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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.03/Klebemappe 1923 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

fenden Lebendigkeit des göttlichen Willens" versetzt. Nun,! 
diese Auffassung verleiht zwar der eigenen Wertentscheidung 
einigen metaphysischen Glanz, schließt aber darum doch, rein 
wiffenschafüich-objektiv betrachtet, wie es sich hier gehört, 
keineswegs das gleichzeitige Vorhandensein anderer Wert 
maßstäbe aus, die ebenfalls auf Grund historischer Erfahrung 
intuitiv gewonnen sind und darum allesamt ohne Unterschied 
eine überrelative Bedeutung für sich in Anspruch- nehmen 
können. Man steht: an dem der Historie notwendig zu ge 
sellten Relativismus wird trotz Troeltschs Versuch, ihn wsg- 
zuintetpretieren, kein Jota geändert, es bleibt vielmehr alles 
! so, wie es vorher schon war. 
Und warum doch? Weil Troeltsch — dies aber ist der 
springende Punkt — den Sprung in Wahrheit gar nicht voll 
führt. Kierkegaard, sein Kronzeuge, springt wirklich; ohne wie 
Troeltsch durch „wissenschaftlich-historische Selbstbesinnung" 
seiner Intuition „innere objektive Notwendigkeit" sichern zu 
wollen, entschließt er sich dazu, die Paradoxie, daß das Ewige 
einmal in die Zeit eingetreten ist, gerade um ihrer Absurdität 
willen anzunehmen, und springt so freilich mitten in das Ab 
solute hinein. Damit hat er aber den archinredifchen Punkt 
außerhalb des historischen Prozesses gefunden, und nichts 
brächte ihn mehr dazu, gleich Troeltsch das ergriffene Absolute 
wieder in die Geschichte einzufenken, um es derart von neuem 
zu relativieren. Wie gründlich mißversteht Troeltsch hierin 
Kierkegaard! „Wenn Kierkegaard... bei diesem Sprung", 
äußert er mit überlegenem Bedauern, „in ein . . . asketisches 
Christentum sich htneinstürzte, so ist darin dann freilich noch 
das instinktive Bedürfnis nach absoluten Autoritäten neben 
allem übrigen wirksam." Ein instinktives Bedürfnis! Als 
habe Kierkegaard aus instiEivem Bedürfnis und nicht aus 
Verzweiflung den Sprung gewagt, als fei es ihm 'darum zu 
tun gewesen, nur so ein wenig zu springen und dann mit 
Hilfe der glücklich ersprungenen Wertmcchstäbe jene selbe ge- 
schichtsphilosophifche Spekulation wieder aukzunehmen, der er' 
gerade durch seinen Sprung entkommen wollte. Troeltsch aber. 
will beides: aus dem Relativismus herausspringen und zu 
gleich als Wissenschafter im Bedingten verharren und Ge 
schichte treiben. Es entgeht ihm, daß mit dem Eintritt in die 
Beziehung zum Absoluten sofort der Historismus unmöglich 
wird, und 'daß MMkehrt dort, wo dieser statthat, sich un 
weigerlich der Zugang zum Absoluten verschließt. Zu sehr 
bedrängt von den Anklagen der Fugend regen die Wissmschoft, 
um gettost zuzugeben, daß das historische Denken voü sich aus 
nimmermehr das Absolute in seinen Bannkreis zwingen kann, 
versucht er, das Unvereinbare doch m'tein-M-der zu vereinen, 
und verfängt sich derart in einem ScheingkkÄ, dessen Schein 
auflösung ihn begreiflicherweise M einem leidigen Kompromiß 
führen muß. Denn ein Kompromiß ist es, Wertmaßstäben 
und Kultursynthesen, die aüs der GeWchte hevauKgeholt und 
in die Geschichte eingebettet werden, nur um ihres stattlicheren 
Aussehens willen hinterher noch eine absolute Bedeutung an- 
zuschminken. TroÄtschs rnetaphhstsche Interpretationen be 
weisen lediglich das eine, daß -der Geschichtsbekachter als, 
solcher dem Relativen nicht zu entschlüpfen vermag und sich, 
?ehr davor W hüten hat, den Sprung -der Intuition mit dem - 
Sprung ins Absolute zu verwechseln. Me Relativität von 
Troeltschs Kultursynthese zieht natürlich auch die Relativität 
seiner StosfauK-wa-A nach sich. 
Die neue MedhofssrdnMg. 
