selber, die notwendigen Folgerungen aus seiner Auffassung zu ziehen
Er weicht der Gestalt aus, weil er keine Gestalt hat, und verkündet
Volk aus der Zerrissenheit herauszuführen, und daß „individual-psy-
chologische Einzelbehandlung" erst dann einen guten Sinn erlangt
und wahrhaft förderlich wirkt, wenn feste GlauLensbande die Ge-
meinschaft umschlingen,
liche Beeinfluss
vertiefen, d. h. s
auch er zu vergessen, datz reine Gesinnungsvettiefung ohne Hinblick
auf einen bestimmten Gesinnungsgehalt nicht dazu angetan ist, ein
Keyserling ging von dem Satze aus, daß es nicht auf den bloßen
Erksnntnisinhalten ankomme, sondern auf den Be-
lediglich deshalb die Vergänglichkeit eines jeden festgeformten
Glaubens, weil ihm ein solcher Glaube fehlt. Nur in unserer Epoche
darum ohne Um-
von Name und
der Graf das
Zusamwenzufaffen.
Programm der
Zuwachs an Erksnntnisinhalten ankomme, sondern auf den Be-
deutungszusawmenhang, auf das menschliche Sein, dem unsere Er
kenntnisse jeweils entwachsen. An den sachlichen Zielen eines Men
schen ist wenig gelegen, Tatbestände an sich find völlig belanglos;
allein durch den „Sinn^ — ein höchst unfaßlicher, nach Keyserling
aber für den naiven Menschen leicht verständlicher Begriff —
den wir ihnen mitzuteilen vermögen, erlangen sie selber
Sinn und werden recht eigentlich erst geschaffen. Der Graf hob die
Verwandtschaft dieser seiner Lehre mit der Psychoanalyse hervor,
die auch jedes psychische Einzelphänomen aus der seelischen Ge-
samthaltung des Menschen Zu verstehen trachtet. Es ist also hier
nach verkehrt, gedankliche Aeußerungen wie überhaupt irgendwelche
Sachverhalte losgelöst von dem geistigen Urgrund, in, dem sie ver
wurzeln, beurteilen zu wollen; ihre Bedeutung hängt vielmehr ledig
lich von der größeren oder geringeren Liefe der Seinsschicht ab, aus
der sie emporgetrieben werden.
der GlaubenslosigkeiL, die wahrlich keinen Fortschritt, eher vielmehr
ein Ende darstellt, ist eine relativistische Grundgesinnung wie
die feine möglich, die es ihm gestattet, gleichsam im leeren Raum um-
herzuschweifen und beliebige Erscheinungen selbst-los ihrer Eigentüm
lichkeit nach zu würdigen, und die ihn ganz übersehen läßt, daß dk
Erreichung eines Lieferen Seinsniveaus so lange nichts besagt, als
man von dem Inhalt abstrahiert, der auf dieser Seinsstufe ver
wirklicht werden soll. Gesetzt, es ginge überhaupt an — man ist
geneigt, das sehr zu bestreiten —in der Schule der Weisheit den
Buddhisten als Buddhisten, den Katholiken als Katholiken, den
Bolschewisten als Bolschewisten, jeden in seiner Art zu vertiefen,
ohne selber einen Weg zu weisen: was wird die Folge sein? Die
allgemeine Ratlosigkeit bleibt dieselbe und die Frage nach dem
Wohin, die Keyserling zu Unrecht ablehnt, wird nicht verstummen
Dadurch, daß er es vermeidet, die nach Antwort Hungernden wir?
lich zu befriedigen, gibt er übrigens auch zu erkennen, datz er seiner
Gedankenrichtung nach aus dem gleichen Lager wie die reinen
Idealisten stammt, die er ob ihres Versagens der Lebenspraxis
gegenüber so bekämpft. Oder ist es etwa kein lebensfremder Jdealis
mus, wenn er die „schlechthwmge Selbstbestimmung des Einzelnen"
fordert und an die Herauflunst der vollkommenen Gemeinschaft durch
reinen Gesinnungswandel glaubt? Verwandte Anschauungen trifft
man Z. B., trotzdem Keyserling das vielleicht nicht Wort haben
will, in der idealistisch eingestellten deutschen Jugendbewegung viel
fach an. Wie manche der von ihm befehdeten Idealisten scheint
„Pflege reiner Sinneserfaffung jenseits
Formn: . in dieser kurzen Formel suchte
Wesen seiner Darmstädter Weisheitsschule
Man begreift ohne weiteres, daß das
Schule ihre Prograwmlsfigkeit sein muß
bestimmte Forderung schon einer Verleibl
ficht diese Jüngerschaft lediglich M Rückschritten und todgeweihten
Smnvettörperungen führt. Wer mrß der Schule scheidet, mag die
Schule vergessen; selbständig wird er fortan den Sinn nach seiner
Weise zu verwirklichen haben.
