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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.03/Klebemappe 1923 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

L0) 
die eine 
Amt für Bestattungswestn, das hauptsächlich wirtschaftliche Funk 
tionen Zu erfüllen bat. eine, besondere Stelle mit einem Fachmann 
(GarLenbauer) an der Spitze abzuZweigen sei, der die Verantwor 
tung für die Erhaltung und Ausstattung der gesamten Friedhofs 
anlagen übertragen werden solle. Diese Trennung, die schon in 
Mehreren Großstädten durch geführt ist, wäre im Interesse einer ein 
heitlichen und auch die künstlerischen Ansprüche befriedigenden 
Durchgliederung unserer Friedhöfe in der Tat eine sehr empfehlens 
werte organisatorische Maßnahme, 
— In den Olympia-Lichtspielen wird während der laufenden 
Spielwoche ein nach dem Roman von P. Jos. Spillmann 
gearbeitetes Filmwerk: „DieTaLdesAbbeMontmoulin" 
vorgeführt. Die Fabel ist durchsichtig und doch voller Spannung. 
Der Abbe gerät in den Verdacht, einen Raubmord begangen zu 
haben, und es ist nicht zu leugnen daß der Schein sehr gegen ihn 
spricht. Da der wahre Täter, der Küster, ihm das Verbrechen kurz 
vor du Flucht nach Südamerika gebeichtet hat, weiß der Abbe um 
das Geschehen, aber der Mund ist ihm versiegelt und schweigend 
muß, er das Martyrium der Gerichtsverhandlung und der Depor 
tation erdulden. Zum Glück erlebt er und wir mit ihm die Ge 
nugtuung, daß der Mörder in seiner Todesstunde ein Bekenntnis 
Mögt. Das Verfahren wird wieder aufgenockmen und das stille 
Heldentum des Abbe erstrahlt zuletzt in voller Glorie. Der von 
der Aquila-Film-Gesellschaft hergcstellte Film ent 
faltet diese Begebenheit in einer Folge.wohlgelungene-r Bilder, 
unter besten - sich besonders die schönen Kircheninterieurs aus 
zeichnen. Auch die darstellerischen Leistungen halten sich auf re 
spektabler Höhe. rak. 
Der Bmud im MesbadSner Laud§§kheLker. 
Ueber die Brand! ata strophe, die das Wiesbadener 
LandestheaL-er betrssfen hat, wird uns drahtlich noch berichtet: 
Der Schaden an Maschinen und Gebäude wird auf drei 
Milliarden geschätzt- Der Magistrat beschloß in einer außerordent 
lichen Sitzung, den TheaL erbe trieb im Kleinen Haus 
w eiLerzuführen und rm Kurhaus die Möglichkeit für 
Orchesterkonzerte und BallettaufW zu schassen. 
Sachverffändigen-KommMon zu unterwerfen, die das Maß der 
von Deutschland zu entrichtenden Leistungen festsehe, — Nur noch 
ein Tort darüber, daß der Vertrag, nach dessen Beendigung sich 
zahlreiche Hörer in die Listen der Frauenliga als Mitglieder ein- 
trugen, die Dauer von überzWei Stunden beanspruchte. Es 
ist schlechterdings nicht etnzusehen, warum ein Thema, das sich 
recht gut in einer knappen Stund« zur Genüge abhanden und be 
leuchten läßt, nun höchst übcvflüssigerwelse auf mehr als die 
doppelte Länge auZgewqlzt werden muß. Solche Weitschweifig 
keit verrät einen gewissen Mangel an Selbstzucht und verfehlt 
. außerdem ganz die beabsichtigt« Wirkung, da sie das Aufn-Shme-- 
vermögen der Zuhörerschaft über Gebühr anfpannte. — Am 
Donnerstag abend soll, wie bereits angekündigt, in der Ge- 
lchlochterstube ein« Aussprache über den Vortrag HMer ftatt- 
sindsn. Xx. 
PazisisE Unter diesem Titel brachten wir 'm 
„Stad.-Blatt vom 14. März ein Referat über einen von der 
Fnternatwnalm Frauenliga vsranstalteten Vortrag Dr. Kurt H i l- 
HA: Dr. H,ller legt nun Wert auf die Richtigstellung daß 
in jenem Referat hieß, wider die Forderung 
deS demok^ Parteiprogr-mimS auf „Schaffung «iner VolkS- 
For^ des demokratischen Parteipro. 
