Kresse und öffentliche Meinung.
Berlin, Ende September.
Der preußische Kultusminister Herr Grimme machte in
der Ansprache, die er dieser Tage zur Begrüßung des 7. Deut
schen Soziologentages hielt, die witzige Bemerkung, daß die
Soziologen, wenn sie einmal tagten, die Chance hätten, ihren
Kongreß selber als einen Gegenstand der Soziologie auffassen
zu können. Eine scherzhafte Anregung, die ernsthaft verwirk
licht werden muß. Es ist in der Tat notwendig, wo nicht die
ganze Tagung, so doch den Verlauf der öffentlichen Haupt
versammlung soziologisch zu beleuchten.
Jhr Thema lautete: „Presse und öffentliche
Meinung". Ich nehme den Gesamteindruck vorweg, wenn
ich das Urteil eines der beiden Hauptreferenten anführe, der
am Ende erklärte, daß die Aussprache einen außerordentlichen
Mangel an Vertrautheit mit den behandelten Pro
blemen verraten habe. (Dabei fließen Quellen genug, aus denen
sich schöpfen ließe; es sei vor allem an Otto Groths Standard
werk: „Die Zeitung" erinnert.) Schon äußerlich trat eine
gewisse Lustlosigkeit zutage. Die Versammlung war, beson
ders bei der Nachmittagsdiskussion, nicht eben gut besucht. Es
blieben Gelehrte aus, die eigentlich das Wort hätten ergreifen
müssen, es fehlte die erregende Atmosphäre, in der sich wich
tige Diskussionen sonst zu vollziehen Pflegen. Der lauen Stim
mung entsprachen matte Auskünfte. Man brächte Meinungen
vor, die nur gerade Meinungen waren, wie sie jeder gebildete
Laie hat, und begnügte sich damit, bedeutende Komplexe zu
streifen, ohne in ihr Inneres zu dringen. Kaum je stieß erm
Redner zum Kern vor.
Woher rührte die Unergiebigst? Sie mag einen methodi
schen Grund haben und einen — soziologischen. Jener besteht
darin, daß anscheinend immer noch manche Soziologen das
idealistische Wissenschaftsideal vergötzen, das sich in gewissen
Stoffschichten, dort nämlich, wo von Rechts wegen die konkrete
Aussage am Platz ist, nun einmal nicht verwirklichen läßt.
Ein Problem wie die Presse und die öffentliche Meinung kann
einzig und allein im Material selber auskonstruiert werden.
Das heißt, um zu greifbaren Erkenntnissen über die Funk
tionen der Presse, über ihr Verflochtensein in Wirtschaft und
Politik usw. zu kommen, wird man diese Erkenntnisse durch
die Analyse exemplarischer Fakten und Einzelfälle auffinden
müssen. Man tat mehr als einmal das Gegenteil. Statt in der
engen Tuchfühlung mit dem Material Einblick in seine Struk
tur zu gewinnen, unterstellte man es häufig in Bausch und
Bogen der einen oder andern allgemeinen Formulierung.
Empirische Tatbestände jedoch wollen von innen her erschlossen
und nicht von oben her gefolgert werden, sie erteilen Antwort
nur dem, der sich wirklich mit ihnen einläßt. Da das viel zu
selten geschah, da man sich im großen und ganzen ihnen gegen
über spröde verhielt, blieben auch sie spröde wie ungeliebte
Personen. Und eine Anzahl von Erkenntnissen erreichte zwar
eine hohe Allgemeinheitsstufe, war aber dafür unverbindlich
und leer.
Das Desinteressement, von dem die Verhandlung zeugte,
hängt ersichtlich mit unserem gesellschaftlichen Zustand zu
sammen. Jene Anteilnahme am Problem der Presse, die eine
Grundbedingung fruchtbarer soziologischer Aufklärung wäre,
hat eine inhaltlich bestimmte Einstellung zur Voraussetzung.
So gewiß die Presse ein politischer und wirtschaftlicher Macht
faktor ist, ebenso gewiß ist die Erforschung ihrer Beschaffen
heiten an eine politisch und wirtschaftlich durchgesormte
Haltung geknüpft. Je konkreter die Materie, desto weniger
ergibt sie sich einem Betrachter, der seine Konkretheit ver
leugnet. Die meisten Redner aber scheuten den hier sachlich
geforderten Einsatz, und mitunter hatte man das Gefühl, daß
sie sich zu allgemeinen Thesen nicht erhoben, sondern zurück-
zogen — eine Abstinenz, die sich mehr noch als aus den
traditionellen Vorurteilen der Gebildeten gegen die Tages
presse aus der sozialen Position des Universitätslehrers
erklärt. Sie mag dem gleichen Bedürfnis nach „Sekurität"
entspringen, das Pros. Hans von Eckardt (Heidelberg) in
seinem Vortrag der bürgerliche * n Presse zuschrieb.
Er und Pros. Carl Brinkmann (Heidelberg) waren
die Referenten der Tagung. Ihre Darlegungen wirkten weniger
als einheitliche Leistungen denn als Summe beachtenswerter,
oft glänzend formulierter Aeußerungen, deren einzelne in der
Aussprache aufgegriffen und verarbeitet wurden. Ich teile die
Hauptergebnisse mit.
