h 6/ »0-
Kheintand Konjunktur.
Berlin, Anfang Mai
Las Rheinland wird demnächst befreit sein; Grund genug, sich
an seiner Popularität emp^ und einen Tonfilm vom
deutschen Rhein zu drehen, den sie nicht haben sollen mit seinen
fröhlichen Weinbergen, seinem Karneval und seiner Schwerindustrie.
,M h e i nlandm ü d ch e n" nennt sich das Machwerk, das mit den:
Rhein sem machen will. Ich mein, was es bedeuten soll,
daß ich so traurig bin, denn der Rhein fließet hier nicht ruhig,
sondern ist ein Schmutzwasser, in dessen Trübe eifrig gefischt wird.
An-der Angel bleibt alles hängen, was noch aus der Vorkriegszeit
Lm Strom mitschwimmt: die Saufgelage und Schmisse desStudenten-
Wens, die Burgen und die Dampfer der Poesie-Alben und die Lore
Wr dem Tore.-Krieg/ Rnhrkampf sind spurlos an ihnen
vörübergegangen. Die Burschen strahlen vor materiell gutfundiertem
Ingendfrohmut, un jeder Gelegenheit werden Rheinlieder ge-
sunWn^ -weil ein Tonfilm nun einmal tönen muß. Am lautesten
simn der Dampfer.
-'Oder sollte Mses Rheingöldemsemble-die Zeit doch nicht ver
schlafen haben? Gegen den Schlich hin enthüllt sich, daß es dur^
aus anst der Hohe ist. Ein Korpsstudent, der so leer, rein und rosig
Mär, "daß- ihm selbst der alte SimM
können, damals, als er noch jung war und grollte — kurz, Werner
Fütterer liebt seine Lore, die er für das Mitglied seiner Damen-
kapelle' hält/i Seit die Musiker in den . Kinos nicht mehr soviel ge
braucht werden, tauchen sie auf der Leinwand immer häufiger auf.)
Ditz beiden ' küssen sich edel und meterweise wie in gepflegten
Romanen, aber der Vater des Jünglings ist ein Großindustrieller.
Früher war er gewöhnlich ein Fürst,, der Unterschied ist nicht groß.
Er-möchte das Musikmädchen, das ihm zu vulgär für seinen Thron-
eMnchfi -- es ist auch in der Tat sehr vulgär —, mit einem Scheck
ahfinden, dex natürlich entrüstet zurückgewiesen wird. Wie wendet
sich Mguterletzt dennoch alles Zum Besten? Durch ein soziales
Wunder, das so einfach wie unsozial ist. Der Großindustrielle er
fährt, daß die Lore gar.nicht vor dem Fore ist, sondern eine
Studentin, eine Werksingsangstudentin, die abends musiziert, um
tagsüber chemische Formeln schreiben zu können. Run muß. er nicht
mehr einer Mesalliance wegen zittern, das Mädchen aus dem Volk
ist ein Mädchen aus girier Familie, das den Doktor macht, und
Braut und Bräutigam dürfen sich großindustriell umarmen.
Die Dummheit, Mit der dieses Ding .gedreht ist, sucht ihres
gleichen. Erst werden die Unters ,-de unseres gesellschaftlichen Da
seins mit einem Rheinstrom von Seligkeit überflutet und dann
werden sie aus purer Fahrlässigkeit wieder trocken gelegt. Man häuft
Bierleichen und andere Ruinen vor der Wirklichkeit auf, um sie
unsichtbar Zu machen, und zeigt hinterher ihr kahles Gerippe.
Ideologien ausstreuen und mit demselben Atemzug auf ihre ökono-
miMe Basis Hinweisen — das heißt noch sich selber entlarven.
Aber vielleicht ist die Dummheit doch nicht zu groß, denn das groß
städtische Publikum, das keineswegs aus lauter Industriellen und
studierten Töchtern besteht, hat bei der Uraufführung
applaudiert. Sie lassen^ sich vom rheinischen Gemüt ergreifen und
merken nicht, daß zu industriellen Zwecken Mißbrauch mit ihm ge
trieben wird; obwohl der Film in seiner Albernheit die Beziehung
zwischen Industrie und Gemüt offen preisgibt.
Das „Rheinlandmädchen" ist im Steglitzer Titania-Palast Zu
sehen- eMer jener Neuberliner Architekturen aus Licht, Glas, Luft
und Bet-n, deren Ehrgeiz es ist, ihr eigenes Plakat zu sein. Sie
sind opt-mistische Verheißungen, die sich nie erfüllen, und sollten
von rechtswegen als Reklameburgen am Mlmrhein stehen.
S. Kmeamr,
Merttner Notizen.
Walzer und Marseillaise.