' »» Der Rat für künstlerisch e Angelegenheiten 
Latte mn Donnerstag abend eine Weihs von Fachmännern zu eurer 
Aussprache über die n eu e Frankfurter Frisdhofsoro- 
Luna und die damit verbundenen künstlerischen Absichten emos- 
rufew Eartenbaudirektor Bramme erstattete ein leider zu all 
gemein gehaltenes Referat, in dem er hervorhob, daß der Zwang 
zu Sparmaßnahmen nicht ohne günstige Wirkung aus dre Gestal 
tung der Friedhöfe sei. Um die Gräberflächen der Ern^lgraoer 
Leiser auSzunutzen, ist man z. B. vielfach zur Heckenpflanzung 
Lbergegangen, bemüht sich überhaupt, eins gewisse Veremheulugung 
der Pflanzungen herbsizuführcn. In solchem Sinns wirkt aucy 
der kommunale Grabpflsgebstrieb, auf den der Redner bsr vls,er 
Gelegenheit hinwiez. Weiter gehen die Bestrebungen dahin, chen 
Leinen Grabstein zu schützen, der bei der heute gebotenen ^räum- 
lichen Beschränkung und in Anbetracht der hohen Kosten meyr als 
früher in den Vordergrund gerückt ist- Besondere Ausmechamkut 
wird schließlich der Neugestaltung der Gräberfeldes Angewandt, 
das ebenfalls durck die aus Sparsamkeitsgründen erforverurge 
Weglassung vieler Pflanzungen wie durch sonstige Veremfachungm 
nur gewinnen kann. — Zu einer Erörterung der cigentlicy inttrc;- 
sterenden Fragen kam es erst in der Diskussion. Vec der Dura)- 
beratung der neuen Ge bü h r sn ord n u n g hat sich gezeigt, daß 
teilweise die Auffassung besteht, die Friedhofskosten snen nach 
Möglichkeit alle durch, die Gebühren. einzubAnge«. Demgegen ¬ 
über vertrat Gartendirsktor Bromme die hoffentlich sich durch 
setzende AnM, daß die Ausgaben für die Gräbererhaliung und 
die Friedhofsänlagsn nicht von den einzelnen Leidtragenden allem, 
sondern im wesentlichen von der Allgemeinheit zu tragen seien, 
da ihr ja auch die Parks zugute kämen, zu denen die Friedysse cm 
Laufs der Zeit ausgestaltet würden. Auf eine Anregung aus der 
Versammlung bin gab Hmr Bromme ferner über die organisa 
torischen Fraqen Auskunft, die in der künftigen Neuordnung 
zu berücksichtigen sind. Er befürwortete den schon vor dem Kneg 
von dem Stadtv-ePordneten Pros. Sittig in einem Bericht des 
StiftuMsausschusses gemachten VorsMag,^dM von dem 
versuch des Kernproblems historischen Denkens und damit seine 
prinzipiell« Stellungnahme zur .Wissenschaftskrisis Erörterung 
finden. Nachdem ihn eingehende Prüfung der eine jede Ge 
schichtsbetrachtung konstituierenden Grundbegriffe des histori 
schen Gegenstands und der historischen Entwicklung zu dem im 
ganzen einwandfrei erbrachten Nachweis geführt hat, daß das 
geschichtliche Leben der Bewältigung durch naturwissenschaft 
liche Kategorien spotte, schreitet er zur Entkräfiung jener 
Argumente, die das notwendige Verquicktsein des Historismus 
mit dem Relativismus behaupten. Es muß anerkannt werden,, 
daß Troeltsch das Problem wirklich bis zum entscheidenden 
Punkte vortreibt. Treffend zeigt er, daß der universalhistorische 
Prozeß, dessen Verständnis die Deutung des historischen Ein 
zelgeschehens ja allererst ermöglicht, in seiner Absolutheit rein 
kontemplativ nicht zu begreifen ist, d.H seine Erfassung sich 
vielmehr. Wie die eines jeden Sinnzusammenhangs überhaupt, 
prinzipiell auf Wertüberzeügungen gründet, die ihrerseits 
wiederum von dem jeweiligen Standort des Betrachters ab 
hängen. Da nun der mniverfalhistonsche Prozeß sich bis zur 
Gegenwart und über sie hinaus in die Zukunft erstreckt, setzt 
seine Konstruktion stets Wertentscheidungen des in der Gegen 
wart stehenden und auf die Zukunft ausgerichteten Menschen 
voraus, seine Formung ist, um Troeltschs Ausdruck zu ge 
brauchen, notwendig «n die „gegenwärtige Kultur 
synthese" geknüpft. Woher aber die diese „Kultprsynthese" 
stiftenden Wertmaßstäbe gewinnen? Troeltsch, der sich schlech 
terdings nicht denken kann, daß sie von zeitüberlegener Abr 
solutheit seien, wendet sich scharf gegen den „phantastischen 
Mhstizismus/ einer Jugend, die sich am liebsten aus der 
Geschichte heraus wieder zu „absoluten Dogmen" und „reli 
giösen Autoritäten" flüchten möchte, und sieht sich zu dem 
