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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.03/Klebemappe 1923 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

s, , r. V- 
Das Haus Vraunfels. 
Durch den künstlerischen Fassadenschmuck des Hauses 
BraunfeLZ, der jetzt, nachdem die Gerüste großenteils entfernt 
sind, endlich sichtbar wird, ersteht der ganze Liebfrauen- 
bergin neuem Glanz. Das stattliche Gebäude hat eine, bewegte 
Vergangenheit. Erbaut wurde es im Jahre 1350 von dem da 
mals reichsten Bürger der Stadt, dem Weinhändler Brune 
zur Weinrebe, der ihm auch, vielleicht nach seinem Heimatsort, den 
Namen Braunfels gab. Das Haus, das schon früh zu Meßzwecken 
Verwendung fand, galt auf lange hinaus als eines der bedeutensten 
in der Stadt. Hier hielt 1442 und 1474 Kaiser Friedrich ilk. 
sein Hoflager, hier fanden die Sitzungen des 1495 neuerrichteten 
Reickskammergerickts bis Zu seiner Uebersiedlung nach 
Worms im Jahre 1497 statt. In den Zeiten der Reformation 
wechselte das Gebäude öfters seine Besitzer, ohne daß sich besondere 
Ereignisse iL ihm abgespielt hätten. Zu Anfang des 17. Jahr 
Hunderts dienten dann seine prunkvollen Räume wiederholt als 
^Zwischen den Zeiten.^ Zu Beginn des Jahres ist (im 
Verlag Chr. Kaiser, München) das erste Heft einer neuen 
Vierteljahrs-ZeiLschr^ „Zwischen den Zeiten" erschienen, die 
in Gemeinschaft mit Karl Barih. Friedrich Gogarten und Eduard 
Thurneysen von Georg Merz herausgegeben wird. Der Geist 
dieser Männer, in denen wieder alLreformatorische Gesinnung 
auferstanden ist, verleiht dem vorliegenden Heft sein Gepräge. 
EingeleLLeL wird es durch einen Vertrag: „Not und Ver 
heißung der christlichen Verkündigung", den der, 
Göttinger Professor Barth im Sommer 1622 am Pfarrertag 
der Provinz Sachsen Zu Schulpforta gehalten BnrLH gibt 
hier, auf Wunsch der Hörer, „seine" Tcheologis, eine aus der 
Wirklichkeit eigenen Fragens und Vernehmens stammende Theo 
logie, die jeder innerlich unbeteiligten Spekulation und Kon 
templation abhold ist und nur das Eine will: den rechten Weg 
weisen, der durch die enge Pforte der Not W dem Leben der 
Verheißung führt Die Rede, an Geistlich?' gerichtet, erfaßt 
zumal den Beruf des Pfarrers in seiner ganzen Schwere und 
sucht nach seiner Legitimierung. „Erst dadurch, daß unsere Ver 
kündigung aus realer Not kommt," ruft BarLH die Amisge 
nossen an, „wird aus unserem Amt Sendung." Worte voll 
protestantischen Ernstes, die dem gegenwärtigen Einzelnen gel 
ten und das Heil abhängig machen von dem Einsatz der gnnze» 
Person. Legt Varth, weil die Gelegenheit es erfordert, ein Be- 
kenntnis'ab, so führt Gogarten in seinem Aufsatz: „Die 
Entscheidung" bis an die Schwelle des Bekenntnisses 
heran. Die Entscheidung, um die es geht, ist die stets wieder 
neu zu fällende Entscheidung für die endliche Erscheinung 
der Offenbarung. Das dichtgefügte Satzgewebe der Betrachtung 
geht von dem Gedanken aus, daß erst diese immerwährende 
Entscheidung den Menschen aus dem unendlichen Relations- 
zusanrmenhang erlöse, in den Philosophie und Geschichtswissen 
schaft ihn notwendig verstricken. Kierkegaardscher Geist wrrd 
hier spürbar, denn auch für Gogarten handelt es sich um derr 
! einen „Sprung", ohne dessen Vollzug alles im Nm> 
Nelativen verbleibt. KurZe, aus der SeelsorgetcMgkert erwach^M 
Absteigequartier für Fürstlichkeiten. So nahm Kaiser Matthiasv 
1612 in ihm Herberge, als er zur Krönung nach Frankfurt 
kam, und auch Ferdinand !). kehrte 1619 in ihm Zu seiner 
Kaiferkrönung ein. Der Aufenthalt König Gustav Adolfs 
von Schweden im Braunfels wahrte mit Unterbrechungen über 
ein halbes Jahr, von November 1631 bis Juni 1632. Nach 
dem dreißigjährigen Krieg, im Jahre 1658, weilte Kaiser 
Leopold j. in seinen Mauern. 1694 ging das ganze Anwesen 
für 15 000 Gulden an die Patriziergesellschaft Frauen st ein 
über, die damals meist aus Familien des Großkaufmanns- 
standes zusammengesetzt war, sich aber immer mehr als Adels 
gesellschaft ausbildete. Der ernste gotische Burgbau erfuhr nun 
eine durchgreifende Umwandlung im Barockgeschmack. Türmchen, 
