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H:Kracauer, Siegfried/01.09/Klebemappe 1930 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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Bibliographic data

fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.09/Klebemappe 1930 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
BF00043386
Title:
H:Kracauer, Siegfried/01.09/Klebemappe 1930 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]
Shelfmark:
H:Kracauer, Siegfried/01.09/Klebemappe 1930
Document type:
Manuscript
Collection:
Holdings and special collections
Year of publication:
1930
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Full text

der Passage wie die Anatomie, und vom greifbaren Körper bis zur 
ungreifbaren Ferne ist in der Tat nur ein winziger Sprung. Wann 
immer ich als Kind das Welt-Panorama besuchte, das sich auch 
damals in einer Passage verbarg, fühlte ich mich wie bei der Be 
trachtung von Bilderbüchern in eine Weite versetzt, die schlechter 
dings unwirklich war. Kaum könnte es anders sein: denn hinter 
den Gucklöchern, die so nah wie Fensterrahmen sind, gleiten Städte 
und Gebirge vorüber, die in der künstlichen Helle weniger Reise 
zielen als Gesichten gleichen: Mexiko und Tirol, das im Panorama 
selber zum zweiten Mexiko wird. 
Beinahe sind diese Landschaften schon obdachlose Bilder, Illu 
strationen passagersr Regungen, die hie und da einmal durch die 
Rlsse im Bretterzaun schimmern, der uns umgibt. Ihresgleichen 
müßte durch eine Zauberbrille sichtbar werden, und wunder nimmt 
nur, daß der Optiker in der Passage keine feilbietet. Sein Glas 
blatterwerk, das sich hart und rund an der Schaufensterwand hoch 
rankt, scheint die Dinge jedenfalls nach den Begriffen richtig zu 
stellen, die im Durchgang Gültigkeit haben. Für die in ihm ge 
forderte Zersetzung aller trügerischen Bestände sorgt der Brief- 
markenladen, in dem Köpfe, Architekturen, Wappentiere und exotische 
Gegenden eng mit Ziffern und Namen zusammenkleben. (Richt 
umsonst hat mein Freund Walter Benjamin, dessen Arbeiten seit 
Jahren auf die „Pariser Passagen" hindiängen, dieses Bild der 
Briefmarkenhandlung in seiner „Einbahnstraße" entdeckt.) Hier 
wird die Welt solange gerüttelt und geschüttelt, bis sie zum Hand 
gebrauch des Passanten dienen kann. Er, der durch sie geht, mag auch 
in dem Lotteriegeschäft versuchen, ob das Glück, sein Begleiter, ihm 
wohlgesinnt ist, oder es durch Spielkarten auf die Probe stellen. 
Und wünscht er seinen Glanzpapiertröumen leibhaft gegenüber- 
zutreten — im Ansichtskartenladen findet er sie vielfach und farbig 
verwirklicht.^ Blumenarrangements begrüßen ihn in sinniger 
Sprache, Hündchen laufen ihm treuherzig zu, das Studentenleben 
prangt herrlich und trunken, und die Nacktheit rosiger Frauen- 
körper taucht ihn in Lust. Um den Hals und die Arme der üppigen 
Schönen schmiegen sich wie von selber die Similiketten nebenan, 
und ein veralteter Schlager aus der Musikalienhandlung beflügelt 
den Passagenwanderer inmitten seiner gefundenen Illusionen. 
