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H:Kracauer, Siegfried/01.06/Klebemappe 1927 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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Bibliographic data

fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.06/Klebemappe 1927 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
BF00043383
Title:
H:Kracauer, Siegfried/01.06/Klebemappe 1927 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]
Shelfmark:
H:Kracauer, Siegfried/01.06/Klebemappe 1927
Document type:
Manuscript
Collection:
Holdings and special collections
Year of publication:
1927
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Full text

Zweideutig wie die Abstraktheit ist das Ornament der 
blickt. Durch die Rückkehr zu ihr wäre die einmal erworbene 
Fähigkeit zur Abstraktion preisgegeben, nicht aber die Abstrakt 
heit überwunden. Sie ist der Ausdruck einer Rationalität, 
die sich verstockt. Die in abstrakter Allgemeinheit getroffenen 
Bestimmungen von Sinngehalten — so die Bestimmungen auf 
wirtschaftlichem, sozialem, politischem, moralischem Gebiet — 
geben der Vernunft nicht, was der Vernunft gehört. Die 
Empirie bleibt durch sie unbedacht, aus den inhaltsleeren Ab 
straktionen kann jede Nutzanwendung gezogen werden. Hinter 
diesen absperrenden Abstraktionen erst liegen die einzelnen 
Vernunfterkenntnisse, die der Besonderheit der jeweils gemein 
ten Situation entsprechen. Trotz der JnhaMchkeit, die von 
ihnen zu fordern ist, sind sie nur in einer abgeleiteten Bedeu 
tung konkret; nicht konkret jedenfalls im vulgären Sinne, der 
mit dem Ausdruck konkret die in dem natürlichen Leben be 
fangenen Anschauungen belegt.— Die Abstraktheit des heutigen 
Denkens ist mithin doppeldeutig. Von den mythologi 
schen Lehren aus gesehen, in denen die Natur sich naiv be 
hauptet, ist das Abstraktionsverfahren, wie es etwa die Natur 
wissenschaften üben, ein Gewinn an Rationalität, der dem 
Prangen der Naturdinge Abbruch tut. Aus der Perspektive 
der Vernunft erscheint das gleiche Abstraktionsverfahren als 
naturbedingt; es verliert sich in einem leeren Formalismus, 
der unter seiner Decke dem Natürlichen freien Spielraum ge 
währt, da er die Vernunfterkenntnisse nicht durchläßt, die das 
Natürliche zu treffen vermöchten. Die herrschende Abstraktheit 
zeigt an, daß der Prozeß der Entmythologisierung nicht zu 
Ende gebracht ist. 
Das gegenwärtige Denken steht vor der Frage, ob es der 
Vernunft sich erschließen oder ungeöffnet gegen sie weiter 
treiben solle. Es kann die selbstgesetzte Grenze nicht über 
schreiten, ohne daß das Wirtschaftssystem wesentlich ge 
wandelt wird, das sein Unterbau ist; dessen Fortbestand zieht 
den seinen nach sich. Die ungebrochene Entwicklung des kapita 
listischen Systems bedingt also das ungebrochene Wachstum 
des abstrakten Denkens (oder nötigt das Denken, in falsche 
Konkretheit zu versinken). Je mehr sich aber die Abstraktheit 
verfestigt, um so u n b e w ä l t i g t e r durch die Vernunft 
bleibt der Mensch zurück. Er wird der Gewalt der Naturmächte 
von neuem Untertan, wenn sein aus halber Strecke ins Abstrakte 
abbiegendes Denken dem Durchbruch der echten Erkenntnis 
gehalte sich verweigert. Statt jene Gewalten zu unterdrücken, 
ruft das verfahrene Denken ihren Aufstand selber hervor, indem 
es über die Vernunft hinweggleitet, die allein sich mit ihnen 
auseinandersetzen und sie beugen könnte. Nur eine Folge der 
ungehemmten Machterweiterung des kapitalistischen Wirt 
schaftssystems ist: daß die dunkle Natur drohender stets auf 
begehrt und die Ankunft des Menschen verhindert, der aus 
der Vernunft ist. 
Das Krnaweni der Masse?) 
Von Dr. Siegfried Kraeauer. 
(Fortsetzung und Schluß.) 
III. 
Der Prozeß der Geschichte wird von der schwachen und 
fernen Vernunft gegen die Naturmächte ausgefochten, die 
in den Mythen Erde und Himmel beherrschten. Nach der 
Götterdämmerung haben die Götter nicht abgedankt, die alte 
Natur in und außer dem Menschen behauptet sich fort. Aus 
ihr sind die großen Kulturen der Völker gestiegen, die wie 
irgendein Naturgebilde sterben müssen, ihrem Grunde ent 
wachsen die Ueberbauten des mythologischen Denkens, 
das die Natur in ihrer Allmacht bestätigt. Bei aller Ver 
schiedenheit seiner Struktur, die mit den Epochen sich wandelt, 
hält es die von der Natur gezogenen Schranken stets inne. 
