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Mue MMWare.
Berti«, im April.
Es ist zur Zeit nicht möglich, über neue Filme viel Mitteilens-
wertes zu berichte«. Der Warencharakter ist ihnen sa fichtvar
ausgeprägt, daß sie andere, sachlichere Funktionen kaum noch er-
süllen. Es sei denn immer wieder die eine: dem Publrrmn -uft-
schlöjser vorzngaukeln, die es für die schlechte Unterkunft im A.-tag
entschädigen sollen. Aber das ist von, mir schon
worden und nachgerade bekannt. Verstärkt hat sich allenfalls rn .
der letzten Zeit der Drang nach Stabil is'^rung. Man erverimen--
ttert nicht gern, man scheut davor zurück, pch mit bedenklichen
Themen auch n,ir einzulassen. Hemmmmsn, die nicht eben vom
Nuternehmergeist der Produzenten zeugen und durch dre Meri-
sehen Eingriffe der FilmoberprüMelle noch verstärkt werden mögen.
So kommt es, daß die Filme mehr und mehr den Eindruck ge-
normier Fabrikate Machen. Sie find nrit Routine hergestellt, haben
nur den Ehrgeiz, marktgängig zu fein, und halten insgesamt eine
ungute Mitte ein. Jene Mitte» die nicht einen Ausgleich der Kräfte
erstrebt, sondern sie überhaupt nicht ins Spie! mit einbezieht.
-Schwer lastet der Druck der kulturrcaktionären Mächte auf dieser
ganzen Produktion. Im selben Primus-Palast, in dem Monats
hindurch der Film: Drei Tage Mittslarrest" lief, kann man sich
neuerdinas an dem Militärschwank: „Der Schrecken der Garnison
erqöken/und die Wiener Walzer-Filme nehmen kein Ende. Wie
ein Medikament wird die gute alte Zeit der neuen eingeflößt, der
es dadurch sicher nicht besser geht.
H -
Der zu früh verstorbene Lupu Pick hat fürs Deutsche Lichtsprel-
Syndikat einen Film: „Gassenhauer" hergestellt, in dem
allerhand schmackhafte Ingredienzien zusammengemilcht werden:
künl nette junge Straßensänger das Motiv ist von Rü-Ne Cwf.r
übernommen ein Mädchen, -das die Burschen betreut; ein
Kriminal-all, der d-m lnftcre Ensemble eine Zeit,lang düster grmm
diert; ein ganz hübscher Schlager, dem es nicht Zu viel wird,
immer wieder dremzuschlagem Wandervogelromantik, Boh^me-
leben und mondäner Barzauber — man hat ersichtlich damit ge
rechnet, den geplagten Zuhörern sozusagen ein geistiges Wochen
ende zu bieten. Der Regie Picks find ein paar schöne-Einzelheiten
gelungen, m die er so verliebt gewesen ist, daß er.fie-zu breit aus
gemalt, hat. Maria DalSajcin spielt eine spanische Tänzerin auf
charmante Weise vulgär.
Auch der . Fasching ist noch stets eine Qrse gewesen. Seine
Reize nutzt der Joe Mah-Film: „...und das ist die ^Haupt-
suche!?" aus und ab. Beinahe der ganze Film ist mit Faschmgs-
treiben anaemllt, mit Konfetti, komischen MaÄcn, Geknutsche rn
TelephonZEen und dem Wirbel tanZender Paare. Eine technisch
vorzügliche Leistung, die HinLerZrundsgerLusche, Musik und Ge
sprächs geschickt übeMendet, aber lei.der in den Dienst geringer
Zwecke gestellt wird. Denn die riesige Aufmachung ist nur die
Foliebsmer Gelegenheit zu pikanten Szenen
gibt. Man kann galante Bsulevardstücke lieben, ohne von dieses
mMlanten Vergröberrmgen entzückt zu sein, denen man schon
von weitem ihre Aufgabe aMnerkt, das Mit erotischen
Gewaltmitteln Zu betäuben. Harry Liedtkes Stimme trübt das
Rosenrot seines Lächelns. Die Augen von Ursula Gmbley such
Zwei lustige Jongleure. Es fehlt natürlich nicht ein Kriminal-
lmnmissae mck der landesübliche Schlager.
ü H. .
„Greta GarLs spricht deutsch^ — Liese Lockung ist keine
mehr, wenn man sie in dem Film: „Anna Christie" gehört
hat. Ihr dunkles, rauhes Orgaw paßt nicht zu ihrer Figur, mögen
andere, von der Schönheit der Frau verzaubert, sich auch em--
bil-dLn, das Gegenteil träfe zu. Ueberdies ist ihr Spielvermogek
bLscheiden zu nennen« Sie soll eine Dirne darstellen, die trinkt,
raucht und abgegriffen ist: aber wer glaubt ihr schon die Ver
kommenheit, auch wenn sie noch so wegwerfend: Quatsch" sagt
und ausgelaugt vor sich hmsLarrt? Mau ist nicht ungestraft ein
makelloses Weltideal, mch die Pflicht, den schönen Schein Zu ver
körpern, vertragt sich schlecht mit der anderen, körperlich Zu er
scheinen. Das Stück selber: .ein oller, ehrlicher Seemanns
schmarren, der Jacques Feyder in Auftrag gegeben worden war.
