und Verhaltensweisen zu glänzen, die nicht a xriori mitgegeben,
sondern nur durch die Eingliederung in die Gesellschaft und zahl
reiche empirische Erfahrungen zu gewinnen sind, formt sie vor
wiegend Bestände, die, unabhängig von äußeren Relationen, aus
- einer so vollen Existenz wie der ihren unschwer heraufgeholt wer
den können. Man erzählt sich, daß die Garbo ein sehr zurückge
zogenes Leben führe. Zweifellos hält sie sich auch darum allein,
weil sie gerade die Erlebnisse und Verwandlungen ausscheiden
muß, die den zwischenmenschlichen Beziehungen zwangsläufig ent
wachsen. Sie verschleißen das Gattungswesen in der Regel zum
mehr oder minder typischen Exemplar. Welche andere Darstellerin
vermöchte allerdings'eine Allgemeinheitsstufe zu erfüllen, die noch
höher wäre als der Typus? Indem die Garbo sich von der Welt
absondert, gehorcht sie vertrauensvoll den Anweisungen ihrer
Natur. Diese produziert aus sich heraus und ohne fremdes Zutun
alle Grundgefühle und wesentlichen Einstellungen des Frauen-
lebens. Auf ihnen ruht denn auch der Hauptakzent ihres Spiels.
Im Film: „Menschen im Hotel" etwa entfaltet sie sich dort am
stärksten, wo sie über ihre Liebe jubiliert. Es ist gleichsam das
Liebesglück an sich, das sie darbietet, ein Glück, das nicht erst
durchs Medium der Erfahrung hindurchgegangen ist, sondern
schleierlos erscheint. Wenn sie es in vielen Variationen vor Augen
führt, sg hat man den Eindruck, daß sie nur bei sich selber einzu-
kehren braucht, um den ganzen Stoff des Glücks anzutreffen. Sie
greift in die Saiten ihres Wesens und bringt die eigene Existenz
zum Tönen. Damit hängt der andere Eindruck zusammen, daß
, sie auf den Höhepunkten immer monologisiert. Der Gegenspieler
wird ihr zum Gegenstand, an dem sie sich entzündet, die Fabel
schenkt ihr Gelegenheiten zum Einsatz, und der Raum, den sie der
Zofe oder dem Geliebten teilt, gehört ihr tatsächlich allein. Dabei
drängt sie sich keineswegs vor; ihr Sein vielmehr, dem sie jede
Geste entnimmt, drängt von sich aus die Außenwelt zurück. Es
ist so angelegt, daß sie nicht nur wie in diesem Film das Glück,
- sondern auch den Schmerz, die Enttäuschung oder die sich opfernde
Liebe verkörpern kann. Auf die Verbildlichung solcher fundamen ¬
, Laler Zustände, die nicht so sehr einem bestimmten Frauentyp als
s der Frau überhaupt zugeordnet sind, konzentriert sich in Wahrheit
ihr Spiel.