ES lohnt sich nicht, von den meisten Filmen zu sprechen. Sie
sind Jndustrieprodukte, sie haben ihr Publikum oder haben es nicht
und damtt Schluß. Auch der jetzt hier uraufgeführte Film: „Walzer
könig", der schlechter als notwendig ist, wäre keiner Erwähnung
wert, wenn er nicht mit einer Szene endigte, die den Untergrund
dieser und anderer scheinbar harmloser Zerstreuungen bloßlegt. Ort
und Zeit: das revolutionäre Wien 1849. Ein Trupp Aufständischer
verwechselt Johann Strauß mit einem der verhaßten Aristokraten
und fordert auf seinen Protest hin, daß er sich durch Geigenspiel
legitimiere. Walzer. Königlich setzt er den Bogen an und fiedelt zu
nächst die von den Revolutionären gesungene Marseillaise. Sachte,
ganz sachte führt er aber dann in den Marschrhythmus, in den
Walzerrhythmus über und noch ein wenig später das zur Tanz
melodie abgeschwächte Aufruhrlied in „Die schöne blaue Donau".
Durch die Macht der Musik werden gleichzeitig die dionysisch blicken
den Revolutionäre in apollinisch lächelnde Kleinbürger verwandelt.
Sie legen einer nach dem andern die Karabiner weg und schwingen
sich zu guter Letzt allesamt selig im Dreivierteltakt. Der Walzer als
Sieger über die Marseillaise: das Maskenarsenal der politischen
Reaktion ist schier unerschöpflich, und hat man ihr die eine abge
rissen, so hält sie zehn neue bereit.
Lautes Heldentum.
DaS Amerika der Filme lebt noch mitten im Heroenzeitalter.
Immer wieder ist der Filmheld ein richtiger Held, irgendein netter
Boy, der nach unscheinbaren Anfängen große Taten auf der Lein
wand vollbringt, die dann der ganzen Nation als Beispiel vorleuch
ten. Den Augiasstall reinigt er freilich nie. Im Gegenteil, er
avanciert nur zum Recken, damit die Prosperity sich recke und recke.
So in dem Tonfilm: „Flieger", in dem ein Jüngling dem ameri
kanischen Fliegerkorps beitritt, das mit seinen Sergeanten und
Majoren in einem fort fliegt. Die Amerikaner sind ein junges Volk,
ein naives Volk; da zur Zeit der Pazifismus herrscht, der dem
Jüngling keine heldischen Gelegenheiten bietet, entfesseln sie einfach
eine kleine Rebellion in Nicaragua, bei deren Erledigung er Wun
der an Kühnheit verrichtet. Sie verstehen sich darauf, solche Banden-
aufstände zu finanzieren, und aus den Kapitalhelden ihrer Filme
schlagen sie gut verzinsliches Kapital. Am Schluß prangt der neu
gebackene Nationalfliegerheros als Offizier und Bräutigam — eine
strahlenoe Widerlegung der oft gehörten Auffassung, nach der sich
Heldentum und rationelle Wirtschaft nicht miteinander vertragen.
In Wirklichkeit ist diese auf jenes angewiesen und weiß genau,
warum sie es züchtet. Die steigende Nachfrage nach Absatzgebieten
ist dem Wachstum des Heroenkults direkt proportional. Der
„Flieger"-Film, der im Ufa-Palast am Zoo läuft, ist pompös auf
gemacht, virtuos geschnitten und reich an glücklichen Bildeinfällen.
Kurios klingen die deutschen Worte aus amerikanischen Mündern;
aber das Uebel der fremden Mundform wird durch die Belanglosig
keit der Gespräche einigermaßen aufgehoben.
Kurze Kurztonfilme.
An die Stelle der stummen Kulturfilme kleinen Formats treten
mehr und mehr die kurzen Kurztonfilme, die das lebende Orchester
vollends entbehrlich machen und dem Triumphwagen des tönenden
Hauptschlagers wie arme Verwandte vorgespannt sind. Im
Marmorhaus werden sie zur Zeit rudelweise gezeigt. Unter ihnen
sind jene gezeichneten Trickfilme am besten gediehen, die unver
kennbar vom Kater Felix abstammen. Reizende Potpourris aus
zerstückelten Figuren, deren Bruchstücke sich zu immer neuen
Arabesken vereinen. Wenn statt des angelsächsischen Humors sur
realistischer Ingrimm das Kaleidoskop in Umlauf brächte, wäre
unsere scheinbar so festgefügte Anschauungswelt bald auseinander
gesprengt. — In einer Sonderschau wurden dieser Tage Mario-
netten-Tonfilme der Pinschewer-Filw A.-G. vorgeführt. Pu-
honnys Marionettentheater ist hübsch, und ein Kurztonfilm kann
Hübsch sein. Aber ein Kurztonfilm, in dem ein Marionettentheater
erscheint, — das ist, wie wenn einer ein Tischdeckchen noch ein
mal mit einem Tischdeckchen bedeckt. S. Krakauer.