Zirkelschluß gedrängt, daß die „Kultursynthese" der Betrach 
tung desselben historischen Ablaufs entwachsen müsse, zu dessen 
Erklärung sie doch dienen soll. Freilich, mit „wissenschaftlich 
historischer Selbstbesinnung^ allein ist noch nicht viel erreicht; 
Hinzuzugesellen hat sich, damit die.gesuchten Maßstäbe auch 
wirklich gefunden werden, die auf solche Selbstbesinnung gs- 
stützte „Intuition", die aus den Tiefen der entscheidungs- 
bereiten Persönlichkeit - hervorbricht und dieser erst die Auf 
stellung der gegenwärtigen Zielsetzungen ermöglicht. Es bedarf 
also zur Schaffung der „Kultursynthese" des „Wagnisses" der 
Intuition, eines Wagnisses, das Troeltsch wieder und wieder 
durch Berufung auf Kierkegaard zu rechtfertigen 
trachtet. Kierkegaards Lehre wm „Sprung" nämlich, so meint 
er, besage nichts anderes, als daß alles auf den entscheidenden 
Sprung ankv-mm«, „durch den wir in eigener Entscheidung 
und Verantwortung aus der Vergangenheit in die Zukunft 
gelangen". Er unterläßt allerdings nicht hinzuzufügen, daß 
das Ergebnis der Intuition nur dann „innere objektive Not 
wendigkeit" mit sich führe, wenn der Springende sich bon der 
Plattform sicheren historischen Wissens abschwinge. Ist das 
aber der Fall, dann wohnt nach Troeltsch den so gewonnenen 
Maßstäben kotz ihrer zeitlichen Bedingtheit eine metaphysische 
WOeutzrug inne, die W aus her Umklammerung dmch das 
! relativistische Denken befreit. „Von einem bloßen Subjektivis 
mus ... sind solche Maßstabbildungen getrennt durch ihre tiefe 
und lebendige Einfühlung in das historische Ganze, aus dem 
sie erwachsen, und durch die Gewißheit, darin einen inneren 
Zug ihrer Entwicklung, eine innere Lebensbetvegung des Alls 
oder der Gottheit zu ergreifen." Zur Begründung dieser 
Theorie nimmt Troeltsch (unter Beziehung auf Leibniz 
und Malebranch«) an, daß der endliche Geist als Monade 
an dem unendlichen teilhabe und so dazu besähW fei, in jedem 
Augenblicke einen Sinn der Universalgeschichte zu finden, der 
jeweils als Ausdruck der Weltvernunft aufgefaßt werden müsset 
Sein Lösungsversuch unseres Problems besteht also alles in 
allem darin, daß er zwar die Allgemeingültigkeit der „gegen 
wärtigen Kuftursynthese" preis gibt, ihr aber dennoch mit Hilfe 
metaphysischer Interpretation einen über das Bloß-Relativ« 
erhabenen Rang zubilligen zu können glaubt. — Nur erwähnt 
sei noch, daß Troeltsch im Fortgang seiner Untersuchungen 
auch zu einer Begrenzung des historischen Stoffs gelangt, die 
folgerichtig aus seinen prinzipiellen Ueberzeugungen hervorgeht. 
Da die Geschichte nach ihm nur insoweit zu berücksichtigen ist, 
als sie einheitliche Sinngehalte aufweist, die für die Gegenwart 
Bedeutung haben, ergabt sich ihm von selber die Einschränkung 
-des Themas der Universalgeschichte auf die mittel- 
meerisch - europäische Kulturentwicklung; außerdem 
befürwortet er, zur Abschüttelung weiteren Stoffballastes, vor 
wiegend die Pflege einer Geschichte der in der Gegenwart 
fortwirkenden geistigen Grundgewalten, erübrige sich doch 
zum Verständnis des politisch-ökonomisch-rechtlichen Gegen 
wartsbestandes dessen Ableitung aus der Vergangenheit. 
Wie diese wenigen Andeutungen schon erkennen lassen, daß 
Troeltsch eine Reihe von Irrtümern durchschaut hat, denen 
die formale Logik der Geschichte und die Ges-chichtsphilofophie 
häufig genug zum Opfer gefallen sind, so zeugen sie auch hin 
länglich von seinem sicheren Wissen um die Antinomieen des 
historischen Denkens. Die. Frage ist hier nur, ob Troeltschs 
angebliche Ueberwindung des Relativismus der Nachprüfung 
! tatsächlich Stand zu halten vermag. Träfe dies zu, die Wissen 
! schaftskrists wäre erledigt, der „Wissenschastshaß" der Jugend 
gegenstandslos geworden. Dem Relativismus entrinnt man 
dadurch, lehrt Troeltsch, daß man die zur Konstruktion des' 
historischen Prozesses dienenden Maßstäbe im Sprung der 
Intuition errafft, der den Springenden ins Herz der „schaf
	        
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