Es erkennt den Organismus als Urmodell an, es bricht sich 
an der Gestalthaftigkeit des Seienden, es beugt sich dem Walten 
des Schicksals; in sämtlichen Sphären strahlt es die Natur 
gegebenheiten wieder, ohne zu rebellieren gegen ihren Bestand. 
Die organische Gesellschaftslehre, die den natürlichen Organis 
mus zum Vorbild der gesellschaftlichen Gliederung erhebt, ist 
nicht minder mythologisch wie der Nationalismus, der um 
eine höhere Einheit als die schicksalhafte der Nation nicht weiß. 
Nicht in dem Zirkel des natürlichen Lebens bewegt sich die 
Vernuft. Ihr geht es um die Einsetzung der Wahrheit in 
der Welt. Vorgeträumt ist ihr Reich in den echten Mär 
chen , die keine Wpndergeschichten sind, sondern die wunder 
bare Ankunft der Gerechtigkeit meinen. Es hat seinen tiefen 
historischen Sinn, daß Tausendundeine Nacht den Weg ge 
rade in das Frankreich der Aufklärung fand, daß die Ver 
nunft des 18. Jahrhunderts die Vernunft der Märchen als 
ihresgleichen erkannte. In den Frühzeiten der Geschichte schon 
ist im Märchen die bloße Natur um des Sieges der Wahr 
heit willen aufgehoben. Die natürliche Macht geht an der 
Ohnmacht des Guten zugrunde, Treue triumphiert über 
magische Künste. 
Im Dienste des Durchbruchs der Wahrheit wird der Gc- 
schichtsprozeß zum Prozeß der Entmythologisie- 
r u n g, der den radikalen Abbau der immer wieder neu be 
setzten Positionen des Natürlichen bewirkt. Die französische 
Aufklärung ist ein großes Beispiel für die Auseinandersetzung 
zwischen der Vernunft und den bis in das religiöse und poli 
tische Gebiet hinein vorgeschobenen mythologischen Blend 
werken. Diese Auseinandersetzung schreitet fort, und im Ver 
lauf der geschichtlichen Entwicklung mag die mehr und mehr 
ihres Zaubers entkleidete Natur gegen die Vernunft hin stets 
durchlässiger werden. 
Masse. Auf der einen Seite ist seine Rationalität eine Re 
duktion des Natürlichen, die den Menschen nicht verkümmern 
läßt, sondern im Gegenteil, wenn sie nur ganz durchgeführt 
wäre, das Wesenhafte an ihm rein herausstellte. Gerade darum, 
weil der Träger des Ornaments nicht als Gesamtpersönlichkeit 
figuriert, als eine harmonische Vereinigung von Natur und 
„Geist", in der jene zu viel unp dieser zu wenig erhält, wird er 
transparent gegen den Menschen, den die Vernunft bestimmt. 
Die im Massenornament eingesetzte menschliche Figur hat den 
Auszug aus der schwellenden organischen Pracht und der 
individuellen Gestalthaftigkeit zu jener Anonymität angetreten, 
zu der sie sich entäußert, wenn sie in der Wahrheit steht und 
die aus dem menschlichen Grund herausstrahlenden Erkenntnisse 
die Konturen der sichtbaren natürlichen Gestalt auflösen. Daß 
in dem Massenornament die Natur entsubstantialisiert wird: 
dies genau ist ein Hinweis auf den Zustand, in dem das allein 
von der Natur sich behaupten kann, was der Erhellung durch 
die Vernunft nicht widersteht. So sind auf alten chinesi 
schen Landschaftsbildern die Bäume, Teiche, Berge nur als 
dürftige ornamentale Zeichen noch getuscht. Die organische 
Mitte ist herausgenommen und der unverbundene Restbestaud 
nach den Gesetzen komponiert, die ein zeitlich wie immer be 
dingtes Wissen um die Wahrheit gegeben hat; nicht nach denen 
der Natur. Reste nur des menschlichen Komplexes gehen auch 
in das Massenornament ein. Ihre Auslese und Zusammen 
fassung im ästhetischen Medium erfolgt nach einem Prinzip, 
das die gestaltsprengende Vernunft reiner als jene anderen 
Prinzipien vertritt, die den Menschen als organische EmheiL 
bewahren. 
