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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.04/Klebemappe 1924 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

lichen Zufallsvolitik", um mit den Worten des Herrn Kra- 
ciurer zu sprechen) zu überlassen, selbst aber die Hände in den 
Schoß zu legen. . , . > 
Dis Ziele, welchen das Panideal zustrebt, und welche dem 
Kritiker als „erschreckliche Triumphe der Schöpserkraft", als 
„ungetrübte Apotheose des Menschlichen" erscheinen, tragen 
also im wesentlichen die folgenden Züge: Dis erreichbare 
menschliche Vollendung soll auf die Dergeistigung der religiösen 
Gefühls gerichtet sein und in der Kunst (wie die Schafscns- 
pfhcholcgie Holzapfels eindeutig hervorhebt) auf die stets voll 
kommenere Verherrlichung des überirdischen Schaffens . . . 
Diese Andeutungen genügen wohl, um zu veranschaulichen, 
welche Kluft die Fiktion, die Herr Kracauer bekämpft, von 
drm wirklichen Werke Holzapfels trennt. Im Sw'eoel der 
Panideal-Forschung sah der Kritiker nicht die Welt ihres 
Schöpfers, sondern nur deren Zerrbild. Es ist also nicht zu 
verwundern, daß ihm dieses selbstverfaßte Produkt mißfallen 
mußte. * 
DnpÜk. 
Don Dr. Siegfried Kracauer. 
Herr Dr. Astrow entsendet wider meinen Aufsatz: „Holz 
apfels Panideal" (vergl. Erstes Morgenblatt vom 7. Febr.) 
einen kleinen Geschoßhagel von Argumenten, der nur leider 
sein Ziel verfehlt und darum auch nicht die geringst« 
Schramme hinterläßt. Sein« Einwände entspringen im 
wesentlichen dem Bedürfnis, mich als «inen Don Quichote zu 
entlarven, der den Riesen Panideal zu besiegen wähnt, wäh 
rend er doch in Wahrheit lediglich die klappernden Wind 
mühlen seiner eigenen Phantasie berennt. Welches andere 
Mittel bleibt mir zur Abwehr solchen Verdachts, als den 
Riesen selber nochmals zu zitieren und ihm das Eingeständ 
nis zu entlocken, daß wirklich er es sei, den ich meinte und 
meine? ! 
, Herr Dr. Astrow erNSrt zunächst, daß ich in meinem kri 
tischen Produkte sehr zu Unrecht den Vorwurf hemmungs 
loser Kulturgläubigkeit gegen Holzpfel erhoben habe; 
-weder glaube dieser an eine „Auflösung aller Dissonanzen", 
noch handle «S sich ihm um einen „idealen irdischen Endzu 
stand". Nun es muß schon gesagt werden, daß Holzapfel 
LhrHsM.sU der Ansicht UM MrtMgers ist, sondern gar 
unbekümmert die kommenden „Menschheitskunstwo ke" verherr 
licht und das Leben der panidealistischen Zukunftsgefellschast 
- geradezu als messianisch« Erfüllung preist: 
„Wie ein irdisches Paradies Ware es", so äußert 
er einmal vorausblickend, „zu dem alle Hauplwege unv Neorn-. 
Pfade der Vervollkommnung führen, in dessen Seen alle Ströme 
und Bäche münden; ein Wundergarten, von Himmelsstrahlen 
durchglüht, wo jegliche Gestalt und Eigenschaft allen andr en i 
ihr Bestes leiht, jegliche vom Bestreben geleitet, der irdischen i 
Vollendung zu dienen, um die der Ewigkeiten zu 
Von der Vollkommenheit dieses seines stufenreichen Wunder 
gartens hegt Holzapfel so erhabene Vorstellungen, van ei die 
Konzeptionen seiner Vorgänger schlicht als einseitig verdammt. 
Er bedauert unter anderem, daß der evangelische Jesus „keine 
wesentlich neue Wertdifferenzierung" (!) angestrebt habe und 
faßt die bisherigen Menschheitslehren von Buddha und Plato 
an bis zu Augüstin und Luther summarisch als „Spszialisten! 
der Idealisierung" zusammen. Man wird nach alledem keinen 
Zweifel mehr daran hegen, daß Panideal doch das „Absolute 
und Größtdenkbare" in den irdischen Bereichen fordert und 
des Geistes voll ist, den mein Aufsatz ihm zuspvach. 
