U a e L.
„Generals". Eine gegnerische Patrouille nämlich bemächtigt sich-
mitten im Feindgebiet der Lokomotive und des Mädchens und jagt
davon, um die Strecke zu zerstören. Der in Gedankenlosigkeit ver
sunkene Buster, der gerade abgesticgen war, läuft der Maschine
nach. Kann er zu Fuß den General einholen? Es ist sinnlos, lächer
lich, unmöglich. Vorausgesetzt, daß man nicht geistesabwesend sei
wie Buster. Ihm gelingt, was der äußersten Konzentration fehl
! schlüge: die Dinge kommen von selber zu ihm. Buster gerät auf
seiner Irrfahrt ohne Absicht ins feindliche Hauptquartier, belauscht,
unter einem Tisch verkrochen und von Soldatenstiefeln zerquetscht,
ohne Absicht den Kriegsrat der feindlichen Generale und rettet —
das einzige Mal mit Absicht — sein gefangenes Manchen. Ohne sich
durch lästige Nebenumstände von dem geraden Weg aöbringen zu
lassen, entführt er den Feinden auch den „General", besiegt auf
der Heimfahrt aus Zerstreutheit die zahlreichen Hindernisse, die
ein Krieg dem absichtslosen Handeln entgegensetzt, landet dampfend
bei den Seinen und meldet den feindlichen Plan. Winzige Armeen
entrollen sich, der Feind wird geschlagen. Unter MiLhilfe Busters,
der zwar nicht hilft, aber aus Versehen feindliche Soldaten auf-
spießt und den Hauptgeneral abliefert, der auf dem „General"
seinerzeit eingeschlummert war und von dem ganzen Krieg nichts
gemerkt hatte. Es war auch ohne ihn nicht gegangen. Buster wird
Leutnant, das Mädchen liegt ihm in den mechanisch geöffneten
Armen.
Das sind die Kriegsabenteuer Busters und seines „Generals".
Die beiden wären viel lieber ungestört hin und her gefahren, aber
das Mädchen hatte es nicht anders gewollt. Ob mit dem Gewinn
des Mädchens die Geistesabwesenheit behoben ist, dürfte Zweifel
haft sein. Jedenfalls eher als durch einen wichtigen Krieg. Aber
am Ende ist es doch am richtigsten, auf dem Promenadendeck des
„Generals" durch die Welt zu fahren, die das Gesuchte nicht
enthält.
Bei Gelegenheit der Frankfurter
Aufführung des Films „Der General".
Krühzahrstagung.
Jung — Scheler — Much — Fro Lenins —
Prinzhorn — Wilhelm — Keyserling —
Nocheinmal Keyserling.
Darwstadt, Anfang Mai.
Nach anderthalbjähriger Unterbrechung fand in der
letzten Woche wieder eine Tagung der von Graf Hermann
Keyserling geleiteten „Gesellschaft für freie Philo
sophie" statt. Im Vergleich mit früher wurde bei den j
öffentlichen Zusammenkünften auf den gesellschaftlichen
Rahmen ersichtlich weniger Wert gelegt. „Erde un d
Mensch", so hieß das Gesamtthema des Kongresses.
Zu seiner Erörterung hatte Keyserling eine kleine Zahl
namhafter Forscher nach DarmstM gebeten. Ihre Vor-
träge waren schon darum lehrreich, well sie einen Einblick
Ln das gegenwärtige Schaffen der Redner gewährten. Es
ist zweifellos ein Verdienst Keyserlings, ihnen eine
Tribüne und ein Publikum geboten zu haben; unter den
Zuhörern fehlten zum Glück die jungen Leute nicht. —
Wir bringen im Folgenden die Vortragsreferate. D. Red.
C. G. Jung.
Der LekamrLe Züricher Psychoanalytiker C. G. Jung
sprach über die „E r d b e d i n g t h e i L d e r S e e l e". Man
weiß, daß er die Lehren Freuds an verschiedenen Punkten
auZgebaut hat; wenn auch nicht immer zu ihrem Vorteil.
