Der Dichter im Warenhaus.
Berlin, im SepLeMer.
In einem bekannten Warenhaus des Berliner Ostens finden Zur
Zeit um die Stunde, in der man den kivs o'oloek tes. einzunehmen
pflegt, literarische und musikalische Veranstaltungen statt. Ich habe
dieses Warenhaus schon öfters besucht, ohne je seiner Beziehung
Zur Kunst innegeworden zu sein. Es ist ein stolzes, drohendes
Warenhaus, das sich wie eine Bastei inmitten der Proletarier
gegend erhebt und einen Dachgarten sein Eigen nennt, auf dem
man hoch über allem Menschlichen wohnt. Sein Inneres ist ganz
nach modernen Grundsätzen eingerichtet. Die Aufzüge, deren Türen
sich mit einem einzigen Hebeldruck öffnen und schließen lassen,
fahren gleichsam von selber hinauf und herunter, die Rolltreppen
rollen unablässig, auch wenn sie niemand betritt, die Verkaufs
stände sind wie für die Ewigkeit aufgebaut, die Verkäuferinnen in
ihrer braunen Tracht funktionieren wie feine Apparätchen, und
durch die breiten Gänge wälzt sich, einem Blutkreislauf gleich, der
Strom des Publikums in vorschriftsmäßiger Richtung. Im Augen
blick fließt er allerdings der Arbeitslosigkeit wegen etwas dünn und
füllt das Flußbett nicht aus.
Dieser wunderbare Mechanismus also hat sich zu Beginn der
Wintersaison auf Kunst eingestellt. Bald werden die Bäume ihre
letzten Blätter verlieren, und dann wird es im Inneren ansangen
zu grünen und zu sprießen. Bücher werden gekauft werden und
Klavierauszüge, und die ganze Bevölkerung mit Einschluß der
Nationalsozialisten wird sich in die Stuben Zurückziehen, wo es
warm sein wird, vorausgesetzt, daß man die nötigen Kohlen be
zahlen kann. Die Zeit für das Geistige und die Hausgenüsse ist
wieder einmal gekommen.
Für einen Betrag, der gering Zu nennen ist, weil er nicht nur
die Anwartschaft auf einen Dichtervortrag, sondern auch auf ein
Gedeck gewährt, erhält man Einlaß in einen der Speisesäle des
Warenhauses. Der Speisesaal ist holzgetäfelt, nüchtern, wie die
Zeit es verlangt, und kolossal wie ein richtiges Etablissement. Wäre
er nicht voller Menschen, die den Dichter erwarten, so gliche er
einem gewaltigen luftleeren Raum. Zum Glück enthält er mehrere
Telephonzellen, in denen man sich mit der Außenwelt verbinden
kann, und daß seine Glaswände den freien Durchblick auf die Ver-
taufsabteilungen erlauben, ist immerhin tröstlich. Es gibt eine Ab
geschiedenheit, deren Hohlheit schlechterdings nicht zu ertragen ist.
Der Dichter besteigt das niedrige Podium. Der Dichter heißt
Heinrich Mann. Es ist eine kuriose Begegnung, die sich hier
zwischen ihm und der Warenhausmenge vollzieht. Verdrießlich nur,
daß sich sofort ein photographischer Apparat wie ein Gewehrlauf
gegen ihn richtet und neben dem Rednerpult ein beflissenes Mikro
phon die ganze Rede verschluckt. Warum in aller Welt muß immer
alles gleich in alle Welt? Die Veranstaltung an diesem Ort erreicht
doch wirklich schon Menschen genug. Ihnen ist die Stunde zuge
dacht; von Angesicht Zu Angesicht gesprochen, hat die Vorlesung
einen Sinn. Der aber geht verloren, sobald die armen Worte auch
noch in den Aether gejagt werden, um eine unbegrenzte, unbekannte
Zuhörerschaft zu behelligen. Solche Wellenspiele sind eine nutzlose
Spielerei.
Der Dichter liest, und es ist, M ob ein leichter Nebel die
braunen Kellnerinnen umhülle, die behutsam servieren. Während
die Tassen zum Mund geführt werden, rauscht und surrt der Vor-
trag wie ein Speisewagen. Das Publikum bemüht sich, die Schlag
sahne lautlos zu löffeln. Abgesehen von einigen besser aufgemachten
Fremden, die wie bezahlte Statisten wirken, und vereinzelten An
gehörigen der literarischen Welt und Halbwelt, besteht es in der
Hauptsache aus eingeborenen Mittelstandsfamilien. Diese Jüng
linge, Mädchen und Eltern, die Angestellte oder Beamte sind, haben
sich für den Samstagnachmittag nett zurechtgeputzt. Sie lauschen
andächtig, sie freuen sich, daß sie wie in einem eleganten Hotel
einer Conference beiwohnen, daß die berühmten Dichter zu ihnen,
und sie zu den berühmten Dichtern kommen und daß sie alles ver
stehen, was dieser Heinrich Mann ihnen erzählt. Er liest aus
seinem neuen Romans eine Voxkampfszene, in der k. 0. ge
schlagen wird, und eine aufregende Reise im Flugzeug. Die Dichter
sind heute schick; sie gehen, nein, fliegen mit unserer Zeit. Hinter
den Glaswänden ertönen Grammophone, rollen die Leute stumm
und automatisch wie Schießbudenfiguren, die nicht getroffen wer
den, auf den Rolltreppen hinan. Aber das Publikum ist so ver
zaubert, daß die Grammophonschlager nicht hereindringen, die
rollenden Figuren sich zu Schatten verflüchtigen und in den Tels-
phonzellen die Drähte abgeschnitten zu sein scheinen.
