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H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
BF00043387
Title:
H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]
Shelfmark:
H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931
Document type:
Manuscript
Collection:
Holdings and special collections
Year of publication:
1931
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Full text

des klaren Einblicks, den der Tat-Kreis in die Zugehörigkeit " 
bestimmter Programme zu bestimmten sozialen Schichten hat, 
müßte es ihm, nebenbei bemerkt, auch ein Leichtes sein, die 
Rechtmäßigkeit des Begriffes Klasse zu erkennen. 
Die Mittelschichten sind heute zum großen Teil ökonomisch 
proletarisiert und in ideeller Hinsicht obdachlos. Ihre Prole 
tarisierung bringt sie jetzt während der Krise in steigendem 
Maße gegen den Kapitalismus auf, und Grueneberg stellt sogar 
ausdrücklich fest: „... ohne eine grundsätzlich antikapitalistische 
Einstellung wird man die positiven Kräfte des Mittelstandes 
niemals wecken können." Aus dieser antikapitalistischen Stim 
mung auf ökonomischem Gebiet folgt aber keineswegs das Be 
kenntnis zum proletarischen Sozialismus. Im Gegenteil: um 
seiner Selbstbehauptung willen besteht der Mittelstand gerade 
daraus, sich vom Proletariat deutlich abzugrenzen. Daß auch 
der am schlechtesten bezahlte Angestellte durchaus kein Lohn 
empfänger sein will, bestätigen bereits die in meinem Buch: 
„Die Angestellten" niedergelegten Erfahrungen. Eschmann for 
muliert im Septemberhest der „Tat" den gleichen SaclwerhM 
wie folgt: „Die zunehmende Bewußtheit der Mittelschichten 
macht nicht nur den Aufbau eines proletarischen Sozialismus 
in Deutschland unmöglich, sondern macht diese Mittelschichten 
auch zu wesentlichen Faktoren der entstehenden Nationalwirt 
schaft". Da sich also die Mittelschichten im vitalen Interesse 
ihres Fortbestands weigern, zum Proletariat hinüberzuwechseln, 
erhebt sich die Frage, was ihnen zu tun ü'nng bleibt, um der 
ideellen Obdachlosigkeit zu entrinnen. Jener Obdachlosigkeit, die 
daher rührt, daß sie weder mehr irr dein durch die Wirtschafts 
krise erschütterten System des Liberalismus unterkommen zu 
können meinen, noch auch im Marxismus einkehren wollen. 
Sie stehen im Leeren, und übrig bleibt ihnen nur der Ver 
such, ein neues Bewußtsein herauszubilden, das ihre soziale 
Weiterexistenz ideell gewährleistet. Daher der verzweifelte Kamp^ 
der durch die „Tat" vertretenen Zwischenschichten gegen den 
Liberalismus, dem sie entstammen; daher die Verherrlichung 
von Staat, Raum, Mythos. Es hat sich gezeigt, daß diese Be 
griffe keine Heimat bedeuten, sondern eine Fata morgana in 
der Wüste sind. Ihre Irrealität mag dein Mittelstand nicht 
bewußt sein; aber sie ist doch vorhanden und wird zweifellos 
dunkel gefühlt. Jedenfalls erklärt sich allein aus der Tatsache 
seiner ideellen Verlassenheit, daß er nnmerfort zwischen zwei 
Extremen schwankt. Das eine ist der Appell an die nackte Ge 
walt, den er in der Empfindung macht, daß er nur durch sie 
sich am Leben erhalten könne. Der geistige Kampf, den die 
„Tat" führt, droht denn auch wieder und wieder in einen un- 
geistigen Aufruhr auszuarten. Sie nennt das Schwert ein Ar 
gument, läßt das Blut über das Geld triumphieren und neigt 
unverkennbar dazu, die heroisierten chthonischen Mächte wider 
jedes bewußt geformte Leben auszuspielen. In allen Begriffen, 
die sie den Mittelschichten liefert, regt sich zugleich die bloße 
Natur. Das andere Extrem ist eben die Preisgegebene Positron 
des Liberalismus. Denn will sich der Mittelstand, der den 
Marxismus ablehnt, des eigenen Bewußtseins versichern, so 
muß er in Ermangelung eines unbürgerkichen und nichtproleta- 
rischen Bewußtseins am Ende doch stets zur abgelebten Bürger- 
lichkeit und dem ererbten Erkenntnisbesitz zurückfluten. Seinem 
Bewußtsein sind die Abflüsse versperrt; entweder es versiegt 
oder es staut sich an und strömt notgedrungen wieder zu seinem 
Ausgangsort. Nichts andres bedeutet der Einbruch des Indivi 
duums und der Vernunft in die „Tat", der sich im Wider 
spruch zu ihren eigentlichen Tendenzen vollzieht. 
