Weotogie gegen Nationalismus.
Benlirr, im Januar.
Wie unzutreffend die häufig gehörten Klugen Wer die wach
sende Veroberflächlichung und Sensationslust unserer Zeitgenossen
sind, scheint mir durch eine von der Gesellschaft für deutsches
Schrifttum arrangierte Veranstaltung erwiesen, die dieser Lage
m der Berliner Singakademie stattfand. Die Ankündigung, daz
in ihr Friedrich Hielscher, k. Erich Przhwara und Pros. Günther
Dehn über das Thema: „Reich und Kreuz" sprechen wür
den, hatte so viele Menschen herbeigelockt, daß der große Saal mü
seinen Balkönen und Emporen bis auf den letzten Platz gefüllt
war. Und nicht genug damit: das Publikum erlahmte keineswegs
im Verlauf des Abends oder verflüchtigte sich gar nach der ein
gelegten Pause, sondern folgte knapp drei Stunden lang mit un
verminderter Aufmerksamkeit Ausführungen, die an Schwierigkett
nichts zu wünschen übrig ließen- Da sage noch einer, daß die
eigentlichen Attraktionen der Gegenwart Kinos und Boxkämpfe
seien! Allerdings galt die Aussprache den letzten Dingen, und
vielleicht ist überhaupt eine Anekdote nicht ganz unrichtig, die von
Heinrich Wölsflin herrühren soll. Wenn ein Deutscher, habe Wolfs-
lm gesagt, auf eine Weggabelung stößt, und am einen Weg steht
eine Tafel mit der Aufschrift: „Hier geht es zum Paradies", am
anderen Weg aber eine mit der Aufschrift: „Hier geht es zu einem
Vortrag über das Paradies", so wählt der Deutsche unweigerlich
den Weg zum Vortrag über das Paradies. Daher sind wir auch
noch immer so weit von paradiesischen Zuständen entsernt-
Man weiß, daß Friedrich Hielscher einer der Verküuder
des neuen Nationalismus ist. Er hat das Buch „Das Reich"
geschrieben und gibt eine Zeitschrift gleichen Titels heraus, Zu
deren Mitarbeitern unter anderem Ernst Jünger, Franz Schau
wecker, F. W. Heinz und Ernst von Salomon gehören. In seinem
Referat, das den Abend einleitete, entwickelte er, was er unter dem
„Reich" versteht, und hielt überhaupt mit weltanschaulichen und
weltgeschichtlichen Perspektiven nicht hinter dem Berg Zurück. Um
das Ergebnis der Aussprache gleich verwegZunehmen: der pro
testantische und der katholische Theologe hoben Hielscher mit Leich
tigkeit aus dem Sattel, in dem er nicht sitzt.
Denn sein Weltbild ist gar kein Weltbild, sondern nichts weiter
als ein Gemenge halbverdauter Begriffe, die aus unkontrollierten
Bedürfnissen des Gemüts heraus zu sturen Zwecken umgerührt
werden. Worin besteht diese Schau des „Reichs"? Hielscher
glaubt aus Luther — einem Luther, wie er ihn begreift — die
Auffassung beziehen zu können, daß die Welt, die in Spannung
Mischen Krieg und Frieden lebt, Gottes sei und daher gutge
heißen werden müsse, wie sie ist. Ferner: daß der Staat die Be
fugnis habe, den Anspruch auf absolute Macht zu erheben. Daß
für diese Einsichten auch Nietzsche und Heget als.Kronzeugen rekln-'
miert werden, bedarf kaum einer Erwähnung; große Gedanken sind
stets der Gefahr privaten Mißbrauchs ausgesetzt, der freilich auch
seine Grenze haben sollte. Träger der verabsolutierten Staatlich
keit ist nach Hielscher natürlich das Preußentum, das weniger
einen Stamm unter den Stämmen darstelle als die Verkörperung
der Alacht. Nimmt man nun noch den Begriff der Innerlichkeit
hinzu, der dem der Macht korrespondiert, so sind die Baumaterialien
fürs Reich nahezu beisammen. Deutscher wird man, wie Hielscher
erklärt, nicht durch Herkunft, landschaftliche Verbundenheit usw.,
sondern allein durch die innere Entscheidung. Die Rasse bildet also
keine Voraussetzung des Deutschtums, kommt vielmehr erst am
Ende herauf. Tritt Hielscher damit auch in Gegensatz zu anderen
nationalistischen Kreisen, so gelingt es ihm doch durch diesen
kühnen idealistischen Dreh, den künftigen Typus des Deutschen Zu
dem des Menschen überhaupt zu verallgemei^ Er gilt ihm als
der Bürger des „Reichs", das sich eines Tages von der Rhein
mündung bis nach Siebenbürgen dehnen werde. Es ist „ewig",
es ist dem Kreuz überlegen. Seine Funktion ist: die Macht um
der „Innerlichkeit" willen zu „tun".
