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Aber das ZahlenL-ild ist nicht nur zum Mittel aller dieser
Zwecke geworden, sondern entfaltet sich weit über sie hinaus, einem
noch verborgenen Ziel entgegen. Tatsächlich erfreut es-sich heute
einer Beliebtheit, deren Sinn sich nicht ohne weiteres erraten läßt.
an jedem Lag des Jahres und zu jeder Tageszeit unschwer enr- .
nehmen läßt. Nett ist das Räderwerk, das für die Verwendung
von Phssphorsäuredünger wirbt, und schlagend das bunte Plakqr
des Reichsmilchausschusses, das die Bauern dazu bestimmen möchte,
ihrer Butter die marktgängige Qualität Zu verleihen.
Kaum der Erwähnung bedarf, daß die Ueberredungsgewalt
des Zahlenbildes von der Agitation nach bestem Vermögen
ausgenutzt wird. Gind Zahlen nicht immer beweiskräftig, so liefert
doch das Bild zum mindesten den kräftigen Schein des Beweises.
Manchmal kommt dieser auch ohne Schein gar nicht aus, weil er
sich sonst gleich als Scheinbeweis enthüllte. So bedient sich die
Vereinigung der deutschen ArLeitgeberverbände eindrucksvoller
Kurven, um das Verhältnis der Tariflöhne und der Großhandels
preise in eine ihr günstige Beleuchtung Zu rücken. Aber die Kurven
sind ziemlich willkürlich genullt und lassen einige Faktoren aus,
die in diesem Zusammenhang wichtig wären. Sehr interessant ist
die KrM-Mrstellung des Vereins deutscher Maschinenbauer, dre
den ReinprsduktionswerL der Industrie mit dem kleineren Der
Landwirtschaft konfrontiert und die Autarkie-Schwärmer sinnfällig
widerlegt. An der Wand der Reichszentrale für Heimatdienst wirv
für die Ankurbelung der Wirtschaft gekämpft und mit vielen Tep
pichnägeln ein schauriges Bild unseres waffenlosen Zustands rn
die Köpfe genagelt.
Entstehung von Volkskrankheiten, Unfällen usw. zu unterrichten.
Und wer etwa die Berliner Ausstellungen der letzten Jahre be
suchte, wird beobachtet haben, daß sie in steigendem Maße Sinn
bilder zur Veranschaulichung von Quantitäten verwenden. Sie
greifen zu Photomontagen, sie nehmen alle möglichen bekannten
Zeichen und Vorstellungen zu Hilfe, um den Gehalt der Zahlen
durch eine eingängige Bildersprache zu popularisieren. Da nun Aus
stellungen nahezu durchweg dem Allgemeininteresfe dienen oder doch
ihm zu dienen vortauschen müssen, ist dem Zahlenbild von Anfang
an die Bestimmung mitgegeben, ein Wissen auszustreuen, das den
Massen nutzt. Die Hygiene-Ausstellung hat Propaganda für die
Volksgesundheit gemacht, die Bau-Ausstellung die Wohnkultur zu
fördern gesucht. Seiner Herkunft nach ist also das Zahlenbild In
strument einer Aufklärung, die keineswegs nur müßige Ziele ver
folgt, sondern die gesellschaftlichen Lebensbedingungen verbessern
Will.
Es ist, als wolle man aus einer Art von Zwang heraus den gan
zen statistischen Stoff unter die Massen bringen. Das statistische
Reichsamt etwa gibt seiner kleinen Sonderschau den Titel: „Popu
larisierung der Statistik" und führt dem Publikum auf graphische
Weise eine Menge von Daten zu, die man vielleicht nicht alle not
wendig Zu wissen brauchte. Der Eifer des Reichsamtes ist so groß,
daß es sogar die Zukunft Ziffernmäßig vorwegnimmt; jedenfalls
entwirft es ein Zahlengemälde, das die schon geborenen und die
noch ungeborenen schulpflichtigen Kinder im Alter von 6 bis 14
Jahren von 1880 bis 1940 enthält. Bezeichnend für den Zug zum
Zahlenbild find auch die in den Schulen verunstalteten Lildstatisti-
schen Uebungen, deren Früchte in der Ausstellung farbig erglän
zen. Zahlreiche Arbeiten veranschaulichen das Bemühen deutscher
und japanischer Schüler, sich alle möglichen Quantitäten durch
Kreise, Karten und Männchen ein für allemal einzuprägen. Der
Gegenstand, auf den sich ihre Darstellungen beziehen, ist in der
Regel die Volkswirtschaft und das staatliche Leben.
