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fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

erscheinen. 
Z. Xracauar. 
In einem neu eröffneten Wochenschau-Theater sieht 
man jetzt eine knappe Stunde lang nur Wochenschauberichte, die 
genau so von der Wirklichkeit abstrahieren wie jenes Lächeln, ob 
wohl sie Ereignisse aus aller Welt püblrzieren. Eingeborenentänze, 
Überschwemmungen, Rennen, militärische Rüstungen, Babys und 
See-Elefanten: das übliche ununterrichtete Durcheinander, das 
den Einblick in die Welt nicht erleichtert, sondern verhindert. In 
teressanter als diese Darbietungen selbst ist eine Aeußerung über 
sie, die ich in der Abendausgabe des „Vorwärts" finde. Dort heißt 
es, nachdem der Wochenmischung, die übrigens zum mindesten 
schneller wechseln müßte, um durch ihre Aktualität eins Wirkung 
zu erzielen, Beifall gezollt worden ist: „So mannigfaltig das Pro 
gramm ist, eins fehlt darin: die Arbeiterschaft. Wenn die Foxtheater' 
auf die breiten Massen rechnen, müssen sie Bilder aus ihrem Leben, 
ihre machtvollen Aufmärsche und Olympiaden bringen." Wie sehr 
wird in dieser Bemerkung das eigentliche Gebrechen der Wochen 
schau verkannt. Gewiß, die Arbeiterschaft ist wie so vieles andere in 
ihr nicht enthalten; aber wäre sie damit heraufbeschworen, daß man 
ihre Olympiaden und Aufmärsche zeigte? Ich glaube, daß die 
Wochenschau solche Begebenheiten getrost einbezieben könnte und 
doch genau das bliebe, was sie jetzt ist: ein Mittel der Abblendung. 
Sie sagt nicht mehr über die Zusammenhänge aus, die uns berref- 
fen, wenn man zu ihren Luftschiffen und Volksfesten noch eme 
Arbeiterdemonstration hinzuaddiert; sie füllte sich nur dann mir 
Inhalt, wenn man Lhve Konstruktion entscheidend veränderte. Wich 
tiger beinahe als die Aufnahme belangvoller Vorgänge ist der 
Wandel ihres Arrangements. Wird das sinnlose Geplausch durch 
eine Anordnung ersetzt, in der ein Bild das andere zu kommen 
tieren vermag, so muß die Arbeiterschaft unter Umständen gax nicht 
immer selber austreten, um gewissermaßen zwischen den Zeilen zu 
geben, ws das Lächeln und bte Liebe beheimatet sind, nimmt es 
mit ihren schmalen Resten vsrlieö. Die internationale Geltung 
des Lubitsch-FilmS beruht darauf, daß er den Bedürfnissen von 
Konsumenten entspricht, die nicht in der Wirklichkeit selber, son 
dern nur durch das Absehen von ihr miteinander verbunden find. 
Aus dieser Tatsache darf aber nicht gefolgert werden, daß die 
nationalen Erzeugnisse unter allen Umständen höher stünden als 
die internationalen. Im Gegenteil: denkbar ist eine Inter 
nationale, die sich der nationalen Eigentümlichkeiten bemächtigt 
und sie vermengt, ohne sie zu entleeren. Ihre Voraussetzung wäre 
allerdings, daß die Nationen sich dazu bereit fänden, ihre sozialen 
und politischen Angelegenheiten zusammen zu regeln. Dann hättet 
die Wirklichkeit Zugang zum Film, und Chevalier könnte in einer 
Wiener Operette pariserisch lächeln. 
Bis dahin ist es noch weit. Vorderhand begegnen sich die Völ 
ker weniger in Erkenntnissen als im seichten Mischmasch von 
Emotionen. Oder, wie Soma Morgenstern es in seiner reizen 
den, an dieser Stelle unlängst veröffentlichten Kritik des Cheva 
lier-Films: „Der lächelnde Leutnant" ausdrückt: „das 
Band des Lächelns verbindet uns mit der Welt." Ich habe 
Maunce Chevalier in Paris gesehen, bevor er nach Hollywood 
kam. Auch damas lächelte er. Aber sein Lächeln hatte einen Lokal 
ton, es war ein Pariser Lächeln, das er ausstvahlte, und fern 
Gang war der eines „Voyou", der über die äußeren Boulevards 
schlendert. Jetzt ist hieses Lächeln verschlissen und gehört nicht 
mehr zu einer lebenden Sprache, sondern allenfalls zu den dürf 
tigen Vokabeln, auf die sich Chevalier um der besseren Absatzchancen 
willen beschranken muß. Ganz in der Ordnung, daß es eine Ero 
tik beglänzt, die gleich ihm selber ein Abhub ist. Man sollte ihr 
lieber nicht auf den Grund gehen, denn ihre Leichtigkeit ist nur 
noch Fassade, und hinter ihrer Frivolität verbirgt sich notdürftig 
die Roheit. Diese aus Wien bezogene Erotik und das in Paris 
gebürtige Lächeln: beide finden sich erst, nachdem sie ihrer Echt 
heit beraubt worden sind. Nichts wider Lubitsch; er mixt, ein 
zweiter Reinhardt, die denaturierten Elemente vortrefflich und 
bemüht sich darum, den Wünschen des bürgerlichen Publikums aller 
zivilisierten Länder zuvorzukommen. Daß es dem Zauber solcher 
Mache erliegt, kennzeichnet den Ort, an dem es sich heute aufhält. 
