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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.04/Klebemappe 1924 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

besser nicht wünschen kann. 
ZWbZrMO. 
Versteht man unter Zauberei die Beschwörung von Gei- 
stern,-die Verwandlung von Menschen in schreckliche Tiere, so ist 
W einte achtend, --atz diese schwarze Magie in unseren fortgeschrit 
tenen Zeiten nichts mehr Au suchen hat. Wer wollte m erner 
Epoche der Eisenbetonbrücken und des Rundfunks dem Manns 
mir der spitzen Mütze und dem Zauberstaö noch Glauben schenken, 
wenn er seine Kreise zieht und in ihnen unerklärliche Phänomene 
ProduAert? Nein, er begegnete der Skepsis überall und seine 
Künste vermochten Zivilisierten Menschen nur ein Lächeln Zu ent 
Locken. 
Bestünde die Zauberei auf jenem alten Hokuspokus, sie wäre 
füglich erledigt. Indessen, sie hat sich modernisiert, sie halt mit dem 
Zengeist Schritt- sie ist zur Technik geworden. Obgleich es als 
Widerspruch erscheint, daß das Hexen ohne Hexerei vor sich gehen 
solle, so ist ihm doch nichts übrig geblieben, als der modernen Ün- 
glärKigkeit Rechnung Zu tragen und sich genau so zu vollziehen 
wie "irgend ein industrieller Prozeß. Nur eben mit einer sollen 
Geschwindigkeit, daß man de einzelnen Phasen deZ Prozesses 
nicht verfolgen kann, und lediglich das glorreiche Endergebnis der 
ManLpulaüonen erfährt. Dieses Ergebnis ist wahrhaft wunderbar, 
rind diese Geschwindigkeit ist die moderne Hexerei. Sie rein 
als Technik Zu bezeichnen, wäre frivol; wie jede hohe technische 
Leistung beansprucht sie bereits den Rang der Kunst, und der Name 
Handkunst bezeichnet sie gewiß am genauesten. Wer weiß, 
auch die Circe war lediglich eine Handkünstlerin, und die in sie 
verliebten Genossen des Odyffeus bildeten sich nur ein, als 
Schweine herumzuwühlen. Irgend ein Trick wandelte ihre Phan 
tasie, und das Gegrunze rührte am Ende gar nicht von ihnen selber 
«er. Heute jedenfalls beruht die Zauberei durchaus auf der Ge- 
Mlcklichkeil in der Anwendung ratioM einsichtiger Mittel und der 
Intellekt wundert sich nur über seine eigenen Wunder. 
Au solchen und anderen Betrachtungen gab die Zauber- 
Pr isat-S o L re e Anlaß, die am Mittwoch Abend von der 
Frankfurter Sektion des magischen Zirkels Leip- 
ßig veanstaltet worden war. Man versammelte sich in einem 
ELMen von besche denen Ausmaßen, und daß man den Künstlern 
— I.-Das schöne DaS von Alexander Koch 
herauSgsgedene Werk: »Das schöne Heim" ist jetzt in einer 
zweiten verbesserten Aussage erschienen, die den knapper zusammen- 
g-efaßten Stoff um praktische Winke bereichert. Den Zeitschriften 
und ALbildungSbLnde» der Kochschen Verlagsar.Mt gesellt sich 
dieses Buch als literarisch er Ratgeber bei. Die man- 
nigkachsten Autoren begleiten in ihm das Werden des Eigen» 
Hauses von seinem embryonalen Zustand im Kopf« des Bau 
herrn an bis zu seiner vollendeten räumlichen Existenz. Nichts 
wird hier ausgelassen, kein Stadium Übergängen. An die Er. 
ört«rung des Bauprogramms schließen sich methodische Er 
wägungen über die Gestaltung der einzelnen Räume, Beleuchiungs- 
und Heizungsfragen werden ebenso eingehend gewürdigt wie 
d-e Aufstellung von Kunstwerken im Heim, und auch di« hausfrau 
lichen Dings, die Anlage des Gartens, die Vorkehrungen für 
Körperpflege finden sich in den Kreis der Überlegungen ein 
bezogen. Den Bauluftigen mag das Kompendium gute Dienste 
leiste». Dir Eigentümer eines Heims wag es anleitsn zu seinem 
BM- , Tr. 
