des klaren Einblicks, den der Tat-Kreis in die Zugehörigkeit "
bestimmter Programme zu bestimmten sozialen Schichten hat,
müßte es ihm, nebenbei bemerkt, auch ein Leichtes sein, die
Rechtmäßigkeit des Begriffes Klasse zu erkennen.
Die Mittelschichten sind heute zum großen Teil ökonomisch
proletarisiert und in ideeller Hinsicht obdachlos. Ihre Prole
tarisierung bringt sie jetzt während der Krise in steigendem
Maße gegen den Kapitalismus auf, und Grueneberg stellt sogar
ausdrücklich fest: „... ohne eine grundsätzlich antikapitalistische
Einstellung wird man die positiven Kräfte des Mittelstandes
niemals wecken können." Aus dieser antikapitalistischen Stim
mung auf ökonomischem Gebiet folgt aber keineswegs das Be
kenntnis zum proletarischen Sozialismus. Im Gegenteil: um
seiner Selbstbehauptung willen besteht der Mittelstand gerade
daraus, sich vom Proletariat deutlich abzugrenzen. Daß auch
der am schlechtesten bezahlte Angestellte durchaus kein Lohn
empfänger sein will, bestätigen bereits die in meinem Buch:
„Die Angestellten" niedergelegten Erfahrungen. Eschmann for
muliert im Septemberhest der „Tat" den gleichen SaclwerhM
wie folgt: „Die zunehmende Bewußtheit der Mittelschichten
macht nicht nur den Aufbau eines proletarischen Sozialismus
in Deutschland unmöglich, sondern macht diese Mittelschichten
auch zu wesentlichen Faktoren der entstehenden Nationalwirt
schaft". Da sich also die Mittelschichten im vitalen Interesse
ihres Fortbestands weigern, zum Proletariat hinüberzuwechseln,
erhebt sich die Frage, was ihnen zu tun ü'nng bleibt, um der
ideellen Obdachlosigkeit zu entrinnen. Jener Obdachlosigkeit, die
daher rührt, daß sie weder mehr irr dein durch die Wirtschafts
krise erschütterten System des Liberalismus unterkommen zu
können meinen, noch auch im Marxismus einkehren wollen.
Sie stehen im Leeren, und übrig bleibt ihnen nur der Ver
such, ein neues Bewußtsein herauszubilden, das ihre soziale
Weiterexistenz ideell gewährleistet. Daher der verzweifelte Kamp^
der durch die „Tat" vertretenen Zwischenschichten gegen den
Liberalismus, dem sie entstammen; daher die Verherrlichung
von Staat, Raum, Mythos. Es hat sich gezeigt, daß diese Be
griffe keine Heimat bedeuten, sondern eine Fata morgana in
der Wüste sind. Ihre Irrealität mag dein Mittelstand nicht
bewußt sein; aber sie ist doch vorhanden und wird zweifellos
dunkel gefühlt. Jedenfalls erklärt sich allein aus der Tatsache
seiner ideellen Verlassenheit, daß er nnmerfort zwischen zwei
Extremen schwankt. Das eine ist der Appell an die nackte Ge
walt, den er in der Empfindung macht, daß er nur durch sie
sich am Leben erhalten könne. Der geistige Kampf, den die
„Tat" führt, droht denn auch wieder und wieder in einen un-
geistigen Aufruhr auszuarten. Sie nennt das Schwert ein Ar
gument, läßt das Blut über das Geld triumphieren und neigt
unverkennbar dazu, die heroisierten chthonischen Mächte wider
jedes bewußt geformte Leben auszuspielen. In allen Begriffen,
die sie den Mittelschichten liefert, regt sich zugleich die bloße
Natur. Das andere Extrem ist eben die Preisgegebene Positron
des Liberalismus. Denn will sich der Mittelstand, der den
Marxismus ablehnt, des eigenen Bewußtseins versichern, so
muß er in Ermangelung eines unbürgerkichen und nichtproleta-
rischen Bewußtseins am Ende doch stets zur abgelebten Bürger-
lichkeit und dem ererbten Erkenntnisbesitz zurückfluten. Seinem
Bewußtsein sind die Abflüsse versperrt; entweder es versiegt
oder es staut sich an und strömt notgedrungen wieder zu seinem
Ausgangsort. Nichts andres bedeutet der Einbruch des Indivi
duums und der Vernunft in die „Tat", der sich im Wider
spruch zu ihren eigentlichen Tendenzen vollzieht.
