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H:Kracauer, Siegfried/01.01/Klebemappe 1921 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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Bibliographic data

fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.01/Klebemappe 1921 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
BF00043378
Title:
H:Kracauer, Siegfried/01.01/Klebemappe 1921 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]
Shelfmark:
H:Kracauer, Siegfried/01.01/Klebemappe 1921
Document type:
Manuscript
Collection:
Holdings and special collections
Year of publication:
1921
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Full text

Schlußwort. 
Von Dr. G, Kraeauer. 
RKLrmmruKÄ verbietet mir leider, auf die von Otto Flake 
schienen Einwände gegen meine Beurteilung der Lehre des 
Grafs» Keyserling so ausführlich M antworten, wie es im Dienste 
»Einer Endgültigen Klärung wohl erforderlich wäre. Flakes Auf 
fassung unterscheidet sich offenbar von der meinen grundsätzlich 
dadurch, daß auch Wake wie Keyserling aus der Wille der 
Religionen, Weltanschauungen Usw. den ihnen allen gemein 
samen einen ..Sinn", den unzerstörbaren „Grund" herauszu- 
schUen und gleichsam zu verselbständigen trachtet, während ich 
den »Ginn" nur durch den bestimmten Gehalt hindurch, nur in 
dein Gewcnrd einer bestimmten Erscheinungsform ergreifen Zu 
körnen meine. Gewiß, der Sinn ist nicht der Gehalt selber, 
er ist fenseits, hinter Gehalt und Erscheinung; unsere menschliche 
Beschränkung jedoch besteht eben gerade darin, daß wir nicht 
Ober /Name und Form" hinweg unmittelbar Zu dem Sinn vor- 
Judringen vermögen, sondern den unsagbaren Sinn stets in der 
Hülle der Erscheinung empfangen müssen. Vermessenheit wäre 
es. wenn wir daß Gefäß fortschleudern wollten, in das gebannt 
wenn mäm versucht, nicht nur das Ewige im Erscheinenden festzu 
halten, sondern aus dieser Basis den Menschen eine neue Religio 
sität, einen Ersatz für die Religionen zu gehen, d. h. die abstrakte 
Fixierung des bleibenden Grunds nun wieder in Lehre vom Ver 
boten umzusetzen. Die so gewonnene oder zu gewinnende Lehre ist 
Nelativitätslebre, indem sie alle „Formen" relativiert — ober sie 
ist noch etwas: Lehre von der Distanz gegenüber dem Erscheinen 
den, von den Symbolen und Formen, damit aber Zugleich Lehre 
von der Selbstbehauptung. Bloßer Relativismus führt 
Zur völligen Haltlosigkeit oder der kitschigen ästhetischen (unbetei-^ 
ligten) Betrachtung des Geschehens. 
Hier allerdings muß ich ZugeLen, daß die Straffheit des 
Keyserlingschen Denkens erlahmt, es scheint auch mir, daß er das 
Zentralproblem: Verhältnis von Anschauung und Tun nicht steht 
oder es, vielleicht, umgeht, daher seiner Philosophie das fehlt, was 
jede Relaüv'Msphiloft ergänzend geben muß: Lehre von den 
Impulsen, Ungebrochenheit des Willens trotz der (lähmenden) 
Erkenntnis seines Gegensatzes zum Absoluten oder Seienden. An 
diesem Punkt also müßte die Relativitätslehre in Lehre vom 
Heroischen übergehen, sei es um den Preis des Zynischen oder 
sonst eines Irrationalen — Keyserling bleibt die Aussage über das 
Irrationale schuldig. 
Insofern Dr. Kraeauer diese Mangel fühlt, ist seine knirsche 
Haltung Keyserling gegenüber berechtigt. Er durfte aber nicht über 
sehen, daß Keyserlings Versuch, auf Grund der Lehre vom bleiben 
den Sinn ein neues Verhalten zu den Formen ab^ulerien, bereits 
ein Schritt in Neuland ist. Wenn Keyserling philosophisch gut fun- 
damputierte, würde er hier eine Lehre vom Widerstand Aefern — des 
Widerstandes des Menschen mit Ach entwickelter Intelligenz gegen 
das Abrollen des Geschehens und die ewige Variation der Formen. 
