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H:Kracauer, Siegfried/01.05/Klebemappe 1926 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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Bibliographic data

fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.05/Klebemappe 1926 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
BF00043382
Title:
H:Kracauer, Siegfried/01.05/Klebemappe 1926 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]
Shelfmark:
H:Kracauer, Siegfried/01.05/Klebemappe 1926
Document type:
Manuscript
Collection:
Holdings and special collections
Year of publication:
1926
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Full text

Einmütig werden Miecklowicz' Bedenken zerstreut. Man be 
schwört ihn, sein Genie zu entfalten, versichert ihn des unein 
geschränkten Vertrauens Die stille Zuversicht des Anzugs stimmt 
Miecklowicz um. Bewegt erkennt er seine Berufung und gelobt, 
sich dem Auftrag zu weihen. Seine Stecknadeln sprühen Funken, 
aus dunklen Hosengründen treibt es ihn lichtwärts. Jetzt oder nie. 
Die Hausschlange klettert eilfertig an dem jungen Herrn empor, 
der sich nach allen Seiten dreht und entrollt. Geschäft. Fürsorglich 
unterrichtet sich Miecklowicz über seine Lebensgewohnheiten — 
unter welchem Winkel er gehe, ob er beim Schlafen nach rechts sich 
krümme oder nach links. Auch nimmt er etliche seiner Bekleidungen 
an sich, deren Alter auf ihre Erfahrung Zu schließen erlaubt. 
Mittlerweile ist der Anzug nervös geworden, die Damen reden fort 
gesetzt über ihn hinweg. Miecklowicz beruhigt ihn und verläßt mit 
vorzüglicher Hochachtung die Beletage. 
Schöpferisches, stets verkannt, drängt in ihm der Sonne ent 
gegen. Er entschwindet ab und zu in der Wandfläche, durchstreift 
die Schnittmuster-Alleen und berät sich mit den Herrenkostümen vor 
Monaco. Seine Frau sucht ihn zu solchen Zeiten vergeblich. Dann 
wieder umlauert er die Geheimarchive, da ihm mitgeteilt worden, 
daß die Portalhüter im Besitz von Gerüchten seien. Bei seinen 
Gängen trägt er die Kleider des jungen Herrn; einerseits um 
unerkannt zu bleiben, andrerseits um ihre klimatischen Verhältnisse 
zu studieren. Hulda schleppt aus den Bibliotheken OrnamentLücher 
und Atlanten herbei, deren sinnloses Liniengekräusel ihn in musika 
lische Stimmung versetzt. Der Anzug verlangt vor allem, gewendet 
zu werden. Das Innere soll nach außen kommen; zu moralischen 
Zwecken. Miecklowicz scheut vor den einschneidendsten Maßnahmen 
nicht zurück: verjüngt die Hosenbeine nach oben wie dorische 
Säulen, bringt Geheimfächer an, deren Ort niemand erfährt. Der 
adligen Herkunft des Anzugs wegen umzäunt er ihn rings mit 
Schnüren und Tressen. Wundersam gerät das Blumenknopf 
loch in der Höhe, ein mit Dünndraht umwobener Schlitz, dessen 
Konstruktion die großen Schneider ängstlich verschweigen 
Miecklowicz hat das Verfahren selbsttätig ergründet. Das Loch ist 
für gewöhnlich verschlossen und öffnet sich nur auf ein bestimmtes 
Losungswort. Ein eigener Kurierdienst, den Hulda versieht, über 
mittelt der Beletage stündlich Meldungen aus dem Operations 
gebiet. Bei entscheidenden Siegen wird festlich geflaggt. 
An einem wolkenlosen Sommerabend — die Reseden blühen 
gerade — schlüpft die Zentimeterschlange zur Beletage herein und 
kündigt den Tanzanzug an. Er erscheint, von Miecklowicz in 
weißen Glaceehandschuhen geleitet. Die beiden Damen behaupten, 
ihn nicht zu kennen; mit wem sie die Ehre hätten? Der Tanzanzug 
empfindet Genugtuung über seine blouveaute. Nachdem die 
jüngsten gesellschaftlichen Ereignisse besprochen sind, wird im Scherz 
die Frage aufgeworfen, ob der Gast und der Etageherr wohl zuein 
nmäe. Der Tanzanzug bemerkt ihn nicht, er hat sich mit einem 
Kostüm eingelassen, Jugendfeuer durchströmt ihn. Recht so, nickt 
Miecklowicz und stößt entzückt seine Nachbarn an, die durch ge 
waltige Operngläser starren. Seine Berührungen werden als peinlich 
empfunden, man droht ihm mit Räumung. 
