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Object: H:Kracauer, Siegfried/01.12/Klebemappe 1933 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

und Verhaltensweisen zu glänzen, die nicht a xriori mitgegeben, 
sondern nur durch die Eingliederung in die Gesellschaft und zahl 
reiche empirische Erfahrungen zu gewinnen sind, formt sie vor 
wiegend Bestände, die, unabhängig von äußeren Relationen, aus 
- einer so vollen Existenz wie der ihren unschwer heraufgeholt wer 
den können. Man erzählt sich, daß die Garbo ein sehr zurückge 
zogenes Leben führe. Zweifellos hält sie sich auch darum allein, 
weil sie gerade die Erlebnisse und Verwandlungen ausscheiden 
muß, die den zwischenmenschlichen Beziehungen zwangsläufig ent 
wachsen. Sie verschleißen das Gattungswesen in der Regel zum 
mehr oder minder typischen Exemplar. Welche andere Darstellerin 
vermöchte allerdings'eine Allgemeinheitsstufe zu erfüllen, die noch 
höher wäre als der Typus? Indem die Garbo sich von der Welt 
absondert, gehorcht sie vertrauensvoll den Anweisungen ihrer 
Natur. Diese produziert aus sich heraus und ohne fremdes Zutun 
alle Grundgefühle und wesentlichen Einstellungen des Frauen- 
lebens. Auf ihnen ruht denn auch der Hauptakzent ihres Spiels. 
Im Film: „Menschen im Hotel" etwa entfaltet sie sich dort am 
stärksten, wo sie über ihre Liebe jubiliert. Es ist gleichsam das 
Liebesglück an sich, das sie darbietet, ein Glück, das nicht erst 
durchs Medium der Erfahrung hindurchgegangen ist, sondern 
schleierlos erscheint. Wenn sie es in vielen Variationen vor Augen 
führt, sg hat man den Eindruck, daß sie nur bei sich selber einzu- 
kehren braucht, um den ganzen Stoff des Glücks anzutreffen. Sie 
greift in die Saiten ihres Wesens und bringt die eigene Existenz 
zum Tönen. Damit hängt der andere Eindruck zusammen, daß 
, sie auf den Höhepunkten immer monologisiert. Der Gegenspieler 
wird ihr zum Gegenstand, an dem sie sich entzündet, die Fabel 
schenkt ihr Gelegenheiten zum Einsatz, und der Raum, den sie der 
Zofe oder dem Geliebten teilt, gehört ihr tatsächlich allein. Dabei 
drängt sie sich keineswegs vor; ihr Sein vielmehr, dem sie jede 
Geste entnimmt, drängt von sich aus die Außenwelt zurück. Es 
ist so angelegt, daß sie nicht nur wie in diesem Film das Glück, 
- sondern auch den Schmerz, die Enttäuschung oder die sich opfernde 
Liebe verkörpern kann. Auf die Verbildlichung solcher fundamen ¬ 
, Laler Zustände, die nicht so sehr einem bestimmten Frauentyp als 
s der Frau überhaupt zugeordnet sind, konzentriert sich in Wahrheit 
ihr Spiel. 
