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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Ei« paar Ktundrn Sklarek-Pro;rß 
(Privattekegrammder 
wendigkeit einer Beziehung abphotographisren kann, weiß ich nicht; 
aber daß diese problematische Freundschaft nun durch das Ein 
greifen der Bilder ihr Ende gefunden hat, scheint mir fraglos 
gewiß. 
„Frankfurter Zei tun g".)^ 
Auf dieses sophistisch Zugespitzte Zwischenspiel folgt eine Ver 
nehmung des Angeklagten Kohl, der bekanntlich Bürgermeister 
von Köpenick gewesen ist. Ich gestehe, daß sich während seines 
Verhörs mein Respekt vor dem Hauptmann von Köpenick zusehends 
verringert hat. Es muß für ihn eine Kleinigkeit gewesen sein, den 
SLadtsäckel Zu erleichtern; noch dazu mit Unterstützung des 
Militärs. Und ich frage mich nur, warum gerade Köpenick immer 
ein solches Rathauspech hat. 
Das Verhör besteht darin, daß sich der Vorsitzende so unermüd 
lich wie vergebens bemüht, von Herrn Kohl sachkundige Auskünfte 
über seine Tätigkeit als Aufsichtsratsvorsitzender der LVO 
(Kleidervertriebsgesellschaft) Zu erlangen. Er fragt ihn zum Bei 
spiel: Wie erklären Sie sich das Defizit von 700 000 Mark? Ant 
wort: Es ist auf den Geschäftsgang zurückzuführen. Kurzum, 
Herr Kohl weiß beinahe von nichts, und kann er für den Ge 
schäftsgang nicht einfach den Geschäftsgang verantwortlich machen, 
so entlastet er sich mit dem Hinweis auf das Dasein der Rech 
nungskammer. Er hat die Bilanzen schlicht hingenommen, er hat 
gewissermaßen über den Wassern der Geschäftsführung geschwebt, 
die wirklich sehr wäßrig war. Und seine Unkenntnis wirkt dadurch 
noch beschämender, daß er sie mit einer gewissen Ueberzeugtheit 
preisgibt. 
Armes Köpenick! Es wird ihm ein geringer Trost sein, daß 
vermutlich auch anderswo Aufsichtsräte sitzen, die dem Geschäfts 
gang freien Lauf lassen und nicht einmal beamLenähnlich sein 
müssen. 
Wer Leo Sklarek unbefangen träfe, hielte ihn wohl sofort 
für das, was er ist: für einen bestimmten Typus des Konfektionärs. 
Jenen, der nicht selten in die Welt der Conferenciers ausbricht, 
weil er gesellschaftliche Talente hat und die Leute zu anrüsieren 
versteht. Zu seinen Gaben, die er freilich nicht auf dem Podium, 
sondern unmittelbar nutzbringend verwandt hat, kommt noch ersicht 
lich die VersiertheLt im Umgang hinzu, und daß er weniger in den 
Sachen als in lauter Relationen lebt, ist schlechterdings nicht zu 
bezweifeln. Ein Mann, wie ihrer heute zahlreiche herumlaufen. Sie 
gedeihen in den großen Städten, dort, wo die meisten Möglichkeiten 
sind, und suchen sich die Stellen des schwächsten Widerstands aus. 
Hat Leo Sklarek wirklich an die Freundschaft des Mitangeklagten 
Stadtbankdirektors Hoffmann geglaubt? Herr Hoffmann be 
teuert, daß er stets die Kluft zwischen sich und den Sklareks gespürt 
habe. Ich sehe nur seinen Rücken und wundere mich über die Sub- 
tilität, mit der er das Wesen der Freundschaft bestimmt. Wahre 
Freundschaft, so meint er, setze innere Beziehungen voraus, und die 
habe er nur zu drei Menschen gehabt. Gewiß, er leugnet gar nicht, 
mit Leo Sklarek in Nachtlokale gegangen zu sein, leitet aber diese 
Akte der Intimität rein aus geschäftlicher Notwendigkeit ab; wobei 
er sich auf einen Artikel des Bankrates Hagen im „Bankarchiv" be 
ruft, der das gute Einvernehmen zwischen den Bankdirektoren und 
ihren Kunden ausdrücklich befürwortete. Die Tatsache, daß sich der 
Geschäftsfreund nachträglich so peinlich von dem Privatfreund ab- 
sondert, veranlaßt den Vorsitzenden zu der Bemerkung, daß dann 
die erwähnte Kluft Zwischen ihm und den Sklareks jedenfalls sehr 
innerlich gewesen sein müsse. 