W l n fuhrung der allgemeinen 
Ww entsprechen mit dieser „Be- 
Wunsche .Herrn Dr. Hitlers, können aber 
sucht fmden, drß dadurch m der Sache selber irgend etwas geändert 
mE» Herrn Hiller offenbar gemeinte Satz des demokra- 
schen ParterprogDlmrms lautet überdies wörtlich* 
M i"l7^^k^kWwungen< SWnerheer ist baldigst durch ein 
Anet st 2 Wehrpflicht zu ersetzen, das ge- 
OE 'st ^Verteidi^ Unabhängigkeit. ¬ 
- Dr. Hiller «s schon für nötig hielt, das demokratM- 
Beiprogramm anzuareifen, so hätte er sich zum ministen A 
Keinen Muhe unterziehen sollen, den Gegenstand seines AnarMs 
rns - uge zu fassen. Es wäre ihm dann sicherlich nickt 
M^äbette/r» Forderung auf die Schaffung eines 
Milizheeres zu Verteidigunas zwecken d b 
(etwa n-ach Schweizer Vorbild) abzielt nicht aber 
L »AS« »!-!- 
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r. <4«,. 
Der Mesbadmec TheaterbrM. 
(Von unserem Sonderberichterstatter.) 
Le Wiesbaden, 20. März. 
Des B r a n d, der MN vorigen Sonntag abend, bald nach 
Schluß der^Rienzi^-Vorstellung, dasBühnenhaus des Staat s- 
Lheaters zerstörte — Menschenleben sind Zum Glück nicht 
zu beklagen — ist für die Kur- und Fremdenstadt Wiesbaden 
ein verhängnisvolles Ereignis. Man rüstete bereits für die 
Frühjahrs saison und plante als Auftakt vier „Parsi- 
VÄ"-Vorstellnngeu, mit denen man just am Ende der laufenden 
Woche zu beginnen, gedachte. Diese Pläne und die Erwar 
tungen, die man an sie knüpfte, sind jetzt vorerst Zunichte 
geworden. Schlimmer aber ist noch der ideelle Schaden, den 
darüber hinaus der Brand in kritischer Zeit dem deutschen 
Geistesleben im besetzten Gebiet Zugefügt hat. Wegen der 
Höhe seiner künstlerischen Leistungen genoß das Wiesbadener 
Theater von jeher internationalen Ruf und war darum in 
hervorragendem Maße dazu geeignet auf bedrohtem Außen- 
posten eine wichtige kulturelle Gen düng Zu erfüllen. 
Nun es vorläufig ausgeschaltet ist, hat eine Quelle Zu fließen 
aufgehörtz aus der viele Lausende sich aufzufrijchen und 
seelische Widerstandskraft Zu schöpfen vermochten. 
4- 
Die Brandstelle bietet ein Bild der Verwüstung. Don 
der Parkseite aus betritt man das offene Bühnenhaus, 
das wie ein Schornstein ausgeraucht ist. Auf dem Bühnen- 
boden lagern in chaotischer Wirrnis die heruntergestürZten 
EisenkonstrukLisnen der Dach-kuppel, eie kläglichen Uebereste 
des großen eisernen Vorhangs, der die VordeMthne von der 
Hinterbühne trennte, halbverbrannte Prospekte usw. — eine 
einzige Schutt Masse, die niermmd mehr Zu entwirren 
Mver Pazifismus. 
— Auf Veranlassung der Internationalen Frausn- 
liga für Frieden und Freiheit sprach Montag abend 
im Bürgersaal des Rathauses Dr. Kurt Hiller (Berlin) über 
aktiven Pazifismus. Der Redner ist tätiges Mitglied 
der Deutschen Friedensgesellschast, deren linkem Flügel er an ge 
hört und hat sich bereits in zahlreichen Schriften und Vorkrügen 
als radikaler Kriegsgegner und Antimilitarist bekannt. Auf die 
an sich reizvolle Auseinandersetzung mit seinen mehr theoretischen 
Ausführungen, die gedanklicher Unterbau seiner praktischen Hal 
tung sind, muß in dem engen Nahmen eines Voriragsberichts ver 
zichtet werden. Erwähnt sei nur, daß er an die Spitze seiner Dar 
legungen den Grundsatz von derUnantastbarkeit des 
Lebens stellte, einen Grundsatz, den er als selber unantastbar 
bezeichnete und zum FundomentalprinAip der Republik stempelte. 
