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Metadata: H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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Kampf gegen die 
ZU verschiedenen Berliner Zeitungen hat eine Kampagne 
gegen die sogenannten Kuppelanzeigen eingesetzt, die in ver 
schiedenen anderen Berliner Zeitungen grassieren. Man kennt 
sie, diese Anzeigen, in denen eine strenge Erzieherin sich 
anbietet, deren Strenge für viele die höchste Erdenlust bedeutet, 
in denen der würdige Beruf der Masseuse als Aushängeschild 
dient und unter dem Deckmantel geselliger Beziehungen intime 
erfragt werden. Sie mißbrauchen auch die unverfänglichen Tätig 
keiten des Sprachlehrers und der Maniküre, um jene öffentlich 
nicht zu nennenden Verbindungen herzustellen, die weder mit den 
Nägeln noch mit der Grammatik etwas zu schaffen haben, und 
füllen tagtäglich lange schmale Spalten, die auf die gewaltige 
Ausdehnung des Liebesmarktes zu schließen erlauben. 
Welche Folgen das Mimikry mit der Ehrbarkeit Br diese 
selber haben kann, beweist der Fall einer jungen Dame, die un 
längst inserierte, daß sie Unterricht in spanischer Sprache und 
kaufmännischer Korrespondenz erteile. Obwohl oder vielleicht auch 
weil sie sich in dem Inserat als junge Dame der Gesellschaft be 
zeichnete, erhielt sie auf die Annonce hin den Besuch von Herren, 
die alles andere aber als ein Interesse für die spanische Sprache 
und Korrespondenz verrieten. Herbeigelockt wurden sie vielmehr 
durch die besonderen Vorstellungen, die das südliche Wörtchen 
Spanisch in ihnen erregte, das ja tatsächlich die Erinnerung an 
eine Carmen von exotischen Reizen zu wecken vermag. Und als 
der jungen D^rme der Gesellschaft die Sache spanisch vorkam, 
wandten sich die enttäuschten Klienten nicht etwa beschämt dem 
Sprachstudium zu, sondern erklärten brüsk, daß sie sich solche irre 
führenden Offerten verbaten. 
Mehrere Vorschläge sind gemacht worden, um der Zunehmenden 
Propagierung der Unsittlichkeit Zu Heuern. Zunächst wird gefordert, 
daß die Staatsanwaltschaft und die Polizei eine Säuberungsaktion 
auf Grund des UnZuchtparagraphen und Kuppeleiparagraphen un 
ternehme; siehst, wie es heißt, schon eingesetzt. Ferner gibt man den 
Vertretungen der in Mitleidenschaft gezogenen Berufe den Rat, 
Hre Schädiger systematisch zu bekämpfen. Schließlich ergeht an die 
Zeitungsverlage der moralische Appell, durch die Ablehnung aller 
anrüchigen Inserate dem Unwesen Einhalt zu tun. 
Zweifellos wird der KreuZZug mit vortrefflichen Argumenten 
Kuppetanzeigen. 
geführt, und wenn auch sein Van nicht nur dem Idealismus ent 
springen sollte, so wüßte ich doch nichts, was wider ihn spräck-e. 
Der Augiasstall dieser Welt muß endlich gereinigt werden: etm 
tugendhafte, eine beherzigenswerte Maxime. Nur meine ich, dar 
das Handeln nach ihr sich selbst einzuschrärrken hätte. Denn so ge 
jährlich es ist, die Verderbnis gewähren Zu lassen, ebenso bedenklich 
ist das unnachsichtige Walten der Tugend. Einmal deshalb, wei. 
sie nie so rein ist, wie sie zu sein glaubt; zum andern deshatt 
weil die hemmungslose Rigorosität stets auch das Gegenteil von 
dem erreicht, was sie bezweckt. 
Ein Beispiel. Vor einiger Zeit erhielt ich von einer mir un 
bekannten Dame einen Brief, in dem sie darüber klagte, daß ihr 
die Möglichkeit genommen sei, mit einem vernünftigen Menschen 
in Beziehung Zu treten. Sie ist Angestellte, lebt, wie ich Zur 
näheren Erklärung hinzufüge, in irgendeinem abgelegenen Nest 
und scheint, dem Brief nach Zu urteilen, eine belesene, recht ge 
bildete Frau zu sein. Was lag näher für sie, die in dem Ort selber 
keinen passenden Umgang finden konnte, als die Aufgabe eines 
Inserats? Dieses Inserat aber wurde trotz seines Zurückhaltenden 
Tones von etlichen großen Blättern abgelebnt, da sie, gewiß aus 
Anstand, darauf verzichtet hatte, ihr Bedürfnis nach Anschluß durch 
die Erwähnung einer etwaigen Heirat Zu legalisieren. Um ihren 
Wunsch der Welt Zu eröffnen, mußte sie dann später die Annonce 
in eine jener suspekten Spalten verschicken. 
Das ist ein Grenz,fall von vielen. Ich führe ihn nur an, um 
zu verdeutlichen, daß man das Kind nicht mit dem Bad aus 
schütten darf. Die Moral in Ehren aber es gibt in Deutsch 
land, vor allem in der Provinz, zahllose vereinsamte Menschen, die 
sich nur schwer zu helfen wissen, und auf ihre Kosten die Symptome 
der Unsittlichkeit mit Stumpf und Stiel ausrotten zu wollen, 
wäre um so mehr eine Donquichotterie, als die Symptome gar 
nicht aus allen Schlupfwinkeln aufgestöbert werden können. Statt 
einen Pauschalangriff gegen verdächtige Inserate Zu machen, sollte 
man lieber behutsam unter ihnen sichten. Erscheint die Tugend 
nicht in Gesellschaft des Taktes, so triumphiert sie auf einem 
Leichenseld. 8. Xr 8. eauar.
	        
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