Woher dieser Vorstoß des Allgemeinbewußtseins ins Zahlen
gebiet? Andere Zeiten als die unsrigen Haben das Wissen um die
Zahlen „ , die unser gesellschaftliches Dasein betreffen, entweder
verpönt oder als ein Geheimnis gehütet. Wenn solche Zahlen
jetzt an die Öffentlichkeit getrieben werden, so kann das nur den
Sinn haben, daß die Öffentlichkeit mit ihnen umgehen soll. Viel
leicht steckt in der Tendenz zum Zahlenbild die zum planwirt
schaftlichen Handeln. Denn eine Grundvoraussetzung dieses Han
delns wäre allerdings die Vertrautheit des Volks mit den Zahlen,
die es erzeugt.
Statistische Zahlen sind vieldeutig, und wer sie zu interpretieren
hat, kennt ihre Gefahren. Aber stellt sich eine der vielen Bedeu
tungen, die ihnen innewohnen, bildlich dar, so treten die nicht
illustrierten Bedeutungen gern in den Hintergrund zurück. Denn
dem Bild eignet eine starke Versührungskraft, die vor allem kritik
lose Menschen gefangen nimmt. Es fordert ausschließliche Hingabe,
es verdrängt die Möglichkeiten, die in ihm nicht einbegriffen sind.
Kein Wunder, daß sich Reklame und Propaganda des
Zahlenbildes bemächtigen. Die Berliner Städtischen Gaswerke
lenken Zum Beispiel dadurch die Aufmerksamkeit auf sich, daß sie
die Größe ihres Betriebs demonstrieren. Ihre Rohrleitungen
reichen, wie aus drastischen Abbildungen hervorgeht, von Berlin
bis fast nach Neufundland, und unter der Last ihrer jährlichen
Koksmenge erstickt das riesige Karstadt-Gebäude. Nach ähnliches
Methoden verfahren die sozialhygienischen Reichsfachverbände, die
Auto-Industrie oder die Berliner Elsktrizitätswerke, die unter
anderem ein interessantes „dreidimensionales Belastungsgebirge*
zeigen--ein plastisches Modell, dem sich der Elektrizitätsverbrauch
*
Jedermann kennt die graphischen Vergegenwärtigungen, um
die es hier geht, von den Reklamen in Schaufenstern her, aus
den Zeitungen usw. Man sieht Männchen nebeneinander, deren
Zahl oder Größe eine Vorstellung von der Bevölkerungsdichte in
Deutschland gibt, erhält aus einer Kombination von Kreisen
Aufschluß über die Bedeutung der Weltsprachen, wird durch Sinn
bilder mannigfacher Art in die angenehme Lage gebracht, alles
Wissenswerte über die Rassen der Erde zu erfahren. Der Zweck
dieser Zahlenbilder ist immer der gleiche. Sie wollen das Ver
ständnis gewisser Zahlenwerte dadurch erleichtern, daß ste diese
Werte in einer Gestalt vorführen, die ihre sofortige Erfassung
ermöglicht. Während die nackten Zahlen ein Nacheinander sind,
das sich dem Leser nur schwer erschließt, setzt ihre Verbildlichung
den Betrachter mit einem Schlag ins Bild. Ohne erst auf lang
wierige Beschreibungen angewiesen Zu sein, hat er die von den
Zahlen gemachten Aussagen über Zustände und Entwicklungen
unmittMar vor Augen. Das Zahlenbild illustriert ja nicht allein
den reinen Zahlentext, sondern gibt Zugleich den Kommentar
dieses Textes figürlich wieder. Es ist die Gestalt einer Zahlen
reihe zuzüglich ihres Sinnes.
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Zahl und Iild.
ILir. Berlin, im November.