Immerhin gibt er, zwar kein Mei«Physiker, aber ein starker Mk- 
tisch« Philosoph (w«s auch etwas ist), die Anweisungen Ar end 
lich einmal nicht aus dogmatischer Moral, sondern aus Anschmmnz 
kommender Menschlichkeit. Ich finde die Ironien KracaE 
hier unangebracht. Wenn die Keyserlingschen Leyvm auch . 
Milde verdächtig sein Mögen, man muß ihre Reinheit und RemUch- 
keit sehen. Hier ist wirkliche Lehrbarkeit, vorsichtige Führung, drr 
vor die Weisheit, die leicht auch ein Kitschbegriff wird sie 
rügung setzt — in einem indischen Sinn. Wenn irgendwo, dann 
wird hier der Aristokrafismus KeyseMnO positiv und Produkts, 
MM darf ihm nicht mit RessenLnMü nahen. 
Ich fühle, und damit kmmne ich zu einer n«n KmrAmr, s:e 
ich an Krecauers Darstellung vornehmen möchte — ch fühle der 
Kraeauer ein bestimmtes Ressentiment. Natürlich kein niederes, 
aber dasjenige eines fixierten Glaubens, vermutlich sozialer Arr. 
Kraeauer sagt: die Erreichung eines tieferen Seinsmveaus 
(lr^: Vordringen Zum bleibenden Sinn) besage solange nichts, 
als man von Inhalt absieht, der auf dieser Seinsstufe verwirklicht 
werden soll. Ich glaube gezeigt zu haben, daß es sich ber 
Keyserling um den gewiß nicht energisch genug empfundenen 
Versuch handelt, eine religiöse Sphäre zu öffnen, m der es 
vollkommen gleich ist, ob einer in der tätigen Sphäre Bolsche- 
chist oder Konservativer ist, vorausgesetzt, datz er erkennt, oaß 
diese Wertungen auf die praktische Sphäre beschrankt sind. 
Will Kraeauer wirklich sagen, daß der Glaubensinhalt den 
Sinn liefere? Dann ist er Dogmatist und muß sich gefallen 
lassen, datz ein Philosoph ihm erwidert, der Wert des, sagen wir,, 
spinozisttschen Denkens bestehe darin, Gott von moralischen 
Attributen befreit zu haben — hier fange erst Philosophie an. 
Die Lehre von den Wertungen, von den ethischen, politischen, 
gesellschaftlichen Dogmen, von der besten Form, in ser Staat, 
Kirche u. s. w. verwirklicht werden sollen'(sollen: DogmaLismush 
gehört in den Teil, den Keyserling schuldig bleibt. Wie kann 
man trotz des Vordringens in eine Sphäre, in der das Treiben 
der Welt nicht gilt, brauchbar für diese Welt bleiben? Oder: 
wie kann man in zwei Sphären leben? Indem man die eine, 
die religiöse, als Zuflucht betrachtet, in der anderen Tätiger 
unter Tätigen ist. Das wäre die allgemeinste Antwort, sie steht 
nicht bei Keyserling, Kraeauer hat den richtigen Instinkt. 
Jedoch: es genügt nicht, Keyserling, der das Unglück hat, 
Graf zu sein, als Ende einer sterbenden Kultur zu betrachten. 
Er ist mehr, er ist UeLergang, zum mindesten, und ich, für meine 
Person, habe das Mißtrauen gegen Etiketten, die zu nahe liegen, 
als datz man sie schon in Beginn einer Leistung aufklebt. Mau 
muß sbwarten, was die Schule der Weisheit hervorLrmgl, man 
muß sie studieren. Ich entnehme gerade den Angaben Kraeauers, 
daß es verfrüht ist, die Darmstädter Schule als ein Kränzchen 
vsR blassen Aristokraten anzusehen: die Schule öffnet sich 
lichen Bevölkerung ^schichten", sie ist also kein Konventike! mit 
Festessen und HofHeaLerabenden: man tut also besser, ein. Saldo 
zu ziehen als ein Horoskop zu stellen. 