Ernüchtert ruft Miecklowicz seinen Tanzanzug zu sich, um zur 
Dauertrennung zu schreiten. Der aber tut, als höre er nicht, und 
kehrt der Barriere den gutsitzenden Rücken. Kleine Leute, nicht von 
heute ... 
Miecklowicz, von Schöpferbitterkeit erfüllt, gibt der Schlange 
das verabredete Zeichen. Schon fchwingt sie sich zum letzten Liebes 
dienst kuppelan. Doch es kommt nicht zum Schlimmsten. 
Zufällig weilt in Miecklowicz' Nähe ein großer Schneider, der 
in dunkel Sakko sich auf einer Inspektionsreise befindet. 
Die großen Schneider, muß man wissen, kontrollieren persönlich 
die Bewegungen sämtlicher Tanzanzüge der Welt. Der Inspekteur 
ist nicyt wenig überrascht, im Orion-Palast einen ungebuchten 
Tänzer zu treffen. „Man wird ihn melden müssen", sagt er vor 
sich hin und notiert die Zeit der Begegnung. Im übrigen kann 
er, ihm die Achtung nicht versagen; sind auch leichte Regelwidrig 
keiten festzustellen, die Gesamterscheinung hat erste Rasse. Aus ge 
wissen Anzeichen folgert er, daß der Tanzanzug zu Miecklowicz in 
Beziehung stehe. Er fällt zur rechten Zeit der Schlange in die 
Windungen und verhindert so den frühen Stecknadeltod. 
Hinter den Vorhängen einer Wandnische zieht der Inspekteur 
den Geretteten ins Gespräch. Gütig erkundigt er sich nach seinen 
lokalen Umständen, nicht ohne Marengos tänzerische Eigenkultur zu 
ander paßten. Ein unverbindlicher Versuch ergibt, daß dieser dem 
Tänzer wie angegossen sitzt. Man beglückwünscht sich gegenseitig, 
Bitten um dauernde Vereinigung werden geäußert. Leutselig läßt 
der Tanzanzug durchblicken, daß er einem solchen Aufgebot von 
Liebenswürdigkeit nicht zu widerstehen vermöge. Erneuter Austausch 
von Höflichkeiten, die Freude ist groß. Miecklowicz richtet eigen 
händig eine Schrankwohnung ein, die er, schnellerer Ein 
gewöhnung halber, mit Lackstiefeln und Parkettgetäfel auszustatten 
empfiehlt. Da dem Tänzer Rührszenen zuwider, zieht er sich sofort 
in seine Gemächer zurück. 
Der Abschied verwirrt Miecklowicz' Geist. Er erklärt den Be 
wohnern der Wendeltreppe, daß er zu den großen Schneidern gehöre, 
und verlangt den ihnen zukommenden Gruß. Bügelkundschaft wirft 
er hinaus. Seine Frau nagt am Hungertuch, während die Reseden 
drunten verblühen. Sie bemüht sich, ihn zu den Hosenböden zurück- 
zulocken, die er früher mit Stickereien fchmüche. Wütend schreibt er 
mit Kreide auf einen: „Kann sich selbst". Nur noch Marengo erkennt 
er an, die Sonne ist ihm die von Austerlitz. Hulda, deren Vor 
namen er vergessen hat, muß ein Türschild malen: „Miecklowicz, 
Schöpfer von Kreationen". Da infolge des staListischen Geburten 
rückgangs immer weniger Anzüge sich zeugen lassen, läuft er stunden 
lang allein und unbeschätigt zwischen den Schnittmuster-Alleen um 
her. Die Seeluft von Monaco schlägt bei ihm an; seine Gesichtsfarbe 
bräunt sich, ein Bauch entsteht. Der Verkehr mit den mondänen 
Kostümen festigt in ihm die Ueberzeugung, daß er ihresgleichen 
sei. Er verwechselt sich mit dem Tanzanzug und lebt als dieser. 
Seine Schritte sind geziert, er speist im Schränk. Abends sagt er 
zu seiner Frau: „Hänge mich über den Bügel!" Sorgfältig läßt 
er sich von ihr in Seidenpapier einhüllen, dann schläft er auf dem 
Kopfe stehend, um sich zu schonen. 
In einem seltenen Anfall von Klarheit beschließt er zu sterben. 
Miecklowicz ist ein Hochgenie, Miecklowicz macht nicht mehr mit. 
Nur will er einmal noch vor dem Ende seinen Tanzanzug sehen. 