Zinnen und Spitzbogen verschwanden, ein neues Portal, mit 
! figürlichem Schmuck wurde errichtet, über dem das Wappen der 
Gesellschaft, die goldene Lilie im blauen Feld, seine Stelle fand, 
und die ganze Fassade tzrhielt eine heitere Bemalung. Bei den 
Kaiserkrönungen öffnete der Braunfels nach wie vor seine Tore; 
1792 hielt der letzte Kaiser des alten Reichs, Franz U., bei 
seiner Krönung mit der Kaiserin und mehreren Erzherzögen in 
ihm Einkehr. Um die Ausnutzung des Hauses noch vorteilhafter 
zu gestalten, ließ die Gesellschaft Frauenstein, die nach ihrer Ent 
stehung und Zusammensetzung mit der Frankfurter Handelswelt 
eng verbunden war, in den Jahren 1791 bis 1792 und dann 
wieder in den Jahren 1794 bis 1796 große Umbauten und Neu 
bauten vornehmen. Derart wurde im Braunfels, dem amtlichen 
Sitze der einheimischen Kaufmannschaft und der Börse, auch ein 
Meßhaus großen Stils geschaffen. Als 1806, nach dem Eintritt 
der Freien Stadt Frankfurt in den Zollverein die Messen zurück 
gingen, leerte sich me Galerie im Braunfels mehr und mehr. Das 
mag die Gesellschaft Frauenstein dazu bewogen haben, ün Jahre 
1859 das ganze Gebäude zu verkaufen. Später nahm es den 
Charakter eines nüchternen,Geschäftshauses an, das im Aeußern 
wre im Innern stark verwahrloste. 
Die seit einem Jahr im Gang befindliche Restaurierung 
dieses historischen Gebäudes ist im wesentlichen das Werk des 
Bundes tätiger Altstadtfreunde. Eine schwere 
Aufgabe war es vor allem, das Hausinnere wieder in Stands 
zu setzen. Im Obergeschoß hatte der Schwamm die Balken 
köpfe zerfressen und eine bedrohliche Senkung der Decken^ 
heroorgerufen. Nach mühsehligen Ausbesserungsarbeiten ist 
jetzt dem Sckaden so Ziemlich abgeholfen, und wie man hört, 
hegt die Stadt die Absicht, in den behäbigen Dachräumen Woh 
nungen einzurichten. Durch die von der Firma Hembus 
ausgeführre Fassadenbemalung ist besonders der Hof wieder 
zu Ehren gekommen. Das Grau des Sockelgeschosses, der Fenster- 
umrahwunven und der Gesimse geht vortrefflich mit dem Gelb der 
großen Putzflächen Zusammen und verleiht der schlichten Barock 
architektur das ihr anstehende freundliche Aussehen. Von dem kleinen 
Uhrtürmchen an der Rückwand, in dem auch wieder Glocken ange 
bracht werden sollen, blickt das neu hergerichtete Ziffernblatt trau 
Lich in dew Hof herab. Die Bemalung der Außenfassade nach dem 
Liebfrauenberg Zu lehnt sich im großen und ganzen an einen im 
Jahre 1728 entstandenen farbigen Stich Salomon K l e i ners an, 
der die bunten Hausfronten am fröhlich belebten, winterlichen 
Platze zeigt. Die gemalten Pilaster werden in der Höhe des zweiten 
Stockwerks von den lebensgroßen Bildnissen etlicher Fürstlichkeiten 
bekrönt, die in dem Braunfels Wohnung genommen hatten. Gelbe 
und rote Töne in Erdfarben überwiegen. Die Ornamentik selber 
ist teilweise etwas matt geraten. Das in kräftigen Farben gehaltene 
schöne Barockportal hebt sich sehr wirkungsvoll von der Fassaden-. 
flächeab^ ' 7 ..." ' Lr. 
DezZ z«A hell N LeN l«d!sches Aeliglonen. 
«- Im Nahmen des von der Vereinigung von Freunden 
und Förderern der Universität Frankfurt ver- 
anstalteten Vortragszyklus sprach Montag Abend Priv.-Doz. Dr. 
Prrnz über die Weg e Zum Heil in den indischen 
Religionen. Er ging von einer kurzen Charakteristik des 
Rigv'eda, des ältesten Denkmals der indischen religiösen 
Literatur aus, der die Menschen noch ganz dem Tage, dem Dies 
seits hinqegeben Zeigt und Erlösungssehnsucht nickt kennt. Später 
erst scheidet sich Himmel von Hölle, die Opfertechnik verfeinert 
sich, das Ritual wird spitzfindig ausgedeutet. Mit dem Erwachen 
.dieser Owerspekulstion stehen auch die beiden Grundgedanken 
*aüer indischen Religionen fertig da, die fortan durch die Jahr 
hunderte hindurch als Dogmen unangetastet in Geltung bleiben: 
die Lehre von der S e e! e n w a n d er u n g, derzufolge die Seele 
nack ihrem Abscheiden sich in unendlich vielen Existenzen wieder 
verkörpert, und die Lehre vom Karma, nach der alles, was 
einem Menschen widerfahrt, geknüpft ist an die Laren seiner 
früheren Existenz. 