Was dre Gegenstände der Lindenpassage einte und ihnen allen 
dieselbe Funktion zuerteilte, war ihre Zurücknahme von der bürger 
lichen Front. Begierden, geographische Ausschreitungen und viele 
Bilder, die aus dem Schlaf rissen, durften sich dort nicht blicken 
lassen, wo es hoch herging in den Domen und den Universitäten, 
bei Festreden und Paraden. Man exekutierte sie, wenn es möglich 
war, und konnten sie nicht ganz zerstört werden, so wies man sie 
doch aus und verbannte sie ins innere Sibirien der Passage. Hier 
aber rächten sie sich am bürgerlichen Idealismus, der sis unter 
drückte, indem sie ihre geschändet- Existenz gegen seine angemaßte 
ausspielten. Erniedrigt, wie sie waren, gelang es ihnen, sich zu- 
sammenzuscharsn und im Dämmerlicht des Durchgangs eine wirk 
same Protestaktion gegen die Fassadenkultur draußen zu verun 
stalten. Sie stellten den Idealismus bloß und entlarvten seine Pro 
dukte als Kitsch. Rundbogenfenster, Kranzgesims und Baluster 
reihen — die Renaissancepracht, die sich so überlegen gebärdet-, 
wurde in der Passage geprüft und verworfen. Während man noch 
durch sie hindurchging, also die Bewegung ausführts,-die uns allein 
gemäß ist, durchschaute man sie schon, und ihre GroApurigkeit trat 
unverhüllt an den Tag der Passage. Nicht minder litt das Ansehen 
der höheren und höchsten Herrschaften, deren garantiert ähnliche 
. Porträts hinter den Schaufenstern des Hofmalers Fischer standen 
und hingen. Die Damen des kaiserlichen Hofes lächelten so huld 
voll, daß die Huld ranzig schmeckte wie ihr Gemälde in Oel. Und 
die vielgepriesene Innerlichkeit, die hinter den Renaiffancesassaden 
ihr Unwesen trieb, wurde durch Beleuchtungskörper Lügen gestraft, 
die das Inwendige in Gestalt roter und gelber Rosen schrecklich 
beschienen. So übte der Durchgang durch die bürgerliche Welt an 
ihr eine Kritik, die jeder rechts Passant begriff. (Er, der ein 
Vagabundierender ist, wird sich dereinst mit dem Menschen der ver 
änderten Gesellschaft zusammenfindsn.) 
Dies: daß die Lindenpassage eine Dassinsform desavouierte, 
der sie noch angehörte, verlieh ihr die Macht, von der Vergänglich 
keit zu zeugen. Sie war das Werk einer Zeit, die mit ihm zugleich 
einen Vorboten ihres Endes schuf. Früher als anderswo löste sich' 
in der Passage, eben weil sie Passage war, das gerade Hervor 
gebrachte von den Lebenden ab und ging warm in den Tod ein 
(daher auch die Passage der Sitz von Cäsiums Panoptikum war). 
Was wir geerbt hatten und ungebrochen unser eigen nannten — 
im Durchgang war es wie in einem Schauhaus ausgestellt und 
zeigte die erloschene Fratze. Wir selber begegneten uns als Gestor 
bene in dieser Passage wieder. Aber wir entrissen ihr auch das uns 
heute und immer Gehörige, das dort verkannt und entstellt funkelte. 
Jetzt, unterm neuen Glasdach und im Marmorschmuck, gemahnt 
die ehemalige Passage an das Vestibül eines Kaufhauses. Die 
Läden dauern zwar fort, aber ihre Ansichtskarten sind Stapelware, 
ihr Weltpanorama ist durch den Film überholt und ihr anatomisches 
Museum längst keine Sensation mehr. Alle Gegenstände sind mit 
Stummheit geschlagen. Scheu drängen sie sich hinter der leeren 
Architektur zusammen, die sich einstweilen völlig neutral verhält 
und später einmal wer weiß was ausbrüten wird vielleicht den 
Fascismus oder auch gar nichts. Was sollte noch eine Passage in 
einer Gesellschaft, die selber nur eine Passage ist? 
Der öHuöelte knäeriems Rsx. 
Berlin, im Dezember. 
Seit der Remarque-Film den Krieg verloren hat, werden die 
Filmausführungen mehr und mehr zu politischen Aktionen, Es 
gibt natürlich auch Filme, die nichts mit Politik zu tun haben 
und daher ohne Polizeiaufgebot ablaufen könnem Aber sie beschäf 
tigen sich dann entweder wie der Film: „Boykott" mit dem über 
reizten Ehrgefühl von Oberprimanern, einem Thema, das in der 
Wildenbruchzeit dringlich war; oder sie bemühen sich wie die Ufa 
komödie: »Einbrecher" blöd Zu sein und Zugleich heiter. Dieses 
Lustspiel, in dem die unvergessene Margarethe Koeppke aus dem 
Totenreich zurückgekehrt zu sein scheint, entfesselte übrigens wahre 
Stürme der Begeisterung. Warum, ist wir unerfindlich, denn der 
Ufahumor, der sich darin breit machte, stimmt mich seiner grob 
schlächtigen Albernheit wegen eher traurig. Ich bin zur Annahme 
gezwungen, -daß das Berliner Publikum ihn als Gegengift be 
nötigt, als eine Art von Nervensanatorium, in dem es sich von den 
Aufregungen der Politik erholen kann. Tatsächlich ist es ja heute 
kaum noch an einem Orte vor Tumulten sicher; obwohl schon 
allerorten Christbäume, Weihnachtsmärkte und Zeitungsartikel das 
Nahen des Friedensfestes verkünden. Und glaubt es einmal seine 
Ruhe zu haben, so kommt gleich die chinesische Regierung daher 
und beschwert sich bei der deutschen über den Revolutionsfilm: 
„Der blaue Expreß", der bis jetzt ungeschoren geblieben war. Das 
Auswärtige Amt wird in der Sache vermitteln. 