Die seelenvollen Bekenntnisse des Stadtbankdirektors versetzen 
Leo in Erregung, und ich traue ihm in der Tat zu, daß er seine 
Geschäfte in Nachtlokalen mit einem reichlichen Gefühlszuschuß 
tätigte. Kopf und Herz sind bei diesem Typus nicht weit aus 
einander, und oft schwärmt der Kopf, während das Herz rechnet. 
Aber jetzt, nach Hoffmanns Erzählungen, verkehrt sich Liebe flam 
mend in Haß. Mit dem Zorn des Enttäuschten gibt Leo der Oeffent- 
lichkeit bekannt, daß er für den Busenfreund, der .es nie gewesen, 
immer die Zeche gezahlt habe. Und sein Verteidiger verspricht 
Photographien vorzuweisen, die bündig die außergeschäftliche In 
nigkeit des Freundschaftsverhältnisses bezeugten. Ob man die Jn- 
Im Verlauf der Verhandlung zieht sich das Verhör mitunter 
auf Formalien Zurück, auf theoretische Konstruktionen, deren Ab 
straktionshöhe nicht darüber hinwegtäuschen darf, daß sie durchaus 
handgreifliche Folgen haben. So wird ein Obermagistratsrat als 
Sachverständiger befragt, ob ein vom Magistrat delegierter 
Aufsichtsrat in einer Gesellschaft, deren Anteile alle in den Händen 
der Stadt seien, als Beamter betrachtet werden müsse. Der Fall 
ist beamtenrechtlich noch nicht ganz geklärt, aber der Sachverständige 
neigt doch daz^, dem hypothetischen Aufsichtsratsmitglied beamten- 
ähnliche Eigenschaften zuzusprechen. Er selber macht auch wirklich 
den Eindruck eines in jeder Lebenslage erprobten Beamten. Mag 
seine Aussage hieb- und stichfest sein, die Verteidiger der gewesenen 
städtischen Funktionäre haben ein natürliches Interesse daran, ihre 
Klienten nach Möglichkeit aus der Beamtenatmosphäre herauszu- 
reißen. Sie rücken daher von rechts und von links dem verdutzten 
Sachverständigen in der Mitte mit Erwägungen und Eventualitäten 
zu Leibe, die ihn sämtlich zur Lockerung des Beamtenverhältnisses 
bestimmen sollen. Nicht anders wie hier über die Beamtenähnlichkeit 
ist vielleicht in früheren Jahrhunderten über die Gottesähnlichkeit 
gestritten worden. Der Obermagistratsrat fühlt sich zwar durch das 
heftige Kreuzfeuer etwas in die Enge getrieben, steht aber mit der 
Unbeirrbarkeit des Beamten zu seiner Behauptung, daß der Mensch, 
insofern er ein so und so beschaffenes Aufsichtsratsmitglied ist, ws 
nicht ganz und gar ein Beamter, so doch einem Beamten immerhin 
ähnlich sei. 
Lr Berlin, 1Z. Oktober. 
Der große Verhandlungssaal des alten Moabiter Gerichts 
gebäudes ist in einem üppigen maurischen Bauunternehmerstil 
-gehalten mit Hufeisenbögen vor der Galerie — eine Art von 
theologischem Phantasiehintergrund für weltliche Distinktionen 
und Disputationen. Hier geht der Sklarek-Prozeß vonstatten. 
dessen Teilnehmer wahrhaftig nicht zu beneiden sind, ist doch 
seine Dauer auf etwa ein Vierteljahr angesetzt. Die Angeklagten 
mit ihren Verteidigern und Akten füllen mehrere Bänke zur 
Rechten und zur Linken, und wüßte man nicht, daß sie angeklagt 
sind, so könnte sie, rein physiognomisch betrachtet, kein Mensch 
von den mitwirkenden Amtspersonen oder vom Publikum unter 
scheiden. Sie gehören eben teilweise zur Gesellschaft, die es bei 
uns, streng genommen, nicht gibt. Es wird überhaupt schwer 
! sein, sich durch dieses Labyrinth durchzufinden, denn in unseren 
aufgelösten Zeiten hat die Schlamperei um sich gegriffen, und die 
Grenzen zwischen Korruption und Usancen sind nicht immer haar 
scharf zu ziehen.
	        
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