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H:Kracauer, Siegfried/01.05/Klebemappe 1926 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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Bibliographic data

fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.05/Klebemappe 1926 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
BF00043382
Title:
H:Kracauer, Siegfried/01.05/Klebemappe 1926 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]
Shelfmark:
H:Kracauer, Siegfried/01.05/Klebemappe 1926
Document type:
Manuscript
Collection:
Holdings and special collections
Year of publication:
1926
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Full text

sellschaftliche Wirklichkeit sich gewandelt hat, der es zuge 
ordnet war. * 
zu dem das körperhafte szenische Spiel sich gesellt: Pantomime, 
Ballett. Bis zuletzt die weiße Fläche herabsinkt und die Ereig 
nisse der Raumbühne unmerklich in die zweidimensionalen 
j Illusionen übergehen. 
! Vorführungen wie diese sind heute in Berlin neben den 
echtbürtigen Revuen die entscheidende Attraktion. Die Zer 
streuung gelangt in ihnen zu ihrer Kultur. Sie gelten der 
Masse. 
Die großen Lichtspielhäuser in Berlin sind Paläste der Zer 
streuung; sie als „Kinos" zu bezeichnen, wäre despektierlich. 
Diese reihen sich nur in Alt-Berlin und den Außenstädten noch, 
wo sie das kleine Publikum versorgen; ihre Zahl nimmt ab. 
Mehr als durch sie oder die Sprechtheater gar wird das Gesicht 
Berlins durch jene optischen Feenlokale bestimmt. Die Ufa 
Paläste — vor allem der am Zoo — das von Poelzig er 
richtete Capitol, das Marmorhaus, und wie sie heißen 
mögen, erzielen Tag für Tag Ausverkäufe. Daß die Entwick 
lung in der von ihnen eingeschlagcnen Richtung weitergeht, 
beweist der Neubau des G l o r i a - P a l asts. 
Gepflegter Prunk der Oberfläche ist das Kenn 
zeichen dieser Massen-Theater. Sie sind wie die Hotelhallen 
Kultstätten des Vergnügens, ihr Glanz bezweckt die Erbauung. 
Eröffnet aber auch die Architektur SLimmungs - Kanonaden 
auf die Besucher, so fällt sie doch keineswegs in das barbarische 
Prangen wilhelminischer Profankirchen zurück; des Rhein 
goldes etwa, das glauben machen will, es berge den Wagner- 
schen Nibelungenhort. Sie ist vielmehr zur Form gediehen, die 
stilistische Ausschreitungen meidet. Geschmack hat über den 
Dimensionen gewaltet und im Bunde mit einer hochgezüchteten 
kunstgewerblichen Phantasie die kostbare Ausstattung ge 
schaffen. Der Gloria-Palast gibt sich als Barock-Theater. Die 
Gemeinde, die nach Tausenden zählt, kann zufrieden sein, ihre 
Versammlungsorte sind ein würdiger Aufenthalt. 
Auch die Darbietungen sind von wohlgeratener Großartig 
keit. Vorbei ist die Zeit, in der man einen Film nach dem 
anderen mit entsprechender Musikbegleitung laufen ließ. Die 
Haupttheater zum mindesten haben das amerikanische Prinzip 
der geschlossenen Vorstellungen übernommen, in die sich der 
Film als Terl eines größeren Ganzen einfügt. Wie die Pro 
grammzettel zu Magazinen sich weiten, so die Aufführungen 
zur gegliederten Fülle der Produktionen. Aus dem Kino ist 
ein glänzendes, revueartiges Gebilde herausgekrochen: das 
Gesamtkunstwerkder Effekte. 
Es entlädt sich vor sämtlichen Sinnen mit sämtlichen Mitteln. 
Scheinwerfer schütten ihre Lichter in den Raum, die festliche 
Behänge übersäen oder durch bunte Glasgewächse rieseln. Das 
Orchester behauptet sich als selbständige Macht, seine Leistungen 
werden von den Responsorien der Beleuchtung unterstützt. Jede 
Empfindung erhält ihren klanglichen Ausdruck, ihren Farb 
wert i^Stzettrum^-Mn^MM Kaleidoskop, 
Sie verfehlen zumeist diese Wirkung; die Vorstellungen der 
großen Lichtspielhäuser beweisen es exemplarisch. Denn, rufen 
sie auch Zur Zerstreuung auf, so rauben sie ihr doch sogleich 
wieder dadurch den Sinn, daß sie die Mannigfaltigkeit der 
Effekte, die ihrem Wesen nach von einander isoliert zu werden 
verlangen, zur „künstlerischen" Einheit zusammenschweißen, die 
bunte Reihe der Aeußerlichkeiten in ein gestalLhaftes Ganzes 
pressen möchten. Der architektonische Rahmen schon neigt zur 
Betonung der Wurde, die den oberen Kunstinstituten eignete. 