ch
Die dogmatischen Erörterungen der Theologen hatten mit
dieser dilettantisch zusammengezimmerten GedankenbaoE ein
leichtes Spiel. Ich schicke einen Hinweis auf die Rede Pater
Przywaras voraus, deren geistreiche Konstruktionen sich nicht
eigentlich unmittelbar mit Hielscher und dem modernen Natio
nalismus befaßten. Vorn Standpunkt katholischer Theologie aus
ist nach Pater Przhwara der Begriff des Reiches mit dem Gottes
synonym und die Kreatur der Ort sich kreuzender Spannungen.
Gewiß wird die Kreatur in Gott hineingeboren und hat an
seiner Herrlichkeit und Fülle teil —° hier unterscheidet sich die
katholische Lehre von der protestantischen —, aber gerade durch
diese Teilhabe erfährt sie nur immer deutlicher den Abstand von
Gott und die Unmöglichkeit, sich seiner magisch Zu bemächtig
Das heißt nichts anderes, als daß ein Nationalismus ä La Hiel-
scher zu verwerfen sei. Die eivitas Der, deren letzte Darstellung
Las Heilige Römische Reich Deutscher Nation war, ist durchaus
im Zeichen des Kreuzes konzipiert. Was die deutsche Gegenwart
betrifft, so gelangte Przhwara zu einer merkwürdigen Deutung,
die iedenfalls den nationalistischen Wahn in tiefen Schatten
taucht. Deutschland habe die Anwartschaft aufs Reich insofern,
als es das Volk der furchtbarsten Spannungen sei, die sich bis in
die Formen des Denkens hinein kreuzten
Angepchts der Tc: .. daß der neue Nationalismus zweifel
los protestantische EmSDge hat, waren die Darlegungen Pros.
Günther Dehns besonders wichtig Dehn, um" deffentwillen
seinerzeit der unrühmliche Hallenser Universitätsskandal entstand,
gehört dem Kreis der radikalen protestantischen Theologen an.
Seins Rede wirkte außerordentlich stark; nicht nur darum, weil
sie fundierte Ueberzeugungen schlagend formulierte, sondern auch
der seltenen Einheit von Person und Sache wegen, die sie ver
mittelte. Schon die von ihm Vovausgesandte Erklärung, daß er
nicht aus einer unkontrollierbaren Schau heraus spreche, in der
jeder seine private Innerlichkeit gestalten dürfe, war ein Gericht
über das Schaubudenwesen Hielschers. Luther ist nach Dehn der
„Theologe des Kreuzes", dem Gott alles bedeutet und der Mensch
nichts. Und da die Auffassung, daß man Gott nur im Wagnis
des Klaubens, nicht aber realiter haben könne, das Kernstück
lutherischer Lehre bildet, ist der Versuch Selschers, Luther in den
Pantheismus hineinzuziehen, ein vollendeter Widersinn. Die Welt
ist für den Protestanten Gottes nicht voll. Wie hatte also Luther
den Staat, der von dieser Welt ist, heiligen oder gar ein „ewiges
Reich" anerkennen sollen? Der Staat steht Lei ihm eindeutig
unter dem Kreuz, er gehört mit der von Gott obgefallenen
Menschheit zusammen und hat Funktionen üuszuübeu, die sich
vom Evangelium her eine Begrenzung gefallen lassen müssen. So
gewiß der Staat souverän ist, über die Mittel der Macht und
der Gewalt verfügen muß und Anspruch aus die ihm eigentümliche
Würde und Ehre hat — ebenso gewiß ist er nicht unumschränkt
über die Menschen gesetzt, sondern hat ibnen, die ihm übergeben
sind, zu dienen. „Herrschaft Zum Dienst" lautet die Formel für
ihn; sie bestimmt den Ort des Staates und weist zugleich auf die
Wächterrolle hin, die der Kirche ihm gegenüber zukomme. Die Fol
gerungen aus diesen Geologischen Erkenntnissen wurden von Dehn
ausdrücklich gezogen. Und zwar verurteilte er nicht nur bündig
das Gerede vom „totalen Sbaat" und der „totalen Mobilmachung",
sondern kennzeichnete auch sehr richtig die Leere solcher Aspim-
tionem Im Staatsbegriff des modernen Nationalismus gibt sich,
wie er betonte, nichts anderes kund als das Verlangen nach dem
reinen Herrschaftsstaat, der von keinem übergeordneten
göttlichen Gebot mehr getroffen wird. Hielschers- „Innerlichkeit"
sowohl wie sein „ewiges Reich": im Wesen sind sie willkür
liche und gigantische S e l L st s e h u n g e n vitaler
Kräfte. Und die mystischen Schauer, mit denen der Erschauer
des Reichs dieses umgibt, sollen in Wahrheit nur den Willen zuc
Macht-einhüllen, der das Wahngebilde des „Reichs" emportreM.
