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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Markt'vorhanden sind; sie treten nicht eigentlich hervor, um ge 
wisse Wirkungen zu erzielen, entstehen vielmehr Kraft der Appa 
ratur und sind substantiell höchstens im Nebeneffekt. Im Rahmen 
der bestehenden Rundsunkorganisation wird daher die Forderung 
Wallners überhaupt nur unvollkommen zu verwirklichen sein. Den 
noch hielte ich auch unter den gegenwärtigen Verhältnissen Ex 
perimente für möglich, die sie annäherungsweise erfüllten, oder 
doch das unabweisbare Bedürfnis nach ihrer Erfüllung erweckten. 
8. Lraeauer. 
schwer möglich ist, daran trägt freilich ein etwaiges individuelles 
Versagen nicht die Hauptschuld. Die Umstände sind stärker als der 
Wille, der sie verleugnen möchte. Sowohl der Zwang zur Neu 
tralität beim Rundfunk wie die Notwendigkeit unausgesetzten Ver- 
schleierns von Darbietungen drängen von der strengen Sichtung 
ab, zu der eine richtige Führung sich veranlaßt sähe. Es ist nun 
einmal so: die Rundfunkproduktionen haben heute Warencharakter. 
Sie werden nicht um eines großen Planes willen erzeugt, sondern 
weil das Instrument zu ihrer Erzeugung und ein aufnahmefähiger 
jenes Jonglieren, frei von der Schwerkraft der Vernunft . . ." 
Vorausgesetzt selbst, daß ein solches Ineinander alle Ansprüche 
befriedigte, die billigerweise an seine Komposition zu stellen wären, 
so schlüge es doch der oben angeführten Forderung ins Gesicht. 
Während nämlich nach ihr der Rundfunk „Helfer, Wegbahner, 
Führer zu neuen oder verschütteten Werten" zu sein hätte, müßte 
er im Falle der romantischen Reihe „frei von der Schwerkraft der 
Vernunft" jonglieren. Es ist aber schlechterdings unmöglich, das 
eine Mal den Rundfunk mit einer Führer- und Helferrolle zu be 
trauen, die doch gerade den Einsatz der Vernunft erheischt, und das 
andere Mal sein Stilideal mit dem der Romantik in einem Sinne 
zu identifizieren, der die Entthronung der Vernunft bedingte. 
Indem man mit der angegebenen Begründung die Darstellungen 
der Romantik unternimmt, gibt man die Aufgabe preis, die jene 
Forderung dem Rundfunk setzt. Wäre indessen das beabsichtigte 
„wohlkomponierte Ineinander", so kgnnte eingewandt werden, nicht 
wenigstens dazu imstande, „verschüttete Werte" freizulegen? Keines 
wegs. Denn soll die Rede von den „verschütteten Werten" einen 
Sinn erhalten, so müßten die Darbietungen das romantische Wesen 
nicht wiederspiegeln, sondern interpretieren. Sie hätten sofort ihre 
Legitimität, wenn sie, statt romantisch zu „jonglieren", die Ro 
mantik von dem Standpunkt eines fortgeschrittenen Bewußtseins 
aus zu erhellen versuchten. Nur eine kritische Betrachtung der Ro 
mantik vermöchte zu erweisen, daß der Rundfunk des ihm zuge 
muteten Führertums wirklich fähig ist. Aber von ihr, auf die es 
Wallner im Interesse der Uebereinstimmung seiner Grundforderung 
mit dem Programm ankommen sollte, wird in dem Bericht nicht 
gesprochen. 
Auch andere Programmpunkte halten sich nicht an den Leitsatz, 
den Wallner selber proklamiert hat. Die Wiedergabe der Tischrede 
eines Nobelpreisträgers beim Bankett in Stockholm zur Einfüh 
rung in sein Werk; Gespräche unter dem Titel: „Das Buch", die 
angeblich „jedem am geistigen Leben Interessierten" betreffen wer 
den; kurze Veranstaltungen, die dem Vortrag lyrischer Gedichte 
gewidmet sind — wie wenig entspricht ein derartiges Kunterbunt 
von Bildungsstoffen dem im Bericht formulierten Ziel des lite 
rarischen Rundfunks: den Hörern zu helfen und Wege zu bahnen. 