Der Preis, den die Garbo für ihre Größe zahlt, ist hoch. In
folge des außerordentlichen Allgemeinheitsgrades ihrer Formu-
. lierungen läuft sie stets die Gefahr, dekorative Wirkungen hervor
!' zurufen. Vor allem in einem Ensemble, das sich durch realistische
' Leistungen auszeichnet. Im Vergleich mit ihnen scheint die der
Garbo manchmal stilisiert zu sein; obwohl sie viel zu reich ist,
/ um ihre Zuflucht bei seinsmäßig nicht unterbauten Stilisierungen
/ M suchen/M den Gattungsbegriff bestimmen,
vhne sich näher mit der Empirie einzulassen, erzielen jedoch schon
ihrer Weite wegen leicht den Nebenefsekt des Dekorativen. Ein
greifender ist, daß sich die Garbo, um ihren Gestaltungen die gene
relle Gültigkeit zu wahren, unberührt erhalten muß. Das besagt,
daß sie sich nicht ins gelebte Leben mischen darf, dessen Bindungen
die Reinheit ihrer Existenz trübten. Die von ihr gewählte Abge
schiedenheit verrät auch einen (freilich notwendigen) Mangel. Den am
Dazwischen. Dadurch, daß die Garbo rein ihre Natur ausspielt, ver
zichtet sie automatisch auf alle mimischen Prägungen, die nicht nur
eine Natur, sondern auch ein durch zwischenmenschliche Beziehungen
gemodeltes Dasein zur Voraussetzung haben. Die Wiedergabe der
fraulichen Grundhaltungen schließt die von besonderen Haltungen
aus, die sich erst als Frucht eines wirklichen Existenzkampfes er
geben. Das Letzte kann man noch aus sich selber herausschlagen;
das Vorletzte niemals. Bei der Darstellung ausgesprochener Typen
oder zwischenschichtlicher Regungen wirkt die Garbo daher immer
schwächer. Im Film: „Anna-Christie" spielt sie ein Mädchen, das
am Anfang als Dirne auftritt; aber das Dirnenhafte bleibt un
erfüllt und wird nur formal charakterisiert. Aehnlich blaß erscheint sie
in jenen Szenen des Films: „Menschen im Hotel", die dem Froh
locken der Liebe vorangehen. Sie hätte in ihnen den Kummer der
alternden Tänzerin zu formen, deren Ruhm zu verwelken be
ginnt. Doch das Gebärdenspiel, mit dessen Hilfe sie dieses mensch
liche Stadium schildert, ist kaum mehr als eine Draperie, die
längst nicht eng genug aufsitzt. Wie schematisch die betreffenden
Posen sind, enthüllt sich durch ihre Konfrontation mit der Mimik
Joan Crawfords, die den Typ der vorn Leben abgewetzten Steno
typistin so realistisch durchbildet, daß nirgends ein Hohlraum ent
steht. Hier, wo es sich darum handelt, empirische Züge heraus-
zukristallisieren, ist die Garbo der Crawford gegenüber im Nachteil.
Wer aber nähme diese ihre unausbleibliche Schwäche nicht gern
mit in Kauf? Denn zur Entschädigung dafür, daß sie die Erfah
rungswelt nicht widerzuspiegeln vermag, gestaltet sie die Welt
des Allgemeinen, die durch sie erst Erfahrung wird. '
Kreta Karöo
Eine Studie.
Von S. Kraeauer.
Berlin, im Februar.
Wäre die Garbo nur schön, so ließe sich daraus das Wunder
ihrer Weltgeltung nicht erklären. Gewiß ist ihre Schönheit schon
ein seltenes Ereignis. Wie der hohe Wuchs mit dem Gesicht zu-
sammenklingt, wie die Gesichtszüge selber sich Zueinander verhalten:
das alles ist so richtig und genau angeordnet, daß keine Einzelheit
auch nur um einen Millimeter verändert werden könnte. Aber es
gibt andere Darstellerinnen (Lil Dagover zum Beispiel), denen
ebenfalls das Attribut der Schönheit zukommt. Dennoch unter
scheidet sich die Garbo bereits im Aeußeren von ihnen, und zwar
durch die Art ihrer Schönheit. Diese verträgt nicht die geringste
nähere Bestimmung. Weder ist sie lieblich, noch großartig, noch
auch darf man sie als blendend bezeichnen. Sie hat keine Eigen
schaften, sie ist Schönheit schlechthin.
Vorausgesetzt, daß sich in der Erscheinung eines Menschen sein
Wesen darstellt, so kann eine solche nicht zu differenzierende Schön
heit nur aus Zwei Arten der Existenz Hinweisen. Die eine Möglich
keit wäre die, daß sie den Zustand völliger Leere ausdrückt. Das
heißt, es ist durchaus denkbar, daß das Schöne, dem alle charakte
ristischen Merkmale fehlen, ein Sein ohne Gehalt vergegenwärtigt
und die Harmonie nur eine Larve ist, hinter der sich nichts ver
birgt. Schönheit und Dummheit paaren sich oft. Die andere, der
hier gemeinten Schönheit eingeräumte Möglichkeit ist die, daß sie
aus der Fülle stammt und eine komplette Natur anzeigt. So ver
hält es sich in der Tat bei der Garbo. Ihr Spiel bestätigt, daß die
Schönheit, über die sie verfügt, nicht in der Armut, sondern im
Reichtum der Existenz gegründet ist.