In dieser Form ausgesprochen, ist aber die von Hiller »erfochtene 
These bestenfalls halbrichtig, denn nicht dem Leben überhaupt, 
sondern allein dem sinnvollen, dem vom kategorischen Imperativ 
beherrschten Leben wohnt ein höchster Wert inne, und ez hat Fälle 
genug gegeben und mag sie immer wieder geben, in denen das 
Sitienge'ctz, oder wie sonst man jene höhere Macht nennen will, 
der die" Menschen unterstehen, gerade das Opfer des Lebens um des 
„Lebens- willen fordert. Dieser tragischen Forderung, die sich 
unter Umständen nicht nur an Ein-elmenschen, sondern wohl auch 
an ganze Böller richtet, wurde von Hiller nicht gedacht, wie er 
sich denn überhaupt mit seinen radikalen Leitsätzen die Sache dcI 
öfteren doch gar zu leicht machte und die Wirklichkeit gleichsam 
als ein Nichts ansah, das man einftch ss wegpusten könne. Wobei 
ihm im übrigen, wie sich ja von selber versteht, keineswegs der 
Radikalismus zum Vorwurf zu machen ist. vielmehr lediglich die 
Untiefe und Oberflächlichkeit seines obersten Grundsatzes von 
der Unantastbarkeit des Lebens um jeden Preis. Es war schon 
gut so, daß er im Verlauf des Abends seine fragwürdige These 
durch die Erklärung »6 adsuröum führte, er werde im Falle eines 
neuen Kapp-PutscheS sich sofort als Freiwilliger M Verteidigung 
der Republik melden War heißt das aber anderes, als daß mit 
unter der Gewalt mit Gewalt begegnet werden muß, als daß 
Man eben doch in unser«! Welt, wie sie nun einmal beschissen ist, 
ab und zu in die Notwendigkeit versetzt wird, sein Leben in den 
Dienst eines dem bloßen Leben überlegenen PflichtgebotS zu 
stellen. Wir find geneigt, diese Inkonsequenz gegen das eigene 
Dogma höher eiMufchätzen, als das starr« Bessngensein in dem 
Dogma selber. 
Leicht begreiflich, daß Hiller auf Grund solcher Prämissen zu 
manchen Vorschlägen kam, die das Kind mit dem Bade aus-' 
schütten. Nicht nur. daß er sich wider die Forderung des demo 
kratischen Parteiprogramms auf Schaffung einer VolkS 
wehr wandts, er setzte sich auch — ein indiskutabler Vorschlag 
für die Beseitigung der Reichswe 
große politische Gefahr bedeute. Durchaus zusammen konnte man 
seinen zum Teil gut pointierten Aeußerungen gegen das Hitler 
Unwesen in München, gegen hie illegalen militärischen Verbände 
und gegen die Seuche des blindwütigen Revanche »Nationalismus. 
Seine Haltung hinsichtlich der N uhrbesetzung deckt sich wohl 
in der Hauptsache mit der bereits bekannten Haltung der Inter 
nationalen Frauenliga, Er begrüßte den waffenlosen Widerstand 
und drückte die Hoffnung aus. daß das französische Volk bald den 
Amoklauf des französischen Militarismus hemmen möge. Mit 
unserem Widerstand allein sei es freilich nicht getan, er müßte 
ergänzt werden durch radikale Taten ehrlicher Reparationsboveir- 
schast. Die deutsche Regierung sollte, so fordert er, unverzüglich 
ein exaktes Reparationsprogramm vorlegen, daS die Besitzenden, 
denen an dar Katastrophe ein gut Teil der Schuld hcizumessen 
sei, endlich in dem erforderlichen Maße heranziehe. Gehe das nicht 
an, so b^bs. sie die MWt LL dem Urteili einer jMrnationalen
	        
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