieser Richtung muß gedacht und MIdet 
werden, denn ihr furchtloser Nihilismus zielt aus die Wahr 
heit hin. 
Manche wie Herre, von dem die straften Plakate her 
rühren, oder auch Docker übertrumpfen beinahe GropiuZ an 
FolgerichtiMt, wcs nicht heißen soll, daß ste hi AÄe so 
näher kämen. Im Gegenteil: ihrer Eisenbetonhastrgkert droht 
die Erstarrung, und die zu weit getriebene Konsequenz führt 
sie aus dem Leben heraus, dem nur ein rechtzeitiges W- 
biegen von den wie immer gültigen Prinzipien wieder zu- 
tra gen kann. 
Nachaiebig in diesem Wen Sinne sind Ms Möbelentwürft 
von Pros. Schneck,'die stets neue Kombinationen der typi 
schen KonstrMionsmSKWeiten bringen. Sie hauchen den 
> Notwendigen, das Ae n^erchs MMMW, ÄM W«
	        
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