Immer wieder kamen die Erörterungen auf die verschie
denen Abhängigkeiten zurück, in denen heute die Presse steht.
Man berührte etwa ihre Beziehungen zum Großkapital,
ohne sie freilich genau zu verfolgen. So blieb es bei generellen
Feststellungen wie der, daß die Wirkung einer Zeitung erschüt
tert werde, sobald die Industrie sich ihrer bemächtige. Mit
einer solchen Erkenntnis ist wenig anzufangen; um ganz davon
zu schweigen, daß sie sich im einzelnen nicht bewahrheitet.
Wichtig der Hinweis v. Eckardts auf die Bedeutung der kleinen
Presse, die auch in viel stärkerem Maße als die große politisch
beeinflußbar sei.
Als Mittel der Einflußnahme wurden die Press estel -
len genannt. Beide Referenten betonten ihr Wachstum so
wohl bei den Behörden wie bei den Privatunternehmungen und
machten keinen Hehl daraus, daß sie in diesen Einrichtungen
eine Gefahr für die Bildung einer freien öffentlichen Meinung
erblickten. Die Industrie schreitet, wie Herr von Eckardt tref
fend bemerkte, zur Gründung solcher Stellen, weil sie nicht
weiß, wie sie sich sonst den Zeitungen nähern soll. Aber sie be
weist nach ihm mit der Schaffung derartiger Zwischenglieder
nur, daß sie die Presse unterschätzt. Denn diese wird stets ihre
Informationen lieber bei den führenden Wirtschaftspersönlich
keiten einholen wollen als bei Institutionen, die begrenzte Be
fugnisse haben und selber abhängig sind.
Auch des Verhältnisses zwischen der Presse und den Par
teien wurde gedacht; wobei man allerdings von der eigent
lichen Parteipresse absah und nur die großen Weltblätter
summarisch betrachtete. Herr Stampfer, der Chefredak
teur des „Vorwärts", der in einem historischen Rückblick die
Verdienste der Sozialdemokratie um die Freiheit der Presse
und der Wissenschaft feierte und die Wissenschafter ermähnte,
sich auch ihrerseits der Pressefreiheit anzunehmen, lehnte es
ab, diese Zeitungen noch immer als politische Machtmittel
aufzufassen. Die großen Zeitungsverlage, so meinte er, wurden
am 14. September geschlagen, und Sieger sind die „kleinen.
Wurstblätter" geblieben. Ihm erwiderte Herr von Eckardt,
daß es sich bei der Wahl nicht um Parteien, sondern um Be
wegungen mit neuen organisatorischen Methoden gehandelt
habe. Die allgemine Ansicht schien dahin Zu gehen, daß sich
die bürgerliche Großpresse in einem Prozeß der Ablösung von
den politischen Parteien befinde.
Im Mittelpunkt der Aussprache stand zweifellos die Be
ziehung zwischen der Presse und den Massen. War man
sich darüber einig, daß jene immer mehr auf diese angewiesen
sein werde, so unterschied man sich in der Beurteilung des
Einflusses, den beide auf einander ausüben. Der Ueberzeu
gung, daß die Presse die Massenbedürfnisse von sich aus be
stimme, trat die Ansicht entgegen, daß es das Maffenpublikum
sei, das die in den Zeitungen getroffene Auswahl diktiere.
Ihr pflichteten Pros. Kapp (Freiburg) und Prof. Dovi-
fat bei, der Vertreter der Zeitungswissenschaft an der Ber
liner Universität. (In Wirklichkeit bestehen innerhalb dieses
Gebiets feine Wechselwirkungen, deren Studium sehr auf
schlußreich wäre.) Da von Zeitungswissenschaft die Rede ist,
möchte ich den Lesern das Bonmot nicht vorenthalten, das
Prof. Tönnies, der Senior der deutschen Soziologie, auf
diesen Begriff prägte. Er erklärte sich mit ihm bei aller Hoch
achtung vor der betreffenden Disziplin nicht einverstanden,
und meinte, daß man dann in der Zoologie ebenso gut von
einer Hühner- oder Entenwissenschaft reden könne.
Viel besprochen wurde die zunehmende politische Neu
tralität einer Reihe von großen Zeitungen. Ich habe
schon oben die Abteilung Dr. v. Eckardts zitiert, nach der die
bürgerliche Presse aus dem Verlangen nach Sekurität die
Massen aufs unpolitische Gebiet abzulenken trachte; also etwa
aufs Bild der Erde. Man wolle politisch beruhigen oder gar
einschläfern und rege darum unpolitisch an und auf. In einer
geistreichen Ansprache, die dem Begriff der öffentlichen Mei
nung galt, bezeichnete Prof. Carl Schmitt, der freilich
nicht so sehr an der Presse als am Rundfunk exemplifizierte,
diese Neutralität als einen Zwischenzustand. Sie ist, so äußerte
er, nicht positiv wie die echte Objektivität, sondern ein vor
läufiges Verhalten, das der Aktion, dem Kampf um die Herr
schaft aus dem Wege geht.
Was die Zukunft der Presse betrifft, so erwies sich
eigentlich nur Prof. Brinkmann als dezidierter Optimist; hofft
er doch auf „die Herausbilduna einer neuen aristokratischen
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