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H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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Bibliographic data

fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
BF00043387
Title:
H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]
Shelfmark:
H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931
Document type:
Manuscript
Collection:
Holdings and special collections
Year of publication:
1931
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Full text

4 
FrLnMsch gefprschen — ein beglückender Mischmasch von 
Vokalen, der wi^er einmal den lang entbchrten Geruch von 
Europa herweht. ,^Zn welchem Wagen fahren Sie/ Exzellenz?" 
fragt ein Herr, der nur ein Direktor sein kann, einen anderen 
Herrn; fragt es in einem Ton, als sei nicht von Eisenbahnwagen 
die Rede, sondern mindestens von einer Vullman - Limou - 
f ine. Hohe SLationsbeamte, deren Festuniformen kein 
Ständchen trübt, überwachen wie Regisseure den Start. Die span 
nenden Szenen werden vsn einem zahlreichen Pcemierenpublikum 
verfolgt, unter das sich statt der Theaterkritiker mehrere Reporter 
mischen. Nicht ein einziger Zuschauer neidet, wie ich glaube, den 
Auserwählten die Fahrt; im Gegenteil, die soziale Empfindlich 
keit tritt zurück, und alle ohne Unterschied freuen sich über die 
blaugoldene Pracht, als ob sie ihnen allen gehöre. 
Ich treibe, wenige Minuten vor Abfahrt, mit der Menge zur 
Maschine, einem hochgelagerten Koloß, der jugendfrisch blinkt. 
Auf der Plattform stcht ein Herr in Zivil, dessen Anwesenheit 
feierlich stimmt. Die Feierlichkeit wird noch dadurch erhöht, daß 
der Lokomotivführer nicht das übliche Pfeifchen zwischen den Lip 
pen hängen hat. Er ist ein Mann mit festen Zügen, die Vertrauen 
erwecken. Während er gerade, nervös wie ein Star unmittelbar 
norm Auftreten, mit den Fingern auf seinem Sitz trommelt, 
taucht — Punkt 12.53 — die weiße Scheibe über den Köpfen auf. 
Er dreht den Hebel, und schon bewegt sich der Zug. „Gute Fahrt!" 
rufen ihm einige Zuschauer zu, und er dankt ihnen von hoch oben 
mit einem ernsten Nicken. Sanft, lautlos, langsam schwebt die 
blaue Wagenreihe hinaus, nach Cannes, Florenz, Rom urG- 
Neapel. S. Krakauer. 
Wvrera—Mpott - ßrpreß. 
Start eines Luxus zuges. 
Berlin, den 3. Januar. 
In der weiten rutzgeschwärzten Halle des Anhalter Bahnhofs, 
den ich seiner Ehrwürdigkeit wegen liebe, steht um die Mittags 
stunde ein funkelnagelneuer Zug, der sich in dieser Umgebung 
wie eine Modedame in einem Bierrestaurant ausnimmt. Es ist der 
Riviera-Napoli-Expreß, der heute vollbesetzt seine 
Jungfernfahrt antreten wird. Die Namen auf den Wagenschildern 
sind ebenso viele Verheißungen. Cannes-—Florenz—Rom—Neapel: 
aus dem naßkalten Berlin fahrt er über Frankfurt und Basel 
mitten in die Sonne hinein. 
Die Abfahrt ist erst in dreiviertel Stunden, und einstweilen 
fehlt noch die Lokomotive. Ich bin zu früh gekommen, aber es ist 
ja auch schön, am Abend einer großen Theaterpremiere lang vor 
Beginn im beleuchteten Zuschauerraum zu sitzen und Zeuge der. 
immer stärker anschwellenden Erregung zu sein. Genießerisch streife 
ich die Reihe der leeren Wagen entlang, deren Bläue ans Mittel 
meer und an Frankreich erinnert. Sie sind englisches Fabrikat und 
mit einem feinen goldenen Streifen versehen, der auch die beiden 
Gepäckwagen vorne und hinten durchzieht. Ihre äußere Eleganz 
gleicht der von gallonierten Dienern vornehmer Herrschaften. In 
den Appartements selber — von Abteils zu sprechen, hieße sich 
einer Lästerung schuldig machen — schimmern Ornamente aus 
