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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.08/Klebemappe 1929 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Aer erste deutsche Tonfilm. 
-- Schwarzwald-Berlin. Der in den Ufa-Lichtspielen ge. 
zeigsrre Film: „.,SS chk w a rzz w a l d m nä dbpesl" ist nach der galleiicÄh-- 
Operette gedreht. Liane Haid muß in ihm ein süßes 
Madel Erstellen, das aus dem stillen Dorf nach dem großen Ber- 
^^A^iagen wird, dort sich einem Mann opfert, der für sie nicht 
geschaffen rst, und zuletzt wieder ins stille Dorf zurückkehrt. Teils 
m eracht terls im Stadtkostüm. Ein volkstümliches Rührstück, 
dessen zweifelhafter Held Fred Louis Lerch als russischer Emi 
grant rst. Berlin wird durch die Gesellschaftsdame Olga Lim- 
und einen Trottel von Gnaden Georg Alexanders 
schlecht und recht repräsentiert. Die Regie hätte das Stück durch 
erne leichte Wendung ins Märchenhafte wesentlich verbessern 
Encn. 
Tobissilm glücklicher verfahren, wenn man nur die vorgewiesenen 
Schriftstücke laut hätte verlesen lassen. . . 
Wie immer das Experiment ausgefallen ist, es ist sehens- und 
Hörenswert. Je mehr Anteil die öffentliche Meinung an den Ver 
suchen nimmt, um so eher wird das Provisorium überwunden. 
Der Film ist die Leistung eines Kollektivs, zu dessen paffwen 
Mitarbeitern das Publikum zählt. („Der Günstling von Schon- 
brunn" läuft im Frankfurter Gloria-Palast.) 
S. Kracauer. 
und nicht dort? Autor und Regisseur sollten wissen, was sie eigM. 
lich wollen. 
Das Happy end gibt sich als gesprochener Dialog. An sich ist es 
durchaus richtig, einen ausgezeichneten Punkt so aus dem Fluß 
der Darstellung herauszuheben. Nur eben liegt die Kunst der 
DiclloFführuN'g noch« völlig im «argen. Um von Ler Unzulängliche 
keit der technischen Reproduktion abzusehen: die Wirklichkeit des 
Tons vernichtet die des Bildstreifens. Man läßt Petrovich und 
die Dagover sprechen; aber sprechen sie auch? In demselben Augen 
blick, in dem gesprochen wird, zerstäubt die bisherige Realität der 
wahrgenommenen Personen, und Petrovich und die Dagover ver 
flachen zu photographierten Figuren. Die Stimme, die ihren 
Träger ausrunden fasste, entlarvt ihn als eine Spiegelung aus 
der Leinwand. Das rührt daher, daß der Ton in die Geschlossen 
heit der Filmzeit und des Filmvaumss einbricht wie der Wolf in 
die Hürde. Der Ton hat seine eigene Zeit, seinen eigenen Raum. 
Erst wenn es gelingt, die beiden von einander getrennten ästheti- 
I icken Welten des Tons und des Bildes ?u verschmelzen, wird das 
Wort im Film Gestalt werden. Es ist die Frage, und. vorerst zu 
bezweifeln, ob gerade die Red« der sichtbar e n Figuren leicht zur 
Kunstwirklichkeit gelangen kann. Vielleicht wäre, man in unserem 
Obwohl dieser Titel des in den Ale 
m'a- Lichtspielen gezeigten Films unmißverständlich ist, heißt 
°r d°ch noch emmal im Untertitel^Erotik". Natürlich nehmen di- 
Ausschweifungen des Mngen Mannes, dem Olaf Fjord die schöne 
Statur und das sieghafte Versührerlächeln verleiht, ein böses Ende- 
ö. h. er wlrdvoneinem betrogenen Gatten erschossen. Je weniqer 
^ gerfenst " ig b t rd ° ine ^ E E heonn i d n W f rierk il l i icch h k w eit ill si d nedr, F u i m l m so w emnä i grcehr een i hn amfteorrab li slüch h eens 
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^"-pel statuieren, als durch die Apologie der Ehe die Darbietung 
einiger halbwegs verfänglicher "Situationen ermöglichen. Womit er 
denn doch wieder die Wirklichkeit eingeholt hätte, die er mit der 
Verkündigung der monogamen Liebe verläßt. — Regie und Dar ¬ 
! stellung halten sich in den üblichen Grenzen. RacL 
Menschen-Arsenal. 
