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H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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Bibliographic data

fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
BF00043387
Title:
H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]
Shelfmark:
H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931
Document type:
Manuscript
Collection:
Holdings and special collections
Year of publication:
1931
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Full text

^5^ 
Wohnungen zu repräsentieren, gehorchen nicht so sehr der Not als 
der Mode und ersetzen den Mangel an Ornamenten durch den 
Aplomb ihres Auftretens. Sie benehmen sich ungeziert, gewiß; 
aber auf eine Art, die sämtlichen Menschen gleich verraten soll, wie 
kunstreich sie eigentlich sind. Ihre Schlichtheit vollzieht sich unter 
Schnaufen, ihre Glätte hat nur die Absicht, großartig zu wirken, 
und ihr reduziertes Wesen wünscht als kostbar zu gelten. Da sind 
simple Schlafzimmerschränke, die es fertig bringen, wie unein 
nehmbare Festungen zu erscheinen; Betten aus gemasertem Holz, 
in denen zu ruhen das Prestige der Schläfer zweifellos beträchtlich 
erhöht; Schreibtische, die sonst nichts weiter besitzen als ihre Pro 
portionen und doch schon jetzt auf die Vornehmheit ihres künftigen 
Inhabers zu schließen erlauben. Kurzum, alle diese Möbelstücke, 
seien sie nun anonymes Firmenprodukt oder modern-Persönlicher 
Architektenentwurf, sind vom verzehrenden Ehrgeiz beseelt, der 
geforderten Einfachheit zum Trotz den Schein der Wohlsituiertheit 
zu wahren. Nur nicht die Armut sich anmerken lassen, ist ihre De 
vise. Und so verschaffen sie sich eine blinkende Politur, machen eckige 
Gebärden von besonderer Ausdruckskraft oder vollführen gehobene 
Schwünge — lauter Mittel, die ihr soziales Ansehen zu mehren be 
stimmt sind. Ein bedachtes Arrangement sucht gewöhnlich den er 
sehnten Effekt noch zu steigern. Locker hingeschaukelte Stahlmöbel 
gruppen erzeugen den Eindruck sorgloser Privateleganz, und viele 
Eß- oder Schlafzimmergarnituren könnten in Filmateliers ver 
wandt werden, um die Illusion von Eß- oder Schlafzimmern zu 
erwecken. Sie sind innenarchitektonische Ereignisse, denen sich nichts 
hinzufügen oder abnehmen läßt, und bereits so komplett, daß Men 
schen in ihnen nur störten. 
Unstreitig wohnt es sich in diesen Zimmereinrichtungen be 
deutend angenehmer als in den ehemaligen Greuelkabinetten, von 
denen sie sich durch ihre offen eingestandene Zweckmäßigkeit und 
durch einen gewissen Schmiß unterscheiden, wie er Leuten eigen 
Möek von heute. 
Berlin, im Junr. 
Beim Besuch der „S o w o" — das ist die vom Verlag Rudolf 
Mosse verunstaltete Ausstellung: „So wohne alle Tage" am 
Reichskanzlerplatz — bin ich einem gemeinsamen Zug vieler mo 
derner bürgerlicher Zimmereinrichtungen auf die Spur gekommen. 
Ich bemerke vorweg, daß die Ausstellung reizend aufgemacht ist. 
Sie verspottet durchtrieben die Auswüchse der neuen Sachlichkeit, 
die eigentlich Einschrumpfungen sind, indem sie eine Raumkompo 
sition zeigt, deren Dürftigkeit schlechterdings nicht mehr unter 
boten werden kann. Und außerdem führt sie zwei Zimmer aus der 
Elternzeit vor, wahre Schreckensträume von Zimmern, die ver 
sehentlich im Hellen Tag stehengeblieben sind. Ja, so ist es gewesen. 
Neben der Bronzestatue des gepanzerten Ritters hat das gold- 
geränderte Album gelegen, und aus dem Abzugsgraben zwischen 
der Sofaherberge und der Renaiffancefassade des Büfettschlosses 
sind Prunkvasen in den Stuckhimmel gewachsen. Wie man auf den 
Freitreppen alter Paläste immer noch das Rauschen von Schleppen 
zu vernehmen glaubt, so hört man inmitten dieses warmen Seelen- 
labyrinths der Etageren, Lüster und Deckchen die Hausschuhe 
schlürfen. 
Die Zimmereinrichtungen, die ich meine — sie füllen bei wei 
tem die meisten Ausstellungsräume — sind von jenen verschollenen 
Vorkriegsinterieurs spürbar abgerückt. Man hat inzwischen gelernt, 
auf abgenutzte Ornamente zu verzichten und überhaupt gradlinig 
schlicht zu sein. Entscheidende Gründe dieser Selbstbeschränkung sind 
die veränderten Produktionsmethoden und die materielle Not, die 
zur Vereinfachung umständlicher Formen und zur Serienfabrika 
tion zwingt; wozu der Ueberdruß an vergangener Ueppigkeit ge 
kommen sein mag. Nicht zu verkennen, daß die Mehrzahl der Zim 
mereinrichtungen dem Zeitbedürfnis eifrig zu antworten trachtet. 
Weder stopft man heute soviel Mobiliar wie früher in den Raum, 
noch macht man aus den Möbelstücken empfindsame Schauobjekte, 
die am liebsten jede Zweckbestimmung verleugneten. Im Gegenteil, 
die Nüchternheit steht hoch im Rang, und ein Kleiderschrank will 