-- s„Armes, klemes Mädchen."^ Der Deulig-FiluE 
„Armes, klemes Mädchen", der jetzt in Frankfurt (in der Nmen 
LichtLühne') vorgeführt wird, gehört zu jenen heute noch seltenen 
Kompositionen, in denen das Wesen des Filmes eins reine Ges 
staltung findet. Die Fabel gibt Andersens Märcken von dem 
kleinen Mädchen her, das im Winter auf den Straßen Schwefel 
Hölzer verkauft und zuletzt erfriert, während die Seele empor« 
geleitet wird in lichtere Gefilde- Der Film übersetzt diese HandZ 
lung in Bewegung, in eine Folge von Licht und Schatten, einen 
Reigen dn Gestalten im Schnee, ein stummes Hasten auf Treppen 
und an Brückengeländern, eins rhythmische Verdichtung aller Sicht« 
barkeiten, die ohne Worte Zu sprechen beginnen. Erscheinung um 
Erscheinung gleitet vorbei, das äußere Leben in seiner Mannig« 
fMgkeit stellt gleichsam selber sich dar — ein unaufhörlich flutender 
Strom peripherer Begebenheiten, aus dem e improvisier* die 
Handlung erwächst, ein Gewebe von Au len, das Schicksal, 
Seele. Wunder hindurch Schimmern läßt. Niddy Jmpekoven, 
das kleine Mädchen, ist die klagende Melodie in dieser Polyphonie 
aus Hell und Dunkel. Kahl -an Geste wie die abgebröckelts 
hockt sie in der Dachkammer, ein frierendes Etwas, so wandert sie 
durch das drohende Berlin, flehend wie ein Lichtrefler im Schnee« 
geftöber spricht sie den Kastanienverkäufer und den Autogast an, 
und ihre Wicke irren angstvoll umher, zurückgedrängt von d^n 
HauZwanden und der Leere zwischen den Menschen. Am Ende 
entzündet sie ein- Schwefelholzchen, sich Zu wärmen, und stehe: die 
Wirklichkeit der Wendstraße verwandelt sich unwirklich in die 
andere Wirklichkeit — ein Weihnachtssaum erstrahlt. Lebkuchen« 
männer umtanzen eine knusperige Gans, die sich selber tranck-ieck, 
und dann tut eine wunderbare Tr^pe sich auf. di» gradweas in 
den Himmel führt, und die kleine Niddy tanzt die Stuten hi an, 
dis Kleid ersetzen fallen ab, und schwebend wallt sie hinüber. Deh 
arme Körper aber versinkt im Schnee» Tr. 
auf die Finger sehen konnte, erhöhte noch den Genuß an iärer 
Fertigkeit, die trotz der Kontrolle wieder und wieder erstaunte. 
Es begann mit Bällen, die ein junger Zauberlehrling, Herr 
Gutelli, nach Gutdünken auftauchen und verschwinden ?etz, 
ohne daß man wußte wohin. Ein beruhigendes Intermezzo führte 
dann sozusagen ins natürliche Leben zurück: Herr Elf e'n- 
heimer zeichnete Karikaturen, oder vielmehr, die Karika- 
tuoen flogen von selber auf das Matt, kaum daß er mit der Kohle 
oarüber fuhr. Wußte man auch woher, so wußte man es dock erst 
nachher, da das Ganze schneller als ein Gedanke Zu Ende geriet. 
Zauberkünstler Lamari. der Veranstalter der Sitzung, Le- 
gleitete mit munteren absichtsvollen Reden Wunderwerke der 
Hexerei. Kein Wort fei verloren über Zauberhafte Nichtigkeiten, 
die mir zum Spiel, zur Uebung gewissermaßen unternommen wur 
den: also etwa das Hervoclocksn von Geldstücken aus der Weste 
des ahnungslosen — eine bene'bensw^ e Fähigkeit, 
Leren Besitz jede andere eigentlich unnötig machen sollte oder 
die Verwandlung einer Karte in eine andere. Wesentlicher schon 
ist eine Produktion wie diese: man steckt in einen Lampeuryflnder 
aus Was drei Tücher --- ein rotes in die Mitte und rechte und 
links davon je ein grünes. Dann schlenkert man den Zylinder ein 
Wenig, und siehe, oder stehe nicht — das rote Tuch in der Mitte 
ist sott. Einfach fort. Hexerei. Der Gipfel ist entschieden die 
Verzauberung eines lebendigen Vögelchens, das in einem grünen 
KäNa Vievü. Mich war es ersstent und fröhlich, nun eine Be- 
z wegung, und der Käfig hat sich in Nichts sufgelE 
nicht mehr existente Vögelchen räücht plötzlich Me^ Hut 
einer fremden Dame wieder auf, piepsend, als ob nichts inzwischen 
geschehen sei. Woher, wohin? Es ist entzückend, daß man darüber 
nicht Nachdenken muß, sondern schlicht sich, sagen dsH, daß die 
moderne Magie HanLkunst sich nennt. 