Der Vortrag ist aus. Wir erfahren, daß der Dichter jedes ge
Leder und Mode.
vis internationale veäersobau in Berlin, deren in unserem Ran-
dslsteil gedaebt worden war (vergl. äis ^usgabs vorn 16. 8spt.), ist s
Lnnr gesoblosssn, absr äis ibr eingekügts 8ondsrsebau: „v säsr >
unä Noäe" -- sis ist in äsr RunkbaBe am Laissrdamm untergs-!
braebt — bleibt noeb bis ^nkang Oktober gsökknet. Bis riebt einen
Quersebnitt dureb äis vedsrerreugnisss äsr Leiten unä Völker, äsr
alles anders als ledern ist. Ibre Reiobbaltigkeit verdankt sie sum
ZroLsn ^sil äsn Lokätrsn äss vsutseben vedermuseums
in Okkeebaeb, äesssn 8eböpker Rrok. Hugo Lbsrbardt eins 8ammlung
rusammengetragen bat, äis ksin Raunst- oäer Lulturbistoriker vsr-
naeblässigen äürkts. vsnn äas vsäer ist sinss zsnsr Orunäinats-
riaüsn, äas im Dienst äsr Lnsek- unä ^usäruoksdsäürknrsss äsr
Nsnssksn von äsn vrimitivsn an bis Lur Os§sn^art äis visMltiAsts
VsrnsnäunA Sekunden bat. lob dsSnüSv miok mit einiSsn 8tiok-
vrodsn, äis nur Ssraäs einen Begrikk von äem IImkanS der Ss-
sekiekt und üdersielitUcrk arrangierten Ausstellung geben sollsn.
Ls nsrdsn gezeigt: zavanisebe unä siamssisebs Lobattenspisls, äeren
Figuren von unnennbarem ksir sind; Buobeinbände, Räsonen,
Lasten, lapeten aus den versebisdeven äabrbundertsn; bistorisebe
^raebten und einzelne Lleidungsstüeke nie Lebubs und Oürtek
Linen Lauptteil dieser Ledernelt nebmen natürlieb die krisge-
risobsn vtensilien und äas Bkerdsgesobirr ein. vie luaregZ nwsdN
möräerisebe Oesellen sein, aber äie 8ättel, auk äenen sie ibre beinde
niederstreoken, sind vraebtstileke, dis kriedbeb glmLsn. Labllos sind
die Bsb^ertgebLnge und die 8ebildsr, unter denen die indisoben mrer
8ebönbsit negen bsrvorsteoben. 8is sind aus transparenter Las-
bornbaut angskertigt, deren vurebsiobtigkeit man den dieksn Diersn
nie rugstraut bätte. 8ebmüekte man krüber die mibtLrisoben Instru
ments künstlerisob aus, so gsbt man bsute auk diesem 6ebmt boebst
prosaiseb 2u Werk, vie veäerausrüstung der 8obupo, der Deuer-
Webr und der Gruppen, die in niedreren Räumen vorgekubrt vurd, ist
niebts sonst als nüobtern und bandkest. ^ber aueb die ^riegs-
mstboden babsn za aukgebört, romantiseb ru sein, vm so mebr sind
die modernen vuxusv^aren von den Orundsätren der Individual-
psvebologis durobdrungen. vedereinbanäs, 8ebub-lverk das strotrt
von kunstgsEbbober veinbeit. Besonders entrüokenä sind viele
Oegenständs in den äer Reise gewidmeten Vitrinen, vas kommt,
davon, weil wir so gsrne reisen. Rr. !
kaufte Exemplar seiner Romane auf Wunsch eigenhändig signieren S
wird, und entnehmen daraus, daß der rauschende, surrende Speise-!
wagen an seinem endgültigen Bestimmungsort eingetroffen ist Das
Dichten hat aufgehört, das Geschäftsleben nimmt seinen Lauf Die
Glaswände weichen auseinander. In der Uhrwarenabteilung ticken
oie Uhren m der Spielwarenabteilung rasseln die Autos. Immer
fort rollen dre -reppen, gleiten die Aufzüge hinauf und herab Sie
werden bis zum jüngsten Tage rollen und gleiten. Draußen ist der
Abend angebrochen, und Straßen, in denen viel Elend wohnt
laufen aufs Warenhaus zu. S. Krakauer, '!