wirklich ein Kleiderschrank sein. 
So wäre alles in Ordnung? Keineswegs. Denn diese neuzeit- 
Uchen Zimmergegenstände, die dazu ausersehen sind, in bürgerlichen 
BauausMmrg im Osten. 
Berlin, im Junr. 
In der Köpenicker Straße, die aus der Unendlichkeit 
schnurgerade in die Unendlichkeit läuft, liegt an einer Stelle da 
zwischen ein Häuserkomplex, der einen der trübseligsten Höfe um 
schließt. Einen Hof, der aus einem Dickens-Roman stammen könnte, 
so innig verbündet sich in ihm großstädtische Armut mit Alteriüm- 
lichkeit. Es gibt Hinterhöfe, die durch ihre moderne Sachlichkeit 
trostlos stimmen; dieser ist eine Ruine. Frühindustrielle Backstein 
mauern begrenzen ihn, und aus einem seitlichen Reparaturschuppm 
quellen verjährte Autos und Motorräder hervor, die einst bessere 
Tage gesehen haben. Trüb schleicht er an ihnen vorbei, und es 
ist, als zöge er sich immer ttefer in das Gewesene zurück. Kaum 
kann der Himmel ihm folgen, aber zahllose kahle Fenster blicken 
ihm nach und begleiten ihn bis zuletzt. 
Das Gebäude, das seinen Abschluß bildet, enthielt im Erd 
geschoß früher eine Knopffabrik. Wahrscheinlich sind alle Knöpfe, 
die hier fabriziert wurden, längst abgerissen. Die verlassenen Raume, 
die an Manufakturen aus der Zeit Zolas erinnern, kommen jetzt 
einer proletarischen Bauausstellung zugute. Sie ist 
von einer Gruppe jüngerer Ingenieure und Architekten verunstaltet 
worden, die sich Zu einem „Kollektiv für sozialistisches Bauen" 
Zusammengetan haben, und will das Gegenstück zur Ausstellung in 
den Messehallen sein. 
Propagandistisch wirksam Hergerichtetes Anschauungsmaterial 
bedeckt die getünchten Wände. Es besteht aus Schriftsätzen, 
Ziffern und Photos und verfolgt selbstverständlich nur die eine 
Tendenz: für das herrschende Wohnungselend die gegenwärtige 
Wirtschaftsordnung verantwortlich zu machen und hinzuweisen auf 
die besseren Zustände in Rußland. Ein Verfahren, das viel zu 
summarisch ist, um nicht auch zu schiefen Ergebnissen Zu führen, 
aber doch einige sonst weniger beachtete Tatsachen voll belichtet. 
So wird etwa der nationalsozialistische Vorschlag Zur Lösung der 
Wohnungsfrage treffend gekennzeichnet und abgetan. Das Haupt 
gewicht liegt begreiflicherweise auf der Illustration und Kritik der 
proletarischen Wohnverhältnisse. Die gewaltige Zahl der in Unter 
miete wohnenden Familien tritt wie ein Ankläger der Zahl leerer 
Großwohnungen gegenüber; Bilder architektonischer ZrllemilieuZ 
vereinigen sich unter dem Titel: ,Zeder einmal in Berlin!", der 
in seiner üblichen Bedeutung lockendere Ziele verheißt; Prostitution 
und Verbrechen erscheinen in sinnfälligen Verkörperungen und 
denunzieren die internationale Wohnungsnot als ihren Erzeugen 
Verzweifelte Arbeitslose und Exmittierte greifen mitunter 
Zur Selbsthilfe, deren groteske Improvisationen ebenfalls festge 
halten werden. „Vor den Toren Berlins", so heißt eine Photo 
montage, die alles andere eher als idyllische Weekend-Häuschen 
umfaßt. Sie vergegenwärtigt HMenwohnungen an Schuttablade 
plätzen; ramponierte Autos, die als Lauben dienen; Unterkunft^ 
räume aus Eierklstem Lauter Tatbestandsaufnahmen, die eine nicht 
unwichtige Ergänzung der großen Bau-Ausstellung sind. 
Den Zustandsschilderungen folgt eine materialistische Betrach 
tung des Städtebaus. An Hand von Beispielen aus der 
Antike, dem Mittelalter und der absolutistischen Aera wird Zu 
zeigen versucht, daß der Aufbau der historischen Städte durch die 
jeweiligen Produktionsverhältnisse und die mit ihnen im Einklang 
befindlichen sozialen Schichtungen 'bedingt gewesen ist. Der Ueber- 
gang zur künftigen Stadt ist von hier aus nicht schwer zu 
finden. Die Prinzipien, nach denen die Gemeinschaft der Aus 
steller bei ihrer Errichtung zu verfahren gedenkt, stimmen im großen 
und ganzen mit den Richtlinien überein, die Ernst May kürzlich 
in seinem Berliner Vortrag entwickelte. Ansehung eines syste 
matisch zu erweiternden MinimalMolM für jede Familie, 
warenmäßige Fabrikation der Wohnungstypen und Herstellung 
einer günstigen Beziehung zwischen Produktionsstätte und Wohn 
viertel: das ungefähr sind die Grundzüge des Programms. 
Wer die offizielle Schau im Westen besucht, sollte diese östliche 
nicht versäumen. Sie hat in einer Umwelt Wurzel geschlagen, 
die selber wie ein Demonstrationsmodell anmutet. Und sie schärft, 
gerade ihrer Einseitigkeit wegen, den Blick für gewisse Planungen 
und Bestrebungen, deren unaufhaltsames Wachstum auch in man 
chen Räumen der Messehallen deutlich zu spüren ist. 
S. Kraeauer.
	        

Hinweis zur Vollständigkeit

Die Blätter 89 und 90 fehlen im Original.

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