Der Preis, den die Garbo für ihre Größe zahlt, ist hoch. In 
folge des außerordentlichen Allgemeinheitsgrades ihrer Formu- 
. lierungen läuft sie stets die Gefahr, dekorative Wirkungen hervor 
!' zurufen. Vor allem in einem Ensemble, das sich durch realistische 
' Leistungen auszeichnet. Im Vergleich mit ihnen scheint die der 
Garbo manchmal stilisiert zu sein; obwohl sie viel zu reich ist, 
/ um ihre Zuflucht bei seinsmäßig nicht unterbauten Stilisierungen 
/ M suchen/M den Gattungsbegriff bestimmen, 
vhne sich näher mit der Empirie einzulassen, erzielen jedoch schon 
ihrer Weite wegen leicht den Nebenefsekt des Dekorativen. Ein 
greifender ist, daß sich die Garbo, um ihren Gestaltungen die gene 
relle Gültigkeit zu wahren, unberührt erhalten muß. Das besagt, 
daß sie sich nicht ins gelebte Leben mischen darf, dessen Bindungen 
die Reinheit ihrer Existenz trübten. Die von ihr gewählte Abge 
schiedenheit verrät auch einen (freilich notwendigen) Mangel. Den am 
Dazwischen. Dadurch, daß die Garbo rein ihre Natur ausspielt, ver 
zichtet sie automatisch auf alle mimischen Prägungen, die nicht nur 
eine Natur, sondern auch ein durch zwischenmenschliche Beziehungen 
gemodeltes Dasein zur Voraussetzung haben. Die Wiedergabe der 
fraulichen Grundhaltungen schließt die von besonderen Haltungen 
aus, die sich erst als Frucht eines wirklichen Existenzkampfes er 
geben. Das Letzte kann man noch aus sich selber herausschlagen; 
das Vorletzte niemals. Bei der Darstellung ausgesprochener Typen 
oder zwischenschichtlicher Regungen wirkt die Garbo daher immer 
schwächer. Im Film: „Anna-Christie" spielt sie ein Mädchen, das 
am Anfang als Dirne auftritt; aber das Dirnenhafte bleibt un 
erfüllt und wird nur formal charakterisiert. Aehnlich blaß erscheint sie 
in jenen Szenen des Films: „Menschen im Hotel", die dem Froh 
locken der Liebe vorangehen. Sie hätte in ihnen den Kummer der 
alternden Tänzerin zu formen, deren Ruhm zu verwelken be 
ginnt. Doch das Gebärdenspiel, mit dessen Hilfe sie dieses mensch 
liche Stadium schildert, ist kaum mehr als eine Draperie, die 
längst nicht eng genug aufsitzt. Wie schematisch die betreffenden 
Posen sind, enthüllt sich durch ihre Konfrontation mit der Mimik 
Joan Crawfords, die den Typ der vorn Leben abgewetzten Steno 
typistin so realistisch durchbildet, daß nirgends ein Hohlraum ent 
steht. Hier, wo es sich darum handelt, empirische Züge heraus- 
zukristallisieren, ist die Garbo der Crawford gegenüber im Nachteil. 
Wer aber nähme diese ihre unausbleibliche Schwäche nicht gern 
mit in Kauf? Denn zur Entschädigung dafür, daß sie die Erfah 
rungswelt nicht widerzuspiegeln vermag, gestaltet sie die Welt 
des Allgemeinen, die durch sie erst Erfahrung wird. ' 
Kreta Karöo 
Eine Studie. 
Von S. Kraeauer. 
Berlin, im Februar. 
Wäre die Garbo nur schön, so ließe sich daraus das Wunder 
ihrer Weltgeltung nicht erklären. Gewiß ist ihre Schönheit schon 
ein seltenes Ereignis. Wie der hohe Wuchs mit dem Gesicht zu- 
sammenklingt, wie die Gesichtszüge selber sich Zueinander verhalten: 
das alles ist so richtig und genau angeordnet, daß keine Einzelheit 
auch nur um einen Millimeter verändert werden könnte. Aber es 
gibt andere Darstellerinnen (Lil Dagover zum Beispiel), denen 
ebenfalls das Attribut der Schönheit zukommt. Dennoch unter 
scheidet sich die Garbo bereits im Aeußeren von ihnen, und zwar 
durch die Art ihrer Schönheit. Diese verträgt nicht die geringste 
nähere Bestimmung. Weder ist sie lieblich, noch großartig, noch 
auch darf man sie als blendend bezeichnen. Sie hat keine Eigen 
schaften, sie ist Schönheit schlechthin. 
Vorausgesetzt, daß sich in der Erscheinung eines Menschen sein 
Wesen darstellt, so kann eine solche nicht zu differenzierende Schön 
heit nur aus Zwei Arten der Existenz Hinweisen. Die eine Möglich 
keit wäre die, daß sie den Zustand völliger Leere ausdrückt. Das 
heißt, es ist durchaus denkbar, daß das Schöne, dem alle charakte 
ristischen Merkmale fehlen, ein Sein ohne Gehalt vergegenwärtigt 
und die Harmonie nur eine Larve ist, hinter der sich nichts ver 
birgt. Schönheit und Dummheit paaren sich oft. Die andere, der 
hier gemeinten Schönheit eingeräumte Möglichkeit ist die, daß sie 
aus der Fülle stammt und eine komplette Natur anzeigt. So ver 
hält es sich in der Tat bei der Garbo. Ihr Spiel bestätigt, daß die 
Schönheit, über die sie verfügt, nicht in der Armut, sondern im 
Reichtum der Existenz gegründet ist. 