* 
in die LnZerste Peripherie der Realität, verkrustet nur in solcher 
Schale. Darinnen doch etwas blieb: weicher sentimentaler Kern, 
kleines, süchtiges Seelchen, neidvoll hinüberlugend nach jenen 
Gefilden, in denen — nun ja. l 
Dann eröffneten Sie diese „Schule der Weisheit". Wieder mit 
viel — Realismus, wie? Diese Kunde setzte Beklemmung. Denn 
wie GefüMinhalte (Weisheit saaen Sie) formulieren in ein 
System? Mehr: zu einem Lehrstoff. Für eine Schule. Da in 
Klassenzimmer Herzblut verspritzt. Seele, zu Extraktwürfeln kom 
primiert, dem schaudernden Schmer teelöffelweis eingegeben! 
Wir waren alle sehr erschrocken, man muß es gestehen, und nun 
Sie Ihren Vortrag ankündeten vor vierzehn Tagen: Programm, 
'Wille, Weg und Ziel, hielten wir den Atem an und — 
> Also Sie geben gar kein System Das ist immerhin einfach. 
System des Systemlosen. Erlenntnisinhalte als solche wertlos. 
Wesentlich nur Bedeutungsinhalt des Seins. Persönlich-Seelisches. 
Sinneserfassung lebendig jenseits gefrorener Form. „Schlechthinnige 
f!) Selbstbestimmung des Einzelnen". InOividualpsycho^ 
Einzelbehandlung. Kurz: Psychoanalyse. 
Dazu der Lärm? Ein Seelensanatorium? Dieser Bankrott 
erklärung philosophischer Inhalts bedurfte es einer Schule? Deren 
Wr's^t S'-mund Freud in Wien und die Schweizer um Jung 
um) Adler schon seit über simm Dezennium gelehrt? 
DSr C'e machen einen Unterschied: nicht seelisch Krmcke wol- 
km S'e behandeln, sondern — jeden. Zurückfuhren von der seeli 
schen Schichtungen Oberfläche zum Zentrum der Persönlichkeit. W- 
Lau des Unbewußten. Lransparentmachung der Dunkelheiten im 
Innern und damit — Schaffung einer neuen Kultur? Wirklich? 
Das eben ist die Frage, und da es ja darauf nur Ihnen ankam, 
.scheint Sinn Ihrer Weisheitsschule damit überhaupt in Fragte ge 
stellt. Sicher jedenfalls, daß großer LeiNion uns Analytikern tiefste 
! Skepsis bewahren wird, nicht weil vielleicht zu zweifeln an 
Qualitäten Ihrer Person (obwohl psychoanalytische Methode syste 
matisch erlernt sein will und die berüchtigten Stegreifanalysen nach 
den von 'Freud veröffentlichten und auch von uns gemachten Er 
fahrungen nicht unbedenklich), sondern weil richtige Indikation 
hier alles und Analyse an Gesunden Möglichkeit von Gefahren nicht 
ausschließt, die beim Kranken durch Auslöschung seiner Symptome 
und die dadurch gewonnene soziale Steigerung und Brauchbar- 
machung mehr als paralysiert werden. Diese Gefahr ist die Ueber- 
klarheit, die Prodrcktwes lahmt, jene dunklen schöpferischen Triebe 
mit ihrer Wurzel ans Tageslicht reißt und damit ihre Stoßkraft 
unterbindet. Ist diesO nebensächlich, leugnen Sie Existentsein einer 
Gssamtkultur und ihres Sinnes schlechthin, verlegen also den 
Schwerpunkt ins ausschließlich Persönlich-Psychologische, so ist 
damit die völlige Sterilität Ihrer Schüler von vornherein fixiert 
und die edle Ruhe und Stille Ihrer Philosophenschule — die des 
Friedhofs. 