Er hat ein paar gute Mhelbilder geliefert. Das ist alles.
. S. Kraeauer.
Was M Kerr Kacke hm?
Von S. Kraeauer^'/ - .
Ein Student namens Gustav H 0 ck e hat an A lfredDöbli n
mstM Brief gen dew. er ihn anfragt/wie en
jMP gMidete Menschen sich heute zu verhalten hätietn Ich finde
durchaus in Ordnung und jedenfaN viel-
vWtecheM mLschiedMM Radikalismus Mncher-Awan-
WjWiger, denLn schon vvrbestimmt ist, daß sie mach aber zehn
Jahren iln ärgsten Spießbürgertum enden werderr. Dennoch glailüe
Md Hockes^ Brief die Einstellung unserer
MidWLWjM exemplarisch darbietet. Und Zwar desWü nicht,
weil. Hocke rucht nur ununtLrrichtLt ist, sondern auch eine Leere
verM, die sich schwer ausMen laßt. Dieser Student Hocke ist.
wahrhaftig eine Lücke, in die alles hlneingestopst werden kann.
Partoirichtuttgen, WelLärrschauuj^ politische WillensbUdungen
Kd.Hm nicht mehr als äußere ErscheinüngLn, die er ohnehin auh
Zählt, ohne eine von ihnen völlig zu verabscheuen oder sie an sich
W pMen, od^ sie M Zu verstchen' Gü unheschrkben^ Blatt,
dW M dage^ Wirklich beschrieben Zu werden. „Da
WchelU freMdM her das schöne Frankreich", meint
Hücke-M entdeckt gleich hinterher dort drüben
Ms Harmonie, die Zu unserem Zustand -nicht passe. Ebenso bündig
erledigt er Amerika mid Rilßland, und das gegenwärtige Italien
erWink ihm emer ZnpLntarlfienlng rricht einmal wert. Nach dem
ganM MMmperdU M Mmen stellt unsek Sr mplrZius
dann seine Gretchenfrage; wobei er immerhin auch von jenem Teil
der Fugend abrückt, der sich eindeutig zu den rEonären Mächten
bekennt. Wenn er sich nur überhaupt Zu etwas bekennte! Aber ich
halte beinahe -dafür, daß Hockes. Brief bereits ein Zeichen der
fürchterlichen Neutralität ist, die sich, heute in Deutschland aus-
breitet. Dieser Neutralität aus OhmMchk, die Lei uns fast alle
öffentlichen MamfsM und cntrminnt, und -die
eirunder nicht etwa ins GleichgewichL zu
bringen sucht, sondern sich der dialektischen Auseinandersetzung
Mit ihnen einfach entzieht. -
Höblin hat, wie man sich erinnert, während her zweiten Halste
des Vorjahres als-Antwort'auf den Hocke-Brief vier Aufsätze in
de^Mchrist-:' „Lage-Huch" veröffentlicht. Sie bilden den Kern
seines neuen Buches: ,Missen und Verändern! Offene
Briefe an einen junge u M ensche n" (S. Fischer Verlag,
Berlin 1931. 169 S. Geb. Mk, 4.90), in denr er das einzige tut,
was m der Tat fruchtbar ist:
rlchmen. Zum Anlaß, die Lag e de r d e ut sch-en
F nLelligenzschicht Zu veSreiLen. ""„Akademiker und Nicht-
akademiker gehören zu ihr. Junge und Alte, Studenten, PvoMre^
HUMN -ünd Polksschulleh^^ Juristen, Ttzeo^
VoflMirMafLer, B-esnlk^ Freie Schrüft^ ... Es ist eine unge-
heM. und wichtige Schicht; sie steht sich immer angefaßt als
hängsel -und Zubehör zu irgerrdwelchen Parteien, Gruppen und
Organisationen, wo sie mitlaufen darf, wo sie irgendweM
esserck von sich vertreten sieht, wo nwn sich lächelnd im. übrigen
vor ihr verbeugt und sie auch lächelnd ihre abseitigen
lW/
AudWtz^ M den: Studenten Hocke sagt, wo er stehen und
waL^auk^ solle,. .ZnLLlligM..übLr„K^
Rolle mMären, die sie zu spielen hat.
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üAie wird' grundsätzlich die Seite 8er Unterdrückten, der
Niedergehaltenen, der Arbeiterschaft treten, müssen — .das ist daK
erste', Wässer'ihr anbefiMt^ Mit einem Freimut, de^ ehrt, er
klärt er sich gegen den Kapitalismus. Es ist neben dem national
ökonomischen Betmchter vorwiegend her Arzt und der Physiogno-
miker, der sich hier äußert. Er'geißelt die „gnadenlose Nuhlich-
keit", die sich in derr Gesichtern promE Wirtschaftsführsr
auspräge, und unterstreicht deir „Schädlingscharakte/ des Herr
schenden WirtschasMhstems in. psychischer und LiologW Hinsicht.
Ich Wie es für umso überflüssiger, das Gewicht dieser Argu-