Die Natur, aus der sie schöpfen kann, ist nun keineswegs allein 
die elementare, jene, die in die Seele hineinwuchert und den Geist 
abstößt. Denn ginge es nur um sie, so müßte sich ja die Schönheit 
der Garbo schon specifizieren lassen. Sie wäre dann wild oder auch 
mütterlich, und die Garbo selber verkörperte ausschließlich das 
Weib. Nicht so, als ob sie dumpfer Natur ermangelte. Im Gegen 
teil, ihr Sein ist durchaus kreatürlich bedingt, und man spürt 
immer neu, daß es noch in der Erde wurzelt. Etwas Volkshaftes 
setzt sich in ihrem Spiel häufig durch. Entscheidend ist jedoch, daß 
es bei den Manifestationen der Natur im engeren Sinne nicht sein 
Bewenden hat. Was sich in der Garbo kundgibt, ist vielmehr die 
gebildete Natur. Eine, die den Geist annimmt und durchläßt, statt 
sich gegen ihn Zu empören, und sich überhaupt allen wirklichen 
Mächten öffnet, die an die Existenz des Menschen rühren. Sie läßt 
sich mit Klugheit vereinen und reicht aus dem Dunkel dämonischer 
Besessenheit in die Helle schwereloser Gefühle. Anders ausgedrückt: 
die Garbo ist nicht so sehr das Weib als die Frau. Und es ist ein 
einzigartiger Glücksfall, daß sich in ihr sämtliche Elemente des 
unbewußten und seiner bewußt gewordenen Daseins zusammen- 
ftnden, ohne daß eines von ihnen um der übrigen willen hätte ver 
kümmern müssen. Entstehen sonst gewöhnlich 'Konflikte, die zu einer 
einseitigen Lösung Zwingen, so herrscht hier ein unverkrampftes 
latentes Gleichgewicht, das jeweils verschiedene Lösungen ermög 
licht. Der exakte Widerschein dieses Gleichgewichts aber ist die 
Schönheit der Garbo, die bedeutungslos wäre, wenn sie nicht das 
Miteinander vieler Bedeutungen enthielte. 
Beinahe wunderbarer als eine derartige Mitgift ist der Ge 
brauch, der von ihr gemacht wird. Ihm und nicht dem vorhandenen 
Fundus an Schönheit und Natur verdankt die Garbo den Welt 
ruhm, den sie besitzt. Er ist daran geknüpft, daß sie mit einem 
großen Können und einer vielleicht noch größeren Jnstinktsicher- 
heit genau das verwirklicht hat, wozu ihre Anlagen sie vorbestim 
men: die Frau, die nichts anderes ist Frau. Das eigentliche 
Geheimnis der Garbo besteht eben darin, daß sie einen Typus 
versinnlicht, der gar kein Typus ist, sondern gewissermaßen die 
Gattung selber repräsentiert. Wahrhaftig, die Gestalt, zu der sie 
sich in ihren Filmen verdichtet, erreicht einen so hohen Allgemein- 
/heitsgrad, daß alle nur typischen Züge wie ausgelöscht sind. Bei 
/anderen Schauspielerinnen kann man gewöhnlich Herkünfte und 
Schicksale erraten, oder doch irgend welche besondere Kennzeichen 
und Gaben feststellen, die ihnen ein- für allemal eignen. Sie sind 
so und so beschaffene Frauen, und ihr Aktionsradius ist daher auch 
beschränkt. Die Garbo dagegen entzieht sich jeder solchen Fixierung. 
Ihr Alter verändert sich fortwährend, ihre Nationalität spielt keine 
Rolle, ihre Erscheinung wechselt vom Mädchen zum Kind und vom 
Kind Zur Dame hinüber. Ebenso wenig wie sie chargiert, hat sie 
eine spezielle Note, die sich in ihr Signalement eintragen ließe, 
Sie ist die Frau als solche und nichts außerdem. 
Das Allgemeine, Gattungsmäßige zu veranschaulichen, gelingt 
^er dadurch, daß sie vor allem jene Gehalte darstellt, sie 
Anstatt in Gebärden, Nuaneierungen
	        
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