Er bedarf aber des Gewandes, weil er den Anblick seiner eigenen
Kläglichkeit nicht ertrüge
*
Soweit die Theologen. - Ihre Kritik der imperialistischen
Msion" Hielschers ist durch die profane Zu vervollständigem
Die Wsage an die kirchliche Theologie spricht an sich noch keines
wegs gegen eine große politische Konzeption, wäre vielmehr durch
aus zu rechtfertigen, wenn diese Konzeption an die Stelle der theo
logischen Gehalte solche setze, die den ivon je) geforderten revolutio
nären Eingriff in unsere gesellschaftliche Wirklichkeit heute und hier
gestattetem Das meinte wohl Dehn, als er feststellte, daß Hielscher
die Ideen des Friedens und der Gerechtigkeit nirgends berücksich
tige, und gegen die Oede seines Reichsbegriffs die kommunistische
Lehre ausspielte, in der doch heilsgeschichtliche Erwartungen nach-
klängen Zum Unterschied von einem Begriff wie B. dem der
klassenlosen Gesellschaft, bei dem es sich nicht zuletzt auch um die
aktuelle Transformation theologischer Fixierungen handelt,, ist
in der Tat das „ewige Reich" (so gut wie das „dritte Reich") bar
jeden wirklichen Inhalts. Es läßt sich nicht substantneren, es kommt
aus dem Dunkel der Triebe und geht wieder ins Dunkel ein; trotz
oder gerade wegen seines magischen Glanzes, der nur die Verblen
deten blendet. ,Macht" und „Innerlichkeit": zwei formale, sinnleere
Begriffe, die in der ihnen von Hielscher zudiktiertsn Isolierung über
haupt keinen Bestand haLen. Denn, aber die Konstruktion des neuen
Nationalismus, den strengen Bestimmungen der Theologen zufolge,
Ausgeburten eines blinden Machtverlangens sind, so ist damit zu
gleich ihr ideologischer Charatter getroffen. Indem .sie sich
als Leerläufe enthüllen, die eine Sache weder haben noch meinem^
verraten sie ihre eigentliche Funktion: die der GlorifizieruM
wisser Interessen. Es wäre nicht allzu schwer, , jene Bevölkerungs
gruppen, Wirtschaftsformen und DaseinZweisen näher zu bezeichnen,
die sich kraft der nationalistischen Ideologien wieder, in den Besitz
der Macht bringen wollen. Doch die Erledigung dieser Aufgabe
führte zu weit. Genug, wenn erwiesen ist, daß das „ewige Reich"
Hielschers nichtH sonst darstellt als einen windigen UeLerbau, der
einstürzt, kaum daß man ihn anrührt.' Die. DärchL des „Reichs"
ist nur Macht, seine Innerlichkeit ein abstraktes Gehankending^
seine Mystik faktisch eine (unbewußte) Mystifikation. Nicht. ohne .
Grund sagte Dehn einmal, daß ein Reich nur aus geschichtlicher
Notwendigkeit entstehen könne. Durch ihre Gegenstandslosigkeit
widerlegt die Schau Hielschers unfreiwilligerweise das historische
Recht der von ihr vertretenen Interessen,
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