In den Räumen des Zentralin st ituts für Er
z i e hung u nd Unterricht ist zur Zeit eine interessante
Ausstellung Zu sehen, Sie nennt sich: „Zahl und Bild" und
veranschaulicht an Hand zahlreicher Beispiele die verschiedenen
Methoden, nach, denen heute die Ergebnisse der.Statistik bild-
mäßig- dargestellt werden. Um gleich die nötigen Daten zu geben:
verunstaltet worden ist die Schau vom Zentralinstitut selber unter
Mitwirkung des Reichskuratoriums für Wirtschaftlichkeit, dessen
Referent Dr. Kurt H. Busse die Sachbearbeitung übernommen
hat. Für die gute Aufmachung zeichnet der Deutsche Lichtbild
Dienst verantwortlich.
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Inzwischen hat sich die Neigung zum Zahlenbild längst ver
selbständigt und ist den verschiedensten Zwecken Untertan gemacht
worden. Obwohl hier, vom wissenschaftlichen abgesehen werden soll,
der die ZahlwM heraufbeschworen hat, noch auch
grundsätzlich auf sie angewiesen ist, möchte ich doch eines einzig
artigen VÄs^ das die Ausstellung auf
Zeigt. Ich meine den im Aufbau befindlichen A t la s der d e u t-
s ch e n V o l k stund e, der von der Notgemeinschaft der deutschen
Wissenschaft heraM wird. Dank der vorgelegten Proben er ¬
hält die Oeffentlichkeit zum erstenmal Einblick in die Methodik des
gewaltigen Werks. Es kommt auf Grund einer Enquete Zustande,
die über 20 000 Ortschaften umfaßt und das gesamte, noch erhaltene
Kulturgut zu inventarisieren sucht. In den sorgfältig ausgearbeite
tem Fragebogen, deren Beantwortung meistens den ortsansässigen
Lehrern obliegt, finden sich Fragen wie diese: Wer bevorzugt den
Montag als Hochzeitstag? Ist an den Häusern eine Dachrinne an
gebracht, und- wem wird der Erstgeborene ge
nannt?-Welche Namen- trW -der Palmstrauß.?- Jeder Frage ist
eine eigene Karte Deutschlands gewidmet, in die alle zur betr^
dm Frage gehörenden Auskünfte mit Hilfe von Zeichen eingetragen
werden; so daß man aus der Karte unverzüglich die Gegenden aL,
lesen kann, in denen etwa die Katholiken den Montag als Hoch
zeitstag bevorzugen. Natürlich sind die Karten durchweg im selben
Maßstab gehalten, um die rasche Herstellung von Beziehungen zwi
schen den einzelnen Befunden Zu erleichtern. Wenn das Werk erst
vollendet ist, wird unser Besitz an altem Kulturgut in einer bisher
ungeahnten Weise erschlossen sein, und aus seiner geographischen
Fixierung werden sich dann zweifellos neue Erkenntnisse ergeben^
- Jeder quantitativ durchdrungene Stoff läßt sich selbstverständ
lich auf mannigfaltige Weisen versinnlichen. Man mag ihm mit
Kurven Leikommen, mit Säulen, mit Meßbildern, in denen
Figuren verschiedener Größe auftreten, oder mit Zählbildern, in
denen die Zahl und ihre Bedeutung durch bestimmte Mengen
schematischer Bildchen repräsentiert werden. Die Ausstellung
gestattet nicht nur einen lehrreichen Vergleich zwischen den Dar-
stellungsartm, sie lehrt auch erkennen, daß jede ihre Vorteile und
Nachteile hat. Und zwar entspinnt sich fast stets ein Konflikt
zwischen Genauigkeit und Anschaulichkeit. Während bei Meß
bildern, die verschieden große typische Bilder enthalten, der
Ziffernmäßige Wert des Bildes in der Regel zurücktritt, verküm
mert Lei Zählbildern gemeinhin der Inhalt des gewählten
Symboles auf Kosten seiner Menge. Welche Methode sich als die
beste empfiehlt, kann nur von Fall Zu Fall entschieden werden
und hängt nicht zuletzt von den mit der Verbildlichung jeweils
verbundenen Absichten ab.
Die Tendenz Zum häufigen .Gebrauch des Zahlenbildes ist
modernen Ursprungs. Ausgebildet worden ist sie Zuerst in den
großen Ausstellungen, in denen es darauf ankam, gewisse
statistische Erkenntnisse dem breiten Publikum einzuhämmern. So
hat zum Beispiel die Dresdener Hygiene-Ausstellung schon vor
dem Krieg mit Zahlenbildern zu arbeiten begonnen; aus dem
Bedürfnis heraus, die Besucher möglichst schlagkräftig über die