s " , Frankfurts den 8. November. 
,M enschen-Ar s e nal" ein Russenfil m nach einer 
Novelle von Barbusse, die in einem der amerikanischen Süd 
staaten spielt. Aber gleichviel, Unrecht geschieht überall. Hier wird 
es an Arbeitern aus dem Petröleumviertel verübt, vor allem an 
einem ihrer revolutionären Führer, der zu lebenslänglichem 
Zuchthaus verurteilt ist. Um ihn, der immer wieder die Mit 
gefangenen aufwiegelt, auf gute oder vielmehr schlechte Art los 
zuwerden, gewährt man ihm den Urlaubstag, der jedem Sträfling 
nach zehnjähriger Haft gesetzlich zusteht. Er tritt ihn an, von 
einem Detektiv gefolgt, der den Revolver nicht nur zum Spaß Lei 
sich trägt. Der Urlaub wird ohne ersichtlichen Grund zur lang 
wierigen Odyssee, bei der unser Held seine Penelope fortwährend 
verfehlt. Das Ende ist Krawall und Revolte. Zwar entkommt der 
Zuchthäusler dem Hörensagen nach, aber das Menschen-Arsenal 
wird mit neuen Häftlingen aufgefüllt. 
Sei es durch die Schuld der Novelle oder der Regie A. 
Noams: der Film macht es sich mit der Verteilung von Recht 
und Unrecht denn doch zu leicht. Alles Licht fällt auf die Opfer; 
jede Gemeinheit wird der Gegenseite zugeschoben. Der Zuchthaus 
direktor ist ein widerwärtiger Affe, und seine Beamten sind Büttel 
und Henker. Daß die Gefangenen unschuldig Verfolgte sind, wird 
noch nicht einmal zu beweisen versucht. Eine unmoralische 
Schwarzweißmalerei, die mit dem Gewissen des Publikums 
Schindluder treibt. In den alten großen Russenfilmen ist die 
Unterdrückung so sichtbar gewesen wie die Revolution; hier wird 
jene behauptet und diese gespielt. In „Mutter" oder „Potemkin" 
hat man den Sturz eines Systems vergegenwärtigt; hier werden 
die Gefühle mit falschem Pathos (und, nebenbei bemerkt, durchaus 
unmarxistisch) gegen peinliche Zeitgenossen aufgerührt, die es 
überall gibt. Der Film gleicht aufs Haar so manchen pseudo- 
radikalen Tendenzstücken, die heute über die deutschen Bühnen 
stufen; nur daß er noch oberflächlicher als diese ist. 
Das moralische Gebrechen wirkt sich im äschetischen Medium 
aus. Da man auf Argumente verzichtet, muß der landesübliche 
Realismus häufig genug einer Stilisierung von durchscheinender 
Hohlheit weichen. Der Rundbau ches Zuchthauses, das an eine 
antike Arena erinnert, ist ganz auf den Effekt der Symmetrie ab 
gestellt. Aber der Symmetrie ermangelt die Schlagkraft, weil ihr 
Symbolgehalt nicht erfüllt ist. Aeußerlich wie sie ist das Gebärdenspiel 
des Gefangen'LnkollM Einem höheren Sprech- und Bewegungs 
chor gleich nähern sich die Sträflinge den Zellengittern und ent 
fernen sich wieder von ihnen. Auch bei der Wanderung des Ur 
laubers und bei der Keilerei am Schluß überwiegt eine Rhythmik, 
die weniger Ausdruck als Selbstzweck ist. Der künstlerische' Leer 
lauf ist die gerechte Vergeltung für das Surplus an Gesinnung, 
i Frankfurt, den 5. November. 
