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Metadata: H:Kracauer, Siegfried/01.06/Klebemappe 1927 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

„Wr den Irieden der Wett." 
Ein französischer Film. 
, ri^ (5) 
über den holprigen' Bodew KM- SiZgeGHeT M- GMz; E 
Mullbinden und Pinzetten. 
Zu sehen sind die gemarterten StWe. Ihre Häuser, Straßen 
und Plätze haben so gut ein Leben wie Menschen und Tiere. Es? 
ist vernichtet, und furchtbare MßhanWngen gingen vorauf. 
Zimmer, in denen gewohnt wurde, sind haWiert und nach außen 
gekehrt worden, schöne Rechtecke willkürlich ausLinanbergebrochen, 
gerade Wände verbogen. Die Neste haben die Traurigkeit von 
Fragmenten, die nicht wissen, wie sie ergänzt werden sollen. Einem 
zerstörten Pergament gleich breitet sich die Kathedrale von Reims. 
Zu sehen sind Tote. Sie auf die Leinwand zu bringen, ist 
in diesem einzigen Falle nicht nur erlaubt, sondern gefordert. In 
den Gräben liegen sie neben Tuchfetzen, Holzblanken und ge 
krümmten MaLeriaMn: ein Schnitzelwetk zwecklos gewordener 
Sachen. Schmutz übsrzieht die Dinge und Leichen. Eine ruht auf- 
dem Bauch, von etlichen sind nur Teile erhalLen. . 
Zu sehen sind, erschütternder noch, die Lebenden, die nach 
Kriegsende in ihre Hausruinen zurückkehren. In den Zeltwagen, 
die sie fortgebracht haben, kommen sie heim, nicht Stuhl noch - 
Tisch ist Zur Hand. EiM alte Frau scharrt m dem MM, vielleicht! 
daß ein Gegenstand von früher stch findet. Sw sogen, schlagen 
Baracken auf, pflügen, richten sich ein. Das alte -Dasein beginnt nell - 
Der Film ist frei von Bildern des Hasses. Er läßt Triumph 
und Niederlage, Schuld und ÄichtschuN dahingestellt,' die deütsHen 
Kriegsgefangenen nicht minder wie dis Truppen der Alliierten 
erscheinen m ihm umsrschisdslös als Notleidende, schwach'urrd 
.entblößt. Nur., einen Gegner kennt err den Krieg. Ihm sprechen 
die Titel in deutliches 'Worten das' Urtsil, ihn-klagen tz'ie ^Milder 
deutlicher an, die ihn verdammen, indem sie ihn spiegeln, 
7Aäy--cr'' w -F.^cN im 
gestlünchzr. Kinder sind zugegen gewesen, dis stnunn 'ossaßen und 
sich von., ihren Mter'-r das Schauspiel erllZren. ließen.' Luch, die 
deutschen Kinder sollten in diesen Film geführt werden. Er ver 
möchte sie zur Wchrhafrigkeit gegen das Unmenschliche in den 
Menschen zu erziehen. As 
Das Erwachen des Weibes. Der in'den Alemannia-' 
Lichtspielen laufende Film ist nach einer Idee von K. 
Thomalla gedreht. Die Idee zu haben war nicht schwer, nachdem 
Wedekind sie (in „Frühlings-Erwachen") bereits besser hatte. Eine 
Verwässerung jenes Wedekindschen Stückes ist der Film. Erste 
Moshe im gibt das Mädchen, das erwacht. Zwischen der Mary 
Pickford und ihr besteht an irgendeinem Punkt eine Verwandt 
schaft des Wesens: auch sie ein Mädchen von Natur aus herb, 
naiv, das Weibliche überspringend. Ihr Partner Wolfgang 
ZLlzer, der Jünglingsdarsteller par exeeUence, hager, nett, 
etwas verhalten, des Enthusiasmus fähig, so wie eben der Jüng 
ling im Buch steht und mitunter auch M. Den edlen Kräften sind 
die gemeinen beigesellt. Allen voran Harry Lambertz - Paul 
s e n, -der einen kessen Berliner Weiberkerl niederer Sorte unnach 
ahmlich »auf die Beine stellt, das Haar mit Pomade gefettet, schicke 
PhanLasteweste und das gewisse Air, das seine Wirkung nimmer 
verfehlt. Ihm ebenbürtig Margarete Kupfer, ein Ausbund 
ordinärer Klatschsucht. Die reinen und weniger reinen Liebes- 
händol gehen in einem Berliner Mietshaus vor sich. Damit das 
Stück gut schließt, erhalten natürlich der Jüngling und das durch 
ihn erweckte Weib die Einwilligung der Eltern zur Heirat. Wie 
im Leben. Das Stück ist mit einer Anzahl treffender Regie-Einfälle 
ausgepolstert, die nur das Tempo Zu sehr verschleppen. Ta c n, 
Das tankende Wien. Dieser Film des G l 0 ria - Palasts 
mischt sämtliche Mixturen durcheinander, die dem größeren Publi 
kum wohlgefällig sind. Der Kritiker darf getrost? beiseite stehen, 
denn das Publikum hat das Wort. Es bejaht den Film, und mit 
Grund: alle Lustspielmotive, alle Mittel und Mittelchm, die 
Rührung erregen, alle Zutaten an beliebten historischen Persön 
lichkeiten, Bauwerken und Lokalen sind zu eimm imposanten Leib 
und Magengericht Zusammengebraut. Es besteht aus Kaiser Franz 
Joseph, Johann Strauß und GrinZingers Garten; aus einer 
Wiener Komtesse, die von Lya Mara wirklich reizend verkörpert 
wird, und einem sympathischen amerikanischen Jungen (B e n 
Lyon), schwer reich, mit nettem Papa; aus einem Gartenfest, 
einem Dichter (Alfred Abel) und einem Opernball; aus 
Tränen, Lachen, echt Wiener Walzern und Jazz. Einer genaueren 
Analyse ergäben sich wahrscheinlich noch mehr Ingredienzien, aber 
es mag genug sein. Jedenfalls sind alle bedacht: die am Alten 
hängen, und die Amerikanisierten. Friedrich Zelnik hat den 
Film gedreht. Schade, daß er sich mit so billiger Kost begnügt. 