Welche Kinopolitik einstweilen Sieg um Sieg erringt, verrät 
das Verhalten der Filmoberprüfstelle. Sie, die den Remarque-Film 
vollends erledigte, hat mittlerweile nicht nur den Stahlhelm-Film 
freigegeben, sondern auch mit knapper Mehrheit Hugenbergs neues 
Fridericus-Produkt zugelassen. „Das F l ö t e n k o n Z e r. t von 
Sanssouei", so lautet der musische Titel dieses kriegerischen 
Ereignisses, das im Ufa-Palast am Zoo unter lärmenden Demon 
strationen das Licht der Welt erblickte. Daß die Schwergeömrt 
überhaupt vonstatten ging, war nur der Anwesenheit der Schupo 
zu danken, die gewissermaßen als Hebamme fungierte. Ihre 
Gegenwart bei allen möglichen Gelegenheiten ist fast unerläßlich 
geworden, und ich könnte mir eigentlich keinen Umsturz mehr 
denken, der sich nicht unter ihrer Aufsicht vollzöge. 
Wer den Film gesehen hat, wirb die Kundgebungen begreifen, 
die sich Lei seiner Uraufführung entwickeltem. Es LestHt für mich 
kein Zweifel daran, daß Hugenbergs Ufa ihn mit Rücksicht auf die 
nationalistischen Instinkte fabriziert hat. Geschäft ist Geschäft, 
und der Nationalismus ist zur Zeit nicht das schlechteste. Den 
spekulativen Absichten entspricht durchaus, daß dieses Flöten- 
konzert mit Geschick getätigt worden ist. Der Regisseur Ucicky hat 
eine vorzügliche Exposition geschaffen; Photographie, Montage 
und Ton find stellenweise musterhaft; das Ensemble setzt sich aus 
guter?. Kräften Zusammen, die ihre Schuldigkeit tun wie fride- 
rizianische Soldaten. Der Inhalt allerdings verdirbt sämtliche 
Effekte. Welche Quellen immer der Manuskriptverfaffer studierte, 
den Hegeumnn hat er bestimmt nicht gelesen. Er stellt einen Fried 
rich auf die Beine, wie ihn sich die männlichen und weiblichen 
Backfische erträumen: einen Monarchen aus der Gartenlaube, der 
mit der Wirklichkeit nichts gemein hat. Dieser König macht seine 
Augen nur groß- um gütig drein Zu blicken; hält ivahrhaftig der 
jungen Frau seines Majors eine KanZelrede über die Tugenden 
und Pflichten eines rechtschaffenen Eheweibs; entscheidet sich 
für den Siebenjährigen Krieg auf eine Manier, wie sie irgendeinem 
Heros der Schullesebücher ansteht, aber nicht ihm, dem König» 
Nach den hingeflöteten Lieblichkeiten, die von der Ufa Leise durch 
unser Gemüt gezogen werden, folgt dann mit Pauken und Trom 
peten die große Schlußapotheose, die ein einziger unerträglicher 
Bombast ist, Otto Gebühr, dessen Stimme mehr m den Damen- 
salon als zu Männergesprächen und Pulverdampf paßt, hält 
Parade ab über die kostümierte Statisterie. Der Hohenfriedberger 
ertönt und die Sonne funkelt — eine schauerliche Farce. Und 
das wagt man uns zu bieten, die wir wissen, wie es weiter geht, 
die wir den Krieg verloren haben, dessen Wirklichkeit der 
Remarque-Film uns zeigte. 
Nicht so empfanden die Demonstranten bei diesem Gemisch aus 
Gartenlaube und Parade, Volk und Sentimentalität. Der Spek-
	        

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