Wird das Massenornament von der Seite der Vernunft 
her erblickt, so offenbart es sich als mythologischer 
Kult, der in ein abstraktes Gewand sich hüllt. Die Vernunft- 
gemäßheit des Ornaments ist mithin ein Schein, den es im 
Vergleich mit körperlichen Darstellungen von konkreter Un- 
mittelbarkeit annimmt. In Wirklichkeit ist es die krasse Mani 
festation der unteren Natur. Sie kann um so freier sich regen, 
je entschiedener die kapitalistische Ratio von der Vernunft ab 
geschnürt wird und am Menschen vorbei in die Leere des 
Abstrakten sich verflüchtigt. Der Rationalität des Massen- 
musters ungeachtet erhebt sich mit ihm das Natürliche in seiner 
Undurchdringlichst. Gewiß, der Mensch als organisches 
Wesen ist aus den Ornamenten geschwunden; aber darum tritt 
nicht der menschliche Grund hervor, sondern das verbleibende 
Massenteilchen schließt sich gegen ihn ab wie nur irgendein 
formaler Allgemeinbegriff. Gewiß, die Beine der Tillergirls 
schwingen parallel, nicht die natürlichen Einheiten der Leiber, 
und gewiß auch sind die Tausende im Stadion ein einziger 
IV. 
Die kapitalistischeEpocheist eine Etappe auf dem 
Weg zur Entzauberung. Das dem heutigen Wirtschaftssystem 
zugeordnete Denken hat eine Beherrschung und Benutzung der 
in sich geschlossenen Natur ermöglicht, wie sie keiner früheren 
Zeit noch beschieden war. Entscheidend ist aber nicht, daß 
dieses Denken zur Ausbeutung der Natur befähigt — wären 
die Menschen nur Ausbeuter der Natur, so hätte Natur über 
Natur gesiegt — sondern daß es von den natürlichen Be 
dingungen immer unabhängiger macht und so Raum schafft 
für das Eingreifen der Vernunft. Seiner zum Teil aus der 
Märchenvernunft stammenden Rationalität, wenn auch 
ihr nicht allein, find die bürgerlichen Revolutionen der letzten 
hundertfünfzig Jahre zu danken, die mit den naturalen Ge 
walten der in die Welt verstrickten Kirche, der Monarchie und 
des Feudalwesens abgerechnet haben. Die unaufhaltsame Zer 
setzung dieser und anderer mythologischer Bindungen ist das 
Glück der Vernunft, da sich nur an den Zerfallstätten der 
natürlichen Einheiten das Märchen verwirklicht. 
Doch die Ratio des kapitalistischen Wirtschaftssystems ist 
nicht die Vernunft selber, sondern eine getrübte Vernunft. Von 
einem bestimmten Punkte ab läßt sie die Wahrheit im Stich, an 
der sie einen Anteil hat. Sie begreift den Menschen 
nicht ei> Weder wird durch die Rücksicht auf ihn der Ab 
lauf des Produktionsprozesses geregelt, noch baut sich die wirt 
schaftliche und soziale Organisation auf ihm auf, noch ist über 
haupt an irgendeiner Stelle der Grund des Menschen der 
Grund des Systems. Der Grund des Menschen: denn nicht 
darum handelt es sich, daß das kapitalistische Denken den Men 
schen als ein historisch gewachsenes Gebilde pflegen solle, daß 
es ihn als Persönlichkeit unangefochten lassen und die von 
seiner Natur gestellten Ansprüche befriedigen müsse. Die Ver 
treter dieser Auffassung werfen dem Kapitalismus vor, daß 
sein Rationalismus den Menschen vergewaltige, und sehnen 
die erneute Heraufkunft einer Gemeinschaft herbei, die besser 
als die kapitalistische Gesellschaft das vermeintlich Menschliche 
berge. Von der verzögernden Wirkung solcher Rückbildungen 
abgesehen: sie verfehlen das Gebrechen des Kapitalismus im 
Kern. Er rationalisiert nicht zu viel, sondern zu wenig. 
Das von ihm getragene Denken widerstrebt der Vollendung zur 
Vernunft, die aus dem Grunde des Menschen redet. 
Das Zeichen des Orts, an dem sich das kapitalistische Den 
ken befindet, ist seine Abstraktheit. Durch ihr Vor 
herrschen heute wird ein geistiger Raum gesetzt, der sämtliche 
Aeußerungen umfängt. Der gegen die abstrakte Denkweise ge 
richtete Einwand, daß sie die eigentlichen Gehalte des Lebens 
nicht zu fassen vermöge und darum einer konkreten Betrachtung 
der Erscheinungen zu weichen habe, deutet gewiß auf die 
Grenze des Abstrakten hin, wird aber voreilig erhoben, wenn 
er zu Gunsten jener falschen, mythologischen Konkretheit er 
folgt, die in dem Organismus und der Gestalt das Ende er
	        

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