Die Veröffentlichungen des Tat-Kreises spiegeln mithin 
genau die durch die materielle und ideelle Situation bedingte 
Zerrissenheit des depossedierten Mittelstandes wider, der sich 
in die Romantik flüchtet und zwischen Gewalt und Vernunft 
hin- und hergeworfen wird. Das heißt aber auch: daß sie 
ihm keinen Ausweg zu eröffnen vermögen, sondern eben nur 
seine Lage manifestieren. Bleibt es bei dieser Manifestation, so 
muß der Aufruhr seiner ideologischen Verworrenheit wegen 
versacken oder doch von Kräften gefesselt werden, die hand 
fester konstituiert sind. Wenn mich nicht alles täuscht, ist der 
Tat-Kreis vornehmlich drei Gefahren ausgesetzt. Die eine: das 
Kapital benutzt ihn gegen seinen Willen als Vortrupp im 
Kampf wider den marxistischen Sozialismus, um ihn dann 
gegebenenfalls später, wenn er seine Mission erfüllt hat, wie 
einen Ballast über Bord zu schleudern. Dergleichen ist nicht 
das erste Mal geschehen, und der Mittelstands-Sozialismus 
wäre damit liquidiert. Die zweite Gefahr: der Tat-Kreis treibt 
infolge der Aussichtslosigkeit des Bemühens, eine so irreale 
und unstimmige Haltung wie die seine durchzusetzen, mehr und 
mehr der Barbarei zu, die bereits in ihm angelegt ist und 
schwingt das Schwert an seiner Rechten. Der Mittelstand als 
Bewahrer der kulturellen Traditionen hätte das Nachsehen 
davon. Dritte Gefahr: es ergeht den Leuten von der „Tat" 
ungefähr so, wie es den deutschen Romantikern schon einmal 
ergangen ist: sie suchen am Ende ihre Zuflucht in der Religion. 
Sobald sie, durch die Praxis belehrt, erkannt haben werden, 
daß ihre Begriffe keine Wirklichkeit mit sich führen, bleibt 
ihnen immer noch Vorbehalten, sich kopfüber in die WirÜichkeit 
des Glaubens zu stürzen. Eine gewisse Beziehung zum radi 
kalen Protestantismus etwa ist jetzt schon bei ihnen nachzu- 
weisen. Sie verrät sich zum Beispiel in der Feststellung, „daß es 
sich heute in erster Linie um eine große geistige Wandlung 
handelt, in der wir stehen, daß es wieder um den Menschen in 
haben als heute. Er wird in der Sonne und in der Luft liegen 
könnem Er wird mehr Ruhe haben. Er wird mehr Sicherheit 
haben. Und — er wird vielleicht wieder einen Gefallen daran 
finden, sich mit ernsten geistigen Werten zu beschäftigen, zu 
denen er heute weder Ruhe noch Zeit hat." Wer ist dieser 
Mensch, hinter dem ganz in der Ferne ein Wochenendhäuschen 
schimmert? Es ist der im Liberalismus großgewordene indi 
vidualistische Kleinbürger, der den Staat einen guten Mann 
sein läßt und gewiß am allerwenigsten dazu taugt, die von der 
„Tat" ersehnte neue Ordnung zu schaffen. Zehrer selber sagt 
ihm den Mangel an Elan auf oen Kopf zu. Im Hinblick -auf die 
Russen meint er einmal elegisch: „Den eigentlichen, treibenden 
Kern aber in diesem neuen Wirtschaftsstaat, den großen, revo 
lutionären Elan, den können wir den Russen nicht mehr nach 
machen, denn wir stehen am Ende dieses liberalistischen Elans. 
Glauben wir noch an die Technik? Glauben wir noch 
an die Maschine? Glauben wir noch an den Rausch 
der„ großen Freiheit, der den von allen Bindungen 
gelösten und in das Diesseits geworfenen Menschen 
überkommt? Wir glauben nicht mehr daran, wir sind 
müde dieser Dinge geworden!" Ich bekenne, daß ich mir nach 
alledem die Geburt eines neuen Mythos überhaupt nicht mehr 
vorstellen kann. Es ist ja schon ein Unding, dem Einzelnen 
sozusagen eine metaphysische Bedeutung beizumessen und im 
selben Atemzug den Mythos zu preisen, der den Einzelnen gar 
nicht aus sich entläßt. Wird dieser aber noch dazu als müder 
Kleinbürger definiert, dem es nicht nur am liberalistischen 
Elan, sondern offenbar an der Schwungkraft schlechthin gebricht, 
so ist ein durch ihn zu verwirklichender Mythos erst recht un- 
denÄar. Auch Spengler spricht von der Müdigkeit des abend 
ländischen Menschen. Indem er sie jedoch der Herrschaftsform 
des Cäsarismus zuordnet, zu deren Vorbedingungen weder 
das Staatsvolk noch der Mythos geboren, verfährt er ungleich 
folgerichtiger als die „Tat". Der Widerspruch, dessen diese sich 
dadurch schuldig macht, daß sie den Mythos beschwört und 
dennoch den Begriff des Einzelmenschen aufrechterhält, könnte 
nicht vollkommener sein. 