Jung fesselte vor allem durch die Darlegung seiner geistreichen
Schichten! heorie des Unbewußten, die zwischen
einem mehr an der Oberfläche gelegenen persönlichen Un
bewußten und einem Kollektiv-Unbewußten unterscheidet,
dessen Ort die Tiefenschichten der Seele sind. Jenes persön
liche Unbewußte, das der Sitz der meisten Verdrängungen
sei, läßt sich nach ihm rational völlig erhellen; während das
Kollektiv-Unbewußte sich in mehr oder weniger unauflöslichen
Bildern ausdrückt. Äe werden von den elementaren, in allen
Menschen wirksamen Instinkten und Triebkonstellationen
emporgetragen und haben sich in den Mythologien der Völker
dokumentarisch dargestellt. Urbilder oder Archetypen nennt sie
Jung. Sie, die in den Frühzeiren der Geschichte und von den
Primitiven als affektbetonte Phantasien naib herausgesetzt
werden, sind nach ihm im Lauf der Entwicklung in die seeli
schen Tiefenschichten verwiesen worden, die sie unter gewissen'
L^dingungen immer wieder produzieren mögen. Den typischen
Triebsituationen in den menschlichen Grundverhältniffen
(Vater, Mutter und Kind, Mann und Weib usw.) müssen
typische Bilder entsprechen. In einer eingehenden, beim Kind
anhebenden Analyse entwickelte Jung eine Reihe sokher Arche
typen. Ihr an die Wirksamkeit der Grundtriebe geknüpfter
Bestand ist das Zeichen der Erdbedingtheit der Seele. — Ist
die rationale Kontrolle des Trieblebens das Ziel der Psycho
analyse im Sinne der Freudschen Theorie, so räumt Jung,
auch in seinem Vortrag, der Bildkrast des Trieblebens eine
von der Ratio nicht durchaus anzutastende Position ein. Freud
strebt in der PsychoanaW Therapeutik die völlige Auf
hellung des Unbewußten an, Jung setzt ihr eine Grenze. Er ist
im Vergleich mit Freud der statische, naturgläubige Denker.
Eine abwägende Diskussion beider Lehren ist hier nicht durch-
Zuführen.
Max Scheler.
In einem nahezu dreistündigen Vortrag entwickelte Max
Scheler seine Lehre vom Menschen, die wohl bald als Buch
erscheinen wird. Um die Sonderstellung des Men
schen herauszuarbeiten, untersü er die Struktur der ge
samten psychischen Welt. Ihre Grundform ist nach ihm der
noch empfindungslose-Gefühlsdrang, der schon der Pflanze zu-
koimne und nichts anderes als das Fortpflanzungsstreben sei.
Durch den Instinkt unterscheidet sich das Tier von der Pflanze.
Das Jnstinktverhalten, das sich nur auf arttypischs Situationen
bezieht, zerfällt bei der Höherentwicklung in das assoziative Ge
dächtnis und die praktische Intelligenz, die beide bereits dem
tierischen und menschlichen Individuum dienen. Diese auf
Grund der neuesten wissenschaftliche Forschung von Scheler
gebotene Phänomenologie der beseelten Natur bringt (hie und
da in deutlicher Fühlung mit Bergson) Begriffsbestimmungen
und Abgrenzungen, die als kritische Zusammenfassung der
heutigen Naturerkenntnis von Bedeutung sind. Durch den
Geist (oder die Vernunft) ist nach Scheler der Mensch vom Tier
geschieden. Der Geist befähigt den Menschen, Gegenstände zu
haben (während das Tier nur Widerstände hat) und „Wesen"
und „Dasein" von einander abzuheben, Oder: das Tier lebt in
seiner Umwelt eingeschlossen, der Mensch dagegen ist das welt-
offene Wesen. These Schelers: alle Kraft liegt bei dem
Unteren: der G e ist istmachLlos. Es gibt nur die „daseins-
unabhängigen" Manifestationen des Dranges und den Geist,
der, um überhaupt wirken zu können, der Unterstützung der
Triebe und Interessen bedarf. Die theistische Lehre vom all
mächtigen Gott ist also für Scheler ein Gerede. Gott'
ist so wenig allmächtig, daß seine Verwirklichung in
die Hand des Menschen gelegt ist. Hier mündet Scheler
in eine Hauptbahn des freilich nicht so eindeutigen!