^.Die Tobis debütiert mit ihrem ersten Großtonfllm: „Der! 
2 ^chönbrunn". Er ist unter allen Um-I 
E» ein .nt-restantes Experiment. Darum hätt«, nebenbei be-! 
mert! aur die Mr.che Unterlag« doch mehr Sorgfalt verwandt wer-! 
dem können. Lre Fabel: eine höfisch« Liebesinirigue in Stil-? 
kostumen. ^ie Montage: ein abgeleierter BUdschnitt, der sich, durch- 
a^- unsilrmtch, an Theatereffekte hält. Cs sind schon Tonfilme 
E nIrriger altmodisch und geistlos waren. (Z. B..Erich 
oon O..ohemi--: »Hochzeitsmarsch", ein Gemisch aus böser Satire 
. und sentimentaler Baumblüte.) ' 
e-n^A^chnifch^ das Verfahren der Tohis 
^nen vorwärts. Die Nebengeräusche fallen nahezu aam 
«?birktt Ä"5b Klavirr erklingen ungetrübter, als man: 
Ensemolemusik und allgemeiner Lärm kom- 
.ren freilich noch immer verfchwommen heraus. Das Hauptproblem^ 
dre.mcnich.lche Stimme. Nicht nur, daß die Zi'chlaute sich in 
v°"li^-d-e Gesang und erst recht im Sprechen 
..tur. d.e Stimme ihr eigentümliches. Timbre. Auch wirkt sie 
Vergrößerung des gewohnten Organs. Schließ ¬ 
° . b-i d-r Musik, daß, sie sich nur Verstandes- 
M SEhörigs Bild projezieren 
laßt. Es bedurfte - man entichuldige den laienhMn Vorschlag - 
eines akustischen Reflektorensystems, das die Schallwellen so Met, 
daß sie von der Leinwand auszugehen scheinen. 
Ei« Experiment ist der Tobissilm vor allem als künstlerische 
Gestaltung. Wir haben noch keine Tonfilmregisseure und 
können sie auch einstweilen nicht haben. Das erfordert Zeit und 
Erfahrung. - 
Auffallend ist die Unsicherheit, mit der bald das Musikalische, 
- bald das Optische in den Vordergrund gerückt wird. Dergleichen ist 
gewiß von Fall zu Fall zu entscheiden, aber es muß. auch wirklich 
emschieden werden. In dem Film spendet Iwan Petrovich mitunter 
unmoriviert Gefangseinlagen, oder Lil Dagover klimpert auf dem 
Spinett. Die Kamera weiß unterdessen nicht, wohin sie sich wenden 
soll. Sind solche Sondernummern geplant, so ist die Gesamtkompo- 
sttion mit Wissen und Vorbedacht danach einzurichten; etwa als 
Potpourri. Nicht aber dürfen sie nur angesetzt werden, weil man 
zeigen will, welcher klanglicher Leistungen der Tonfilm fähig ist- 
In einer Szene, die nur musikalisch untermalt ist, sieht man 
den Helden an die Tür klopfen. Man sieht den Vorgang nicht allein, 
man hört auch das Klopsen. Ein Späßchen, das ästhetisch fehl am 
Platz ist; denn nun erwartet jeder, auch die andern Geräusche der 
Szene zu vernehmen. Der Klopflaut wäre allenfalls berechtigt, wenn 
ihm eine Bedeutung zukäme. Sonst ist er vorlaut. Ein gleiches gilt 
für die Worte, die vereinzelt eingcstreut sind. Warum gerade hier
	        
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