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H:Kracauer, Siegfried/01.11/Klebemappe 1932 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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Bibliographic data

fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.11/Klebemappe 1932 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
BF00043388
Title:
H:Kracauer, Siegfried/01.11/Klebemappe 1932 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]
Shelfmark:
H:Kracauer, Siegfried/01.11/Klebemappe 1932
Document type:
Manuscript
Collection:
Holdings and special collections
Year of publication:
1932
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Full text

das Eafs gründlich zu renovieren, und auf die Bitte der In 
haberin hin hatte ich sie bei der Wahl der Vorhänge, des An 
strichs, wie überhaupt der ganzen Einrichtung gewissermaßen 
fachmännisch beraten. Zum Erwerb eines schrulligen Eckschränk- 
chens, das ich ihr zugemutet, war sie nicht ohne weiteres zu be 
wegen gewesen. Der Bildhauer aus dem Kreis hatte die Majolika 
Umrahmung des Spiegels geliefert, der Maler ein Landschafts 
Aquarell fürs Nebenstübchen. 
Von Erinnerungen angelockt, die mich bereits im HofgarLen . 
in ihren Besitz bringen wollten, suchte ich aus mechanischem 
Zwang heraus dieses Cafe am Nachmittag auf. Es war unver- < 
ändert erhalten, mit seinem Eckschränkchen, der Majolika-Umrah 
mung, dem Aquarell. Aber das Ganze kam mir trüb vor, eng, 
muffig, verstaubt. Ich freute mich, daß ich mich so fremd fühlte — 
ein Herr von außerhalb, der seinen Cafe trinkt und dann, unbe 
schwert geht. Die Inhaberin war nicht zu erblicken. 
„Leer hier," sagte ich zur Kellnerin. 
„Sonntag nachmittag. Alles ist draußen." 
Wie immer, dachte ich, und erkundigte mich nach der In 
haberin. Tatsächlich gehörte ihr noch das Cafe. Sie war gerade 
unterwegs, ein wenig Luft schöpfen, hatte aber hinterlassen, daß 
sie bald zurück sein werde. 
„Sagen Sie ihr, ein Herr möchte sie sprechen." 
Ich las Zeitungen, die ich überall hätte lesen können. Mit 
einem Mal stand die Inhaberin, eine vertraute Figur, in ihrer 
gewohnten Ueppigkeit, neben mir, begrüßte mich ohne Ueber- 
raschung und setzte sich an den Tisch. 
„Schon von draußen habe ich Sie gesehen und mir gleich ge 
dacht: das ist doch der..." 
Wie immer nannte sie mich nur beim Nachnamen. Sie hatte 
sich einen Cafe bestellt und plauderte mit mir. 
„Leer heute," meinte ich wieder. 
„Sonntag nachmittag. Sie wissen doch —" 
„Hat sich inzwischen viel verändert?" 
„Nicht, daß ich wüßte. Es ist alles beim alten geblieben." 
Ja, es war alles beim alten geblieben. Während wir noch 
sprachen, war das Cafe wieder groß und schön geworden wie vor 
zwanzig Jahren und ich ein Student wie vor zwanzig Jahren. 
Das Eckschränkchen reckte sich und die Majolikawülste glänzten 
selbstgefällig und jung. Ich würde später in mein Zimmer gehen, 
zehn Minuten von hier, oder besser vielleicht in den Englischen. 
Garten... - / -5, - 
Und dann geschah es, daß die Vergangenheit mich nicht, nur 
einspann, sondern selbständig zu wachsen anfing. Sie entwickelte 
sich weiter, als lasteten nicht die zwanzig, seither verflossenen 
Jahre auf ihr, und ich, der Student, dehnte mich mit ihr in 
die unbekannte Zukunft hinein. 
„Ich will Heuer wieder renovieren lassen," sagte die Inhaberin. 
„Wird auch nötig sein," stimmte ich zu, „die Wände und Decken 
sind scheußlich verraucht." . . 
„Schauen Sie sich nur alles an... Vielleicht können Sie - mir 
ein paar Ratschläge geben, Sie kennen ja die Räume genau." 
Wir betrachteten das Cafs, und berieten uns über Anstrich, 
Vorhänge und Tapeten. Im Nebenstübchen, das auch Salon hieß, 
wurden wir lange nicht einig, es. war wie damals ein schwieriger. 
Fall. Wie damals -- aber das Damals war jetzt -eigentlich^ 
Damals mehr, setzte sich vielmehr allmählich und sprunglös- fort. 
Indem ich der Inhaberin meine Vorschläge machte, lebte,ich, 
genau genommen, in einer imaginären Zeit. Es erging mir an 
nähernd wie einem, der träumt, er müsse ein Exämen machen, 
das. er irr Wirklichkeit schon gemacht hat; nur e^ 
träumte. Mitten im Gespräch, das gerade der Farbenwahl. galt, 
fiel mir ein, daß ich einen Freund abholen wolle, mnd zugleich 
wußte ich unterirdisch, daß dieser Freund im zweiten Kriegsja.hr 
gefallen war.' Ich erinnerte mich an das Bild des. Odeonplatzes, 
das ich mir heute früh wieder eingeprägt hatte, und- im selben 
Augenblick wurde dieses Bild aus der Zeit vor dem Krieg durch 
ein viel späteres überblendet: durch das des Platzes am Tag-Är 
Kriegserklärung. Die Menschen standen dicht gedrängt, schrien 
begeistert und rissen, sich die Extrablätter aus den Händen -.— 
doch dieser Tag war, wie gesagt, noch nicht eingetroffen, sondern 
kam erst viel später. Ich erwog, immer weiterredend, wie ich 
meinen Beruf wechseln könne, und war mir unterdessen völlig 
klar darüber, daß ich längst nicht mehr in ihm tätig sei. Ich lebte 
in einem gläsernen Sarg, durch dessen Wände ich, der Lebende^ 
mich so angestrengt verfolgte, daß ich mittlerweile als leibhaft 
Lebender verblaßte. Und dann stieg eine furchtbare Angst, in mir 
hoch. Alles würde noch einmal kommen: der Krieg, die Revolution 
und die Jnflationsjahre danach. Und niemand vermochte zu er- 
messen, wie alles dann wiederkäme — 
„Kommen Sie morgen wieder?" 
Verwirrt nahm ich Abschied. Die Straßen waren am Hellen 
Tag erstorben. So kleine Häuser. Wie immer. 
Am nächsten Tag reiste ich ab. Wie ein Dienstmann seinen 
Karren hinter sich herzieht, so schleife ich jetzt ein Stück Ver 
gangenheit durch die Berliner Gegenwart nach. Es bleibt zurück 
und will sich nicht mit ihr verbinden. Aber wie wäre eine solche 
Durchdringung heute auch möglich? 8. Lra, eauex.
	        

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