Die Natur, aus der sie schöpfen kann, ist nun keineswegs allein
die elementare, jene, die in die Seele hineinwuchert und den Geist
abstößt. Denn ginge es nur um sie, so müßte sich ja die Schönheit
der Garbo schon specifizieren lassen. Sie wäre dann wild oder auch
mütterlich, und die Garbo selber verkörperte ausschließlich das
Weib. Nicht so, als ob sie dumpfer Natur ermangelte. Im Gegen
teil, ihr Sein ist durchaus kreatürlich bedingt, und man spürt
immer neu, daß es noch in der Erde wurzelt. Etwas Volkshaftes
setzt sich in ihrem Spiel häufig durch. Entscheidend ist jedoch, daß
es bei den Manifestationen der Natur im engeren Sinne nicht sein
Bewenden hat. Was sich in der Garbo kundgibt, ist vielmehr die
gebildete Natur. Eine, die den Geist annimmt und durchläßt, statt
sich gegen ihn Zu empören, und sich überhaupt allen wirklichen
Mächten öffnet, die an die Existenz des Menschen rühren. Sie läßt
sich mit Klugheit vereinen und reicht aus dem Dunkel dämonischer
Besessenheit in die Helle schwereloser Gefühle. Anders ausgedrückt:
die Garbo ist nicht so sehr das Weib als die Frau. Und es ist ein
einzigartiger Glücksfall, daß sich in ihr sämtliche Elemente des
unbewußten und seiner bewußt gewordenen Daseins zusammen-
ftnden, ohne daß eines von ihnen um der übrigen willen hätte ver
kümmern müssen. Entstehen sonst gewöhnlich 'Konflikte, die zu einer
einseitigen Lösung Zwingen, so herrscht hier ein unverkrampftes
latentes Gleichgewicht, das jeweils verschiedene Lösungen ermög
licht. Der exakte Widerschein dieses Gleichgewichts aber ist die
Schönheit der Garbo, die bedeutungslos wäre, wenn sie nicht das
Miteinander vieler Bedeutungen enthielte.
Beinahe wunderbarer als eine derartige Mitgift ist der Ge
brauch, der von ihr gemacht wird. Ihm und nicht dem vorhandenen
Fundus an Schönheit und Natur verdankt die Garbo den Welt
ruhm, den sie besitzt. Er ist daran geknüpft, daß sie mit einem
großen Können und einer vielleicht noch größeren Jnstinktsicher-
heit genau das verwirklicht hat, wozu ihre Anlagen sie vorbestim
men: die Frau, die nichts anderes ist Frau. Das eigentliche
Geheimnis der Garbo besteht eben darin, daß sie einen Typus
versinnlicht, der gar kein Typus ist, sondern gewissermaßen die
Gattung selber repräsentiert. Wahrhaftig, die Gestalt, zu der sie
sich in ihren Filmen verdichtet, erreicht einen so hohen Allgemein-
/heitsgrad, daß alle nur typischen Züge wie ausgelöscht sind. Bei
/anderen Schauspielerinnen kann man gewöhnlich Herkünfte und
Schicksale erraten, oder doch irgend welche besondere Kennzeichen
und Gaben feststellen, die ihnen ein- für allemal eignen. Sie sind
so und so beschaffene Frauen, und ihr Aktionsradius ist daher auch
beschränkt. Die Garbo dagegen entzieht sich jeder solchen Fixierung.
Ihr Alter verändert sich fortwährend, ihre Nationalität spielt keine
Rolle, ihre Erscheinung wechselt vom Mädchen zum Kind und vom
Kind Zur Dame hinüber. Ebenso wenig wie sie chargiert, hat sie
eine spezielle Note, die sich in ihr Signalement eintragen ließe,
Sie ist die Frau als solche und nichts außerdem.
Das Allgemeine, Gattungsmäßige zu veranschaulichen, gelingt
^er dadurch, daß sie vor allem jene Gehalte darstellt, sie
Anstatt in Gebärden, Nuaneierungen