Er beliebt das Gehobene und Sakrale, als umfinge er Ge 
bilde von ewiger Dauer; noch ein Schritt weiter, und die 
Weihkerzen leuchten. Die Vorführung selber erstrebt das gleiche 
hochgelegene Niveau, sie soll ein wohlabgestimmter Organis 
mus sein, eine ästhetische Totalität wie nur das Kunstwerk. 
Der Film allein wäre des Gebotenen zu wenig; nicht so sehr 
deshalb, weil man noch mehr Zerstreuungen häufen wollte, als 
vielmehr der künstlerischen Abrundung wegen. Das Kino hat 
! sich eine vom Theater unabhängige Geltung erworben; die 
i führenden Lichtspielhäuser sehnen sich wieder nach oew 
! Theater Zurück. 
Ihrer Zielsetzung, die als Symptom auch des Berliner ge 
sellschaftlichen Lebens angesprochen werden darf, wohnen 
reaktionäre Tendenzen inne. Die Gesetze und Formen 
- jener idealistischen Kultur, die nur als Spuk heute noch 
! West, haben in ihnen Avar ihr Recht eingebüßt, aber aus den 
Elementen der Aeußerlichkeit, zu denen sie glücklich vorgedrungen 
Kult der Zerstreuung. 
Ueber die Berliner Lichtspielhäuser. 
Von Dr. S. Kraeauer. 
Man schilt die Berliner Zerstreuungssüchtig; der 
Vorwurf ist kleinbürgerlich. Gewiß ist die Zerstreuungssucht 
hier größer als in der Provinz, aber größer und fühlbarer ist 
auch die Anspannung der arbeitenden Massen — eine wesent 
lich formale Anspannung, die den Tag ausfüllt, ohne ihn zu 
füllen. Das Versäumte soll nachgeholt werden; es kann nur 
in der gleichen Oberflächensphäre erfragt werden, in der man 
aus Zwang sich versäumt hat. Der Form des Betriebs ent 
spricht mit Notwendigkeit die des „Betriebs". 
Ein richtiger Instinkt sorgt dafür, daß das Bedürfnis nach 
ihm befriedigt werde. Jene Zurüstungen der Lichtspielhäuser be 
zwecken das eine nur: das Publikum an die Peripherie Zu 
fesseln, damit es nicht ins Bodenlose versinke. Die Erregungen 
der Sinne folgen sich in ihnen so dicht, daß nicht das schmalste 
Nachdenken sich Zwischen sie einzwängen kann. Schwimm- 
!korken gleich halten die Ausstreuungen der Scheinwerfer 
und die musikalischen Akkompagnements über Wasser. Der 
Hang zur Zerstreuung fordert und findet als Antwort die 
Entfaltung der puren Äußerlichkeit. Daher gerade in Berlin 
das unabweisbare Trachten, alle Darbietungen zu Revuen 
auszugestalten, daher als Parallelerscheinung die Häufung 
des Jllustrationsmaterials in der Tagespresse und den perio 
dischen Publikationen. 
Diese Veräußerlichung hat die Aufrichtigkeit für 
sich. Nicht durch sie wird die Wahrheit gefährdet. Sie ist es 
nur durch die naive Behauptung irreal gewordener Kultur 
werte, durch den unbedenklichen Mißbrauch von Begriffen wie 
Persönlichkeit, Innerlichkeit, Tragik usw., die an sich gewiß 
hohe Sachgehälte bezeichnen, infolge der sozialen Wandlungen 
aber zu einem guten Teile ihres Umfangs des tragenden 
Untergrundes verlustig gegangen sind und, in den meisten 
Fällen, heute einen schlechten Beigeschmack angenommen haben, 
weil ste das Augenmerk von den äußeren Schäden der Gesell 
schuft mehr als billig ablenken auf die Privatperson. In den 
Bereichen der Literatur, des Theaters, der Musik sind solche 
Vecdrängungserscheinungen häufig genug. Sie geben sich das 
Ansehen der hohen Kunst und sind tatsächlich überlebte Ge 
bilde, die vorbeischielen un den aktuellen Nöten der Zeit — ein 
Faktum, das mittelbar dadurch bestätigt wird, daß die ge 
meinte Produktion auch innerkünstlerisch epigonenhaft ist. Das 
Berliner Publikum handelt in einem tiefen Sinne wahrheits 
gemäß, wenn es diese Kunstereignisse mehr und mehr meidet, 
die zudem aus guten Gründen im bloßen Anspruch stecken 
bleiben, und dem Oberflächen^ der Stars, der Filme, 
der Revuen, der Ausstattungsstücke den Vorzug erteilt. Hier, 
im reinen Außen, trifft es sich selber an, die Zerstückelte Folge 
der splendiden Sinneseindrücke bringt seine eigene Wirklich 
keit an den Tag. Wäre sie ihm verborgen, es könnte sie nicht 
angreisen und wandeln; ihr Offenbarwerden in der Zer 
streuung hat eine moralische Bedeutung. 
