Mrietä-Irogramm von yeute
8. Lrs.es «»r.
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Mema: Arbeit^
Berlin, Anfang März.
Der Film: „Drei von der S tempelst: ll e" (Manu
skript: Bunger, Waren, Reicher; Regie: Eugen Thiele), der vor
ein paar Tagen im Marmorhaus uraufgeM wurde, st e*ne ver
hältnismäßig angenehme Ueberraschung. Sein Titel klingt nur da
rum an den des Films: „Drei von der Tankstelle", an, um diesen
Zu desavouieren. In Wahrheit ist er weder eine jener blödsinnigen
Opereiten- deren Produktion gar nicht äufhören will, noch eines
der neubürgerlichen Filmindustriespiele, in denen es Unentwegt
heiter, herrschaM und verlogen zugeht. Er bemüht sich vielmehr,
ein Stück Wirklichkeit zu zeigen, und das ist heute schon viel.
Man sieht in dem Film Arbeitsämter, wie sie sind, Straßen,
wie sie sind, und sogar einige Zustände, wie sie sind. Die Handlung
ergibt sich ungezwungen aus der Arbeitssuche. Drei Erwerbslose
verschiedener Schichten, die bei einer Witwe Unterkunft gefunden
habcn, machen vergebliche Anstrengungen, wieder eine Stellung
zu bekommen, und entschließen sich nach zahlreichen Fiaskos am
Ende dazu, Siedler zu werden. Darüber später. Ich finde es an
erkennenswert, daß der Film verschiedenen Lustspielmöglichkeiten
ausweicht und einige instruktive Einblicke in die Lage der Arbeits
losen gewährt. Wie leicht wäre e^ gewesen, die drei Helden an
irgendeinem Punkt aus dem allgemeinen Elend herauszuheben und
ihnen die große Chance zu geben! Es. geschieht aber, nicht. Die drei
bleiben in der Masse stecken, zu der sie gehören, werden abgewiesen
wie die andern, suchen Gelegenheitsarbeit, machen Projekte, die
sich Zerschlagen usw. In Zwei, drei Szenen verdichtet sich dieses
typische Dasein zu typischen Situationen. So brüllt einmal einer
der Arbeitslosen die kleinbürgerliche Witwe an und protestiert da
gegen, wie ein Deklassierter behandelt Zu werden; so verhöhnt eine
Arbeitslosenversammlung einen Redner, der über die guten Ab-
sichtm der Regierenden
Diese Vorzüge des Films werden allerdings durch seine
Schwächen und Fehler teilweise zunichte gemacht. Eine Schwäche
ist zum Beispiel der unwiderstehliche Hang zum Idyll. Immer
wieder entsaftet sich ein behaglicher Humor, der offenbar die Härte
des Stoffes mildern soll und nur ungenügend von einem grim
migen Sprechchor eingegrenzt wird. Es gibt solche Oasen der Ge
mütlichkeit, gewiß; aber sie dürfen den Situationsbericht nicht ver
fälschen. Wahrscheinlich haben die Hersteller geglaubt, das Thema
Wsrn; mit ausdrücklicher Genehmigung ihrer Intendanz, wie es
auf der Vorankündigung heißt. WaS grWHt hier? Wahrschein
lich nicht viel anderes, als daß die Kunst nach Brot geht. Die
Konzertsale fmd schwer M Men, die Theater noch schwer« zu
finanzieren, «M> dir WforptivnsfWgkeit des Films ist schließlich
nicht unbegrenzt. So wir» das Variete zur AufnahmeMung
mancher Solisten. Und es zieht sie anscheinend nicht ungern zu
sich heran. Denn durch die Krise ist eS genötigt, die Anreize zu
vermehren und unter anderem den Eensationswert au^unützen,
den künstlerische Leistungen inmitten artistischer erhalten.
Die Kunst selber verändert sich ebenfalls auf dem Wege Ssm
Konzertsaalpodium zum Variete. Sie wird zerschlagen, in Stücke
und Stückchen zerhackt. Kann man im VarietS die ganze Harfner
Serenade von Mozart bringen? Die Serenade wäre für eine
Nummer zu lang. Also wird nur das Rondo gespielt, das gerade
die passende Nummergröße hat. An diesem kleinen Beispiel Le-
stätigt sich wieder einmal, daß wirtschaftliche Wandlungen un
weigerlich solche des Bewußtseins hervorrufen. Da die ausübenden
Künstler durch die Produktion von Nummern existieren müssen,
beginnt die Totalität des Kunstwerks ihre Existenz aufzugeben.
Die Kunstwerke sind nicht mehr ihrem ganzen Umfang nach los
zuschlagen wie irgendeine Herrenzimmer-Einrichtung, sie gehen
nur noch in Teile« ab. Diese Art ihres Ausverkaufs zu beklagen,
wäre um so müßiger, als sie genau unserer Situation entspricht,
in der faktisch nichts Ganzes gilt. Der Abtransport der Kunst
nummern ins Barietä ist kein isolierter Vorgang, sonder» die
möglichst mundgerecht servieren zu müssen. Sie hätten besser auf
diese Kompromisse verzichtet.