Auch ein Zusä^uex und Dilettant Wrigens mMete sich 
zu den Karten, ein Liebhaber freilich, der es .mir manchem 
greifen, erfahrenen Zauberer es aufnehmsn magr Herr 
Bruno Fürst, dessen Künste schlechterdings nicht SW- 
rchwejgen zu üoergshsn sind. Er Waltet- mit den KartenfpiLten 
unbeschränkt, und Klaubt man, vierzehn Karten sbgcZMr 'Ku 
^aoen, srnL es in Wahrheit siebzehn gewesen, wovon man 
flch Zu. fernem Leidwesen überzeugen muß. Herr Dr^ Fürst 
YcU eben vierzehn in siebzehn verwandeln wollen, und. da er 
pch niemLis irrt, hat man sich selber geirrt. Dar man Hon 
früher rm Kopfrechnen schwach, so traut man m-Zukunft'M 
simpelsten Additionen nicht wehr und Zweifelt ernsthaft Äran, 
ob zwei mal zwei wirklich vier ergebe. Alles d^ 
Hexerer, dre vor lauter Logik die Gesetze der Lotzi! verwirrt. 
Zum Schlüsse trat der Meister der Zauderer auf, Herr 
srch l^eixier, der mir gutem Grunde VoZA. heißen 
- - ' schmerzlich §S zu bekennen: dock er umstrahlte noch 
terne Vorgänger, die ihm denn auch bereirwillig ihre Huldigung 
erwreWN. Ern distinguierLer Herr, der mit nachlässiger'' Elecänz 
R n oe f ch re l vl rche s erwirkte. Leichte Harr-bewegn n gen, einmal so, 
dann wieder so und aus der Leere des Raumes blättert sich 
-m ganzes Kartenspiel aus, legt sich auf den Tisch, wird von 
neuem ergriffen und verliert sich im Leeren. Die Handfläche 
ratzt me Karten nicht, auch auf dem Handrücken sucht man sie ver- 
gebnch, und zwrschen den Fingern sie Zu vermuten, wäre ein 
Wahn. Sre sind vochanden und doch nicht vorhanden.' Basta. 
Dann wird em Beutelchen vorgewies-en, ein schwarzes BeuteMen, 
von dessen Inhaltslosigkeit jeder sich überzeugen magi Nn 
meiner ^hmS: und aus dem Deutelchen kriechen Bananen ber- 
! ausgerechnet vier, es können auch fünf gewesen 
- steht, naye dabei, man verfolgt die lockeren Gebärden,--ober 
bleM daher, dre Bananen, die nicht sein -sollten, sind. Wun. 
urbare und Kwecklose Ereignisse, die s-chr angenehm Lrü-Hren, 
ryV mancher SfM dem Geiste der Technik entstammt. 
Japan und Amerika. Weder um diplomatische Verwicklungen 
noch gar um einen Konflikt Mischen diesen beiden Großmächten 
handelt es sich, sondern um Zwei Filme, einen exotisch-östlichen 
und einen technisch-westlichen, die im Skala- und im Ratio- 
nallheater vorgeführt werden. Jener: „Lotosblume" 
genannt, ist ein NaturfarLenfilm, der in teilweise ausge 
zeichneten farbigen Bilder die rührende Geschichte einer Keilen 
japanischen Madame Butterfly erzählt. Anna May W sn g, unter-- 
stützt von dem Kinde Moran, spielt die Hauptrolle in diesem er 
greifenden Drama, das sich langsam, langsam entfaltet und sehr 
traurig zu Ende geht. Alles verliert diese edle Blume des Ostens - 
an dem Europäer, der sie geliebt und verlassen hat: ihr Herz und Z 
bM Kind, und nun bleibt ch? nichts M der T^. Ein herz-! 
zerbrechendes Schicksal voller Groß- und Wehmut, das freilich 
allzuMeppend sich gestaltet. — Fixer im Tempo ist der Film: 
Maud Rockfellers Wette", ein entzückendes Lustsmel 
aus der amerikanisierten Welt, in dem Lokomotiven und Börsen- 
Manöver entscheidend mitagieren. Stich Kaiser - Tietz, Be 
sitze? einer LokomöLivenfabrik, erweist sich als Techniker von Ge 
blüt. Die spannende Handlung nimmt ein Ende, wie man es sich
	        
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