Gewiß, man kann dieses Ziel durch die Betrachtung der verschie 
densten Literaturgebiete erreichen. Faktisch aber benehmen sich ihm 
gegenüber die meisten vorgeschlagenen Serien nicht minder spröde 
wie die der Romantik zugeeignete Reihe. Oder darf man der 
Hebung verschütteter Werte viel Vertrauen schenken, wenn zum 
Beispiel die Notwendigkeit erläuternder Begleittexte zu den Büchern 
der Nobelpreisträger wie folgt glossiert wird: „So weit ein biß 
chen Literaturkritik und Literaturhistorie sich dabei nicht ganz ver 
meiden läßt, soll sie durchaus eine 8cieinL sein?" Das ist 
Dilettantismus, und Veranstaltungen die so dilettantisch aufge 
zogen sind, verhalten sich zu den Werken nicht anders wie die Re 
portagen zur Wirklichkeit; statt die Gehalte des Werks zu kommen 
tieren, geben sie irgendeine Ansicht von ihm. An einer Stelle be 
dauert Wallner, daß die Literatur im Rundfunk eine Art von 
Lückenbüßerin sei. Ihre Bestimmung scheint sich noch wenig ge 
ändert zu haben. 
Daß eine grundlegende Aenderung trotz der besten Vorsätze 
Literatur und Wundfunk. 
Berlin, Anfang August. 
Der Dramaturg des Südwest deutschen Rundfunks 
Dr. Franz Walln er hat kürzlich vor dem dieser Station Zu 
geordneten Kulturbeirat über das Thema: „Literatur und 
Rundfunk" gesprochen. Seine Ausführungen verdienen darum 
das Interesse der Oeffentlichkeit, weil sie einige grundsätzliche 
Bemerkungen über den Ausbau des literarischen Programms an 
einem der großen deutschen Sender enthalten. 
Zwei Feststellungen des Vortrags scheinen mir besonders 
wichtig zu sein. Einmal die Wendung gegen eine Überschätzung 
der Reportage, die Wallner nicht ansteht, „Wirklichkeitsrummel" 
zu nennen. In der Tat wäre nichts verkehrter, als im Rundfunk 
jene Berichte zu häufen, deren Wert sich in ihrer Aktualität er 
schöpft. So notwendig Informationen zum praktischen Gebrauch 
der Hörer sind, so überflüssig, ja schädlich ist die fortwährende 
Darbietung beliebiger Ausschnitte aus dem gegenwärtigen Leben. 
Denn sie erschließen nicht die Wirklichkeit, sondern photographieren 
sie bestenfalls, und zwar von einem Blickpunkt aus, der mehr oder 
weniger zufällig ist. Man wird also durch sie weniger aufgeklärt 
als verwirrt und empfängt statt eines maßgebenden Bildes der 
Wirklichkeit Impressionen von deren Oberflächengestaltung, die 
sich mit dieser wie Wolken verflüchtigen. 
Zum andern ergänzt Wallner seinen Protest gegen die zu 
stark betriebene Reportage durch eine Forderung, der man eben 
falls, zumindest provisorisch, gern zustimwen wird. „Literatur", 
so verlangt er, „muß näher an die Hörer-Front. Sie muß es, 
weil der Rundfunk nicht nur der Spiegel der Zeit, sondern auch 
Helfer, Wegbahner, Führer zu neuen oder verschütteten geistigen 
Werten sein soll." 
Wer an diesen programmatischen Leitsätzen von Wallner aus 
gestellte Programm selber mißt, wird nun allerdings enttäuscht 
sein. Nicht so, als ob es die verkündigten Prinzipien ganz und 
gar im Stich ließe. So faßt es etwa den guten Borsatz, einen 
,,Naturschutzpark der Mundarten" anzulegen, in den exemplarische 
Proben der mehr und mehr schwindenden Dialekte eingepflanzt 
werden, oder will sich, im Einklang mit den allgemeinen Richt 
linien, der vernachlässigten Dichter annehmen. Aber in seinen 
Hauptpunkten ist es doch hilflos. Mehr als das: es wid erstreitet 
geradezu der entscheidenden Absicht des Programms. 
Ich beschränke mich im wesentlichen auf die Analyse eines Prv- 
grammteiles, in dem die gegen diese Absicht gerichteten Tendenzen 
deutlich durchbrechen. Es handelt sich um die geplante Reihe von 
Veranstaltungen über die deutsche Romantik. „Vom Romantiker 
Standpunkt aus soll über Gott, Weltanschauung, Unsterblichkeit, 
Liebe gesprochen werden, über Musik, Malerei, Roman, Märchen, 
Theater. Alles durchseht mit reichlichen Proben, lyrischen und 
epischen, deren zwanglose Einführung Sache des geschickten Be 
arbeiters ist." Wallner denkt an ein „wohlkomponiertös Inein 
ander", von dem er meint: „Es genügt nicht nur dem Form 
willen des Rundfunks, es ist auch ganz und gar ,romantisch. 
Romantisches Ideal und zugleich SLilideal des Rundfunks ist
	        
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