Statt sich in der Aufklärung des gemeinsamen Elends zu treffen, 
flieht es gemeinsam vor ihr; statt sich dort eiy Rendezvous zu 
Mischmasch. 
Bemerkungen zu einigen Filmen. 
BerUn, im September. 
Das Experiment- gegen dessen Durchführung sich Chaplin noch 
immer sträubt, Buster Keaton hat es unternommen. Er spricht. 
An seinem Film: „Buster rutscht ins Filmland" redet 
er wahrhaftig wie irgendein anderer Mensch, und wird auch die 
^ Wirkung dadurch beeinträchtigt, daß man ihm die deutsche Sprache 
untergeschoben hat, der seine Gesten Widerstreiten, so läßt sich doch 
chinH.W ermessen, was diese Umwandlung der stummen Figur 
.in Ane." sprechende bedeutet. Um ganz von den Schwächen des 
Films zu Mw dessen Situationskomik sich zwischen den lang- 
wierige^MWoge^ entfalten kann: Buster selber hat 
Schaden AUem Das ist nicht jener Buster Keaton mehr, den 
Wir alle kennen, der B rsche mit dem verständnislosen, starren 
Gesicht, das durch seinen unentwegten Ernst den angemaßten der 
Umwelt bloßstM; das ist ein Spaßmacher ohne besondere Misston, 
ein Akteur, der sich von seinen Gegenspielern grundsätzlich nicht 
unterscheidet« Er macht gewiß verschiedene Anstrengungen, um 
auch sprachlich auSzudrücken, was er mimisch sagte; aber ihr ein 
ziger Erfolg ist, daß er sich nur desto tiefer in die Welt verstrickt, 
der er vorher fremd gegenüberstand. An deutlichsten tritt die Tri- 
vialisterung der Figur in den entscheidenden Szenen hervor, die 
ihn als einen hilflos Liebenden zeigen. In ihE 
sprechende Buster, das Hauptgewicht darauf, sein Pech in der Liybe 
aus der Innerlichkeit abzuleiten^ ihm nicht erläM, 'mit dem 
MMchen Nebenbuhler zu konkurrieren, der wie ein Kork 
Oberfläche treibt. Die Seele schnaubt, und das Gefühl ist hier 
alles. Nun ist zweifellos auch der stumme Buster manchmal ein 
benachteiligter Liebender gewesen; doch er hat nie seine Leiden 
psychologisch zu vertiefen versucht- sondern sie stets durch die Art 
ihrer Darstellung Zu einem Hinweis auf die kEstitütive Einsamkeit 
des Menschen in dieser Zeit gestempelt. Nicht die sMue Inner 
lichkeit — die Leere der Welt hat er durch sein Malheur ent 
hüllen wollen. Eine gute Beschränkung - denn die ^Innerlichkeit 
selber ist fragwürdig geworden, oder doch jedenfalls zu wenig 
tragfähig, als daß man mit ihrer Unterstützung die Zustände ss 
schlagend desavouieren könnte, wie es der stumme Buster getan 
hat. Kein Zweifel: der sprechende ist nicht ins Land des Films, 
sondern in das der Seelegerutscht, in dem es schmuddelig zu- 
geht, und Schuld daran trägt der Zwang zum sprachlichen Aus 
druck. Ss hätte dieses mißglückte i^periment den Vorrang der 
mirmschen Geste vor dem gesprochenen Wort erhärtet. Durchaus 
nicht. Das Experiment lehrt nur das eine: daß die heutige Sprache 
gewisse Verhaltungsweisen nicht einzufangen vermag, die im stum 
men Film bereits entdeckt und vMommen dargeboten worden 
find. Es gibt in der Tat kaum eine literarische Gestaltung, dre 
den Gehalt der Mimik Busters oder gar Chaplins auswertete, und 
die Revolutionsromane der Russen nehmen es mit ihren großen 
Filmwerken nicht auf. Die Sprache befindet sich zur Zeit, wie 
auch dieser Tonfilm wider Willen verrät, in einem Zustand der 
Verlorenheit. Sie wird erst dann die Führerschaft Zurückerhalten, 
die ihr ZukoM wenn die Menschen sich dazu entschließen, ihre 
Verhältnisse vernünftig zu meistern. Denn die richtige Sprache 
ist an richtige Einsichten geknüpft.
	        
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