Die Veröffentlichungen des Tat-Kreises spiegeln mithin
genau die durch die materielle und ideelle Situation bedingte
Zerrissenheit des depossedierten Mittelstandes wider, der sich
in die Romantik flüchtet und zwischen Gewalt und Vernunft
hin- und hergeworfen wird. Das heißt aber auch: daß sie
ihm keinen Ausweg zu eröffnen vermögen, sondern eben nur
seine Lage manifestieren. Bleibt es bei dieser Manifestation, so
muß der Aufruhr seiner ideologischen Verworrenheit wegen
versacken oder doch von Kräften gefesselt werden, die hand
fester konstituiert sind. Wenn mich nicht alles täuscht, ist der
Tat-Kreis vornehmlich drei Gefahren ausgesetzt. Die eine: das
Kapital benutzt ihn gegen seinen Willen als Vortrupp im
Kampf wider den marxistischen Sozialismus, um ihn dann
gegebenenfalls später, wenn er seine Mission erfüllt hat, wie
einen Ballast über Bord zu schleudern. Dergleichen ist nicht
das erste Mal geschehen, und der Mittelstands-Sozialismus
wäre damit liquidiert. Die zweite Gefahr: der Tat-Kreis treibt
infolge der Aussichtslosigkeit des Bemühens, eine so irreale
und unstimmige Haltung wie die seine durchzusetzen, mehr und
mehr der Barbarei zu, die bereits in ihm angelegt ist und
schwingt das Schwert an seiner Rechten. Der Mittelstand als
Bewahrer der kulturellen Traditionen hätte das Nachsehen
davon. Dritte Gefahr: es ergeht den Leuten von der „Tat"
ungefähr so, wie es den deutschen Romantikern schon einmal
ergangen ist: sie suchen am Ende ihre Zuflucht in der Religion.
Sobald sie, durch die Praxis belehrt, erkannt haben werden,
daß ihre Begriffe keine Wirklichkeit mit sich führen, bleibt
ihnen immer noch Vorbehalten, sich kopfüber in die WirÜichkeit
des Glaubens zu stürzen. Eine gewisse Beziehung zum radi
kalen Protestantismus etwa ist jetzt schon bei ihnen nachzu-
weisen. Sie verrät sich zum Beispiel in der Feststellung, „daß es
sich heute in erster Linie um eine große geistige Wandlung
handelt, in der wir stehen, daß es wieder um den Menschen in
haben als heute. Er wird in der Sonne und in der Luft liegen
könnem Er wird mehr Ruhe haben. Er wird mehr Sicherheit
haben. Und — er wird vielleicht wieder einen Gefallen daran
finden, sich mit ernsten geistigen Werten zu beschäftigen, zu
denen er heute weder Ruhe noch Zeit hat." Wer ist dieser
Mensch, hinter dem ganz in der Ferne ein Wochenendhäuschen
schimmert? Es ist der im Liberalismus großgewordene indi
vidualistische Kleinbürger, der den Staat einen guten Mann
sein läßt und gewiß am allerwenigsten dazu taugt, die von der
„Tat" ersehnte neue Ordnung zu schaffen. Zehrer selber sagt
ihm den Mangel an Elan auf oen Kopf zu. Im Hinblick -auf die
Russen meint er einmal elegisch: „Den eigentlichen, treibenden
Kern aber in diesem neuen Wirtschaftsstaat, den großen, revo
lutionären Elan, den können wir den Russen nicht mehr nach
machen, denn wir stehen am Ende dieses liberalistischen Elans.
Glauben wir noch an die Technik? Glauben wir noch
an die Maschine? Glauben wir noch an den Rausch
der„ großen Freiheit, der den von allen Bindungen
gelösten und in das Diesseits geworfenen Menschen
überkommt? Wir glauben nicht mehr daran, wir sind
müde dieser Dinge geworden!" Ich bekenne, daß ich mir nach
alledem die Geburt eines neuen Mythos überhaupt nicht mehr
vorstellen kann. Es ist ja schon ein Unding, dem Einzelnen
sozusagen eine metaphysische Bedeutung beizumessen und im
selben Atemzug den Mythos zu preisen, der den Einzelnen gar
nicht aus sich entläßt. Wird dieser aber noch dazu als müder
Kleinbürger definiert, dem es nicht nur am liberalistischen
Elan, sondern offenbar an der Schwungkraft schlechthin gebricht,
so ist ein durch ihn zu verwirklichender Mythos erst recht un-
denÄar. Auch Spengler spricht von der Müdigkeit des abend
ländischen Menschen. Indem er sie jedoch der Herrschaftsform
des Cäsarismus zuordnet, zu deren Vorbedingungen weder
das Staatsvolk noch der Mythos geboren, verfährt er ungleich
folgerichtiger als die „Tat". Der Widerspruch, dessen diese sich
dadurch schuldig macht, daß sie den Mythos beschwört und
dennoch den Begriff des Einzelmenschen aufrechterhält, könnte
nicht vollkommener sein.