Sprechen wir es aus: Sie wollten Klein-Jndien in Darmstadt 
schaffen. Buddhalehre. Versenkung in sich selbst. Aber Sie, ein 
Europäer, tmWponierten es inZ Europäische: buddhistische MysA 
in intellektuelle Psychologie. Und da sind Ihre Grenzen. 
O 
Zum Thema: Schule der Weisheit. 
Von Otto Flaks. 
Indem ich vorausfchicke, daß ich Keyserling weder persönlich 
noch brieflich kenne, also kein anderes als ein sachliches Interesse 
an seinen Ideen habe, bitte ich um die Erlaubnis, einige Bemer 
kungen über den Bericht machen zu dürfen, den Dr. S. Kraeauer 
in Nr. 742 der „Frankfurter Zeitung" den jüngsten Verträgen des 
Grafen auf der Darmstädter Schule der Weisheit widmet. 
Dr. Kraeauer nennt das, was Keyserling als den „Sinn" 
bezeichnet, einen höchst unfaßlichen Begriff. Wer das Urteil des 
denkenden wie des einfachen Menschen wird in dieser Frage Key 
serling Recht geben: der Sinn ist ein leicht verständlicher Begriff, 
auf den nicht etwa nur der Philosoph, sondern schon jeder irgend 
wie religiös interessierte Mensch stößt. Der Sinn ist der Grund, 
den man hinter dem Erscheinenden sucht, und sekundär das Ver 
hältnis des Menschen zu diesem Grund. 
Glaubt man nicht nur, daß dieser Grund die Erscheinungen in 
die Existenz setzt, sondern auch dafür sorge, daß sie ihm auf die 
rechte Weise dienen und ihm so die Ehre erweisen, dann ergibt 
sich die stets moralisch LseigenschafLete Idee Gott: Gott, liegt 
außerhalb der Welt des Dinge und ist ihr Sinn. Unterdrückt man 
die, mmrM'chem MtriLuLe oder setzt gar Gsft mit der „Substanz" 
gleich, so identifiziert man Grund und Erscheinung und erlangt 
so den Ginn, der die Feststellung der Identität wäre. 
Wir denken heute alle so, spinozistifch Ein Etwas ist da, die 
Welt ist da, das Etwas manifestiert sich als Erscheinung, als 
Form. Die Formen sind Variationen des Daseienden, des 
Seienden. Hier nun fetzt Keyserlings Denken ein: alle Religio 
nen, alle wissenschaftlichen Systeme, alle Weltanschauungen ver 
sagten und versagen, eines aber ist ihnen gemeinsam, daS UnM- 
störbare, Unleugbare; der Grund und, sobald der DLensch ihn 
sucht, der Sinn. Dieser Kern des Religiösen — warum kann er 
nicht im Wechsel der Religionen gerettet und mehr, als neue Reli 
giosität gelehrt werden? Diese neue Religiosität würde heißen: 
die (sinnsuchende) Relation der Kreatur zum Grund, oder das 
ewige Verhältnis. 
Relation und Verhältnis sind nahezu mathematische, nahezu 
abstrakte Begriffe. Es ist aber etwas anderes, ob ich Abstracto an 
Stelle von erlebten Symbolen und leberGer Symbolschaffung setze, 
oder ob ich kraft meines lebenden Gefühls bis zur 
Abstraktion vordringe. In diesem Fall wird das AbstracLum tiefste 
Erkenntnis, die unmittelbar von der inneren Struktur der Dinge 
ausragt. 
In dieser KoiMption nun sehe ich wenigstens die absolut 
starke, einwandfreie, respektheischende Leistung Keyserlings und 
darf sagen, daß mir Dr. Kraeauer trotz seiner vorzüglichen Dar 
stellung des Keyserlingschen Gedankengangs den Mmnftbildenden 
Wert seiner Leistung nicht fühlt. 
Denn es bedeutet eine neue Periode des europäischen Denkens,
	        

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