mystischen Denkens ein. Aber abgesehen davon: sein
ganzer Ansatz des Geistes ist fragwürdig durchaus. Die
Tatsache, daß die Erscheinung des Geistes an das Interesse
gebunden ist, besagt noch lange nicht, daß der Geist ohn
mächtig sei. Wäre er es: wie könnte er Triebe und Interessen,
wie könnte er die ganze Dämonie der Natur je sich dienstbar
machen? Da nach Scheler die Natur auch ohne den Geist be
stehen kann, muß er doch wohl eine Anziehungskraft von un
vergleichlicher Macht auf sie ausüben, wenn er sie zur Her
gabe von Energie zu bewegen versteht. Vielleicht sind die. allzu
blanken - Formulierungen Schelers auf den Zwang zu Verkür
zungen zurückzuführen, zu denen ein Vortrag nötigt. Ans
Ende scheint Scheler eine Art von Ausgleich zwischen Drang
und Geist zu setzen. Eine begründete Stellungnahme zu diesen
und anderen Gedanken wird erst an Hand des Werks mög
lich sein. Dr. S. Kracauer.
s Menschen als Sinnbilder.
Mr schließen an die Referate noch die kritische Aus
einandersetzung mit einem der letzten Werke Keyserlings
M, die d§n DcHungshericht ergänzen mag. D. Red.
In seinem Buch: „Menschen als Sinnbilder"
(Otto Reich!, Darmstadt) will Graf Keyserling zeigen,
„inwiefern alles Abstrakte letzlich konkret bedingt ist, d. h. in
wiefern auch im Fall scheinbar abstraktesten Erkmnens die
Seele die letzte Instanz ist, und nicht der abstrakte Mensch".
Zur Verwirklichung dieses Vorhabens werden fünf ausge?
wählte Sinnbilder hergmommen. An die Spitze des Zugs
stellt Keyserling sich selber; hatte ihm doch 1915 schon Baron
Roman Ungern-SLernberg prophezeit, daß er ihn in Zukunft
Attacken reiten und Reiche, gründen sehe. Das autobio
graphische Kapitel trägt den Titel: „Von der Produk
tivität des Unzulänglichen". Keyserling berichtet
in ihm seinen Werdegang vom animalischen Korpsstudenten
und Anhänger Houston Stewart Ehamberlains zum Welt
reisenden und zum verarmten Nachkriegs-Welmann, dem Ehe
und Inflation die Pflicht auferlegten, „dafür zu sorgen, auf
neue Art das Niveau, welches die Fortsetzung der Kultur
tradition verlangte, zu erhalten". Mit dieser Entwicklung geht
die vom kritischen Denker zum Simes-Philosophen Hand in
Hand, und nichts anderes soll die Darstellung beweisen, als
daß das jeweils sachlich Geleistete in einer funktionalen Be
ziehung zu der jeweiligen empirischen Unzulänglichkeit stehe.
Durch eine solche Reduktion möchte Keyserling nicht die Un
zulänglichkeit seiner Leistung erhärten, sondern die Leistung
seiner Unzulänglichkeit verherrlichen. Läge ihm an inhaltlich be
stimmten Erkenntnissen, er könnte der Aufhellung ihres Zu
sammenhangs mit seinen Lebensumständen entraten. Aber ihm-
kommt es weniger auf das Was der Erkenntnisse an als auf das
Ergreifen jener letzten, nicht mehr eindeutig Zu formulierenden
Erkenntnis, die er mit dem Namen „Sinn" bedenkt^S^ n n es-