HMKakmMlder.
Besuch in der Woch enend-Ausstellung.
Von S. Kraeauer.
Berlin, im Juni.
Die Messe-Ausstellung: „S o n n s, L u f t u n d Hau s", über
die bereits bei uns berichtet worden ist (vergl. den Artikel Eugen
Ohms in der. Reichsausgabe vom 24. Mai), nimmt Zustände vor
weg, die noch nicht emgetreten sind. Guckkastenbilder einer neuen
Welt erscheinen in ihr/Zeiten, die auf den Abgang der unsrigen
ungeduldig warten. Wodurch gelingt diese Schau des Kommen
den? Durch die Auswahl der Darbietungen. Man zeigt, was sem
sollte, und verhüllt die Widerstände, die sich seiner Verwirklichung
entgegensetzen. Wenn aber der Traum schon so sichtbar ist, muß
die Decke ,zu sprengen sein, unter der er sich regt.
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Im Eingangssaal, der die Frage: „Warum Wochenende?" be
antwortet, wird die Wirkung der Berufsarbeit auf den Körper
und die Notwendigkeit seiner Reparatur durchs Wochenende ver
anschaulicht. Nicht nur veranschaulicht, sondern ins Publikum
Kineingewirkt. Man sieht zum Beispiel ein riesiges Modell der
menschlichen Haut, aber dieses Modell sagt erst etwas aus, wenn
der Besucher es durch selbsttätiges Eingreifen zur Aussage zwingt.
Er muß eine Kurbel drehen und erfährt dann, wie die Häut auf
Wasser, Seife, Bürste usw. reagiert. Der Grundsatz, den Lernen
den im Interesse der besseren Durchdringung des Stoffes zu akti
vieren, ist nicht vom heute. Nur oben wird er hier auf ein Gebiet
übertragen, auf dem er bisher kaum praktiziert worden ist. Noch
haben die Massen eine instinktive Scheu vor der Medizin; noch
pflegen viele Aerzte diese Scheu, statt sis zu zerstreuen — ein Ver
halten, das zweifellos mit ihrer geringen Neigung zusammen-
hängt, die Ursachen mancher individuellen Erkrankungen in denen
des Kollektivkörpers Zu suchen. Die Propaganda fürs Wochenende
prägt, vielleicht ohne Absicht, dem großen Publikum die Be
Ziehung zwischen den sozialen Verhältnissen und verschiedenen
medizinischen Mysterien ein. Man braucht nur aktiv die Kurbel
zu drohen, und schon ist die Sache klar- -
Panoramaartig mrfgestMe Phstomontagen in der Pergola
führen eine Sprache, die es in sich hat. Ehe sie das Paradies der
Wochenend-Siedlung illustrieren, vergegenwärtigen sie die scheuß
lichen Mietskasernen, in denen die Proletarier wohnen. „Laßt
die Mietskasernen baden!", steht unter einem solchen düsteren
Panymma geschrieben. Und zwar wird diese höhnische Aufforde
rung einem jungen Pärchen in den Mund gelegt, das gerade zum
Baden hmauszrchd Wer wüßte nicht,, auf welche Hindernisse zum
Beispiel die Liquidierung des Mietskasernenelends stößt? Sie
werden stillschwelgend Übergängen. Aber die deutlichen Photos und
der. provökaLorische Ton der Sprache sind wie ein Hämmern gegen
verschlossene Türen.
G
Auf einer Hobelbank liegt ein-Holzbrett. An Junge kniet auf
dem Brett und sägt. Die zusammengekauerte Gestalt des Knaben
ist umnderbar anzusehen — so in die Aktion des Sägens ver
tieft, daß sie mit dem Material zur undurchdringlichen Einheit
verwächst. Ein Geruch von Freiheit umgibt die Gestalt. Das sägt,
sich ohne äußere Hemmung leidenschaftlich ins Unbekannte hinein.
Der Junge ist nur einer von vielen Männern und Knaben,
die sich in einem ihnen eingeräumten Ausstellungssektor wie in
einer Äse betWgen dürfen. Unterhalt der kleine Natur-
schutzpark von der Vereinigung Deutscher Werklehrer, die durch
seine Anlage für den Werkunterricht in der Schule werben will.