Herr Dr. Astrow bestreitet ferner, daß Holzapfel „Genie 
kult" treibe und eine absolute Organisierb arkeit der 
menschlichen Gesellschaft annehme. Auch in diesem Punkte er 
greift Holzapfel selber wider seinen Apologeten für mich Par 
tei. Wie sehr er der Organisierbarkeit des Menschlichen ver- s 
traut, beweist allein schon sein von mir hinlänglich erö terter! 
Vorschlag der Gründung einer „Akademie der Aus 
nahmen", die das irdische Paradies mit Hilfe pauidealisti- 
scher Erkenntnisse herbeiführen soll. Eine Akademie als Vor 
sehung —: dieses Projekt, das auSgeheckt zu haben der Ho'z- 
apfrischen Psychologie nicht eben zum Verdienst« gereicht, ver 
rät eine Organisierungswut, die jede menschliche Grenze längst 
überschritten hat und einer Steigerung schlechterdings nicht 
fähig ist. Nur des Raummangels wegen widerstehe ich der 
! bedrohlichen Versuchung, de» Wademir-Prospekt ganz vorzu- 
- führen. Er bestätigt, daß die Akademie genau das ist, was 
ich „Genie-Aufzucht" nannte, da er einmal die Ausbildung 
von „Geniefindern" (!) vorschreibt und zum andern das Ver 
langen kundgibt, es möchten „genial Veranlagte schon in der 
Kindheit der Akademie zur Obhut und Erziehung übergeben 
werden". Ein monomanischer Geniekult, der sich nicht zu 
letzt darin aushrückt, daß, .Holzapfel Uns pMdealisiische^ 
Utopie einer für alle Menschen gleich erreichbaren abgeschlos 
senen Vollendung ab. Er nimmt vielmehr an, und dres O 
gerade einer der charakteristischsten Züge des Panideals^daß 
dir Skala unterschiedlicher Anlagen und EnMÄungsfäh'.g- 
keiten stets und immerdar große und unaufhebbare Unterschiede 
der DeröMommnung und der Unvollkommenheit aufwersen 
wird. Diesen stufenreichen Aufbau der Menschheit nach 
MSolichkeit von der bisherigen Knechtrmg durch primitiv äußer 
liche, rohe GesichtspuMs zu befreien, ihn im Sinne menschen 
möglicher Vergeistigung und schöpferischer Förderung auszu-- 
gestalten, ist nnt das hohe Ziel des Panidsals. Nirgends also 
handelt es'sich um einen „idealen irdischen Endzustand" oder 
eme ^endgültige urrd SbWußhKstZ VoÜendung"; überM ist 
cs nur das Mögliche, was real angestrebt wird, nie das 
Absolute oder Größtdenkbare. Daher gibt es bei Holzapfel 
auch keinen „GeniÄult", ja, bei aller Hochhattun« und Mv- 
derungsbestrebung bedeutender Geister, sprjcht er sich an zahl 
reichen Stellen des Werkes ausdrücklich gegen einen solchen 
„Kultus" aus. So heißt es dort z. B. wörtlich: „Aber b^ 
trachtet auch das panideaNstische Gewissen einen heiligen und 
schöpferischen Geist als höchsten irdischen Vertreter der Ewig 
keit,' bringt es ihm auch die allergrößte Rücksichtnahme ent 
gegen, so vernachlässigt es darum durchaus nicht die geringeren 
und selbst nicht die "allerunbedeutendsten Seele.. Nicht nur 
die größten und strahlendsten Sterne will es fördern und zum 
Ziele Ohren. Ihm sind alle L-suchten lieb und wichtig, welche 
. die Nacht schellen. Denn mögen sie noch so winzig sein und 
unbemerkt glimmen, sie können demsÄben HimMl dienen, dem 
'auch Sonnen und Monde ihre Arbeit weihen." (Panideal, 
II. 386.) 
Mgt also aus Holzapfels Bestreben, das furchtbare Schick 
sal der Geistigsten und Genialsten nach Möglichkeit zu wan- 
dein, noch keineswegs „Geniekult" oder gar „Genieaufzucht", 
so will Holzapfel auch nicht alle Genies zu LionardoS machen, 
wie Herr Kracauer behauptet. Er nimmt nur an, daß inner 
halb einer höheren Kultur die allergrößten Schöpfer bestrebt 