eingelegter Intarsia, funkeln Griffe mrd Stangen. An die Türen 
nach dem Korridor zu sind Visitenkarten geheftet, die ein wenig 
indiskret verraten, wer in diesen entzückenden Asylen wohnen wrrL. 
Es ist, als fände sich auf dem schmalen exterritorialen Gebiet eine 
geschlossene Gesellschaft Zusammen. Bild wird sie im Speisewagen 
tafeln, dessen Lämpchen dann rötlich erglühen werden. Eine win 
zige Lichterkette, die durch die Dämmerung gleitet. 
WeuZayr in der Iriedrichstadt. 
Berlin, Anfang Januar. 
Es war ein Neujahrsfest, als ob wir mitten rm Frieden lebten, 
als ob es keine Parteien gäbe und kaum eine Wirtschaftskrise. In 
den Lokalen flössen wie jedes Jahr sämtliche besteuerten Getränke 
in Strömen; obwohl genug leere Stühle verrieten, daß das Geld 
nicht mehr so strömt. Aber trotz der Anzeichen eines gedrückteren 
Lebens herrschte eine Lustigkeit, die sogar, mochte sie immerhin mit 
Galgenhumor gemixt sein, auf die Schupomannschaften Übergriff. 
Wahrhaftig, die Schutzleute waren Menschen und lachten freund 
lich, wenn einer sie einmal verulkte 
Ueber die Friedrichstraße ergoß sich in den ersten Stunden nach 
Mitternacht die traditionelle Karnevalsmenge. Die Geschäfte 
schliefen, die Berufe schliefen; wach war das Volk ohne Geschäft 
und ohne Beruf. Volk aus den Vororten, aus dem Osten und 
Westen — in dieser einen Nacht wogten sie alle ununterschieden und 
losgelafsen dahin. Maskenputz sorgte dafür, daß sie sich ohne Zwang 
miteinander mischten. Sie trugen komische Bärte und lange Nasen, 
sie schrien, weil sie sich freuten, und freuten sich darüber, daß sie so 
schreien konnten. Hohn auf die Autorität ging widerspruchslos mit 
ihrer Anerkennung Zusammen. Eine kleine Bande hatte sich in alte 
Militäruniformen von unbezweifelbarer Echtheit gekleidet, und der 
Bursche im Offiziersmantel schwankte so trunken hin und her, als 
wolle er den Sturz des Kaiserreichs persiflieren. Zur Entschädigung 
für solche Ausfälle statteten sich andere, die sich ebenfalls nichts 
dabei dachten, mit den Attributen der höheren Stände aus. Jüng 
linge und Mädchen, denen das Einglas nicht in der Wiege gesungen 
war, klemmten ein Zehnpfennig-Monokel aus Horn ins Auge, und 
bemooste Häupter ohne Universitätsbildung fühlten sich in ihren 
Corpsstudentenmützen verjüngt und gehoben. 
Auffällig war die Harmlosigkeit des Betriebs. Wer ich habe 
schon oft beobachtet, daß gerade die Bevölkerung der Weltstädte, 
denen das Beiwort verderbt von der Provinz nicht leicht geschenkt 
wird, besonders harmlos ist und sich vergnügen kann wie die Kin 
der. Die paar ganz großen Städte sind eigentlich keine Städte 
mehr, sondern Landschaften, eine zweite Natur, die ihren Bewoh 
nern eine neue Ursprünglichkeit verleiht. Jedenfalls wallfahrte die 
Menge dem neuen Jahr mit einer Beschwingtheit entgegen, die, 
soweit ich festzustellen vermochte, nirgends zu zertrümmerten Fen 
sterscheiben führte; es sei denn, daß eine Frau von einem Mann 
blau geschlagen wurde, aber das aeschiebt nicht nur in der Sil 
vesternacht Verwegene Gestalten, deren Ernst sonst blutig ist, ver 
ständigten sich durch ungefährliche Scher Worte, und Maharad 
schas tanzten mit Königinnen, die ein Papierdiadem krönte. Sie 
waren auf ungeschickte Weise annxutig, und wenn sie sangen: 
„Es war einmal 
Ein treuer Husar, 
Der Liebte ein Mädchen 
Ein ganzes Jahr", 
so wohnte das Glück schon unter ihnen, das sie vom neuen 
Jahr erwarteten. 
Doppelt verwunderlich in dieser Zeit der Demonstrationen 
:var, daß die Silvestermassenkundgebung durchaus unpolitisch 
verlief. Aber mehr noch: die politischen Leidenschaften traten nicht 