Die Sehnsucht nach Erlösung aus dem Kreislauf der Wieder 
geburten und dem Zwang des Karma beherrscht in der Folgezeit 
den indischen Geist. Drei Wege sind es im großen ganzen, dir von 
den Heilsbedürftigen beschritten werden. Der erste ist der W e g 
der Werke. Nur wenige glauben, daß er völlig Zum Ziele 
führe, wenn ihn auch niemand für durchaus entbehrlich hält. Der 
zweite Weg ist der W e g der Erkenntnis, der am meisten 
der spekulativen Veranlagung der Inder entspricht. Seine Anfänge 
gehen auf die Upanishads zurück, in denen das Wesen der Seele, 
der A rman, sich nach und nach Zur wikrokosmischen Urkraft ent 
wickelt und dem Brüh man, der makrokosmischen Urkraft, 
qleichgesetzt wird. Daß das eigene Selbst gleich der Urkraft der 
Welt sei: aus der Einsicht in diese Wahrheit muß für alle, die den 
Heilsweg der Erkenntnis einschlagen, die Erlösung erwachsen. 
Eine Reihe von Lehren wandeln den so gefaßten Erlösungsge 
danken auf verschiedene Weise ab. Da ist Zunächst die Sa muhya- 
Philosophie, in der schon das Leitmotiv aller späteren Lehren: der 
Pessimismus, deutlich hsrvortritt. Sie drängt nach Aufhebung der 
Verbindung zwischen Leib und Seele, damit der Leib zur Urmaterie 
zerfalle und die erlöste Seele ruhig in sich selbst verharre. Die 
Dschein a-Religion wie die Bog a-Lehre legen einen großen 
Wert auf Kasteiungen, die nach thuen zur Tilgung der das Karma 
erhaltenden Leidenschaften und Triebe führen. Auf der höchsten 
Stufe der Askese tritt bissen Lehren zufolge eine Isolierung ein, 
die von Erleuchtung begleitet ist, das Karnra wird vernichtet und 
die Seele wandert in den Himmel der erlösten Seelen. Buddha, 
im Gegensatz hierzu, verwirft die strebe" Askese wie. auch den 
Sinnsngenutz nnd wählt einen mittleren Weg, der zum Nirwana 
Khrt. Ar der Pr^t von MEss M Mm MMchrer t 
die Wahrheit vom Leiden, von der Entstehung des Leidens (durch den 
„Durst", die Gier), von der Aufhebung des Leidens (durch die Be 
freiung vom „Durst") und von dem achtfachen Weg zur Aufhebung 
des Lewens. Die Erscheinungswelt verliert bei Buddha ihre Reali 
tät, aber auch die Seele ist nach ihm nicht unvergänglich. Ueber das 
Nirwana selber, in das dieSeele nach erfolgterLäuterungMeditation 
und Erkenntnis schließlich eingeht, hat er jede Auskunft verweigert 
mit der Begründung, daß er nur lehren wolle, was unmittelbar 
dem Heil fromme. — Hat der Buddhismus in Indien jeden An 
hang verloren, so bekennt sich noch heute die Mehrzahl der gebil 
deten Inder Zur monistischen Vedanta-Lehre, die zirka 
800 n. Chr. entstanden ist, und auf ein (Zwischen 200 und 400 
n. Chr. verfaßtes) Werk zurückgeht, dessen ä00 Sprüche während 
eines Jahrtausends immer neu kommentiert worden sind. Nach 
ihr sind alle Einzelsselen das eine Brahman selber. Durch das 
Wissen hierum wird der Schleier der Maya zerrissen, die Kette 
der Wiedergeburten gesprengt und der Atman eins mit dem 
Brahman. Neben der esoterischen Vsdanta-Lehre besteht noch eine 
exoterische, die das Brahman personifiziert, damit das Volk durch 
die Anbetung eines ihm faßlichen persönlichen GotteS zur Er 
lösung gelange. 
Der dritte Heilsweg ist eben dieser Weg der Gottes 
liebe. Zum Unterschied von dem Agnostizismus der indischen 
Spekulation wurzelt der Theismus in der uralten Religion des 
Volkes, in dem Glauben an die Götter Wischnu und Sckiwa. 
In dem Mahabharata-Epos verkündet Wischnu, der das Wesen 
hafte in allen Dingen ist, als Gott Krischna selber seine Lehre. 
Ihre Quintessenz ist, daß die Seele, die alle Werke um Gottes 
willen tut, dereinst zu ihrem göttlichen Ausgangspunkt zurück 
kehrt. — Der Redner beschloß seinen aufschlußreichen Vortrag 
mir einem UeberbLick übrr die späteren Systeme, in denen sich 
Vedanta-Lehre und Wischnu-Lehre auf verschiedene Arten ver- 
schmelze»^ / - L r.
	        
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