Hulda erfährt, daß der Tänzer sich allnächtlich in den Tanzpalast 
Orion verfüge. Furchtlos schleicht ihm Miecklowicz nach, einzig 
von seiner treuen Schlange gefolgt. Er hat sie über und über mit 
Stecknadeln bespickt, damit ihre Umarmung späterhin tödlich sei. 
Der Palast wird von einer Livree bewacht. Miecklowicz poliert 
ihr die Knöpfe, worauf sie zur Seite entweicht. Das Zentimeter 
band weigert sich, in der Garderobe zu bleiben, niemand wagt es 
zu halten. Man verweist es mit seinem Herrn auf die Zuschauer 
tribüne, unmittelbar hinter die Barriere. Verschiedene Anzüge er 
regen das Mißfallen Miecklowicz'. Graue Wollwaren tummeln sich 
in Menge, es fehlten noch Trikotagen. Seinen nahen Tod ver 
gessend, nimmt er sich vor, bei dem Direktor Beschwerde zu führen. 
Endlich gewahrt er den MarengoLänzer. Das Gesäß duftig, wie von 
einer leichten Brise gebläht, diskrete Manieren, jeder Zoll 
Der Hanzanzug. 
Von Raca. 
Ein Märchen. 
Der Reparaiurschneider Miecklowicz bewohnt mit Frau 
und Nähmaschine eine Dachkammerpoesie, die am oberen Ende 
einer Wendeltreppe aufgestockt ist. Während er Hosenröhren aus- 
fegt, blickt er auf die Frühjahrs- und Herbstkostüme, die an der 
Wand in den Schnittmuster Alleen sich , ergehen; im Hintergrund 
liegt Monaco. Das Töchterchen heißt Hulda, es ist jung genug, 
um noch einen Vornamen zu tragen. 
Eines Tages wird Miecklowicz in die Beletage bestellt. Von 
Stecknadeln besät, fliegt er die Wendeltreppe herunter. Das Zenti 
meterband umkringelt ihn mehrfach; eine Hausschlange, gezähmt. 
Eigentlich ist sie ein Luxus, die meisten Kunden sind verkommene 
Bügelfalten. In der Beletage empfängt ihn ein betagter Ausgeh- 
anzug in Schwarz, den zwei ältere Damen bedienen. Der Anzug, 
der sich noch bei Kräften fühlt, wünscht fortan von dem jungen 
Etageherrn betreut zu werden, dessen Vorfahren ihn bereits trugen. 
„Immer rüstig", sagt Miecklowicz ausmunternd und rühmt seinen 
Familiensinn. Der junge Herr kommt auf unsichtbaren Rollschuhen 
angesaust, aus dem Geschäft, in das Geschäft. Mitleidig streichelt 
Miecklowicz den Anzug. Die Damen erzählen aus seiner Ver 
gangenheit und entblößen Verletzungen, die er bei ehrenvollen 
Sitzgelegenheiten erlitt. Der Anzug schämt sich. Miecklowicz prüft 
seinen Stammbaum; Marengo uralt, geht auf die Schafe des 
englischen Hochadels zurück. Die Anwesenden sind feierlich ge 
stimmt, denken an König Jakob I. 
Nach kleiner Andachtspause wird von den Damen schlichte Ver 
jüngung vorgeschlagen, nur wenig auf Taille. Empört wendet sich 
der junge Herr gegen abgelebte Fassons. 'Die Zivilisation läßt 
sich nicht länger mehr aufhalten, neue Bars sprossen täglich aus 
den Ruinen. Im Namen der Jugend fordert er allgemein: Tanz 
anzug von neuester Modernität. 
Das zu Boden gefallene Zentimeters and kriecht mit ge 
sträubten Schuppen von bannen. Tanzanzüge dürfen, wie sein Herr 
ihm öfters berichtet, nur von den großen Schneidern angelegt 
werden. Ihre Errichtung vollzieht sich nach gewissen in den 
Geheimarchiven aufbewahrten Vorschriften, die den Reparatur 
schneidern unzugänglich sind; jedes Kleidungswer? wird standes 
amtlich gebucht. Miecklowicz ist um so verzagter, als es sich in 
diesem Falle nicht allein um eine Neugestaltung, sondern um die 
bei weitem schwierigere Umzeugung eines Ausgehers in einen 
Tänzer handelt. Traurig winkt er seinem Zentimeter, entschlossen, 
ZU gehen. Seine Spezialität sind bisher Gesäße gewesen; sollen 
Hoffnungen ihn verführen, die wie Nähte zerplatzen? Auch das 
kleinste Hinterteil dient dem Ganzen.
	        

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