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H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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Bibliographic data

fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
BF00043387
Title:
H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]
Shelfmark:
H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931
Document type:
Manuscript
Collection:
Holdings and special collections
Year of publication:
1931
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Full text

tresfer gleichen. 
gesinnten Massen hätten verletzen können. Diese Tatsachen 
bestätigen nicht nur nochmals, daß die Auflagehöhe kein Wert 
messer ist, sondern deuten bereits auf die eigentlichen Gründe 
eines großen Bucherfolges Hin. Er ist das Z e i ch e n eines 
geglückten soziologischen Experiments, der 
Beweis dafür, daß wieder einmal eine Mischung von Ele 
menten gelungen ist, die dem Geschmack der anonymen Leser 
massen entspricht. Eine Erklärung für ihn bieten allein die 
Bedürfnisse dieser Massen, die gewisse Bestandteile gierig ein 
saugen, andere dagegen entschieden ablehnen; nicht aber die 
Beschaffenheiten des Werts selber — oder doch nur insofern, 
als sie jene Bedürfnisse stillen. Und sollten sie gar Wirkliche 
Spuren von Substanz mit sich führen: sie verschaffen dem 
Buch sein Renommee nicht in ihrer Eigenschaft als Gehalte, 
vielmehr als Widerspiel der im sozialen Raum verbreiteten 
Tendenzen. Der gute Absatz einer Buchware hängt zuletzt 
von ihrer Fähigkeit ab, die Nachfrage ausgedehnter Kon 
sumentenschichten zu befriedigen. Eine Nachfrage, die viel zu 
allgemein und konstant ist, als daß ihre Richtung durch private 
Neigungen oder bloße Suggestion bedingt sein könnte. Sie 
muß auf den sozialen Verhältnissen der Konsu- 
stellern zweifelhaften Ruhm dringt und unbezweifelbares VNe"r^. 
mögen. Es ist aber nicht mehr wie früher eins verhältnismäßig 
in sich geschlossene Klasse, sondern eine Mannigfaltigkeit von 
Schichten, die sich von der Großbourgeoisie bis herab zum Pro 
letariat erstrecken. Sie haben sich in den letzten 50 Jahren 
neu 'herausgebildet und stehen noch mitten in einem gewaltigen 
Umfyrmungsprozeß. Was weiß man von ihnen? Aus der 
Tatsache, daß man nichts oder nur wenig von ihnen weiß, 
erklärt sich Zwanglos die Unmöglichkeit, Ersslgchancen schon 
im voraus Zu ermitteln. Dtan hat zwar eine Art von Klafsen- 
instinkt, aber auch der ist gebrochen, und so muß jedes Litera 
turerzeugnis, das Marktgängigkeit erlangt, einem Lotterie- 
der Hand. Der Erfolg von Büchern, die keiner der genannten 
Gattungen angehören, könnte grundsätzlich der Füllt ihrer 
echten und allgemein überzeugenden Gehalte Zuzuschreiben sein. 
Wäre dem so: die Analyse hätte nur diese Gehalte sichtbar zu 
wachen,, um den Ruhm der betreffenden Werke Zu erklären. 
Tatsächlich aber gleichen die Gehalts darin den Sternen, daß 
Las von ihnen entsandte Licht uns vielleicht erst nach Jahr 
zehnten erreicht. Es hat Zeiten in der menschlichen Geschichte 
gegeben, in denen ihrer viele ein für allemal entdeckt zu sein 
schienen und daher nicht gesucht werden mußten. Heute aber 
ist der Himmel verfinstert, und wer weiß, ob man sie selbst 
durch ein Riesenteleskop zu erspähen vermöchte. Von Franz 
Kafkas Werken haben es einige noch nicht bis Zu 1000 Exem 
plaren gebracht. Die Beliebtheit mancher Liternturprodukte 
muß also auf andere Ursachen zurückzuführen sein als gerade 
auf die in ihnen eingekapselten Gehalte.. Im Gegenteil: je 
mehr Goldadern sie in ihrem Innern bergen, desto eher werden 
sie im allgemeinen von der Menge mißachtet, die keine Wün 
schelrute hat, sondern nur Wünsche. Hat einmal der Zer 
setzungsprozeß sein Werk getan, so sind die mittlerweile an den 
Tag getretenen Gehalte freilich für alle Zu greifen, oder 