Er ist noch längst nicht überall eingeführt, und aus budgetären
Gründen wird sogar zur Zeit seist Abbau, erwogen. Die Kinder,
die hier angesichts des Publikums zeichnen,. nähen, - kleben, schrei
nern usw., sind lebendige Demonstrativ deren Verfüh ¬
rungskraft sich niemand entziehen kann. Sie kommen aus den
Klassen, üben sich im vernünftigen Umgang mit. den Stoffen und
werden dazwischen mit Marmeladebroten verköstigt. Auch schul-
entläffene Arbeitslose nehmen am Unterricht teil.
So gewiß sich die Arbeit dieser Kinder heute wie unter einer
Glasglocke vollzieht, ebenso gewiß versinnlicht sie einen Zustand,
in dem sie keine Ausnahme mehr ist, sondern die Regel. Eine
Statue, nach der sägenden Knabenfigur gebildet, könnte sein
Zeichen sein. Das Zeichen aber hätte zu besagen, daß alle Knaben,
Sägen und Bretter uneingeschränkt zusammengehören. Einst
weilen begegnen sie sich nur selten und unter vertrackten Kautelen.
„Hier gibt es eitel Sonne,
Der Kinder und der Mütter Wonne", .
so lautet der Begleitvers zu einer Bildmontage, die das Glück
in der besiedelten Natur draußen zeigt. Das ganze Freigelände
ist dieses Glückes voll. Es enthält , lauter Wochenend- und Sied
lungshäuschen „für alle", die nur leider, so billig und puppen
haft ihrer viele auch sind, nicht von allen bezahlt werden können,
Sie haben sogar die Fähigkeit zu wachsen, aber die meisten Leute
renkten sich , schon jetzt die Glieder, aus, wenn sie sich nach ihren
niedrigen Decken strecken wollten. Diese netten Dinger, deren
einige immerhin bereits Käufer, gefunden haben, sind durchaus
doppeldeutig. Einmal stellen sie eine Zuflucht dar, die das Be
stehende nur noch verfestigt. Denn wer sich in ihre hübsche. Ge
borgenheit zurückzieht, bleibt gern in seinem Blumentopf stecken/
und ist daher mehr am Steckenbleiben als an Veränderungen
interessiert. Zum andern sind, die Häuschen ein Versprechen. Viel
fach nach dem Freien geöffnet und doch heimlich, mitten in der
Natur und doch in Verbindung mit dem Arbeitsplatz, weisen sie
auf eine Zeit hin, in der sich Privates und OeffentlicheD, Stadt
und Land richtiger zueinander Verhalten. Gleich ihnen ist die
Spiel- und Festwiese zur Hälfte eine Fata morgana. Jugend ver
eint sich hier zu Gruppenspielen und gymnastischen Posen, die auf
allegorischen Wandgemälden abgebildet sein könnten, und rund
ums Oval laufen Sitzreihen und Blumenbeete, die Stufe um
Stufe erklimmen. Das Oval ist entspannt und die Beete erinnerst
an den Frieden. Ein Schein, der nicht trügt; aber vergißt Mast
über ihm die sortgelassene Wirklichkeit, so ist man betrogen.
Herrlich ist ein Hallmteil, in dem sich folgendes beieinander
findet: ein richtiges Flugzeug; das große Modell einer V-Zug-
Lokomotive; ein Stück Zoo in Lebensgröße mit Palmen und einer
echten Antilope. Raum- und Zeitzusammenhänge sind in diesem
Abschnitt gleichnishaft aufgehoben, Weltelemente aus der Kruste
gerissen und kurzerhand ineinander verschränkt. Geld spielt hier
keine Rolle mehr, und die Entfernung ist nichtig. Man fährt nach
Taugenichtsart auf der Lokomotive mit, die über unsichtbare
Schienenstränge hinrvllt, oder besteigt das Flugzeug und ist schon
am Ziel: dicht bei der Antilope/ die ohne Furcht grast. -- u