Mit einiger Zurückhaltung und Mr ganz allgemein sprach der
Graf von seinen Zielen. Sie verblüffen nicht gerade durch ihre
Neuheit. Ihm schwebt eine Menschheitsepoche vor, in der
die einzelnen Individuen sich in Freiheit selbst bestimmen und gleich
sam alle zu Herren werden. Diese Epoche kann aber erst anheöen
wenn der in der Schule der Weisheit zu Darmstadt erteilte Impuls
fsrtwirkt, wenn also die Menschen nach reiner SinneZerfassung
streben. Ist ein tieferes Seinsniveau erreicht, so wird die soziale
Frage und das äußere Schicksal von innen heraus überwunden
werden. Man wird dann Z. B. — staune, oh Leser! — emsehen
und danach handeln lernen, daß qualitative Unterschiede zwischen
den Menschen bestehen, daß Besitz verpflichtet und auch die niedrigste
Arbert, sinnvoll ausgeübt, nicht schändet.
Aus dieser Wiedergabe der Gedankengänge Keyserlings
laßt pch nicht allzu schwer ein Urteil über ihre etwaige Tragweite
bilden. Um Mißverständnisse zu kennzeichnen, denen er aus
gesetzt ist, erwähnte der Graf einmal, daß viele der ihn erstmalig
aufsuchenden Schüler die Frage an ihn richteten, welche Lehre er
denn nun selber eigentlich vertrete; er müsse hierauf immer ent
gegnen, daß es ihm keineswegs um die Jnnehaltung eines Pro
gramms, um die Ausbreitung eines so und so beschaffenen Glaubens
Zu tun wi, sondern daß er im Gegenteil die Grundanschauungen!
emes leden rmangetastet lassen wolle Diese Antwort auf diese Frage >
enthüllt die ganze Schwache der Keyserlingschen Position. Tat
sächlich nämlich macht der Verfasser des Meisetaaebuchs", der sich
mit geschmeidiger EinfühLungskmfL in das Wesen der ver
schiedensten Kulturen versenkt, nur aus der Not eine Tugend, wenn
er die Meinung äußert, daß wir Menschen der Gegenwart weit genug
fortgeschritten seien, um das Schwergewicht statt auf eine bestimmte
Gestaltung des Sinnes rein auf die Tiefe des Seinsniveaus legen
zu dürfen. Mit dem Hinweis darauf daß Christus und Buddha?
die er öfters als Kronzeugen anführt, nicht durch ihr Sein, sondern
auch durch ihre Lehre gewirkt haben, daß geschrieben steht:
„Wer nicht für mich ist, der ist wider mich", wird man dem Grafen
freilich nicht gut beikommen können, da er ja gerade den Verzicht
auf die Ausbildung einer solchen Material umgrenzten Lehre für
einen Fortschritt HM In Wahrheit aber bedeutet seine Enthalt
samkeit ganz etwas anderes. Sie bedeutet einen empfindlichen
Mängel an eigenen Glaubensgehalten, der keineswegs durch die Er
klärung beseitigt wird, daß die besonderen Gehalte gegenüber der
geistigen Gesamteinstellung unwesentlich seien. Die Einstellung
des Grafen ist jedenfalls nicht wesentlich genug, als daß auf Grund
dieser überdies unzutreffenden Erklärung die Banalität vieler seiner
Weisheiten gerechtfertigt werden könnte Soll der Sinn im Zeit
lichen erscheinen, so muß er sich, wie Keyserling sagt, einen bestimm
ten Ausdruck schaffen;, indem Keyserling sich jedoch aus Ohnmacht
weigert, den Ginn in bestimmter Weise W verkörpern, rmtevWt er es
As vollkommener das Sem eines Menschen ist, um so
MMMelLLrer redet aus ihm der ewige Kinn. Dieser Sinn hat sich
M verschiedenen Zeiten je nach den wechselnden Bedürfnissen und
Umständen einen anderen Ausdruck geschaffen, wovon etwa die
Momrigfaltigkett des: Religionen und die ViMett der verKtten
Symbols zeugt. Bei dem Wandel der historischen Situationen und
menschlichen Verhältnisse muß sich der eine Sinn, wie Keyserling
eingehend erörterte, stets in einer Fülle von Gestattm ausdrücken.
Sein genaues Gegenbild im Zeitlichen ist nicht der abstrakte Allge
meinbegriff, sondern jede einzelne Gestalt, aus der er hervorleuchtet
und in der er ergriffen wird.
*
Als Erscheinung im Zeitlichen stellt die Schule der Weisheit
immerhin eine bestimmte Sinnverkörperung dar, und die Frage nach
ihren mutmaßlichen Wirkungen ist nicht von der Hand Zu weisen.