Mit dem Individuum, dem Kernstück des echten Liberalis
mus, hält auch die Vernunft ihren Einzug ins Tatweltbild.
Trotz der besten Absicht, sie mit dem Schwert zurückzutreiben,
wendet man sie nicht nur in den der Kritik gewidmeten Be
trachtungen manchmal erfolgreich an, sondern fordert geradezu,
daß sie sich wirksam erweise. Nachdem Zehrer im Novemberheft
der „Tat" festgestellt hat, daß nun bald das Terrain frei sei
„für einen Neuaufbau und ein Abwerfen der Ketten", fährt
er fort: „Und wir haben eine Opposition, die auf diesen Zeit
punkt noch nicht vorbereitet ist, die mühsam ihre eigenen Kadres
zusammenzuhalten sucht, der aber die theoretische Vorbereitung
fehlt." Die theoretische Vorbereitung: wodurch wäre sie mehr
zu fördern als durch die Anwendung von Vernunft? Und zwar
bedarf sie der Vernunft um so notwendiger, als das Pro
gramm eine staatliche Planwirtschaft Vorsicht. Hier dringt
der Widerspruch ganz ins Innere ein. Denn der Begriff des
Planens ist dem des Wachsens kontradiktorisch entgegen
gesetzt. Wenn also die „Tat" einerseits einen Staat propagiert,
der durch organisches Wachstum zustande komme, andererseits
aber durch Planwirtschaft eine Art von Sozialismus verwirk
lichen will, so beabsichtigt sie etwas Unmögliches. Sie wirft
die Vernunft aus dem Tempel des Volksstaates hinaus und
holt sie im selben Augenblick in die Büros der Staatswirtschaft
herein. Das ist nicht eine Bewegung; das sind zwei Bewe
gungen, die einander zuwiderlaufen. Jene, die Hauptbewegung,
ist die Reaktion auf den Liberalismus; diese, die eine nur
mit Hilfe rationeller Organisation zu bewerkstelligende Plan
wirtschaft anstrebt, der Durchbruch des Vernunftprinzips, das
in zu starker Vereinfachung als „liberalistisch" gekennzeichnet
wird. Ich habe schon einmal nachgewiesen, daß die „Tat"
das ungebundene Denken der Gegenwart, das wahrhaftig nicht
liberal Zu nennen ist, in einem fort mit der Vernunft selber
verwechselt. Die Folge der Verwechslung ist unter anderem,
daß man das Sowjetregime als liberal abtun zu können glaubt;
ihr Grund: daß man in Wahrheit nicht allein Opposition
wider den Liberalismus macht, sondern den Logos verleugnen
möchte. In der „Tat" rebelliert zuletzt die Natur gegen den
Geist. Und nur der Unentschlossenheit der Rebellen ist es zu
danken, daß sie sich in Widersprüche verwickeln und trotz ihres
Rückzuges ins Naturale dem Individuum und der Vernunft
immer wieder Zutritt gewähren.
V.
Es sind die depossedierten Mittelschichten, die rebellieren.
Mittelstand in Schlüsselstellung", überschreibt Horst Gruene-
berg den ersten Abschnitt einer Abhandlung, zu deren Beginn
er gleich erklärt: „Niemand kann diese entscheidende Tatsache
übersetzen: ohne den alten und neuen Mittelstand kann nicht
regiert werden." Und die „Tat" macht seine Sache so ganz
zu der ihren, daß sie alle Hauptbegriffe auf ihn bezieht. Sie
leitet, wie schon erwähnt worden ist, die Forderung des Mythos
aus mittelständischen Notwendigkeiten ab und verankert in
.rbnen^nicht minder ihr Staatsideal. „Positive Mittelstands-
»t es in der eben genannten Abhandlung, „kann
Aezur Neuordnung, Wille zum Staat." Dank