werden doch von ihnen genannt. , , - 
Wenn der Erfolg der Werke, um die es hier geht, nicht 
eigentlich aus den Bedeutungen abgeleitet werden kann, die sie 
vermitteln — welchen Quellen entspringt er dann? Die Frage 
nach ihnen ist um so berechtigter, als sie auch die an ihrer Be 
antwortung unmittelbar Interessierten in Verlegenheit bringt. 
Trotz oder wegen ihrer Routine enthalten'sich erfahrene Lek 
toren und Verleger der Prophezeiungen über das Schicksal der 
Bücher. Sie Pflegen zu äußern, daß der Publikumserfolg un 
berechenbar sei, und wagen sie doch eine Vorhersage, so ist sie 
nicht minder problematisch wie eine meteorologische Erwägung 
über das Wetter. Wie groß die Ratlosigkeit der Fachmänner 
den klimatischen Erscheinungen in der Literatursphäre gegen 
über ist, erweist sich besonders schlagend im Fall von Re- 
marque. Das Manuskript seines Romans erfuhr von aus 
gezeichneten Verlegern, denen die Sanierung durch einen 
Allerweltserfolg Zweifellos willkommen gewesen wäre, schnö 
deste Ablehnung, und als es endlich nach langer Fahrt glück 
lich im Ullstein-Hafen einlies, wurde sein ziffernmäßiger 
Wert auch von den dortigen Hafeninspektoren keineswegs 
gleich erkannt. Mitunter werden die Auguren kühn und ver 
suchen das Wetter zu machen. Ich weiß von einem Buch, das 
den späteren Erfolg vielleicht auch dem Puff schuldet, der 
ihm beim Starten gegeben worden ist. Sein Erscheinen fiel in 
die Tage nach den Septemberwahlen, vor denen es schon 
lieferungsbereit vorlag. Der Ausfall der Wahlen bewirkte. 
Laß man das Werk noch einbehielt und rasch einige Partien 
änderte, die das Empfinden der offenbar hochgradig national 
III. 
Die ökonomischen Strukturwandlungen, 
die sich in der Gegenwart vollziehen, haben vor allem den 
alten Mittelstand einschließlich der Kleinbourgeoisie getroffen. 
Er, einst der Träger der bürgerlichen Kultur und der Haupt 
stamm des lesenden Publikums, befindet sich in einem Zustand, 
der dem der Auflösung nahe kommt. Unter den Ereignissen, 
die ihn heraufgerufen haben, wäre die Inflation und die mit 
ihr verbundene Auspowerung der Kleinaktionäre Zu nennen, 
die Konzentration des Kapitals und die zunehmende Ratio 
nalisierung; um ganz von der Krise zu schweigen, die zu 
weiteren Substanzzerstörungen führt. Aus all diesen Gründen 
ermangeln jedenfalls die nachgerückten mittleren Schichten ge 
wisser Voraussetzungen, die den ehemaligen Mittelstand kon 
stituierten: der Keinen Selbständigkeit, der bescheidenen Rente 
usw. Sie sind in Abhängigkeit geraten und zu „proletaroiden" 
Existenzen herabgesunken. Dem Nachweis ihrer Proletari 
sierung hat meine Schrift: „Die Angestellten" gegolten, in der 
überhaupt versucht worden ist, den ganzen Raum abzustecken, 
den die Kinder und Kindeskinder des kleineren Vorkriegs- 
mittelstandes erfüllen. Von ihnen zu den Arbeitern ist in 
ökonomischer Hinsicht kaum noch ein Schritt. Die veränderten 
Produktionsbedingungen üben selbstverständlich auch ihren 
Einfluß auf die Großbourgeoisie aus. Sie tritt zum Teil ins 
Angestelltenverhältnis, funktionalistert sich und steht mitten in 
einer Umgruppierung, deren Wirkungen sich schwer abschätzen 
lassen. 
Die hier gemeinten Strukturwandlungen haben, nebenbei 
bemerkt, die Herauskunft von Tendenzen Zur Folge, die vor 
erst noch unter einer Hülle leben, da sie den überkommenen 
Begriffen Widerstreiten. Es handelt sich um jene unserer fak 
tischen Situation entsprechenden Tendenzen, die zwar bereits 
allenthalben ihre Verwirklichung anftreben, sich aber mit 
privatwirtschaftlichen Grundsätzen nicht durchaus decken. So 
bricht das öffentliche Recht immer stärker in die Jndividual- 
sphäre ein und erobert sich neue Kompetenzen; der Gedanke 
sozialer Verpflichtung hat in der Wirklichkeit so feste Gestalt 
gewonnen, daß er nicht mehr Zu tilgen ist; Städtebau und 