Da Keyserling Einzelheiten aus dem internen Schulbetrieb nicht
berichtet hat, kann man über die bisher erzielten Erfolge auch kein
Urteil abgeben. Ausdrückliche Erwähnung verdient jedenfalls seine
Mitteilung, daß Angehörige sämtlicher Bevolkerungsschichtsn m
die Schule eingetreten sind und ärmere Schüler nach Möglichkeit
materielle Unterstützung erhaltem Man braucht es durchaus nicht
zu bezweifeln, daß die Schule den einen oder den anderen Menschen
auf die richtige Bahn bringt: datz sie aber dem deutschen Geistes
leben den von Keyserling erhofften mächtigen Impuls erteilt, er
scheint aus den angeführten Gründen nicht glaubhaft. Nach Ein
drücken von der Tagung zu schließen, handelt es sich, wo nicht bei
der Schule selbst, so doch zum mindesten bei der um sie sich an-
NstMsiErden „Gesellschaft für freie Philosophie" vorwiegend
AM harmlose, für die Mgem^ nicht sonderlich wichtige Ange
legenheit der Gesellschaft des Linien reZirrr-s. Und es hat gewiß
> seinen guten Grund, daß sich gerade Mitglieder dieser Kreise um
Keyserling sammeln. Hinter seiner aufgeklärten, an das 18. Jahr
hundert gemahnenden Lebensanschauung, der zufolge die ver
schiedensten Gestaltungen gleichberechtigt nebeneinanderstehen, lauert
nämlich eine gewisse Resignation, eine, man möchte beinahe sagen:
weiter gesüßte Müdigkeit, wie sie am ehesten noch den kulturell ge
hobensten aristokratischen Schichten als Endstimmung eignet. Daß
Keyserling auf sie eine offenbar starke Anziehungskraft ausübt, ist an
sich erfreulich, da durch seine geistige Beeinflussung möglicherweise
innere Widerstände gegen soziale Umwandlungen, die nun einmal
unvermeidlich sind, sanft beseitigt werden. Damit aber, daß
Keyserling vielleicht solches leistet, wird weder er zu einem
praeeSptor OerwÄMLe, noch seine Gründung zu einer Pflanz
stätte neuen Glaubens, wie unsere Zeit sie ersehnt.
Dr. S. Krakauer.
Wie alles Zeitliche, so unterliegen aber auch die „Sinnbilder"
dem unablässigen Wandel. Symbole sterben, Formen und Ge
stalten verlieren ihren Bedeutungsgehalt. Wenn wir nun wissen,
daß jede Form vergänglich ist, darf es da noch unsere Aufgabe sein,
dem Sinn immer und immer wieder einen neuen Leib zu bilden,
der ja nach kurzem doch dem Tod anheimfällt? Keyserling ver
neinte es grundsätzlich, daß eine solche Verpflichtung für uns vor-
liege. Während frühere Völker den Sinn nur im Symbol, im
religiösen Gewemschaftskultus usw. zu finden vermochten, sind wir
Menschen der Gegenwart nach ihm dank der Schulung unserer Er-
kenntniskräste so weit fortgeschritten, daß wir den wechselnden Aus
druck vom bleibenden Sinn trennen und diesem
schweif zustreben können.
Schule ihre Prograwmlsfigkeit sein muß, kommt doch jede
bestimmte Forderung schon einer Verleiblichung des Sinnes
gleich, die gerade vermieden werden soll. Angehörige aller
Berufe, Bekenntnisse und Parteien finden laut dem Bericht Keys^r-!
lings in der Schule Aufnahme, und niemandem wird in ihr seiner
Ueberzeugung geraubt oder die Bindung an eine andere ihm nicht
gemäße Lehre anöefohlen. Mit allem Nachdruck betonte er wiedrr-
holt, daß ihm die Ausstellung irgendwelcher materieller Leitsätze
gänzlich femliege, daß er keinen wie immer gearteten inhaltlich um
grenZten Glauben künden wolle. Jeder Schüler wird vielmehr einer
individual-psychologischen EinzelbehandlunZ unteHSMl, durch Me
er einer tieferm Seinsschicht zugeführt werden soll. Daß ein solches
Verführen gewisse Ähnlichkeiten mit der psycho-analyüfchen Me
thode Zeigt, gestand der Graf selber Zu, verfehlte jedoch nicht hinzu-
Mfügen, daß es zum Unterschied von dieser Methode nicht auf die
Heilung psychisch Ertränkter, sondern auf die Erreichung eines voll
kommeneren Seinszustandes rÄML. Man hat sich also den Unter
richt wohl so zu denken, daß m ihm unter VerzichMstung auf sach
liche Beeinflussung versucht wird, das Niveau des Schülers zu
vertiefen, d. h. sein Bewußtsein gleichsam von der Wesmsoöerflächs
nach dem Persönlichkeitszentrum hin zu verpflanzen. Da die Men
schen, wie Keyserling nicht müde ward Zu versichern, voneinander
verschieden find, bietet jeder Fall eine neue Aufgabe: immer gilt
es, mit dem Schüler in seiner eigenen Sprache zu reden, um das
Organ für den Sinn in ihm Zu erwecken Wie aber kann es ge
lingen, einen solchen Wandel der geistigen GesamLsinstellung hervor-
Zurufen? Nur durch suggestive Einwirkung des Seins der Lehrer-
peryonkchkeit auf das Sem des Schülers. Ausdrücklich verwahrte
sich allerdings Keyserling gegen die Züchtung einer Nachfolge, wie
sie dre StrM der -REDEN gestrichen MM, da nach semn An-