Seine Begabung geht auch aus diesem Film hervor. Einige Szenen 
sind technisch glänzend gemacht, zunral das Gartenfest beim Grin- 
zinger, das sich musterhaft aufbaut. Gelungen sind ihm ferner 
einige aparte Uebergänge und Überblendungen. Aber nicht darauf 
kommt es zuletzt an, sondern auf den Gehalt, und der ist so be 
schaffen, daß die ernsthafte Auseinandersetzung mit ihm sich er 
übrigt. Loben wir immerhin noch das gute musikalische Akkom- 
pagnement, das sich seinerseits mit Erfolg bemüht, die Vcrbin- 
dungsbrücke zwischen Wien und Amerika Zu schlagen. — Eine 
nette amerikanische Groteske: „Nie wieder Seiten- 
sp ränge" geht voran. Laca. 
ZLs° PneLs, Anfang Oktober 
In "dem ELnema Max-Linder an einem der Großen Boule 
vards, wird der Film: „pour ls ? aix ä u o a 6 e" ge 
zeigt. Er ist eine Veranstaltung der „Oueules aLgxäSs" (Gesichts- 
Verletzte); die Bildstreifen entstammen den „Archives pImtoNra- 
pkMLs (1'art St ck'bi8toire". Gegenstand des Ulms: der 
Krieg. Nicht der Krieg, dessen Gedächtnis hier vor ein paar 
Wochen von der Amerikanischen Legion geräuschvoll gefeiert 
wurde, sondern der Krieg, wie er gewesen ist. 
Die Szenen find seinerzeit rm Feld gedreht worden. Alles 
cchr, nirgends Neubabelsberg. Bedürfte LZ eines Beweises für 
die Glaubwürdigkeit des FilmZ, so Ware er durch die rhm voran 
geschickte Liste der Kameramänner erbracht, die bei der Aus« 
Übung ihrer Tätigkeit von Granaten so empfindlich gestört wur 
den, daß sie nicht mehr weiterkurbeln konnten. Einige und gefallen. 
Sie haben, ehe sie starö-en, das Objektiv auf den Krieg gerichtet. 
Nun richtet es dank ihnen den Krieg. 
Au sehen ist die geschundene Etde. Granatlöcher statt der 
Neckar, umgehauene.ObsM kahle Ho"Zstumpfe, wo früher die 
Wälder sich dehnten. Die Kraterlandschaften vor Verdun scheinen 
vom Mond herunlergeholt. lauter Löcher, Tümpel und Steine« Das 
Zerschossene Fort Douaumont: eine formlose Trümmermasse, aus 
der die Eisenarmierungen wie Eingeweide hängen. Schrien die 
Konglomerate wenigstens, oder bluteten sie — aber sie starren und 
schweigen. Ueber ihnen streichen Rauchwolken durch die Luft 
Reine Wolken, die plötzlich groß werden und den Himmel' ver 
decken. 
- Au" fthm sind - die Wagenzügc der Flüchtlinge,. .Militärzüge, - 
Schützengraben Unzählige Schlangenlinisn^ im Nichts. .Eit 
Wehen, aus 'Umwn Menschen, 'Sandsäcken, schlingen sich iü- 
LÜrander und hören nicht auf. Aus ihrem Gemenge ragen dicke 
lange Kanonenrohre nach oben, du - ununterbrochen sorfchnMem 
und zurückfahren- Die SpinnweLnetze der Drahwarhare verhin 
dern eins Flucht aus dem Labtzrmth. 
'Zu sehen sind die Lruvven vor und nach der Schlacht. Wenn 
As Zum Sturrnangrisf müsslig den Gräben entsteigen- hängen sie 
noch lose zusammen, einer neben dem andern, eins lebendige 
Nsihe, die ubcr^ die Flache rieselt. Nicht Mehr dis Reihe kehrt 
wMer^ sondern hier ein Mann und dort einer, drei Lem§..M 
W-ZegenfMA Es werden KStrogen Die vsm Giftgas Gebleu-, 
Kim. nehnMn .sich tzei der -Hemd und "ichLMM mit FLsZEsM Kopf
	        
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