Landesplanung greisen über den Einzelegoismus hinaus; die 
Kollektivierung des Lebens nimmt zu. Nur eben: diese Strö 
mungen, die der sozialen Realität und den materiellen Not 
wendigkeiten Rechnung tragen, sind einstweilen weit davon ent- 
fernt,^ das System zu bestimmen, in dem sie sich entwickeln. 
Sie hüllen sich gewissermaßen in ein Inkognito, und prägen 
sie sich auch faktisch aus, so setzen sie sich doch nicht als das, was 
sie sind, im anders gewohnten Bewußtsein durch. 
Platz für sie wäre vorhanden, denn manche bürgerlichen 
Bewußtseinsinhalte sind genau so abgebaut 
worden wie ihre Träger. Der ökonomischen und sozialen Fun 
damente beraubt, können sie sich nicht länger halten. Ich denke 
an den Schwund des SLandesbewußtseins in zahlreichen Be- 
I. 
Die im Literaturblatt der „Frankfurter Zeitung" verM- 
staltete Serie: „Wie erklären sich große Buch 
erfolge?" hat in Publikums- und Verle^rkreisen Ziem 
liches Aufsehen erregt. Einbezogen worden in sie sind bisher 
die Erfolgswerke von Richard V oß, Stefan Zweig, 
Remarque und Frank Thieß; Zu denen noch Jack 
London getreten ist, der nicht durchaus in die Reihe gehört. 
Sie ließe sich fortsetzen, und ich könnte mir zum Beispiel 
denken, daß man in ihrem Rahmen die Beliebheit biographi 
scher Werke erörterte oder den Gründen nachsragte, aus denen 
manche in illustrierten Zeitungen erschienene Romane be 
geisterte Aufnahme gefunden haben. Immerhin, so meine ich, 
sollten schon die paar Untersuchungen Zur Verdeutlichung der 
mit der Serie verbundenen Absicht genügen. Die Haltung, die 
in ihnen durchgeht, ist allerdings mitunter mißverstanden 
worden. Es scheint uns daher angebracht, sie einmal vom 
Stoff abzuheben und gesondert Zu prüfen. Ihrer Darstellung 
werden die Ergebnisse Zugute kommen, die in den veröffent 
lichten Analysen gewonnen worden sind, 
II. 
mengen beruhen. 
An welchem sAomzialelen Ort be-ffini^d-et sich das ^Pbulbrlkikuumm, das 
ulf keinen Fall 
uleetariat gareift 
Auf den Zweck der Serie weist schon die unter den Erfolgs 
büchern getroffene Auswahl hin. Eine Reihe von ihnen der Träger der Bücher^ rst? Sie werden aulf keinen Fall 
ist von vornherein ausgeschieden. Nicht behandelt worden durch proletarische Abnehmer begründet. Das Prouleetariat gareift 
sind zunächst Beispiele der Kolportage: sei es der offenen, sei m der Hauptsache zu Buchem abgestempelten ^nhaUs oder 
e§ der maskierten. Die Kolportage hat gewiß von jeher weite lwst nach, was ihm die Burgerrichen schon vorgelesen haben. 
Verbreitung genossen; aber aus Gründen, die sich gleich Immer noch ist es das B urg e rt u m, das einigen Schrift 
bleiben und sicher nicht gerade der Erhellung des gegenwarti- stellern zweifelhaften Ruhm dringt und unbezweifelbares VNe"r^ 
gen Zustandes dienen. Sie birgt bedeutende Gehalte in ver 
zerrter Form und antwortet auf Neigungen, die so wenig 
wandelbar sind wie ihr Kompositionsschema. Ist ihr Ersolg 
an die Befriedigung lang währender Instinkte und tiefer Er 
wartungen geknüpft, so der von anderen Bestsellers an die 
Beziehung zu sensationellen Ereignissen, die gerade das all 
gemeine Bewußtsein erfüllen. Auch diese literarischen Schlager 
von rein stofflicher Aktualität kommen nicht in Betracht. 
Ebensowenig haben jene Publikationen Berücksichtigung ge 
funden, die von Anfang an auf bestimmte Interessentenkreise 
abgestellt sind: also Werks irgendeiner ausgeprägten Politi 
schen Richtung und Bücher, die ihre Wirkung dem Umstand 
verdanken,' daß sie etwa der katholischen Vorstellungswelt 
oder den Gedankengängen des Proletariats besonders ent 
gegenkommen. Woher ihre Massenauflagen rühren, liegt auf 
GrfokgMHer und W Fubükum. - ^7/
	        

Hinweis zur Vollständigkeit

Die Blätter 89 und 90 fehlen im Original.

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