nur beiseite, sie schienen einem Gefühl der allgemeinen Verbun 
denheit gewichen Zu sein. Vielleicht regte es sich, weil die Menschen 
instinktiv begriffen, daß der Jahresbeginn ein Elementarereignis 
ist, das sie nur gemeinsam überstehen können. Und wenn mich nicht 
alles täuscht, waren sie nicht Zuletzt auch darüber fröhlich, daß 
sie sich endlich einmal Zusammenscharen und sein dursten, wie sie 
sind, oder doch sein möchten. Ach, wäre nur jeden Ta-g Silvester! 
Die Not jeden Tages verkörperte ein Betrunkener, der mit 
dem eintönigen Gebrüll: „Prost Neujahr" über die lange 
Friedrichstraße torkelte. Etwas anderes als diesen der Welt dar- 
gel-rachten Glückwunsch wußte er nicht von sich zu geben. Die 
Schutzleute ließen ihn gewähren, die Autos, auf die er nicht 
achtete, fuhren sorgfältig um ihn herum, und die Leute lachten 
über ihn und gingen dann eben weiter. Er mochte ein längst aus 
gesteuerter Erwerbsloser sein, und sicher ist, daß ihm sein Prost 
Neujahr so bald nichts nutzen wird. Ohne sich beirren zu lassen, 
zog er die endlose Straße herunter, immer den gleichen Ruf aus 
stoßend, bis zum Halleschen Tor und' darüber hinaus. 
Von drei Uhr an fuhren schon viele nach Hause. Auf den 
StationsLanken saßen schläfrige Pärchen, hielten sich umschlungen 
und dösten. Die Untergrundbahnen waren besetzt wie zur Zeit des 
GeschLftsschlusses. Ein junger Mann wickelte, ehe er ausstieg, 
in einem letzten Anfall des Uebermuts den letzten Rest einer 
Lustschlange um die Klircke des Wagens. Vor einer Haustür lag 
ein schlummernder Herr in Gamaschen, der offenbar nicht mehr 
fähig gewesen war, den Ueöergang von den Steinstufen zum Bett 
zu vollziehen. Das neue Jahr war bereits angebrochen. 
Der Bahnsteig beginnt sich eine halbe Stunde vor Abfahrt zu 
füllen. Die Insassen, des Personeuzugs gegenüber: Schüler in Gym 
nasiastenmützen, Arbeiter und Frauen bestaunen das luxuriöse 
Wunder, drängen zur Lokomotive, die eben angekoppelt wird, und 
tauschen technische Bemerkungen miteinander aus. An der Zug 
spitze haben sich auch mehrere Photographen urtd ein Filmoperateuc 
eingesunden, deren Aufnahmen man zweifellos in den nächsten 
Illustrierten begegnen wird. Je weniger Leute solche Züge be 
nutzen können, desto mehr Leute wollen sich doch an ihrem Abbild 
ergötzen. Allmählich — nicht zu zeitig und nicht zu spät — nähern 
sich die glücklichen Inhaber der Visitenkarten/ N werden von den 
livrierten Schaffnern empfangen, die so schmuck aussehen, als seien 
sie ebenfalls von der Internationalen Schla?wags:rgesellschafl neu 
hergestellt worden. Das Zeremoniell vollzieht sich allerdings nüch 
terner als bei der Abfahrt des I.-Zugs: iwcbe die ich 
einmal an der Oare cin d' orä in Paris miterle-öte. Treten hier 
die Reisenden immerhin eine Eisenbahn fahrt an, so bezogen sie 
dort eine Art von Elirehotel. Ein Stab von Hotelangestellten be 
willkommnete sie, und kaum waren sie eingestiegen, so sah man 
sie auch schon hinter den Spiegelscheiben des Pullman-Cars in 
ihren mächtigen Kluöfauteuils sich dehnen und strecken 
Eine Viertelstunde vor Abfahrt. Wichtige Herren, die Zum Teil 
in amtlicher Eigenschaft mitzufahren scheinen, begrüßen sich, 
erteilen Anweisungen und schreiten von Zeit Zu Zeit die Frynt 
ab. Zwei dunkle unansehnliche Männer, denen ich die Jungfern 
fahrt nicht ohne weiteres zugstrauL hätte, entpuppen sich bei 
genauerem Hinhören als Italiener. Es wird auch Englisch und
	        

Hinweis zur Vollständigkeit

Die Blätter 89 und 90 fehlen im Original.

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