Freilich dann nur, wenn die Zerstreuung sich nicht Selbst 
zweck ist. Gerade dies: daß die ihrer Sphäre zugehörigen Vor 
führungen ein so äußerliches Gemenge sind wie die Welt der 
Großstadtmasse, daß ste jedes echten sachlichen Zusammen 
hangs entraten, es sei denn des Kittes der Sentimentalität, 
der den Mangel nur verdeckt, um ihn sichtbar Zu machen, daß 
sie genau und unverhohlen die Unordnung der Gesell 
schaft den Tausenden von Augen und Ohren vermitteln — 
dies gerade befähigte sie dazu, jene Spannung hervorzurufen 
und wachzuhalten, die dem notwendigen Umschlag vorangehen 
muß. In den Straßen Berlins überfällt nicht selten für 
Augenblicke die Erkenntnis, das alles Platze unversehens eines 
Tages entzwei. Die Vergnügungen auch, zu denen das 
Publikum drängt, sollten so wirken. 
Auch in der Provinz sammeln sich Massen; aber sie 
werden hier unter einem Druck gehalten, der ihnen nicht er 
laubt, sich geistig in dem Maße zu erfüllen, wie es ihrer Quan 
tität und realen sozialen Bedeutung entspräche. In den In 
dustriezentren, wo ste geschlossen auftreten, sind sie als Arbeiter 
Zu stark beansprucht, um die eigene Lebensform zu verwirk 
lichen. Man spendet ihnen den Abfall und die veralteten Unter 
haltungen der OberkLasse, die selber, so interessiert sie auch an 
der Betonung ihrer sozialen Hochwertigkeit ist, nur geringe 
Bildungsansprüche hat. In den nicht vorwiegend von der Indu 
strie beherrschten größeren Provinzstädten wiederum sind die 
überkommenen Verhältnisse zu mächtig, als daß die Massen 
von sich aus die geistige Struktur zu prägen vermöchten. Die 
bürgerlichen Mittelschichten verharren abgesondert von ihnen, 
als ob die Ausfüllung des Menschenreservoirs nichts besage, 
und können, immer noch, wähnen, daß sie die Hüter höherer 
Bildung seien. Ihr Hochmut, der sich Scheinoasen schasst, 
drückt die Massen herab und macht ihre Vergnügungen schlecht. 
Die vier Millionen Berlins sind nicht zu über 
sehen. Die Notwendigkeit ihrer Zirkulation allein verwandelt 
das Leben der Straße in die unentrinnbare Straße des 
Lebens, ruft Staffagen hervor, die bis in die vier Wände 
dringen. Je mehr sich aber die Menschen als Masse spüren, 
umso eher erlangt die Masse auch auf geistigem Gebiet formende 
Kräfte, deren Finanzierung sich lohnt. Sie bleibt nicht mehr 
sich selbst überlassen, sondern setzt sich in ihrer Verlassenheit 
durch: sie duldet nicht, daß ihr Reste hingeworfen werden, son 
dern fordert, daß man ihr an gedeckten Tischen serviere. Für 
die sogenannten Bildungsschichten ist daneben wenig Raum. 
Sie müssen mitspeisen oder snobistisch abseits sich halten: ihre 
provinzielle Abschneidung jedenfalls hat ein Ende. Durch ihr 
Aufgehen in der Masse entsteht das homogene Well 
st a d t - P u b l i k u m, das vom Bankdirektor bis zum Hand 
lungsgehilfen, von der Diva bis zur Stenotypistin eines 
Sinnes ist. Larmoyante Klagen über diese Wendung zum 
Massengeschmack hin sind verspätet. Denn das VildungsPit, 
dessen Aufnahme die Massen verweigern, ist Zum Teil ein nur 
mehr historischer Besitz geworden, weil die ökonomische und ge-
	        

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