Zu den Fehlern rechne ich die Art und Weise, in der die
Kündigung der Tochter der Witwe motiviert wird.,Sie ist in einem
Putzfalon angestellt und verliert ihren Posten, weil sie als an
ständiges Mädchen sich den unsittlichen Bewerbungen des'Chefs
entzieht. Dergleichen kommt zweifellos vor, reicht jedoch als Motiv
in einem Arheitslosenfilm nicht hin. Es ist ein individuelles Motiv
und nicht eines, das der Wirtschaftskrise entspringt. Auch in jenen
Filmen, die sich, wahrhaftig um die Krise nicht kümmern, er
eignen sich mitunter aus gleichen Gründen die M
Ueberhaupt vermeidet der Film — das ist sein Hauptfehler alle
Erklärungen^ dre über die Wichergabe der Stimmung, hinaus
führen. Er unterläßt sie nicht nur, er sabotiert sie au^
Einer der Arbeitslosen, ein entlassener Buchhalter, versucht sich un
aufhörlich Rechenschaft darüber abzulegen, warum so viele Mil
lionen Menschen von dem Schicksal der Arbeitslosigkeit betrog
sind und wie man dieses Schicksal etwa aufheben könnte. Seine
törichten Auskünfte werden von den Kameraden verlacht und
reizen niemanden zum Nachdenken. Mit anderen Worten: der Film
versandet mach einem guten Ansatz in der Reportage, die sich zu
schildern begnügt und das Schicksal für Schicksal nimmt. Richtiger
wäre es gewesen, die Denkbemühungen des. Arbeitslosen zu' Dis
kussionen auszubauen, die wirklich Aufklärung verschaffen. Dem
vorzeitigen Halt, das geboten wird, entspricht au^d
der beinahe eine Propaganda für den Siedlungsgedanken M
Sonne geht über den Wäldern auf, sobald die zukünftigen Siedler
aus der Stadt fahren. Ich fürchte, sie geht rasch wieder unter;
denn das Sledlungsunternetzmen in seiner jetzigen Form weist viel
zu viele Unvollkommenheiten auf, als daß es optimistisch zu
stimmen vermöchte. /
Während der Premiere wurde die Vorführung des FM
von der P a n z e r - F i lmp r o d u k L i o n G. m: b. H. hergestellt
wurde) immer wieder durch Beifall und Zurufe unterbrochen, die
von der leidenschaftlichen Anteilnahme des Publikums zeugten.
Damit ist bewiesen, was ich schon häufig sagte: daß das Publikum
Filme verlangt, die nicht in einem anderen Erdteil oder in einer
imaginären Gesellschaft spielen, sondern seine eigene Wirklichkeit
demonstrieren. Es läge im.Interesse der Filmindustrie, daß sie sich
endlich danach richtete. Oder vielleicht doch nicht in ihrem Interesse?
L. LrLLLüem
«er««, Ende FeLnmr.
Ichen geMe BerLiLerimgen vor -ch. «MMch
sich dM wie isweer in der Hauptsache Arteten, und
aerads das Februar-PrograMM der Ecsla brirrgt eine ganz
große NumWer: den merikanischen DrahtjeMüllstler Con Colleano,
der M dem Seil nicht nur bezaubernd Tango tanzt, sondern
sogar den Salto nach vorwärts macht, ohne Hinterher seme Posi
tion auf der schwankenden Grundlinie Preisgeben zu muffen. Aber
Mischen den eigentlichen «rüsten tauchen neuerdings wieder und
wieder Künstler auf, denen es nicht vorbesÜMMt war, als Tarletz-
Attrattion zu glänzen. Sie kommen aus den Theatern und
Konzertsälen und reihen sich jetzt unter die Jongleure, Akrobaten
und Exzentrils ein.
We Geigerin Edith Lorand zum Beispiel bWNjprmht mit
Hrem Kammerorchester einen breiten Kaum im augenblicklichen
Scala-Programm. Man Hat sich angestrengt, dieses Ensemble
möglichst varietLgerecht aufWputzen und weder an Scheinwerfern
noch an stimmungsvollen Hintergrundspanoramen gespart. Da
die Künstlerin unter dem Zwang des Milieus fast lauter Liev-
Nngs- und Bravourstückchen zum besten gibt, wäre die Musik
welt, der sie entstammt, kaum zu merken, spielte sie nicht einmal
etwas von Mozart. Wahrhaftig, sie spielt ein Mozart-Rondo,
und das Publikum ist so mäuschenstill wie beim Höhepunkt eweS
Trapezaktes. Gefahr und Kunst scheinen dies gemeinsam zu Haben:
datz sie den Menschen den Wem verschlagen.
Im nächsten Monat wird Vera Schwarz Frau Lorand ab- Folge eines durchgreifenden Prozesses.