und imstande sein werden, ihre Artlagen ungleich vielseitiger 
zu entfalten, als es bisher geschehen konnte, und führt einmal 
als Beispiel einer solchen vielseitigen Entfaltung Lion-ardo 
an. — 
Und nun die Hauptsache: Holzapfels Stellung zum reli 
giösen Problem! Nicht nur hat es HolzMel an zahlreichen 
Stellen klar und bestimmt ausgesprochen, daß für ihn die Re 
ligion und ihre Entfaltung das höchste AiÄ des geistigen 
Lebens ist und sein soll. Er hat auch keinen Zweifel darüber 
gelassen, daß er das religiöse Ideal wederan die Schranken 
Menschlicher .Vernunft noch an die GiNnzen irdischer Mllew 
düng gebunden hält. Alle Entwicklung und E-nMt in '--s 
"Menschliche ist für ihn nur Vorstufe und Grundlage zur Er 
kenntnis und Anschauung des über das Menschlich- urs 
.Irdische Hinausragenden. Denn Holzapfel vermag mL:. 
t es Herr Krakauer aller Erfahrung zum Trotz tut, das Streben 
nach „Heil" vom Streben nach Vervollkommnung der gesam 
ten Geisteskultur in willkürlicher Spaltung zu trennen: der 
Fidschi-Insulaner, der Kannibale strebt anders danach als der 
antike Grieche, dieser anders als der moderne-Christ. Nicht 
ein Zurückkehren zu Stufen sucht Holzpfel, die «s unzu 
länglich erwiesen, mit der Vernunft im Kampf stehen und die 
Seele in ewige Zerrissenheit stürzen, sondern ein Fortschrei- 
Lsn zu neuen, höheren, die den Menschengeist nicht roh und 
hemmend beeinflussen, sondern ihn bereichern, erweitern, ver 
edeln und befreien. (Holzapfel hebt im Panideal hervor, daß 
-er in einem zweiten, bald erscheinenden Weck das religiöse 
Problem ausführlich behandelt.) 
Wie sehr das religiöse Leben- im Mittelpunkt all seiner Be 
strebungen steht, ist aus dem Panideal völlig evident und ein 
deutig zu ersehen Hier nur eine Stelle, aus vielen andern 
-herausgegriffen: „Denn die Erde erkennen, den Menschen er 
forschen müssen wir, wenn wir den Himmel anders ergründen, 
dessen Leben anders verstehen wollen als die bisherigen, so 
wild, so »»psychologisch orientierten Geschlechter . . . Und mit 
dem Stamme des Menschheitsbaums empsrwachsend, nach 
Aesten und Zweigen langmd, die.den Sonnen und Sternen 
näher und näher kommen, werden wir mit steigender Ahnung 
das Wunder erfassen, mit ihm gleichsam von Angesicht zu An 
gesicht sprechen." (Panideal, I. 447.) 
MenschheitskünsÄer aber — die Herr Kracauer als „gdt^ 
los" ausgibt — nennt Holzapfel ausdrücklich nur solche Kul 
turgestalter, welche in der höchsten Vollkommenheit der EwiA. 
keit ebenso aufgehen, wie die bedeutendsten rÄigiösen Gestal 
ten der Vergangenheit, und für dis das religiöse Leben den 
Höhepunkt alles Seins und StvebsnS bedeutet. — Holzapfel 
stellt auch nirgends die Beeinflussung menschlichen Schicksals 
durch höhere geistige Kräfte, als ste dem Menschen eigen sind, 
in Frage. Er hält nur dafür) daß ihre Wirksamkeit der wis 
senschaftlichen Forschung sich entzieht und daher ausschließlich 
im religiösen Glauben und nicht in einer. Anwendung auf 
wissenschafuiche Erklärungen ihre Betätigungssphäve hat. Er 
glaubt aber auch nicht, daß der Mensch in seinem Streben 
nach religiöser Erlösung sich lediglich auf die Hilfe der „Gnade", 
auf die Wirkung höherer Geister verlassen soll, wie es Herr 
Kracauer wünscht. Weder Moses noch Christus verlangten 
von den Menschen und Völkern, ihr ganzes Schicksal und ihre 
Mheit M Zukunft nur Gott Mein (der „leidigen gM
	        
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