Mit dem Individuum, dem Kernstück des echten Liberalis 
mus, hält auch die Vernunft ihren Einzug ins Tatweltbild. 
Trotz der besten Absicht, sie mit dem Schwert zurückzutreiben, 
wendet man sie nicht nur in den der Kritik gewidmeten Be 
trachtungen manchmal erfolgreich an, sondern fordert geradezu, 
daß sie sich wirksam erweise. Nachdem Zehrer im Novemberheft 
der „Tat" festgestellt hat, daß nun bald das Terrain frei sei 
„für einen Neuaufbau und ein Abwerfen der Ketten", fährt 
er fort: „Und wir haben eine Opposition, die auf diesen Zeit 
punkt noch nicht vorbereitet ist, die mühsam ihre eigenen Kadres 
zusammenzuhalten sucht, der aber die theoretische Vorbereitung 
fehlt." Die theoretische Vorbereitung: wodurch wäre sie mehr 
zu fördern als durch die Anwendung von Vernunft? Und zwar 
bedarf sie der Vernunft um so notwendiger, als das Pro 
gramm eine staatliche Planwirtschaft Vorsicht. Hier dringt 
der Widerspruch ganz ins Innere ein. Denn der Begriff des 
Planens ist dem des Wachsens kontradiktorisch entgegen 
gesetzt. Wenn also die „Tat" einerseits einen Staat propagiert, 
der durch organisches Wachstum zustande komme, andererseits 
aber durch Planwirtschaft eine Art von Sozialismus verwirk 
lichen will, so beabsichtigt sie etwas Unmögliches. Sie wirft 
die Vernunft aus dem Tempel des Volksstaates hinaus und 
holt sie im selben Augenblick in die Büros der Staatswirtschaft 
herein. Das ist nicht eine Bewegung; das sind zwei Bewe 
gungen, die einander zuwiderlaufen. Jene, die Hauptbewegung, 
ist die Reaktion auf den Liberalismus; diese, die eine nur 
mit Hilfe rationeller Organisation zu bewerkstelligende Plan 
wirtschaft anstrebt, der Durchbruch des Vernunftprinzips, das 
in zu starker Vereinfachung als „liberalistisch" gekennzeichnet 
wird. Ich habe schon einmal nachgewiesen, daß die „Tat" 
das ungebundene Denken der Gegenwart, das wahrhaftig nicht 
liberal Zu nennen ist, in einem fort mit der Vernunft selber 
verwechselt. Die Folge der Verwechslung ist unter anderem, 
daß man das Sowjetregime als liberal abtun zu können glaubt; 
ihr Grund: daß man in Wahrheit nicht allein Opposition 
wider den Liberalismus macht, sondern den Logos verleugnen 
möchte. In der „Tat" rebelliert zuletzt die Natur gegen den 
Geist. Und nur der Unentschlossenheit der Rebellen ist es zu 
danken, daß sie sich in Widersprüche verwickeln und trotz ihres 
Rückzuges ins Naturale dem Individuum und der Vernunft 
immer wieder Zutritt gewähren. 
V. 
Es sind die depossedierten Mittelschichten, die rebellieren. 
Mittelstand in Schlüsselstellung", überschreibt Horst Gruene- 
berg den ersten Abschnitt einer Abhandlung, zu deren Beginn 
er gleich erklärt: „Niemand kann diese entscheidende Tatsache 
übersetzen: ohne den alten und neuen Mittelstand kann nicht 
regiert werden." Und die „Tat" macht seine Sache so ganz 
zu der ihren, daß sie alle Hauptbegriffe auf ihn bezieht. Sie 
leitet, wie schon erwähnt worden ist, die Forderung des Mythos 
aus mittelständischen Notwendigkeiten ab und verankert in 
.rbnen^nicht minder ihr Staatsideal. „Positive Mittelstands- 
»t es in der eben genannten Abhandlung, „kann 
Aezur Neuordnung, Wille zum Staat." Dank
	        

Hinweis zur Vollständigkeit

Die Blätter 89 und 90 fehlen im Original.

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